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Das Phänomen der Achtsamkeit hat in den letzten Jahren in Wissenschaft und Praxis zunehmend Bedeutung erlangt. Achtsamkeit wurde dabei auf einer individuellen Ebene betrachtet. Achtsamkeit ist allerdings alles andere als ein ausschließlich individuelles Phänomen, sondern kann sich auch auf Teamprozesse beziehen. In Zeiten von New Work und der Digitalisierung, flacheren Hierarchiestrukturen sowie agilen Arbeitsweisen in virtuellen Teams gewinnt diese Perspektive und die Frage, was gute Teamarbeit auszeichnet, zunehmend an Relevanz. Im Folgenden nimmt Leadership Insiders diese Teamperspektive ein und es wird der Frage nachgegangen, welchen Beitrag Team-Achtsamkeit zu guter Teamarbeit beitragen kann und welche Fördermöglichkeiten bestehen.

Welche Charakteristika Teams aufweisen

In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen von Teams, die jeweils unterschiedliche Akzentuierungen hervorheben. So definieren Salas und Kollegen (1992, S. 4) ein Team als eine unterscheidbare Gruppe von zwei oder mehr Personen, die dynamisch, voneinander abhängig und anpassungsfähig auf ein gemeinsames und geschätztes Ziel hinarbeiten. Einzelnen werden dabei bestimmte Rollen oder Funktionen zugewiesen. Andere, wie Beatty/Brenda (2004, S. 36) stellen auf die Synergien der Zusammenarbeit durch komplementäre Fähigkeiten der Teammitglieder und kluge Koordination ab. Thompson (2018, S. 17) streicht hingegen den gegenseitigen Abhängigkeitscharakter der Teammitglieder voneinander heraus, beispielsweise bewirkt durch verteilte  Informationen, spezifische Ressourcen und allgemeines Wissen.

Was unter Achtsamkeit in Teams zu verstehen ist

Basierend auf diesen Charakteristika von Teams wollen wir uns nun genauer mit der Frage beschäftigen, was unter Achtsamkeit in Teams zu verstehen ist (zu Achtsamkeit in der Führung siehe Weibler/Müssigbrodt 2016). Eine sehr anschauliche Definition stammt von Yu und Zellmer-Bruhn (2018, S. 326). Sie erachten sie als eine gemeinsame Überzeugung der Teammitglieder, dass ihre Interaktionen durch Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für gegenwärtige Ereignisse und eine erfahrungsorientierte, nicht wertende Verarbeitung dieser innerhalb des Teams gekennzeichnet sein sollte. Rupprecht und Kollegen (2019, S. 33) sprechen hier von einer kollektive Aufmerksamkeit für die Teamerfahrungen. Team-Achtsamkeit zeichnet sich also dadurch aus, dass die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Mitglieder gleich ausgerichtet sind. Gleich ausgerichtet bedeutet in diesem Fall, dass sich alle Teammitglieder den für das Team relevanten, gegenwärtigen Erfahrungen zuwenden. Curtis u. a. (2017) heben zudem die Dialogorientierung von achtsamen Teams hervor. Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei Achtsamkeit in Teams um einen Prozess auf der Teamebene, bei dem die Teammitglieder achtsam zur Teamdiskussion beitragen, ihre eigenen Handlungen mit den Handlungen anderer abgleichen und gemeinsame mentale Modelle entwickeln. Dabei ist Team-Achtsamkeit mehr als die Summe der individuellen Achtsamkeit.

Zusammenfassend lassen sich also folgende zentrale Elemente von Team-Achtsamkeit herausstellen:

  • Gemeinsame Ausrichtung der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
  • Nicht-konzeptionelle und urteilsfreie Wahrnehmung
  • Flexibilität und Stabilität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit
  • Gegenwartsorientiertes Teambewusstsein
  • Dialogorientierung, sowie
  • gemeinsame mentale Modelle.

Welche Effekte mit Team-Achtsamkeit assoziiert werden

Noch sind Studien zu den Wirkungen einer kollektiven Achtsamkeit von Teams rar. Eine aktuelle Recherche hat dennoch erste, hochinteressante Studien ausmachen können:

  • Curtis u. (2017) haben sich etwa in einer Studie mit dem Einfluss von Achtsamkeit in Teams auf die Entscheidungsqualität beschäftigt. Dabei konnten die Autoren zeigen, dass eine erhöhte Achtsamkeit in Teams dazu führt, dass Teams Informationen zielgerichteter evaluieren und zu besseren Entscheidungen gelangen. Die Autoren betrachtet Achtsamkeit in Teams dabei als eine Konstellation aus drei Komponenten: beitragen, ausrichten und widerspiegeln. Beim „Beitragen“ untersuchen sie die Häufigkeit von einzigartigen Beiträgen der Teammitglieder, beim „Ausrichten“ als wie sehr diese Beiträge mit einer Reihe von Kernthemen verbunden sind, die die Diskussion im Team prägten, und beim „Widerspiegeln“ als wie gleich die individuellen Beiträge in die Entscheidungskriterien eingingen.
  • In einer weiteren Studie kamen Yu und Zellmer-Bruhn (2018) zu dem Ergebnis, dass Achtsamkeit in Teams als ein Schutzfaktor gegen für das Team schädliche Konflikttransformationsprozesse Dabei zeigten die Autoren, dass Achtsamkeit in Teams einen direkten, vermindernden Effekt auf Beziehungskonflikte hat, die Verbindung zwischen Beziehungskonflikten und Aufgabenkonflikten auf Teamebene minimiert, sowie das Übergreifen von Beziehungskonflikten im Team auf die soziale Untergrabung des Einzelnen reduziert. Es geht also um Uneinigkeit, das Hochkochen von sozialen Konflikten und um den Status im Team.
  • Eine jüngere Studie stammt von Liu u. (2020). Anhand der Analyse von Daten von 311 Mitarbeitenden aus 83 Teams dreier chinesischer Serviceunternehmen im Zeitverlauf zeigen sie, dass Achtsamkeit in Teams einen Einfluss auf die Fähigkeit von Teammitgliedern hat, sich von stressigen Erfahrungen zu erholen und ein hohes Arbeitsengagement herzustellen. Konkret moderiert Achtsamkeit in Teams die Beziehung zwischen individueller Achtsamkeit und Arbeitsengagement positiv. Spannend ist an dieser Studie, dass die Beziehungen zwischen individueller Achtsamkeit und Teamachtsamkeit mitgedacht wurden.

In einem extrem spannenden und wie aus dem Teamalltag gegriffenen Theoriebeitrag diskutieren Selart u. a. (2020) die Rolle von Achtsamkeit in Teams für das Erkennen einer falschen Konsensüberzeugung von Teammitgliedern. Falscher Konsens ist laut Autoren eine kognitive Verzerrung über die Wahrnehmung eines Konsenses, der eigentlich nicht vorhanden ist. Sie argumentieren, dass Mitglieder eines Teams in einem solchen Fall überschätzen, wie stark ihre eigenen Meinungen, Überzeugungen, Präferenzen, Werte und Gewohnheiten mit den anderen Teammitgliedern übereinstimmen. Folge: Informationen werden eher ignoriert oder nicht geteilt und man ist zudem weniger kritisch gegenüber Ideen im Team. Argumentiert wird nun, dass je höher die Achtsamkeit in Teams ausgeprägt ist, desto schwächer ausgeprägt und seltener ein falscher Konsens in einem Team entsteht. Indirekt positiv sind für die Achtsamkeit in Teams fünf Faktoren: Aufgeschlossenheit, Partizipation, Befähigung, Konfliktmanagement und Toleranz gegenüber Werteambiguitäten.

  • Aufgeschlossenheit: Teams mit hoher Achtsamkeit sind sowohl besser in der Lage, sich an neue Perspektiven anzupassen, sie mitzugestalten und auszuwählen, als auch intrapersonelle, interpersonelle und extrapersonelle Interessen besser zu berücksichtigen und zu integrieren.
  • Partizipation: Achtsamkeit in Teams führt dazu, dass die Interaktion tendenziell mehr auf Basis authentischer Beiträge erfolgt und eine verbesserte Fähigkeit besteht, Unterschiede zwischen diesen Beiträgen und Meinungen zu erkennen.
  • Befähigung: In achtsamen Teams besteht weniger extrinsischer Druck, einen Konsens zu erreichen und mehr eine Atmosphäre des freien Austauschs und kritischen Denkens, in der sich die Teilnehmer dazu befähigt fühlen, tiefer über die Ziele, Strategien und Prozesse des Teams zu diskutieren.
  • Konfliktmanagement: In achtsamen Teams besteht eine gegenwartsorientierte Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Konflikte werden weniger defensiv und egoistisch ausgetragen, sodass weniger negative und destruktive Emotionen vorherrschen.
  • Werteambiguitäten: Bei erhöhter Achtsamkeit in Teams besteht die Fähigkeit, sich widersprechende Stimuli gleichzeitig in der Aufmerksamkeit zu bewahren und sie so langfristig in einem ganzheitlichen Sinne zu integrieren.

Diese vielversprechenden Befunde und Überlegungen legen die Frage nach der Beeinflussung einer kollektiven Achtsamkeit nahe.

Wie Achtsamkeit in Teams gefördert werden kann

Was sind mögliche Strategien zur Förderung der kollektiven Achtsamkeit? Zum einen bietet es sich an, auf individueller Ebene anzusetzen und die individuelle Achtsamkeit bspw. durch Meditationen zu steigern. Heijer u. a. (2017) konnten etwa in einer Studie nachweisen, dass sich individuelle Achtsamkeit auf diverse relevante Faktoren von Achtsamkeit in Teams auswirkt, beispielsweise durch eine offenere Gesprächsatmosphäre oder durch passendere emotionalere Reaktionen. Zum anderen sind Teamtrainings eine Methode der Wahl. Insbesondere in der Luftfahrt unter dem Namen des Crew-Resource-Management-Trainings (CRM; früher Cockpit Resource Management) weitflächig praktiziert. Konkret handelt sich um hierbei um ein Training für Luftfahrzeugbesatzungen, welche die nicht-technischen Fertigkeiten schulen und verbessern soll, um Flugunfällen aufgrund menschlichen Versagens vorzubeugen. Neben Aufgabenbewältigung oder Teamarbeit und Führung steht auch das Situationsbewusstsein (Situation Awareness) im Fokus.

Untersuchungen zeigen: Die Bedeutung menschlichen Versagens bei Flugzeugunfällen hat sich in den USA durch CRM von über 70 auf 30 Prozent verringert. In den letzten Jahren wird CRM es aber auch immer mehr in anderen Bereichen etwa im Gesundheitswesen verwendet, um bspw. Patientenoutcomes zu verbessern, effizientere Prozesse zu erreichen und optimale Patientensicherheit zu gewährleisten (vgl. bspw. Rall/Langewand 2022). Auszuprobieren wäre demnach, inwieweit der CRM-Ansatz verstärkt auch auf andere Arbeitsbereiche erfolgreich zu übertragen und dadurch Team-Achtsamkeit zu stärken wäre. Allerdings müssen die Prinzipien stets individuell auf das jeweilige Unternehmen und die Zielgruppe zugeschnitten werden. Statt CRM könnte auch Teamentwicklungsprogramme im Outdoorbereich dazu herangezogen werden. Van Droffelaar und Jacobs (2017) konnten zeigen, dass Outdoorerfahrungen die Bereitschaft von Personen im organisationalen Kontext erhöhen, eine intensivierte individuelle Achtsamkeit und Achtsamkeit im Umgang mit anderen Personen zu kultivieren (Details finden sich bei wie Weibler/Striewe 2018).

Ein Blick nach vorn

Eine wichtige Einflussgröße zur Förderung von Achtsamkeit in Teams stellt auch die Bereitstellung digitaler Technologien dar. In der zuvor genannten Studie von Curtis u. a. (2017) wurden etwa Teams verglichen, die ein herkömmliches synchrones Text-Chat-Tool verwendeten, mit Teams, die eine Kombination von Tools zur Förderung der Team-Achtsamkeit (Chat plus Whiteboard) nutzen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Teams, die Chat plus Whiteboard nutzten, eine höhere Team-Achtsamkeit aufwiesen, und dass dies wiederum zu einer verbesserten Entscheidungsqualität führte.

Auch besitzen 3D-Lern- und Arbeitswelten als immersive Welten das Potential, Team-Achtsamkeit zu erhöhen. Hier werden für die Mitglieder Prozesse und Handlungsweisen im Team durch das Erleben einer komplett simulierten Wirklichkeit nachvollziehbar. Fehlende Kenntnisse könnten explorativ erarbeitet werden. Durch die Unmittelbarkeit der Situation wird die Erfahrung besonders intensiv und die Selbstreflexion in hohem Maß in derartigen Arbeits- und Lernwelten unterstützt. Es kann also erhofft werden, dass das erfahrbare Lernen im besonderen Maße gefördert wird, in dem Prozesse und Handlungsweisen durch eigenes Erleben nachvollziehbar gemacht werden. Wichtig ist jedoch folgender Punkt: Nicht alle Teams nutzten das Whiteboard in der genannten Studie effektiv, was darauf hindeutet, dass es nicht auf die Bereitstellung des Whiteboards ankam, sondern vielmehr darauf, wie die Teams es sich aneigneten. Der Aufbau digitaler Kompetenzen und ein für das Team sinnvoller Umgang damit, eine Art Technokultur, ist somit elementar für Team-Achtsamkeit – im Übrigen nicht nur für diese.

Beatty, C.A.A.; Brenda, A.B.S. (2004): Building Smart Teams: A Roadmap to High Performance, SAGE Publications, Thousand Oaks.

Curtis, A. M., Dennis, A. R.; McNamara, K. O. (2017): From Monologue to Dialogue: Performative Objects to Promote Collective Mindfulness in Computer-Mediated Team Discussions. In: MIS Quarterly, 41. Jg., Nr. 2, S. 559–581.

Heijer, P. den, Koole, W.; Stettina, C. J. (2017): Don’t forget to breathe: A controlled trial of mindfulness practices in agile project teams. In: Baumeister, H., Riebisch, M. und Lichter, H. (Hrsg.): Agile Processes in Software Engineering and Extreme Programming: 18th International Conference, XP 2017, Cologne, Germany, S. 103–118.

Liu, S., Xin, H., Shen, L., He, J.;Liu, J. (2020): The Influence of individual and team mindfulness on work engagement. In: Frontiers in psychology, 10 (2928), DOI: 10.3389/fpsyg.2019.02928.

Rall, M.; Langewand, S. (2022): Crew Resource Management für Führungskräfte im Gesundheitswesen, Wiesbaden.

Rupprecht, S., Koole, W., Chaskalson, M., Tamdjidi, C.; West, M. (2019): Running too far ahead? Towards a broader understanding of mindfulness in organisations. In: Current Opinion in Psychology, 28, S. 32–36.

Salas, E., Dickinson, T. L., Converse, S. A.; Tannenbaum, S. I. (1992): Toward an understanding of team performance and training. In: R. W. Swezey, R.W. und Salas, E. (Hrsg.): Teams: Their training and performance., Ablex Publishing, S. 3–29

Selart, M., Schei, V., Lines, R. Nesse, S. (2020): Can mindfulness be helpful in team decision‐making? A framework for understanding how to mitigate false consensus. In: European Management Review, 17(4), S. 1015–1026.

Thompson, L.L. (2018): Making the team: A guide for managers, 6. Aufl., New York

Van Droffelaar, B.; Jacobs, M. (2017): The role of wilderness experiences in leaders‘ development toward authentic leadership. In: Leadership & Organization Development Journal, 38(8), S. 1144-1156.

Weibler, J.; Müssigbrodt M. (2016): Achtsame Führung – Fakten für Führungskompetenz. Abrufbar unter: https://www.leadership-insiders.de/achtsame-fuehrung-fakten-fuer-fuehrungskompetenz/, abgerufen am 25.09.2022.

Weibler, J.; Striewe, C. (2018): Outdoor Leadership Trainings – Führungskompetenz durch Selbsterfahrung? Abgerufen am: 29.09.2022. Abrufbar unter: https://www.leadership-insiders.de/outdoor-leadership-trainings-fuehrungskompetenz-durch-selbsterfahrung/.

Yu, L.; Zellmer-Bruhn, M. (2018): Introducing team mindfulness and considering its safeguard role against conflict transformation and social undermining. In:  Academy of Management Journal, 61(1), S. 324–347