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Employee Experience – Fakten und Folgen

Segelschiff


Pavel Nesvadba / Shutterstock

Das Buzzword „Employee experience“ ist gleichzeitig eine Aufforderung an Führungskräfte wie an das Personalmanagement, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein inspirierendes Arbeitserlebnis zu ermöglichen, anstatt Menschen in einem weithin einförmig und leblos gestalteten Prozess einzubinden. Wird, etwas martialisch formuliert, „die Schlacht um die Herzen und Köpfe der Mitarbeitenden“ (IBM 2017) gewonnen, seien beispielsweise so dringend herbeigesehnte Folgen für Engagement und Bindung zu erwarten. Nicht verwunderlich also, dass die Employee Experience bei den Major Trends gelistet ist. Leadership Insiders hat die wesentlichen Fakten und bewertet die Entwicklung.

Ein Experiment

Machen wir ein kleines „Experiment“: Jemand bittet Sie, kurz zu erzählen, warum Sie gerade in dieser Organisation arbeiten. Es reicht, den ersten grundlegenden Gedanken dazu zu formulieren.

Womit haben Sie angefangen? Ist es die Marktführerschaft, die Sie herausheben, ist es der tolle Geschmack des Bieres, das Ihr Unternehmen braut, sind es die zufriedenen Patienten, die gut versorgt nach Hause gehen oder ist es das Projekt, an dem Sie gerade arbeiten? Alles hat seine Berechtigung. Aber selten würden wir als erstes die Antwort hören:

„Es sind die grandiosen Menschen, die mich Stolz machen, dabei zu sein.“

Schade eigentlich, denn diese grandiosen Menschen in Organisationen ermöglichen erst, dass Höchstleistungen erbracht werden und sich der Spaß an der Arbeit einstellt.

Am ehesten ist mir eine solche Antwort bei Professional Service Firms und Wissenschaftlern begegnet. Als ich einen Manager von McKinsey einmal fragte, was seine Faszination ausmache, bei McKinsey zu arbeiten, antwortete er mir, dass es all die smarten Menschen sein, mit denen er jeden Tag arbeiten dürfe. Ein Kollege aus der Volkswirtschaft schwärmte von einem Forschungsaufenthalt an der University of Chicago, wo er sich den ganzen Tag über mit brillanten Köpfen über Geldpolitik austauschen könne.

Zufall? Vielleicht nicht, denn derlei Tätigkeiten sind extrem wissens- und erfahrungsgetrieben, immer noch gebunden vornehmlich an Einzelpersonen. Dort erkennt man die Bedeutung von Wissensträgern noch sehr deutlich. Wo sich dies nicht ganz so spektakulär nach vorne schiebt, wird dies leicht aus den Augen verloren. Letztendlich ist der Erfolg von Organisationen aber immer zum überwiegenden Teil an die Qualität ihrer Mitglieder geknüpft und daran, dass diese sich mit großem Engagement in das Alltagsgeschäft und bei Sonderaufgaben einbringen. Empirisch werden bei der Entwicklung  des Engagements aber eher Stagnation und Rückschritt konstatiert (wie jüngst bei einer großen Studie wieder; Deloitte 2017).

Employee Experience

Wenn man um die Bedeutung der Mitarbeiter nicht nur weiß, sondern auch etwas mit diesem Bewusstsein anfangen möchte, dann liegt die Frage nicht fern, wie es gelingen kann, Mitarbeitende so zu motivieren, dass sie ihre Fähigkeiten und Leidenschaften tatsächlich mit Engagement in ihrer Arbeit einbringen, statt – wie heute häufig der Fall –sich selbst und das Team zu frustrieren. Genau diese Frage wird gegenwärtig unter dem Label „Employee Experience“ wieder neu akzentuiert gestellt.

General Electric’s Vice President Susan Peters definiert unser Buzzword folgendermaßen (zitiert nach Meister 2017):

„We define employee experience simply as seeing the world through the eyes of employees, staying connected, and being aware of their major milestones”

Employee Experience fordert also dazu auf, sich in die Position der Mitarbeitenden zu versetzen und zu prüfen, ob die zu vermittelnde Botschaft auch dort ankommt. Damit unterscheidet es sich von „objektiven“ Zugängen, die mittels Deklaration („Wir möchten gesunde Mitarbeiter“) oder Umsetzungsempfehlung (z.B. „Keine Nutzung von Mobile Devices im Urlaub“) arbeiten und eine Wirkung automatisch annehmen.

Der Begriff der „Employee Experience“ ist an die „Customer Experience“ angelehnt. Dort steht der Gedanke im Vordergrund, dass es nicht der schnöde Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung ist, die den Kunden langfristig an die Company bindet, sondern dass es seine bzw. ihre Erfahrungen sind, die mit dem Unternehmen vor wie nach dem Kauf gemacht werden. Und vor allem, welche positiven, insbesondere emotionalen Erlebnisse (= realisiertes Wertangebot) damit verbunden werden.

Dabei gilt die Erkenntnis: Kunden und Kundinnen denken nicht in einzelnen Phasen, sondern bewerten Unternehmen ganzheitlich, d.h. sie integrieren ihre Erfahrung nach subjektiver Gewichtung zu einer Gesamtbewertung. Aus zufriedenen Kunden werden so loyale Kunden, aus denen vielleicht einmal begeisterte Kunden entstehen, die gerne über Produkte wie Unternehmen berichten.

Es geht, wie die um Worte nicht verlegene Marketingsektion es ausdrückt, darum

… dem Kunden eine einzigartige Erfahrung zu ermöglichen, die an eine perfekte Reise erinnert, wo von Anfang bis Ende alles stimmte und man auch gerne wiederkommt.

Dafür wurde der Begriff der „Customer Journey“ geprägt. Er umfasst alle Berührungspunkte (Touchpoints) mit der Marke und dem Unternehmen – von „Awareness bis Advocating“ – auf allen Kanälen.

So wie die Customer Experience von den authentischen Bedürfnissen des Kunden ausgeht, orientiert sich die Employee Experience an den tatsächlichen und nicht nur vorgestellten Bedürfnissen der Mitarbeitenden, vom Sachbearbeiter bis zum Top-Management. Für die Personalabteilung folgt hieraus zwar keine Abkehr vom Funktions- bzw. Prozessdenken; hinterlegt wird dieses allerdings mit der Aufgabe, die Erlebnismöglichkeiten der Mitarbeitenden zu prüfen und zu befördern – dann ggf. auch durch Änderung bisheriger Strukturen und Abläufe.

Denn ebenso wie Kunden haben auch die Mitarbeitenden ein emotional geprägtes Gesamtbild von Produkten, Marken und Unternehmen. Dieses wird konturiert durch die Erfahrungen, beginnend mit dem Pre-Employment (Suche, Interview, Angebot) bis zum Post-Employment (Trennung, Verbindung halten, ggf. Wiedereintritt). Diese Erfahrung lässt den Daumen bei der Bewertung der Attraktivität des Arbeitgebers nach oben oder unten gehen.

Damit reicht die Employee Experience deutlich über die einfache und sattsam bekannte „Work Experience“ hinaus (bereits dazu Tesluk/Jacobs 1998), die in ihren Anfängen noch sehr an objektiv messbaren Größen wie der Dauer des eingenommenen Jobs hing. Zudem spielte die gestaltungsorientierte Verzahnung mit dem Employer Branding keine Rolle.

Und noch eine Verbindung sollte bedacht werden. Da die Customer Experience vielfach über die Interaktion mit der Organisation verläuft, sind es die Mitarbeitenden, die die entscheidenden Kontakte zu den Kunden haben (Vertrieb, Hotline, Projektpartner etc.). Ergo: Wer bei der Kreation einer Exployee Experience versagt, wird auch die Customer Experience nicht maximieren können.

Konzept und Messung der Employee Experience

Employee Experience ist in der beschriebenen Form ein junges Konzept, welches strategisch und operativ zwar zuvorderst im HRM-Bereich angesiedelt ist, Führungskräfte jedoch nicht minder strategisch (CEO, Top Management Team) und operativ in die Verantwortung nimmt.

Die Forschung läuft der praktischen Entwicklung zugegebenermaßen hinterher, sodass die Tragfähigkeit des Konzepts und die postulierten Wirkbeziehungen nicht gesichert zu formulieren sind. Die mit dem Employee Experience-Konzept aufs Engste verbundene Engagement-Forschung steht der Popularität hinsichtlich der wissenschaftlichen Beweiskraft von Zusammenhängen ebenfalls nach (vgl. Saks/Gruman 2014). Beide Stränge werden jedoch indirekt durch andere verhaltenswissenschaftliche Befunde unterstützt.

Eine unter diesen Einschränkungen aussagefähige Darstellung zur Konzeptkonkretisierung und Erfolgsmessung hat erfreulicherweise jüngst das IBM Smarter Work Institute vorgelegt (2017). Dort hat IBM in einer forschungsbezogenen Zusammenarbeit mit Globeforce einen prima vista plausiblen, empirisch gestützten Bezugsrahmen auf Basis von 23.000 teilnehmenden Personen aus 45 Ländern zur Employee Experience vorgelegt.

Bezugsrahmen Employee Experience

Bezugsrahmen Employee Experience

Leadership und Management setzen Bedingungen, die die sogenannten „Human Workplace Practices“, mitbestimmen. Deren Auswahl sollte aber nicht starr gesehen werden (z.B. mutmaßlich käme der physischen Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Technologie aus anderer Warte auch eine Bedeutung zu).

Die Praktiken sind wiederum die Treiber einer Mitarbeitererfahrung (Employee Experience), die eigentlich ein Mitarbeitererlebnis meint. Das wirkt wiederum auf bestimmte organisationale Erfolgsfaktoren ein.

Der Bezugsrahmen ist kausal gedacht. Aufgrund der Erhebungsmethodik wird jedoch zu Recht lediglich von statistischen „Zusammenhängen“ gesprochen.

Herzstück ist der literaturgestützt gebildete Employee Experience Index, der fünf Dimensionen mit jeweils 10 Items umfasst, nämlich:

  • Belonging: Sich einer Gruppe, einem Team oder der Organisation zugehörig fühlen
  • Purpose: Verständnis dafür, warum die eigene Arbeit bedeutsam ist
  • Achievement: Erfolgsgefühl nach getaner Arbeit
  • Happiness: Durchdringendes Zufriedenheits-/Glücksgefühl in und mit der Arbeit
  • Vigor: Präsenz von Energie, Enthusiasmus, aufregender Anspannung bei der Arbeit

Die Ergebnisse sind bemerkenswert. Angeführt werden in dieser Studie jeweils die 25% der Befragten mit dem höchsten und dem niedrigsten Employee Experience Index und wie sie die drei Erfolgsgrößen zustimmend bewerten:

  obere 25% untere 25%
Arbeitsleistung
(Work Performance)
96% 73%
Freiwilliger Einsatz
(Discretionary Effort;
ein spezifisches Work Engagement)
95% 55%
Wechselabsicht
(Retention)
21% 44%

Employee Experience Index und seine Korrelate

Bei den Treibern der Employee Experience, als da wären:

  • Vertrauen/Integrität,
  • unterstützende Kolleginnen und Kollegen,
  • sinnhafte Arbeit,
  • Feedback, Anerkennung, persönliches Wachstum,
  • Freiheitsgrade zum Entscheiden, Wertschätzung von Vorschlägen,
  • Work-Balance,

ging für jeden Punkt zwischen den Gruppen eine doppelt oder dreifach so hoch ausgeprägte Employee Experience einher. Verbunden mit der Ausprägung der „Outcomes“ erkennen wir aber auch, dass sich dies zwar positiv, aber nicht gleichförmig auf die Folgen auswirkt. Warum? Weil auf die dort genannten drei Größen noch andere Faktoren einwirken! Systematische Generationenunterschiede waren dafür nicht verantwortlich.

Erwähnenswert: Führung und Management wirken auf die Praktiken am Arbeitsplatz nach obigem Verständnis damit indirekt auf die Employee Experience ein. In der konkreten Untersuchung wurde bei rund 40% der Befragten ein deutlicher Verbesserungsbedarf in der Praktizierung dieses Einflusses angemahnt.

Employee Experience ist eine ernstzunehmende Orientierungsmöglichkeit

Mitarbeiter, Teams – und im Übrigen auch Führungskräfte, die fast ausnahmslos selbst einer anderen Führungskraft unterstellt sind ­– konstruieren ihre Wirklichkeitssicht nicht unbedingt so, wie andere dies intendieren oder wie man von außen vermuten könnte. Deshalb ist der Schwenk bei der Debatte um die Beachtung der Employee Experience erst einmal richtig aufgesetzt.

Natürlich erinnert das Buzzword an die immerwährende Suche nach dem Schlüssel zur Mitarbeiter-Motivation, zum Engagement, zum Commitment etc. pp. Gleichwohl wird dieser Suche durchaus ein neuer „Mosaikstein“ hinzugefügt. Denn die Employee Experience meint nicht einfach die interessierte Erhebung einer mitarbeitergebundenen Wahrnehmung, sondern enthält eine normative Aufforderung.

Sprich: Die kognitiv wie emotional gemachte Erfahrung soll sich aufgrund eines umfassenden Gesamtbildes über alle Berührungspunkte mit der Organisation und deren Produkt(e) ergeben und mit dem Employer Branding im Einklang sein. So steigern Mitarbeitende über die Kommunikation der erfahrungsgebundenen Kernbotschaft die Reputation der Organisation.

Für das Personalmanagement (HRM) heißt dies, in allen Politiken (z.B. Nachhaltigkeit) wie Praktiken (z.B. Personalauswahl) die Soll-Botschaft einzupflegen, deren Rezeption zu überwachen und zu korrigieren. Die versuchte Beeinflussung einer Employee Experience hat damit notgedrungen eine unternehmensspezifische Komponente.

Und Führungskräfte? Es wurde ausgewiesen, dass das Verhalten der Führungskräfte die Employee Experience formt. Das Führungsverhalten soll im Einklang mit dem stehen, wie man als Organisation erscheinen möchte, den gegenwärtigen wie den potenziellen Mitarbeitenden gegenüber. Und von außen sollen Mitarbeitende dies bei aller Individualität, deren gezeigtes Ausmaß wiederum ein Differenzierungsmerkmal ist, Dritten gegenüber genauso verkörpern.

Im Idealfall entsteht so eine sich von der Konkurrenz abhebende Identität, die als ein Angebot für andere zu verstehen ist, sich ebenfalls damit zu identifizieren, und eine Aufforderung, mitzumachen:

„Wir sind ein begehrenswerter Arbeitgeber voller grandioser Menschen.“

Zusammenfassung

Die Employee Experience ist heute ein vielfach anzutreffendes Schlagwort, dessen inhaltliche Auffüllung weit hinter der wachsenden Popularität des Konzepts zurücksteht. Angelehnt an die Customer Experience aus dem Marketing geht es um das Gesamtbild, welches Mitarbeiter und Führungskräfte durch vielfältige Berührungspunkte mit der Organisation und deren Produkten gewinnen. Dem hieraus resultierenden Mitarbeitererlebnis werden klare Auswirkungen bspw. auf das Engagement zugeschrieben. Es wird verdeutlicht, dass die Employee Experience eben nicht einfach eine aufzunehmende Zustandsgröße ist, sondern einem strategischen Gestaltungsimperativ unterliegt.
Deloitte (2017): The employee experience. Deloitte Global Human Capital Trends. Abgerufen am 16.11.2017.
https://www2.deloitte.com/us/en/pages/human-capital/articles/introduction-human-capital-trends.html

IBM Smarter Work Force Institute (2017): The Employee Experience Index: A new global measure of a human workplace and its impact (zusammen mit Globeforce).

Meister, J. (2017): The Employee Experience Is The Future Of Work: 10 HR Trends For 2017, Forbes Magazine.  Abgerufen am 16.11.2017
https://www.forbes.com/sites/jeannemeister/2017/01/05/the-employee-experience-is-the-future-of-work-10-hr-trends-for-2017/#1f2b7d7220a6

Saks, A. M./Gruman, J. A. (2014): What do we really know about employee engagement? In: Human Resource Development Quarterly, Vol. 25 (2), S. 155-182

Tesluk, P. E. / Jacobs, R. R. (1998): Toward an integrated model of work experience. In: Personnel Psychology, 51(2), S. 321-355

Ulrich, D. (2017): Organization has a 4 times the impact on business results as individual. Interview mit Dan Schwabel. Forbes. Abgerufen am 14.11.2017.
https://www.forbes.com/sites/danschawbel/2017/04/05/dave-ulrich-organization-has-4x-the-impact-on-business-results-as-individual/#38388be1517e