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Können Führungskräfte von beratungsbasierten Entscheidungen profitieren? – Teil II

Dieser Beitrag ist Teil der Serie Beratungsbasierte Entscheidungen

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Können Führungskräfte von beratungsbasierten Entscheidungen profitieren? – Teil I
  2. Können Führungskräfte von beratungsbasierten Entscheidungen profitieren? – Teil II

Ein internationales Forschungsteam unter meiner Beteiligung führte ein systematisches Review von 143 empirischen Studien zur beratungsbasierten Entscheidungsfindung durch, die zwischen 2006 und 2020 in Journalen des Managements und der Psychologie veröffentlicht wurden.  Wir unterteilten die Ergebnisse in die drei aufeinanderfolgenden Phasen: Beratung einholen und bereitstellen, Beratung nutzen und Ergebnisse beratungsbasierter Entscheidungen. Es zeigte sich, dass Beratungen in Abhängigkeit der Situation, des Typus des Beraters wie vor allem der Art des zu entscheidenden Sachverhaltes sehr wertvoll sein können.

Ryoji Iwata / Unsplash

Menschen lassen sich beraten und geben Ratschläge. In Organisationen ist das beim Treffen von Entscheidungen nicht anders.  In einer umfangreichen Analyse, an der auch ich beteiligt war, wurden Studien ausgewertet, die sich mit dem Anlass, dem Verlauf und dem Wert von Beratungen zum Treffen von Entscheidungen beschäftigen. Leadership Insiders präsentiert im zweiten Teil hierzu weitere ausgewählte wichtige Ergebnisse, von denen auch Führungskräfte profitieren können.

Dieser Beitrag ist Teil der Serie Beratungsbasierte Entscheidungen

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Können Führungskräfte von beratungsbasierten Entscheidungen profitieren? – Teil I
  2. Können Führungskräfte von beratungsbasierten Entscheidungen profitieren? – Teil II

Unter einer Beratung verstehen wir, wie zuvor bereits dargelegt, jede Meinung oder Information, die eine Person, „der Berater“, mit einer anderen, dem „Entscheidungsträger“ im Kontext eines bestimmten Entscheidungsproblems, „der Umwelt“, teilt (Kämmer u. a. 2023). Als Ausgangspunkt für unsere Überprüfung erstellten wir ein einfaches, dreistufiges Modell beratungsbasierter Entscheidungen. Die Einholung und Bereitstellung von Ratschlägen wurden schon abgehandelt (erste Stufe). Heute geht es darum, inwieweit Entscheidungsträger den Ratschlägen dann folgen und sie nutzen (zweite Stufe).  Danach referieren wir Studien zur Güte der beratungsbasierten Entscheidungsfindung (dritte Stufe) und ziehen abschließend ein kurzes Fazit.

Stufe 2: Beratung nutzen

Die zweite Stufe in unserem Modell betrifft die Inanspruchnahme von Beratung. Viele Forschungen zur Beratungsnutzung haben (oftmals mit Studierenden) im Labor untersucht, inwieweit Entscheidungsträger Beratung bei quantitativen Schätzaufgaben nutzen. Hier gilt, dass die eigene Schätzung dominant verfolgt wird. Jedoch sind Entscheidungsträger bereit, im Durchschnitt etwa ein Drittel der Distanz von ihrer ursprünglichen Schätzung zu der des Beraters oder der Beraterin anzupassen. Diese sogenannte egozentrische Diskontierung ist bei schwierigeren oder komplexeren Schätzaufgaben geringer, zumal wenn für den Ratschlag zu zahlen war.  Wechseln die Rollen des Ratsuchenden und Ratgebenden innerhalb derselben personalen Konstellation des Öfteren, nimmt der jeweilige Einfluss auf den anderen zu. Übertragen könnte man dies beispielsweise auf Führungs- und Geführtenrollen, die je nach Aufgabe unter sich bekannten Personen wechseln. Aber auch das: Bei der Prognose, ob der Preis einer hypothetischen Aktie steigen oder fallen würde, verließen sich Personen stärker auf Berater, als es deren Erfolgsbilanz rechtfertigte. Deren Zuverlässigkeit, also etwas, was als soziale Größe nicht unmittelbar die Güte der Entscheidung („die beste Entscheidung treffen“) beeinflusst, wurde gleichsam zur Vorhersage der Aktienperformance in einer Börsensimulation einbezogen wie „harte“ Indikatoren.

Hinsichtlich des sozialen Umfeldes können wir hervorheben, dass Personen in einem Experiment, denen zufällig eine größere Macht zugeordnet wurde, tendenziell weniger Ratschläge in Anspruch nahmen als solche mit weniger Macht. Rational ist dieses Verhalten nicht, da zugewiesene Macht und Wissen erst einmal voneinander unabhängige Kategorien sind. Fachleute, die selbst angaben, in ihren Organisationen leistungsfähiger zu sein, wurde weniger zugetraut, Ratschläge von ihren Mitarbeitenden in Anspruch zu nehmen. Dazu muss man wissen, dass Selbstauskünfte zur Leistungsfähigkeit statistisch positiv verzerrt sind. Oder anders formuliert: Menschen neigen dazu, sich gegenüber dem Durchschnitt besser einzuschätzen. Logisch kann das für die meisten aber nicht zutreffend sein.

Unter den kognitiven Faktoren, die die Nutzung von Ratschlägen bestimmen, ist das grundsätzliche Vertrauendes Entscheidungsträgers in sein eigenes Urteilsvermögen vielleicht der wichtigste. Es wird deutlich, dass selbstbewusstere Entscheidungsträger Ratschlägen weniger Gewicht beimessen. Ein geringeres Selbstbewusstsein erhöht hingegen die Inanspruchnahme von Ratschlägen. Die klassische Erkenntnis, dass übermütige Entscheidungsträger weniger Ratschläge nutzen, wurde erst jüngst wieder repliziert. Dabei würden gerade sie davon natürlich überproportional profitieren. Es ist wie beim freiwilligen Besuch von Führungsveranstaltungen. Die, die es am dringendsten benötigen würden, findet man dort selten.

Ein weiterer Faktor, der die Nutzung von Ratschlägen beeinflusst, ist der emotionale Zustand des Entscheidungsträgers. Das Auslösen von Angst zum Beispiel führte dazu, dass Personen eher Ratschläge in Anspruch nahmen. Negative Emotionen erhöhen den Beratungsbedarf, wenn sie sich auf die eigene Person beziehen und verringern ihn, wenn sie sich auf den Berater beziehen. Für positive Emotionen gilt das spiegelbildlich. In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass das Erregen eines Verdachts auf die eigennützigen Motive eines Beraters einen ähnlichen Effekt hat wie das Induzieren negativer Emotionen und verringert folglich die Nutzung von Ratschlägen. Das kennen wir auch in eine mikropolitische Taktik transformiert: Fehlen die sachlichen Gründe, diskreditiere die Person.

In jüngerer Zeit hat die Forschung auch untersucht, wie Persönlichkeitsmerkmale und andere individuelle Unterschiede die Beratungsnutzung beeinflussen: Narzissten, das mag vermutlich wenig zu überraschen, nutzten weniger Ratschläge; ebenso lehnten agentische, also von sich selbst heraus aktive Entscheidungsträger, Ratschläge eher ab. Personen im Alter von 60 Jahren und älter nutzten Ratschläge häufiger als solche im Alter zwischen 18 und 37 Jahren. Manager, die ihre Macht als Verantwortung verstanden, nahmen eher Ratschläge an als diejenigen, die ihre Macht als individuelle Chance interpretierten. Dies wirft ein interessantes Licht auf Führungskräfte, denen Ratschläge aus dem Team unwichtig sind: Ratsuche als Indikator für die Ausrichtung der Macht innerhalb der Person, die sonst uneinsehbar bliebe?

Dass Ratschläge leichter genutzt werden, wenn sie von einem vertrauenswürdigen Berater kommen, überrascht nicht. In ähnlicher Weise zeigte die Forschung, dass Entscheidungsträger Ratschläge mehr nutzten, wenn sie Berater als hilfreich und Gutes im Sinn tragend empfanden. Allerdings scheinen Entscheidungsträger Berater nicht zu mögen, wenn diese Unsicherheit per se zum Ausdruck bringen. Aber Vorsicht: Ratsuchende beurteilen dann wiederum Berater vergleichsweise als weniger glaubwürdig, wenn diese zuerst großes Vertrauen in ihnen hervorrufen, was sich dann als falsch herausstellt. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Berater vermutlich nicht davon profitieren, bei der zur Schaustellung ihres Wissens zu übertreiben. Dazu passt, dass Entscheidungsträger Optimismus bei einem Berater in geringerem Maße schätzten, als der Berater vielleicht selbst geglaubt hat. Also weder zu viel Sicherheit noch Unsicherheit signalisieren, würde aus der Lage der Dinge zu folgern sein. Zudem: Offensiv zu signalisieren, besser als der Entscheidungsträger zu wissen, wie das Entscheidungsproblem zu lösen ist, kommt nicht gut an.

Stufe 3: Ergebnisse beratungsbasierter Entscheidungen

Die dritte und letzte Stufe unseres Modells betrifft die Ergebnisse beratungsbasierter Entscheidungen.  Zu den gemeinsamen Ergebnisvariablen gehörten Leistung, Vertrauen und relationale Ergebnisse (Sympathie, Wertschätzung ec.) beratungsbasierter Entscheidungen.

In einem breiten Spektrum von Aufgabenumgebungen und Leistungsmaßen wurde insgesamt festgestellt, dass Beratung nützlich, also von Vorteil ist. Bereits die frühe Beratungsforschung ergab, dass Beratung in der Regel die Leistung verbessert.  Aufgaben, bei denen es im Labor um Schätzungen ging, reduzierten beispielsweise den Schätzfehler um etwa 20%.  In einer anderen Studie zeigten in den USA ansässige gemeinnützige Organisationen mit CEOs, die angaben, mehr strategische Beratung zu suchen, ein höheres Wachstum bei finanziellen Spenden. Profitorientierte Unternehmen, die von CEOs geführt wurden, die selbst angaben, mehr strategische Beratung zu suchen, zeigten ebenfalls höhere Renditen auf Vermögenswerte und dem Verhältnis von Market-to-Book-Werten. Und in einem kürzlich durchgeführten Feldexperiment wuchsen Start-ups in Indien schneller und scheiterten seltener, wenn ihre Gründer Ratschläge von Kollegen erhielten, die sie ermutigten, regelmäßige Treffen einzurichten, Ziele konsequent zu setzen und den Mitarbeitern häufiges Feedback zu geben. Mehrere andere Studien fanden heraus, dass Beratung der Innovation zugutekommt. Positive Effekte waren auch für Teams und Einzelpersonen nachweisbar. Zum Beispiel wurde festgestellt, dass Geschäftseinheiten mehr Verkaufschancen und einen höheren Gesamtumsatz generierten, wenn ihre Managementteams über umfangreichere Beratungsnetzwerke verfügten. Manager bewerteten Arbeitsgruppen mit umfangreicheren Beratungsnetzwerken als effektiver. Allerdings zeigte sich auch, dass eine schlechte Beratung die eigene Leistung beeinträchtigte.

Viele Studien haben das Vertrauen als Ergebnisvariable gemessen und im Allgemeinen festgestellt, dass die Verwendung von Ratschlägen das Vertrauen der Entscheidungsträger erhöht. Die Erhöhung des Vertrauens geht oft Hand in Hand mit einer erhöhten Genauigkeit durch die Verwendung von Ratschlägen. Unter bestimmten Bedingungen – d. h. wenn Berater unterschiedlicher Meinung sind oder wenn es den Beratern selbst an Vertrauen mangelt, kann Beratung allerdings das Vertrauen verringern. Dass Berater Entscheidungsträger, die ihren Rat suchten, durchweg als kompetenter, bescheidener und sympathischer als Entscheidungsträger, die keinen Rat suchten, empfanden, wäre zwar zu vermuten gewesen, zeigt aber, dass sich so positive Vertrauensspiralen entwickeln können. Führungskräfte, deren Kompetenz zweifelhaft ist, müssen jedoch vorsichtig sein, da sie möglicherweise als weniger kompetent wahrgenommen werden, wenn sie um Rat fragen. Dieser Befund demonstriert wieder einmal, dass dasselbe Verhalten, z. B. ein Führungsverhalten, von anderen, z. B. Mitarbeitenden, nicht gleich positiv wahrgenommen werden muss. Dokumentiert ist auch, dass Top-Management-Teams Ratschläge nutzen, um die Proaktivität und Innovationskraft ihrer strategischen Entscheidungsfindung zu stärken.

Fazit

Das Gesamtbild, das sich aus dem aktuellen Review ergibt, ist ermutigend: Beratung hilft in der Regel.  Natürlich: Ratschläge können auch schädlich sein, eine Garantie gibt es nicht. Tendenziell verdeutlicht aber die analysierten Studien, dass Entscheidungsträger – darunter Managerinnen und Manager – sich mit Ratschlägen verbessern, unabhängig davon, ob es um die Genauigkeit des Urteils, die Innovationsfähigkeit oder sogar das Überleben von Unternehmen geht. Beratung wird bevorzugt dann eingeholt, wenn sie selbst nicht zuversichtlich sind, die beste Entscheidung zu treffen und wenn sie vor herausfordernden oder unsicheren Aufgaben stehen.  Das mag erklären, warum die Beratungsindustrie, um sich einmal auf die externe, kommerzielle Beratung zu fokussieren, umsatzbezogen boomt (Stichwort: Digitale Transformation, Lieferketten). Das Einholen und die Nutzung von Ratschlägen nehmen zu, wenn Beraterinnen und Berater Experten sind und wenn Berater und Entscheidungsträger einander vertrauen.  Viele Fragen sind jedoch im Beratungskontext noch offen bzw. müssen aus der Bewährung im Experiment in den Organisationskontext mit der Zielgruppe Management überführt werden. Zum Beispiel sollte die Beratungsforschung untersuchen, wie das Geben und Nehmen von Ratschlägen die Beziehungen innerhalb des Teams und das Funktionieren des Teams prägt. Offen im Organisationskontext ist auch, warum Entscheidungsträger Ratschläge möglicherweise nicht genau so verarbeiten, wie sie Informationen aus anderen (nicht sozialen) Quellen verarbeiten. Es hapert überhaupt noch an bewährten Theorien zur Einordnung vorliegender Befunde. Und brandaktuell: Welche Bedeutung könnte eigentlich eine Beratung durch Algorithmen besitzen?

Aus der Praxis wissen wir im Übrigen, dass nicht immer die Optimierung der Entscheidungsqualität der eigentliche Grund ist, sich beraten zu lassen. Mikropolitische Überlegungen können ebenfalls eine Ursache sein, beispielsweise für eine bereits feststehende Entscheidung eine benötigte Legitimation zu finden, für die Sache oder für sich selbst im Falle des Scheiterns.


Anmerkungen: Der Text basiert, teils mit wortwörtlich übersetzten Passagen, auf der wesentlich umfangreicheren nachfolgenden Veröffentlichung, in der alle den Ausführungen zugrunde liegenden Referenzen zu finden sind:

Juliane Kämmer; Shoham Choshen-Hillel; Johannes Müller-Trede; Stephanie Black; Jürgen Weibler (2023):  A systematic review of empirical studies on advice-based decisions in behavioral and organizational research. In: Decision. Advance online publication (free access).

https://doi.org/10.1037/dec0000199