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Muss die Führung im Team oder anderenorts stets mit nur einer einzigen Person verbunden werden? Welche Ausformungen werden alternativ konzipiert, praktiziert und warum? Gegenentwürfe zur altbekannten „One-Man-Show“ liegen auf dem Tisch und sind bereits, auch passend zum Kontext von New Work, in der Anwendung. Leadership Insiders liefert eine sortierte Übersicht und bewertet die Lage.

Stellvertretung des Führenden

Die Führungsaufgabe nicht nur einer Einzelperson zu überantworten, sondern sie auf mehrere Schultern zu verteilen, ist an sich kein ganz neuer Gedanke. Am bekanntesten ist hier die Stellvertretung, die aber, wie der Name schon sagt, weder eine eigene inhaltliche, neue Auffüllung einer Führungsposition darstellt noch eine eigene Führungsposition schafft. Vielmehr wird hier im Falle der Abwesenheit oder der Verhinderung der eigentlich verantwortlichen Führungskraft eine andere Person formell oder informell ermächtigt, nach Maßgaben des „Amtsinhabers“ bzw. der „Amtsinhaberin“ zu handeln, mindestens aber in deren Sinne zu agieren. An echter Eigenständigkeit ist im Entscheidungsfall also regelmäßig nicht gedacht, auch wenn Ausnahmen situativ manchmal unvermeidlich sind. Aber die Stellvertretung erlaubt, vor allem die Führungslast zu verteilen. Es ist aber noch keine plurale Führung, wie sie die Diskussion momentan aufgreift. Sie ist weiterhin eine Form singulärer Führung, die sich lediglich ein Stück weit doppelt und nicht zuletzt für den Notfall greift.

Job-Sharing in der Führungsposition

Bekannt geworden ist auch die Aufteilung einer Führungsposition auf zwei Personen, die diese dann zu gleichen (oder ggf. auch ungleichen) Teilen in Teilzeit ausüben. Aber auch hier bleibt es weiterhin bei einer einzigen Führungsposition. Die sich diese Position teilenden Personen haben die Aufgabe, ihre Führung möglichst einer gemeinsamen Zielsetzung gemäß auszuüben. Idealerweise wird in der Außenwahrnehmung dann auch kein Unterschied (Skills, Emotionen, Motivation, Leistungsbeiträge) zwischen diesen Personen festgestellt, womit die perfekte Austauschbarkeit, mindestens aber die nahtlose Kombinierbarkeit, das eigentliche Leitbild ist. Von einer pluralen Führung ist also auch hier nicht zu sprechen.

Duale Führung

Dies ist sozusagen der einfachste Fall einer pluralen Führung. Sie begegnet uns in zwei Formen: als formale duale Führung und als informale duale Führung.

Beginnen wir bei Letzterer. Von einer informalen dualen Führung ist immer dann zu sprechen, wenn in einer hierarchisch strukturierten Arbeitsgruppe, die eine formale Führungsposition ausweist, eine weitere Person Führungsaufgaben aufgrund eigener Entscheidung übernimmt oder mit der Zeit in diese hineinwächst. Klassisch ist hier die Aufteilung zwischen einer aufgabenorientierten und einer sozio-emotionalen Führung. Der Grund dafür ist, wie Studien zeigen, dass eine aufgabenorientierte Führung oftmals das Soziale in der Gruppe nicht im Blick behält oder das Sozialgefüge gar stört. Deswegen entsteht ein Führungsvakuum, welches dann von einem normalen Gruppenmitglied ausgefüllt werden kann. Dieses wird in der Literatur als ein „Beliebtheitsführer“ bezeichnet, der für das Klima in der Gruppe wesentliche Dienste verrichtet und damit gleichzeitig auch die Problemlösungsfähigkeit der Gruppe entscheidend sichern hilft. Erinnern wir uns beispielsweise an die letzte Fußballweltmeisterschaft, wo ein gewisser Lukas Podolski der Mannschaft spielerisch zwar kaum half, aber Medienberichten zufolge im Hintergrund für eine produktive Lockerheit im Mannschaftsgefüge sorgte, die die Konzentration für die entscheidenden Spiele schärfte.

Die formale duale Führung ist dann gegeben, wenn statt einer zwei Führungspositionen auf derselben hierarchischen Ebene zur Leitung einer Gruppe vorgesehen sind. Erinnern wir uns an die Doppelspitze bei der Deutschen Bank oder aber an die Doppelbesetzung eines Parteivorsitzes. Formal würde die Ausweisung einer einzigen Führungsposition reichen, wie es in vergleichbaren Situationen ja auch regelmäßig der Fall ist. Allerdings können situative Erfordernisse die besagte Lösung aus rationalen Erwägungen (z.B. wegen des Umfangs oder benötigter Kompetenzen) heraus nahelegen, oder aber sie ist Ausdruck einer nicht zu einer Seite hin geklärten Machtfrage. Eine solche Lösung kann von vorneherein festgeschrieben sein oder sich anlassbezogen spontan ergeben. Auch kann es, um einen praktischen Grund zu nennen, die Einlösung des Versprechens der Geschlechtergerechtigkeit sein.

Ein Führungsplural jenseits der bisherigen Standards

Die beiden beschriebenen Formen repräsentieren die einfachste Form einer pluralen Führung. Der Gedanke eines Führungsplurals erhält jedoch einen zusätzlichen Schub durch bereits eingetretene bzw. sich immer stärker abzeichnende Entwicklungen in Organisationen. Erinnert sei nur an unsere vormaligen Ausführungen zum New Work, den Auflockerungen bzw. Alternativen zur traditionellen Hierarchie und der Suche nach mehr Verantwortung bei vielen (noch) Nicht-Führungskräften.

Diese sich vorzugsweise in evolutiven und polyzentrischen Organisationsformen manifestierenden Führungsplurale stehen für die Verabschiedung von der klassisch-hierarchischen Vorstellung, dass an der Organisationsspitze stets nur ein einziges Machtzentrum bestehen sollte, von dem alle Entscheidungsgewalt ausgeht (so genannte monistische Autoritätsstruktur). Besonders plastisch wird dies dann, wenn die organisatorische Leitfigur Netzwerke denn Silos sind.

Wie der herausragende Führungsforscher Edwin Hollander (2009, S. 22) ausführt, kann die grundsätzliche Bereitschaft, Führungsaufgaben breiter zu verteilen, oder, wie wir noch sehen werden, gemeinschaftlich aufzuteilen, nicht nur als Kontrapunkt, sondern fast schon als Paradigmenwechsel zwischen „alter“ und „neuer“ Führung aufgefasst werden. Ausschlaggebend dafür, Führung stärker von vielen Zentren ausgehen zu lassen, ist der Eindruck, dass sich das vertikale Führen genauso wie ein führerzentriertes Verständnis als Allzwecklösung überlebt hat. Die drei wichtigsten Gründe dafür sind:

  • Überforderung (kognitiv, emotional motivational) angesichts komplexer Arbeits- und Entscheidungsstrukturen, einhergehend mit restringierenden Zeitregimen und zwangsweiser Präsenzreduktion
  • Führungsbezogener Aufbau von Überschussressourcen („Führungsslack“)
  • Partizipationswünsche breiterer Personenkreise.

Durch eine plurale Führung wird für die Führungskraft ein Belastungsabbau erwirkt, der, so die Erwartung, mit weniger Stress und erhöhten Wohlbefinden einhergeht. Eine Diversität von Personen steht zudem für eine bessere Anpassungsmöglichkeit an sich verändernde Umwelten (Weibler/Deeg 2018). Und ein Mehr an Teilhabe kommt nicht zuletzt auch modernen, demokratisch geprägten Grundvorstellungen entgegen.

Zu sehen ist dabei allerdings auch: Das simultane Wirken einer Vielzahl unterschiedlicher Instanzen kommt in vielen Organisationen nichts weniger als einem Kulturbruch gleich. So gibt Richard Bolden (2011) vom Centre for Leadership Studies der University of Exeter Businenn School, UK, zu bedenken, dass eine quasi Jahrtausende lange kulturelle Konditionierung auf monozentrische Führungsstrukturen existiert, die derzeit praktisch von allen Organisationen gespiegelt wird. In der westlichen Welt geht dies einher mit einer starken Fixierung auf Individuen, denen der Erfolg oder Misserfolg ganzer sozialer Gebilde oft ausschließlich zugeschrieben wird (vgl. meine Ausführungen zur Romantisierungvon Führung).

Verteilte Führung

Die verteilte Führung (engl.: distributed oder dispersed leadership) ist im Vergleich zum Bisherigen eine interessantere Form der pluralen Führung. Hier werden innerhalb eines Teams sozusagen „Teilführerschaften“ vergeben oder ermöglicht, die einen zuvor gemeinsam abgesteckten Aufgabenbereich verantwortlich vertreten und denen bestimmte Personen zugeordnet werden bzw. sich zuordnen dürfen. Die Gesamtkoordination im Team erfolgt nach kollektiven Regeln. Oder eine Person in Teilführerschaft übernimmt temporär in Personalunion die Gesamtverantwortung. Manch solche Lösungen gehen bis hin zur offiziellen Wahl jener Personen, die sich um einen Führungsanteil bewerben. Damit haben wir es mit sich selbst organisierenden Teams zu tun, die eben nicht zwingend führerlos und schon gar nicht führungslos sind, sondern „nur“ von den überkommenen a priori fixen Führungsstrukturen abweichen.

Kollektive Führung

Im Gegensatz zur verteilten Führung, wo einzelne Führungspersonen noch klar identifizierbar sind, beschreibt die kollektive Führung (auch gemeinschaftliche Führung, engl.: Shared Leadership) eine Führungsform, in der nicht mehr ex ante zwischen Führenden und Geführten differenziert wird. Voraussetzung ist, dass auf eine formal zugeschriebene Leitungsposition verzichtet wird, und das Team (allgemeiner: die durch eine gemeinsame Arbeit verbundene Gemeinschaft von Personen) durch gemeinschaftliche Erfahrungen einen Umgang miteinander kreiert, in denen das „Wir“ anstelle des „Ichs“ das Denken und Handeln wie selbstverständlich prägt. Aktivitäten werden so als kollektive Angelegenheit wahrgenommen und die dafür notwendigen Prozesse werden im Laufe der Zusammenarbeit erlernt. Dies drückt sich durch die Arbeitspraxis genauso aus wie durch die Sprache, die benutzt wird.

Diese Führungsform ist mitnichten nur eine rein gedankliche Konstruktion, sondern wurde in empirischen Studien bereits mehrfach unter bestimmten Situationsbedingungen ausgewiesen. So wurden durch ein Forschungsprojekt an meinem Lehrstuhl in einer sehr früheren Untersuchung auf diesem Feld in kollaborativen Netzwerken gemeinsam geteilte Einflussprozesse der beschriebenen Art aufgedeckt. Deutlich war eine Aufmerksamkeitsverschiebung weg vom Individuum hin zu Interaktionen und Beziehungen zwischen Individuen zu beobachten (Weibler/Rohn-Endres 2010). Statt eines einzigen Führungsanspruchs aufgrund einer vor-gesetzten Person entwickelt sich durch die tägliche Praxis ein akzeptiertes und funktionsfähiges Führungsverständnis. Klar ist, dass laterale Beziehungen zwischen Personen den Nährboden für solche Formen der Führung im Besonderen bereiten können. Im Falle einer vertikalen Führung als Einstiegsoption müsste der Anspruch der Vor-gesetzten-Position auf Alleinentscheid natürlich aufgegeben werden. Wenn, käme ihr die Aufgabe zu, moderierend einen solchen Prozess einzuleiten. Das Ziel wäre dabei, sich allmählich selbst als hervorgehobene Person mit singulärem Führungsanspruch überflüssig zu machen.

Wirkungen pluraler Führung

Es wäre vollkommen falsch davon auszugehen, dass eine Plurale Führung stets möglich ist und automatisch bessere Resultate für eine Organisation generiert. Aber unter bestimmten Bedingungen sind Vorteile jedoch nicht nur plausibel, sondern werden auch von empirischen Studien ausgewiesen. Dort zeigt sich, dass die Teamfunktionalität zunimmt, d.h. es gibt nach einem Ringen um den richtigen Weg einen größeren Konsens, weniger Konflikte, ein höheres gruppeninternes Vertrauen und eine stabilere Kohäsion. Meta-Studien weisen auch Leistungsverbesserungen aus (vgl. D’Innocenzo/Mathieu/Kukenberger 2016). Die Streuungen in den Ergebnissen sind jedoch hoch. Abgesehen von methodischen Problemen heißt dies vor allem, dass die Situationsbedingungen im weitesten Sinne passen müssen. Dazu zählt voraussetzend auch eine Anzahl von Personen, die überhaupt gerne in die Führungsverantwortung gehen will.

Tendenziell weisen die Befunde darauf hin, dass diese pluralen Formen dann ihre Stärken entfalten, wenn es um eine Führung geht, die durch das sogenannte „New-Genre Leadership“ gut beschrieben ist. Damit sind Führungsrichtungen gemeint, die – wie die transformationale oder ermächtigende Führung – Wandel, Entwicklung und Lernen besonders thematisieren. Demgegenüber wäre eine plurale Führung dieser Natur mit Blick auf Teameffektivität nicht vorteilhaft, wenn lediglich die klassischen Führungsfunktionen gemeinsam bedient würden (z.B. direktive, aufgabenorientierte Führung). Hervorzuheben ist, dass sich die Wirkung auf die Teamleistung vorzugsweise über die Teamprozesse entfaltet. Danach werden prioritär Einstellungen zum Team und Verhaltensweisen im Team ergebnisgünstig geformt.

Plurale Führung: Führungsavantgarde, aber nichts für alle und alles

Die dokumentierten Stärken einer pluralen Führung sollten also nicht zu einer „je mehr desto besser“-These verleiten. Und die aufgeklärte traditionelle Form ist natürlich keinesfalls obsolet (vgl. Chreim 2015). Stets kommt es auch hier auf die Situation und die Umsetzung an, damit plurale Führungsformen hilfreich wirken und nicht desaströs enden.

Weiterhin besteht erheblicher Forschungsbedarf bei der Bestimmung von Effekten in Abhängigkeit der Art und des Ausmaßes von pluraler Führung. Zurzeit wird in der Diskussion leider fast alles darunter gefasst, was sich von einer formalen hierarchischen (vertikalen) Führung abhebt: Teammitglieder, die in die formale Führungsrolle informell schlüpfen (leading up). Personen, die ein Teammitglied oder mehrere Teammitglieder lateral führen (leading across). Dann Personen, die sich Führungsfunktionen aufteilen (leading jointly). Und natürlich das Team, das ohne erkennbare Differenzierung gemeinsam führt (leading collectively).

Insgesamt ist klar, dass es beispielsweise bei terminierten und/oder spezialisierten (produktionsorientierten) Aufgabenkontexten wenig effektiv ist, wenn das gesamte Team für Führungsaufgaben zur Verfügung steht. Hier würden plurale Führungskonfigurationen im Normalfall eine Ressourcenverschwendung bedeuten. Ich habe oben die Bedingungen skizziert, unter denen sich ein Mehr an Führung auszahlt.

Auf keinen Fall darf deshalb der Blick dafür verlorengehen, dass Teams wie Organisationen in viel stärkerer Zahl talentierte „Follower“ benötigen, die sich der engagierten Ausübung ihrer Aufgaben verpflichtet sehen und dabei führungsgleich über den Tellerrand hinausschauen. Dies lenkt unsere Aufmerksamkeit abschließend darauf, dass eine plurale Führung zwar zunächst allein aus funktionalen Gründen an Terrain gewinnt, dass aber ihr zukünftiges Potenzial in dem breiten Aufbau eines Führungsvermögens in der Organisation gesehen werden sollte. Damit ist sie ein attraktiver Weg, die Personalentwicklung mit der Organisationsentwicklung zu verzahnen.

Bolden, R. (2011): Distributed leadership in organizations: A review of theory and research. In: International Journal of Management Reviews, 13 (3), S. 251-269

Chreim, S. (2015): The (non)distribution of leadership roles: Considering leadership practices and configurations. In: Human Relations, 68 (4), S. 517-543

D‘Innocenzo, L./Mathieu, J. E./Kukenberger, M. R. (2016): A meta-analysis of different forms of shared leadership-team performance relations. In: Journal of Management, 42 (7), S. 1964-1991

Hollander, E. P. (2009): Inclusive leadership – The essential leader-follower relationship, New York

Weibler, J./Deeg, J. (2018): Zukunftsfähige Führung. In: Surrey, H./Tiberius, V. (Hrsg.): Die Zukunft des Personalmanagements: Herausforderungen, Lösungsansätze und Gestaltungsoptionen, Zürich, S.191-199

Weibler, J./Rohn-Endres, S. (2010): Learning conversation and shared network leadership: Development, gestalt, and consequences. In: Journal of Personnel Psychology, 9 (4), S. 181-194