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Was macht Arbeit sinnvoll?

Sinnvolle Arbeit (Meaningful Work) ist ein Dauerthema in ungezählten Publikationen und in Gesprächen auf und neben der Arbeit. Aber was meint eine „sinnvolle Arbeit“ überhaupt? Antworten darauf finden sich nachfolgend. Diese können auch als Prüfkriterien zur Einschätzung der eigenen Arbeit hinsichtlich der erlebten Sinnhaftigkeit genutzt werden.

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Der Mensch ist ein Sinnsucher. Wenn er Sinn findet, ist vieles möglich. Ist die Suche erfolglos, ist er gelangweilt, frustriert, apathisch, gereizt bis (selbst-)aggressiv, deprimiert und/oder sucht nach Sinnersatz. Die Arbeit ist dabei kein Feld, das von vornherein von der Hoffnung auf Sinn ausgespart wird, auch wenn dies weder alle verstanden haben noch danach handeln. Praktisch haben aber nicht wenige Beschäftigte, auch Führungskräfte, die Suche aufgegeben. „Sinnloser Quatsch“ ist da eine noch freundliche Formulierung, die einem auf die Frage, was man denn so auf der Arbeit macht, genervt entgegengeschleudert wird. Was läuft da schief? Leadership Insiders zeigt die Bedingungen auf, die an eine sinnvolle Tätigkeit (Meaningful Work) typischerweise geknüpft werden und liefert Maßstäbe, für deren Anwendung es sich lohnt, (wieder) zu streiten – diese Anwendung empfehle ich auch zur Selbstüberprüfung der eigenen Situation.

Die Suche nach Sinn

Der weit über seine Landesgrenzen hinaus bekannte österreichische Begründer der Dritten Wiener Schule der Psychotherapie, Viktor Frankl (1905-1997), charakterisiert den Menschen als Wesen auf der Suche nach Sinn. Damit steht er nicht allein. Letztendlich geht es in jeder Philosophie und in jeder Religion immer um den in die Welt geworfenen Menschen und um damit verbundene existenzielle Fragen, die ihn bewegen: Wer bin ich, wie kam ich hierhin, was soll ich (warum) tun, was passiert danach?

Wenn diese Fragen befriedigend beantwortet werden, erleichtert dies das Leben in einer sozialen Gemeinschaft ungemein. Geschieht dies nicht und versagen bewährte Verdrängungmechanismen, hat der Mensch selbst und/oder haben Dritte ein Problem.

Es spricht alles dafür, dass Menschen zunächst überall, wo sie sich aufhalten und bei dem, was sie machen oder unterlassen, nach Sinn suchen. Sinn ordnet die Welt, gibt einem eine bedeutungsvolle Stellung darin und gewährt subjektive Sicherheit. Dann kann man sich mit voller Kraft auf das konzentrieren, was anliegt. Auf der Arbeit ist es grundsätzlich erst einmal nicht anders. Sinnsuche, Verdrängungsmechanismen und darauf basierende Einschätzungen und Folgen existieren hier genauso: Welche Rolle spiele ich hier, wozu mache ich das, was passiert, wenn ich nicht hier wäre, was kommt wohl auf mich zu usw.? Dies geschieht im Alltäglichen in der Regel beiläufig, unterschwellig und wird einem schlagartig bewusst, wenn der Rhythmus unterbrochen wird. Ein Ärgernis mit der Vorgesetzten, eine komische Frage des Partners, die eigene Feststellung, dass man schon wieder zu müde für eine Aktivität am Abend gewesen ist, aber umgekehrt auch die aufkommende Freude, einem neuen Teammitglied die Möglichkeiten, die es hier gibt, zu erläutern.

Was macht eine sinnvolle Arbeit aus?

Auf die Frage nach einer sinnvollen Arbeit findet sich natürlich keine eineindeutige Antwort. Verschiedene Zugänge, das Sinnvolle bzw. Sinnhafte zu ergründen, werden gleichermaßen wie damit verbundene Antworten diskutiert. Für den Moment begnüge ich damit, mit Wilhelm Kuntner (2017) festzulegen:

„Sinnvolle Arbeit sei das Erleben, dass die eigene Arbeitstätigkeit sinnvoll ist“

Diese Festlegung ist nicht so trivial, wie man zunächst meinen könnte. „Sinn“ ist danach eine subjektive Kategorie, eine Erste-Person-Perspektive, die Begebenheiten, Ereignisse, Entwicklungen usw. danach befragt, wie sie innerlich, psychisch wahrgenommen werden. Der Einzelne ist autonom, mündig, in seiner Wertung. Faktisch ist dieses Erleben eine Mischung von Kognitionen und Emotionen, die nur aus der Beobachterperspektive analytisch zu trennen sind, in uns immer zunächst als ihr Produkt, dem Erleben, auftreten.

Man könnte, sofern man eine phänomenologische Sichtweise heranziehen würde, sogar sagen – Achtung, sperriger, ungewohnter Begriff – dass es sich um eine leibliche Erfahrung handelt. Gemeint ist damit ein nicht mehr weiter aufzulösendes Spüren, dass etwas ist, hier „sinnvoll“ ist. In dem Moment, wo ich es empfinde, ist mir klar, dass es da ist (denken Sie an dieses bio-chemische Gemisch plus X, Liebe genannt) und es hat für mich eine eindeutige Zuordnung. Wenn ich mich bemühe, also reflektiere, kann ich es anderen erklären, wiewohl das ganze Empfinden nur sehr ungenau zu erklären ist.

Qualitäten einer sinnvollen Arbeit

Aus diesen Vorüberlegungen folgt, dass ich andere befragen muss, um mehr über die Umstände oder gar Inhalte einer sinnvollen Tätigkeit zu erfahren. Ergäben sich dort Muster, kämen wir der Sache näher. Damit weiß ich natürlich nicht, ob dies im Konkreten auch auf mich zuträfe, aber gemeinhin sind wir nicht so verschieden in existenziellen Angelegenheiten, wie wir selbst in der Herausstellung unserer Individualität geneigt sind, zu denken.

Eine allgemeine empirische Annäherung zeigt übergreifend, dass viele Menschen lieber einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen als wohlhabend zu sein, zudem zur anfänglichen Verwunderung auch, dass eine sinnhafte Tätigkeit Spaß machen kann, aber nicht muss, ja sogar als leidvoll erfahren werden kann.

Catherine Bailey, King’s College London, und Adrian Madden, University of Greenwich, London, berichten in 2016 von einer vertiefenden Studie zur Beantwortung unserer Frage. Sie interviewten mehr als 100 Personen aus 10 verschiedenen Berufen und baten sie über Ereignisse oder Zeiten zu erzählen, in denen sie ihre Arbeit als sinnvoll erlebten. Auch sollten sie so vorgehen, wenn sie sich im Rückblick an eine Situation erinnerten, in der sie sich fragten, warum sie diesen Job überhaupt machten.

Danach sind es fünf Qualitäten, die einem die ausgeübte Tätigkeit als eine sinnvolle (bedeutungsvoll) erfahren lassen:

  • Selbst-Transzendenz: Die Arbeit bedeutet anderen noch mehr als mir, sie hat einen „Impact“ für andere Personen, für eine Gruppe für die Umwelt bzw. Mit-Welt. Passend zur gegenwärtigen Zeit zitieren sie einen Straßeneiniger, der am Ende seines Arbeitstages feststellt, seinen Enkelkindern durch Wertstofftrennung eine bessere Zukunftsmöglichkeit zu geben.
  • Berührend: Die Arbeit ergreift einen, rührt einen an. Dies kann mit persönlichem Schmerz (z. B. Sterbebegleitung) oder extremer Anstrengung verbunden sein, wie bei einem Anwalt, der für die Nicht-Verurteilung eines Mandanten kämpft. Auch das Überwinden großer Herausforderungen gehört dazu.
  • Episodisch: Diese Fixpunkte, die am Ende Sinn für jemanden bei seiner Tätigkeit eine Sinnzuschreibung bewirken, sind auf (wiederkehrende) Zeitspannen beschränkt. Sie sind kein kontinuierliches Empfinden. Ein Universitätsprofessor gab beispielsweise an, sich wie ein Rockstar zu fühlen, wenn am Ende eines Vortrages Beifall aufbrandet. Selbst wenn derartige Erfahrungen sehr selten wären, sind sie doch in der Lage, das Gesamtbild zu prägen.
  • Zurückstrahlend: Eine sinnhafte Arbeit erschließt sich im Nachdenken über die Arbeit, bedarf damit eines Anstoßes. Die Frage einer anderen Person kann so etwas sein. Selten wird das Sinnhafte beim Vollzug der Tätigkeit erlebt. Erst später gelingt eine tiefgründige Verbindung von dem Tun und den damit verbundenen Werten, die wiederum für einen existenziell wichtig sind. Ein Befragter berichtete beispielsweise von dem Moment, als er nach der Weihnachtsfeier das Licht ausknipste und dann darüber nachdachte, was in diesem Jahr erreicht wurde.
  • Persönlich: Eine sinnvolle Arbeit wird in dem Moment attestiert, in dem die Verbindung zu dem, wofür man steht oder doch stehen möchte, sichtbar wird. Manager oder die Organisation selbst spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Ein Musiker erzählte, seine Arbeit als bedeutungsvoll empfunden zu haben, als sein Vater, der zum ersten Mal ein Konzert von ihm besuchte, ihm nachträglich dazu gratulierte. Eine andere Person berichtete davon, dass sie Sinn verspürte, als ihr im Team durch ihr Tun Vertrauen geschenkt wurde und ihre Tätigkeit ebenfalls im Freundeskreis geachtet wurde.

Am bedeutsamsten scheint mir bei dieser Studie zu sein, dass nicht nur ein Beleg für den Wunsch und die Möglichkeit gegeben wird, einer sinnvollen Arbeit nachzugehen, sondern auch, dass Sinn viel mehr ist als das Empfinden von Spaß und Freude, oft sich sogar bei objektiv schwierigen Situationen einstellt (z. B. Chirurgin in der Onkologie), die zunächst mit negativen Emotionen (z. B. Schmerz, Trauer, Enttäuschung, Ausgelaugtsein) einhergehen (können).

Die Befunde der empirischen Studie, die sich in die Gesamtdiskussion einfügen, passen erstaunlich gut zu den theoretischen Überlegungen des bereits zitierten Wilhelm Kunter, der mit philosophischem Rückgriff deutlich zwischen Hedonie (Lust), dem Erleben von hier: Freude, und Eudämonie (Glückseligkeit), hier: dem Erleben von Inspiration, Erfüllung, trennt (auch wenn Schnittmengen vorliegen).

Freude empfänden Menschen, wenn ihnen mühelos etwas gelänge, Inspiration/Erfüllung dann, wenn Anstrengung und Konzentration notwendig sind, eine Sache erst über die Ausbildung und Perfektionierung von Fähigkeiten und Fertigkeiten zu meistern (und sich vermutlich immer beweisen bzw. fortentwickeln zu müssen).

Sinnvolle Arbeit setzt beim Einzelnen an

Das Interessante ist nun, wenn diese Verzahnung von Sinn und Eudämonie dahingehend befragt würde, was dies für den Einzelnen heißen könnte. Mit Rückgriff auf die Nikomachische Ethik des Aristoteles wird auf einmal helles Licht auf den Zusammenhang von Sinn und persönlicher Lebensführung geworfen. Danach wäre das Spüren von Sinn ein Ausdruck des gelingenden Lebens, das sich durch praktisches (tugendhaftes) Handeln einstellt und darin äußert. Dies ist wiederum gleichzeitig mit der authentischen Entfaltung des eigenen Potentials verbunden. Ist dies der Fall, ist man lebendig (Quarch 2018, 126f.). Sinn und Lebendigkeit gehen Hand in Hand. So können wir abschließend festhalten:

Eine sinnvolle Tätigkeit ist eine Tätigkeit, in der ich das in mir liegende Vermögen zur (vollen) Entfaltung bringen kann und damit als Mensch voranschreite. Eine sinnvolle Arbeit ist die, die mir die Entfaltung meines individuellen Vermögens (annäherungsweise) ermöglicht.

Bei der „Entfaltung“ ist die Rücksicht auf die Gemeinschaft, in der ich mich entfalte, mitgedacht, besser noch als eine Entfaltung zum Wohle dieser Gemeinschaft zu sehen (Team, Gesellschaft etc.) und damit weit entfernt von einem Egotrip aufzufassen:

Eine sinnvolle Arbeit macht mich zu einem lebendigen Mitglied meiner Gemeinschaft.

Man könnte diesen Zusammenhang noch darauf verweisen, dass Sinn den Einzelnen als Ganzheit empfinden lässt und darüber hinaus die Rückbindung des Einzelnen an ein harmonisches, stimmiges Ganzes (Welt, Kosmos) erweitert, womit wir am Ende doch wieder bei den existenziellen Menschheitsbedürfnissen gelandet wären. Doch dies sorgte für eine Aufladung, die die Frage einer sinnvollen Arbeit im Alltag unnötig überlastetet. Auch muss die Frage hier nicht geklärt werden, inwieweit dieses Vermögen einem mitgegeben, erworben oder fortentwickelt wird. Dazu gibt es weiterführende Diskussionen.

Und der Einwand, ob das mit dem Sinn auf der Arbeit denn überhaupt eine praktische Relevanz habe? Natürlich ist dies höchst relevant, das sollte deutlich geworden sein. Es sagt etwas darüber aus, wie Organisationen und die darin vollzogenen Tätigkeiten prinzipiell auszugestalten sind, um beispielsweise das Gefühl der Entfremdung von der Organisation, vom Vorgesetzten, von der eigenen Tätigkeit und am Ende vielleicht gar von sich selbst zu vermeiden. Dies umso mehr, als Beschäftigte um die Bedeutung der Sinnkomponente wissen und sie beispielsweise stärker als die Bezahlung oder die Karriere wertschätzen (Carton 2018). Danach läge beispielsweise Bodo Janssen („Der Upstalsboom Weg“) goldrichtig, der sich als Leitsatz auf die Fahne seines Unternehmens geschrieben hat:

Potenzialentfaltung statt Ressourcenausnutzung“.

Diese Negativreferenz zur ökonomischen Logik („Ausbeutung“ von Ressourcen) gibt mir Gelegenheit zu ergänzen, dass das Empfinden von Sinn mehr ist, als nützlich zu sein oder Nützlichkeit zu empfinden. Denn „Nützlichkeit“ ist schon wieder viel zu instrumentell gedacht, zumal das „Ausnützen“ mitschwingt. Einer solchen kalkulativen Herangehensweise habe ich in einem früheren Beitrag eine Alternative entgegengestellt.

 

Anmerkung:

Ein nachfolgender Beitrag wird sich ergänzend mit den Fragen beschäftigen: Welche Rolle spielen Führungskräfte für ein sinnvolles Arbeiten? Und werden Organisationen, die Sinn bewusst erzeugen wollen, nicht womöglich zu einer „übergriffigen Organisation“? Reicht es nicht aus, sein Einkommen irgendwo zu erzielen und gut ist? Sollten wir uns nicht viel mehr damit beschäftigen, wie Prozesse der Demotivierung konkret ablaufen, anstatt abstrakte Sinndiskussionen zu führen? Also weg mit diesem Sinn-Unsinn?

 

 

Bailey, C. / Madden, A. (2016): What Makes Work Meaningful – Or Meaningless. In: MIT Sloan Management Review (Summer), 53-61

Carton, A. M. (2018): “I’m Not Mopping the Floor, I’m Putting a Man on the Moon”: How NASA Leaders Enhanced the Meaningfulness of Work by Changing the Meaning of Work. In: Administrative Science Quarterly, 63(2), 323-369

Kunter, W. (2017): Sinnvolle Arbeit – ein tätigkeitspsychologischer Essay. In: Wirtschaftspsychologie, (2), 61-66

Quarch, C. (2018): Platon und die Folgen, Stuttgart