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Führungsaufgabe „Psychologische Sicherheit“

Unsichere Zeiten erzeugen leicht „Verunsicherung“. Das betrifft Führende wie Geführte. Verunsicherung mindert Leistung wie Wohlbefinden. Führende sind unabhängig von ihrer eigenen Befindlichkeit aufgerufen, ihr Team zu unterstützen. Nachfolgend wird theoretisch wie empirisch gezeigt, was die viel zitierte „Psychologische Sicherheit“ ist und wie Führende darauf Einfluss nehmen können.

„Je höher die Anzahl an Fehlermeldungen innerhalb eines Teams, desto besser dessen Leistung“

Sergey Nivens/Shutterstock

Diese auf den ersten Blick überraschend wirkende Erkenntnis gewann Amy Edmondson in ihren Arbeiten zur Fehlerforschung. Bei näherer Betrachtung der Ergebnisse wird jedoch klar: Die entsprechenden Teams machen quantitativ nicht mehr Fehler als andere, sie führen sie sich nur häufiger vor Augen und sprechen sie offen an – förderlich für das Lernen, für Innovationen und den Teamerfolg.  Was unterscheidet solche produktiven Teams von anderen? Angstfreiheit, ja, aber es ist noch etwas mehr. Teammitglieder empfinden eine psychologische Sicherheit. Leadership Insiders erklärt, was das ist, warum es wichtig ist und wie man als Führungskraft darauf einwirken kann.

Was ist Psychologische Sicherheit?

Als Amy Edmondson, die an der Harvard Business School arbeitet, in einem Podcastinterview von David Green (2020) dazu befragt wurde, was es denn sei, diese „psychologische Sicherheit“,  über die sie gerade ein ganzes Buch (2020) geschrieben habe, antwortete sie sinngemäß: „Es ist die gemeinsame Überzeugung, mich in einer Umgebung zu befinden, die geeignet dafür ist, zwischenmenschliche Risiken einzugehen. Beispielsweise, Hilfe zu erbitten, einen Fehler zuzugeben oder ein Projekt zu kritisieren. Nicht gemeint sei eine Wohlfühlumgebung, in der sich alle dauernd auf die Schulter klopften“. „Also eine Umgebung zu schaffen, den Mund aufzumachen?“, fragte David. „Genau das. Leichter gesagt als getan“, antwortete Amy.

Mit Timothy Clark (2019) kann man auch von einem Zustand, sprechen, in der eine Person (1) sich einbezogen fühlt, (2) ohne Scheu lernen möchte, (3) bereits ist, bei Sachen mitzumachen und (4) auf festem Grund den Status quo bereit ist, herauszufordern (vgl. Edmondson/Lei 2014). Diffuse Angst, oder Furcht, z.B. vor dem Vorgesetzten, existieren hier nicht, Vertrauen und Zutrauen hingegen schon.

Das komplexe Einflussgeflecht der Psychologischen Sicherheit

So wichtig der Zustand der psychologischen Sicherheit, der also mehr als einfach nur die Abwesenheit von Angst bedeutet, für den Einzelnen und die Organisation auch ist, so komplex ist das Erreichen dieses Zustandes. Hier ein Überblick zur Lage.

Abbildung 1: Übersicht über Antezedenzien und Outcomes der psychologischen Sicherheit (eigene Darstellung)

Neben eher unverrückbaren, persönlichen Dispositionen hat der Organisationsexperte William Kahn (1990) vier weitere vorauslaufende Bedingungen (Antezedenzien) der psychologischen Sicherheit herausgestellt: Zwischenmenschliche Beziehungen, Gruppendynamiken, organisationale Normen sowie Führung, auf die Führung wir sofort zu sprechen kommen.

Doch zuvor lenken wir den Blick noch auf positive Outcomes für die Organisation, die hier in fünf Gruppen sortiert wurden: Lernverhalten (z.B. das Teilen von Informationen), Einstellungen (z.B. Commitment und Zufriedenheit), Aufgabenperformanz (d.h. die bzgl. einer konkreten Aufgabe gezeigte Leistung, z.B. eine erhöhte Bereitschaft, sich für die Organisation einzusetzen), Work Engagement sowie Verhalten (z.B. sich über seine Rolle für das Unternehmen einzubringen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, aber auch das bereits erwähnte „Speaking Up“ – das klare Ansprechen von Problemen – gehört dazu wie Vorschläge aktiv beizusteuern oder Kreativität zu entfalten; weiterführend Kim/Lee/Connerton 2020).

Wie Führungskräfte die Psychologische Sicherheit beeinflussen können

Die besondere Bedeutung der Führung zur Entstehung von psychologischer Sicherheit wurde von verschiedenen Autoren herausgestellt. So betont Amy Edmondson, dass eine positive Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung des Sicherheitsgefühls hat, da diese Führungsbeziehung Schlüsselinformationen v.a. zur Unterstützung und Vertrauen liefert (vgl. zur Übersicht Fraizer u.a. 2017). Warum aber kommt der Führungskraft für die Ausbildung und Stärkung von psychologischer Sicherheit eine so bedeutsame Rolle zu?

Führungskräfte fungieren, das ist nicht neu, theoretisch wie empirisch aber gut belegt, als Vorbilder, sofern sie die Aufmerksamkeit durch ihren Charakter und ihr erfolgreiches Handeln auf sich ziehen können  und man selbst dann in der Lage ist, das Gelernte für sich produktiv umzusetzen. Immer wieder wird hier wie in unserem Eingangsbeispiel der Umgang mit Fehlern genannt, der ein entscheidender Wegweiser für das allgemeine Fehlermanagement im Team ist. In einer „sicheren“ Organisation zeichnen sich Führungskräfte unter anderem dadurch aus, dass sie sich selbst zurücknehmen, eigene Fehler und eigenes Nichtwissen eingestehen sowie Probleme offen ansprechen, gleichzeitig aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu ermutigen, Gleiches zu tun. Hierfür ist die Wertschätzung der Mitarbeiter unabhängig von Status oder Hierarchiestufen durch die Führungskraft Grundvoraussetzung.

Auch in Zeiten großer Bedrohung kann psychologische Sicherheit nicht nur erzielt werden, sondern auch dabei helfen, psychologischen Distress und dessen negative Effekte zu minimieren: ein Forschungsteam um Fuquiang Zhao (2020) untersuchte bei Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern, die im Januar 2020 in Wuhan Corona-Patienten betreuten und einer permanenten Bedrohung ihrer Sicherheit und ihres Wohlbefindens ausgesetzt waren, wie sich Führung in extremen Situationen auf den wahrgenommenen Disstress der Teammitglieder auswirkt. Das Ergebnis:  Ein inklusiver Führungsansatz wirkt dem negativen Stressempfinden entgegen, indem er ein psychologisch sicheres Umfeld schafft. Eine inklusive Führung, die sich u.a. durch Sichtbarkeit, Zugänglichkeit und Verfügbarkeit für Teammitglieder ohne jegliche Hierarchiearroganz auszeichnet, triggert über die „psychologische Sicherheit“ – und weniger direkt – Kräfte, die  unerwünschten Stress verhindern (Disstress; das Gegenteil wäre der Eustress).

Zu diesem Zweck konzentrieren sich inklusive Führungskräfte auf Praktiken, die die Vielfalt der Mitarbeitenden in Entscheidungsprozessen wertschätzen. Des Weiteren sorgen sie dafür, dass sie gerne dabei sind und ermutigen sie, ihre Meinungen zu teilen, ohne Furcht vor Statusunterschieden oder mächtigeren Personen zu haben. Es läuft hier und anderswo immer darauf hinaus, den Sinn des Tuns zu verdeutlichen, Offenheit und Vertrauen zu etablieren, Fehler als eine Quelle von Lernen darzustellen und alle dazu zu ermutigen, sich aktiv einzubringen und sich nicht einschüchtern zu lassen.

Psychologische Sicherheit ist keine Lappalie

Und nicht genug, auch im Team-Kontext erlangt die psychologische Sicherheit zunehmendes Forschungsinteresse. Im Projekt “Aristoteles” von Google (2015), das über 250 Teamlevel-Variablen untersuchte, konnte gezeigt werden, dass erfolgreiche Teams bei Google fünf Grundelemente gemeinsam haben und eine davon war die psychologische Sicherheit. Sie stellte sich als erfolgskritischster Faktor heraus, der die Grundvoraussetzung für die anderen vier Elemente bildete.

Viele andere Befunde aus der Verhaltensforschung könnten flankierend zur Unterstützung der Bedeutung von psychologischer Sicherheit angeführt werden. Allein sei auf die Forschungen zu Angst und Stress in Organisationen verwiesen. Um ein psychologisch sicheres Arbeitsumfeld herzustellen, kommt der Führungskraft eine starke Rolle zu: Sie sollte Mitarbeitende proaktiv und wertschätzend dazu ermutigen, sowohl Ideen als auch Kritik und Sorgen einzubringen, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Das erschließt sich am Ende weniger durch viele Worte als dadurch, wie man sich verhält, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Bei einer Führung aus der Distanz, wie wir sie heute verstärkt erleben (Homeoffice), ist die Vermittlung einer psychologischen Sicherheit noch wichtiger, wiewohl schwieriger als in physischer Präsenz zu vermitteln.

Aber Achtung:

Eine bedingungslose und unreflektierte Erhöhung der psychologischen Sicherheit kann auch negative Effekte nach sich ziehen: So konnten die Gruppenforscher Matthew Pearsall und Aleksander Ellis (2011) zeigen, dass ein „zu viel“ an psychologischer Sicherheit zu Verstößen gegen soziale Gruppenregeln führen und ein betrügerisches, täuschendes Verhalten fördern kann. In dieser Studie war das dann der Fall, wenn keinerlei Sanktionen oder negative Konsequenzen auf ein egoistisch motiviertes Fehlverhalten befürchtet wurden. Unethische Verhaltensweisen erschienen plötzlich denkbarer. Und Monica Higgins (2020) wies mit ihrem Forschungsteam aktuell darauf hin, dass die gefühlte Verantwortlichkeit, sofern aufgabenbezogen fokussiert, mit ins Visier zu nehmen sei, um die Beziehung zum Organisationserfolg besser zu verstehen, auch wenn beide Größen zueinander in einem komplizierten Verhältnis stünden.

Wir erkennen: Es ist das rechte Maß, was den Führungserfolg verspricht – wieder einmal.

Clark, T. R. (2019): The 4 Stages of Psychological Safety. Online verfügbar unter: http://adigaskell.org/2019/11/17/the-4-stages-of-psychological-safety/ (letzter Zugriff: 11.12.2020)

Edmondson, A. C. (1999): Psychological safety and learning behavior in work teams. In: Administrative Science Quarterly, 44(2), S. 350-383

Edmondson, A. C. (2020): Die angstfreie Organisation – Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. München: Vahlen

Edmondson, A. C./Lei, Z. (2014): Psychological safety: The history, renaissance, and future of an interpersonal construct. In: Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1(1), S. 23–43

Frazier, M. L./Fainshmidt, S./Klinger, R. L./Pezeshkan, A./Vracheva, V. (2017): Psychological safety: A metaanalytic review and extension. In: Personnel Psychology, 70(1), S. 113-165

Google (2015): Five Keys to A Successful Google Team. Online verfügbar unter: https://rework.withgoogle.com/blog/five-keys-to-a-successful-google-team (letzter Zugriff: 11.12.2020)

Green, D. (2020): Summer Special: How to Create Psychological Safety at Work with Amy Edmondson. Podcastinterview, 14.07.2020; www.myhrfuture.com

Higgins, M. C. u.a. (2020): When is Psychological Safety Helpful? A Longitudinal Study. In: Academy of Management Discoveries, 2020 (online-first)

Kahn W. A. (1990): Psychological conditions of personal engagement and disengagement at work. In: Academy of Management Journal, 33(4), S. 692–724

Kim, S./Lee, H./Connerton, T. P. (2020): How psychological safety affects team performance: Mediating role of efficacy and learning behavior. In: Frontiers in Psychology, https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.01581

Pearsall, M. J./Ellis, A. P. (2011): Thick as thieves: the effects of ethical orientation and psychological safety on unethical team behavior. In: Journal of Applied Psychology, 96(2), S. 401–411

Zhao, F./Ahmed, F./Faraz, N. A. (2020): Caring for the caregiver during COVID-19 outbreak: Does inclusive leadership improve psychological safety and curb psychological distress? A cross-sectional study. In: International Journal of Nursing Studies, 110, 103725; https://doi.org/10.1016/j.ijnurstu.2020.103725