Dieser Beitrag ist Teil der Serie Ethische Führung

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  1. Management-Derailment – Wenn Führungskräfte aus der Spur kommen
  2. Ethikbewusste Führung – No mission impossible
  3. Wissenschaftliche Studie: Sind Narzissten die besseren US-Präsidenten?
  4. Integrität – Führungswissen zum Mitreden und Handeln
  5. Zorn auf die Falschspieler – Götterdämmerung im Top-Management?
  6. Bescheidenheit ist machtvoll – Führung durch Haltung
  7. Bad Leadership. Wenn im Büro die Angst regiert.
  8. Die dunkle Seite des Erfolgs – Wie Hybris bei Führenden entsteht, wirkt und vermieden werden könnte
Angst ist an sich funktional. Problematisch wird sie, wenn sie über Gebühr und vor allem in Situationen auftritt, die eigentlich weitestgehend angstfrei gestaltet werden könnten, wie beispielsweise am Arbeitsplatz. Trotzdem ist sie dort ein Dauerthema. Ganz problematisch wird es, wenn Vorgesetzte Angst aktiv mit dem Ziel einer Leistungserhöhung schüren. Ethisch ist der Fall klar, aber funktioniert eine angsterzeugende Führung überhaupt? Studien geben Antworten.
„Nur wer Angst hat, strampelt sich richtig ab“

Illustration Forest/Shutterstock

Solche Bemerkungen hört man immer wieder, wenn sich manche Führungskräfte gegenseitig einer harten Hand bei der Mitarbeiterführung vergewissern. Ist Angst aber wirklich ein Motivator, der eine Leistungserhöhung verspricht? Leadership Insiders greift diese Küchenpsychologie mit aktueller Relevanz auf und bringt die belegbaren Fakten nebst Begründungen auf den Punkt.

Was ist Angst?

Angst ist ein Alltagsphänomen. Bereits Sigmund Freud hat die bis heute gültige Trennung zwischen Angst als einen aktuellen emotionalen Zustand und einem zum Charakter gehörenden Persönlichkeitsmerkmal vorgenommen. Bleiben wir beim Zustand.

Angst ist immer ein emotionaler, gar affektiver Zustand, der durch eine tatsächliche, vorgestellte oder antizipierte Bedrohung/Gefahr ausgelöst wird. Wir erleben das Angstgefühl auf weiteren Ebenen:

  • körperlich (z.B. Unwohlsein, Herzschlag, Atmung, immunologische Indikatoren; korrespondierend mit dem autonomen Nervensystem) – „Ich habe jetzt ein komisches Gefühl im Magen“.
  • kognitiv (z.B. Einengung der Wahrnehmung, Erinnerung von Gefahren, Selbstunsicherheit) – „Ich mache mir jetzt Sorgen, ob alles gut ausgehen wird“, und
  • verhaltensbezogen (z.B. Vermeidung, Flucht, Paralyse, Aggression/Angriff) – „Ich gehe“.

Für einen selbst ist Angst aber oft nur ein diffuses Gesamtgefühl, das alles überlagert und das man so schnell wie möglich loswerden möchte. Gelingt dies nicht, weil entweder der Auslöser konstant ist oder zu gravierend eingewirkt hat („traumatisches Ereignis“), ist Angst nicht mehr funktional, sondern wird pathologisch. Angst macht dann krank. Am Rande: Von „Furcht“ statt Angst wird in der einschlägigen Diskussion dann gesprochen, wenn dieses Gefühl sich konkret auf eine Person, ein Objekt oder ein Ereignis bezieht. Man fürchtet demnach den Vorgesetzten, hat aber Angst vor Veränderungen an sich.

Angst am Arbeitsplatz

Angst wird natürlich auch am Arbeitsplatz erlebt. Das Forscherteam Bonnie Cheng und Julie McCarthy (2018) beschreiben diese Angst als ein Gefühl der Unruhe/Erregung, des Angespanntseins und der Unbehaglichkeit. Kein Randphänomen, denn immerhin gaben vor Jahren 40% der Amerikaner an, täglich Angst am Arbeitsplatz zu verspüren und 72% beantworteten dort diese Frage anderenorts mit „ja“, ob ihre Ängste u.a. etwas mit ihrem Arbeitsleben zu tun hätten. Und 2018 schreibt einer der bekanntesten Managementforscher und Top-Managementberater, Jeffrey Pfeffer, dass Beeinträchtigungen der Gesundheit am Arbeitsplatz ein immer gravierenderes Problem werden. Die Folgen der Angst am Arbeitsplatz tragen dazu zweifelsohne bei. Wer sich eher für Zahlen interessiert: Stressinduzierte Kosten werden allein für die USA mit 200 Mrd. Dollar pro Jahr veranschlagt – ein neuer Höchststand.

Dabei ist anzumerken, dass die generelle Neigung, Angst zu empfinden, ein bedeutender Prädiktor für die arbeitsplatzbezogene Angst ist. Rund 50% der arbeitsplatzbezogenen Angst wird so erklärt, wie die Professorin Beate Muschalla, Expertin für sozial-medizinische Fragen, in einer Studie herausfand. Anders formuliert: Wahrgenommene Bedrohungen der „Unversehrtheit“ am Arbeitsplatz sind mit der allgemeinen Vorprägung für das Empfinden von Angst statistisch verbunden. Aber man sieht gleichfalls, dass situationale Faktoren für die Entstehung von Angst bleiben:

Typische Auslöser, gerne auch kombiniert, sind mehreren Studien zufolge zunächst (1) kritische Leistungserwartungen (u.a. damit verbunden: Angst vor Fehlern) bzw. die Folgen des Verfehlens. Dann (2) die Kontrolle durch Vorgesetzte sowie deren Macht, den Alltag und die Karriere massiv zu beeinträchtigen. Und nicht zuletzt (3) der mögliche Arbeitsplatzverlust bzw. Besitzstandsverlust.

Besonders problematisch wird es dann, wenn sich die Angst von einem konkreten Auslöser „befreit“ und generalisiert wird. Beispielsweise indem die Angst vor der Chefin aufgrund ihrer Leistungserwartungen sich in eine Angst vor einzelnen Teammitgliedern verbreitert, weil man glaubt, deren Erwartungen nun auch nicht mehr erfüllen zu können.

Leistungsverbesserung durch Angsterzeugung?

Sicherlich könnte man argumentieren, dass Angst die Erregung steigert und eine gesteigerte Erregung eine schnellere, heftigere Reaktion auslöst, als es bei einem ruhigen Arbeiten der Fall ist. Küchenpsychologisch wäre dann der Transfer zur Leistungssteigerung zu vermuten.

Die „traurige“ Wahrheit für die Befürworter dieser These ist allerdings, dass dies ein Kurzschluss ist, der die komplexeren Zusammenhänge verkennt. Vielmehr gilt pauschal:

Angst hat eine hemmende Wirkung auf die Leistungsgüte, da die Fokussierung auf die Arbeit und die arbeitsbezogene Konzentrationsleistung gestört wird. Studien weisen demnach dominant Leistungsverminderung, negativen Stress und Ausweichverhalten (Krankheit, Fluktuation) aus, auf Dauer zudem Eingriffe in die gesundheitliche Integrität (anhaltende Unruhe, Fahrigkeit, depressive Verstimmung etc.). Ebenso beobachteten die nordamerikanischen Forscherinnen Maryam Kouchaki und Sreedhari Desai (2015) ein verstärktes egoistisches und sogar unethisches Verhalten der in Angst versetzten Personen.

Diese Leistungsverminderung geht bis in die Spitze der Organisation: Eine CEO-Studie bei größeren Organisationen um Michael Mannor, University of Notre Dame du Lac, Indiana, USA (2015), zeigt nämlich sehr eindrücklich, dass verspürte Angst nicht nur eine verstärkte Nachfrage nach Unterstützung bei finanzieller Gefahr bewirkt, sondern auch, dass risiko-aversere Strategien bei eigentlich guten Gewinnmöglichkeiten bevorzugt werden. Fairerweise sollte ergänzt werden, dass sich in dieser Studie sehr ängstliche Personen in der C-Suite nur unterdurchschnittlich häufig im Vergleich zu anderen Verteilungen fanden und das Problem für den Leistungsindikator „Entscheidungsvermögen“ dort weniger gravierend war. Dennoch stimmt auch hier die Tendenz.

Die Befürworter einer angstinduzierenden Führung übersehen, dass das in der Tat bei Angst erhöhte Erregungsniveau theoretisch nur dann in Leistung transformiert werden kann, wenn die in Angst versetzte Person über Selbstregulierungsstrategien verfügt, mit dieser Angst umzugehen. Dies bedeutet, dass sie

  • gewiss ist, eine für eine Mehrleistung benötige Fähigkeit oder Fertigkeit überhaupt zu besitzen,
  • der Überzeugung ist, dass ein mehr an Training (Anstrengung) die eigene Leistung verbessert,
  • eine Motivation besitzt, die Tätigkeit/das Projekt etc. überhaupt gerne machen zu wollen, und
  • eine emotionale Kompetenz vorhanden ist, mit eigenen Emotionen umzugehen.

Wie zu sehen ist, sind das allesamt Bedingungen, um die Kontrolle über eine Situation zurückzugewinnen, in die man sich auch begeben möchte. Und da sehen wir die gedankliche Fehlstellung der Führungskräfte, die das Erzeugen von Angst bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern pauschal für eine gute Sache halten. Es sind in der Summe voraussetzungsvolle Bedingungen, deren Einlösung gerade das Ziel hat, entweder Angst erst gar nicht entstehen zu lassen oder aufkommende Angst möglichst schnell und konstruktiv abzubauen. Nur dann kann sich, wie es ein Leistungssportler bei einem gefährlichen Konkurrenten tut, auf die Leistungsverbesserung konzentriert werden. Ansonsten gibt man (frustriert) auf, überdreht das eigene Rad und scheitert oder zeigt sich von vornherein handlungsunfähig. Widerstand, Streit etc. sind andere Reaktionen einer nicht kompensierbaren Überbeanspruchung, die bei jedem irgendwann nicht mehr eingelöst werden können.

 „Angst essen Seele auf“

Angst bei Mitarbeitenden zu schüren, ist unter Leistungsgesichtspunkten eine nachweislich ungeeignete Führungsstrategie, um die Leistung anzuheben. Dies gilt insbesondere bei komplexen und kreativen Aufgaben. Die dadurch erzeugte Übererregung mindert sogar die Leistung. Menschen, die unter Angst arbeiten, verringern ihre Widerstandsressourcen, verlieren damit Kraft und Schwächen ihre Gesundheit (Anfälligkeit für Bluthochdruck, Diabetes und mehr). Ist die erzwungene Verzweiflung groß genug, ist eine Depression eine durchaus mögliche pathologische Folge. Besteht keine „Fluchtmöglichkeit“, ist ein aggressives Verhalten sich selbst oder anderen gegenüber alternativ nicht auszuschließen. Das ist gemeint, wenn Rainer Werner Fassbinders Filmtitel „Angst essen Seele auf“ als abschließende Überschrift jenseits aller Leistungsüberlegung gewählt wird.

Der Versuch, als Vorgesetzte durch ein Drohszenario Angst zu erzeugen, verfängt paradoxerweise bei denen am wenigsten, die die besten Möglichkeiten hätten, damit eine Zeit lang umzugehen. Schauen wir uns die vier angeführten Bedingungen noch einmal an, erkennen wir, dass Personen, die dies alles meistern, so meine These, von vornherein besonders leistungsstark sind und über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügen. Sie haben dadurch selbst eine relativ starke Machtposition, die entweder von vornherein Gegenwehr gegenüber dem Aggressor auslöst oder sie in die Lage versetzt, im Zweifel anderenorts leicht eine neue Anstellung finden.

Unabhängig von all dem: Wer das Versetzen der Mitarbeitenden in Angst und Schrecken als Mittel der eigenen Zielerreichung wählt, diskreditiert sich als Führungskraft. Erstens ist diese Führungskraft inkompetent, weil sie ein falsches Instrument zur Zielerreichung anwendet. „Social support“ ist z.B. nachgewiesenermaßen wesentlich effektiver, was auch der bereits zitierte Jeffrey Pfeffer neben vielen anderen herausstreicht. Zweitens agiert sie unethisch, weil sie eine illegitime Grenzüberschreitung zum Schaden Dritter begeht. Für die Harvard-Professorin Barbara Kellerman sind dies zwei Kennzeichen von „Bad Leadership“ –  für mich zwei gute Gründe, die Karriere solcher Personen auslaufen zu lassen.

Cheng, B. H./McCarthy, J. M. (2018): Understanding the dark and bright sides of anxiety: A theory of workplace anxiety. In: Journal of Applied Psychology, 103(5), S. 537-560.

Kellerman, B. (2004): Bad leadership: what it is, how it happens, why it matters, Boston

Kouchaki, M./Desai, S. D. (2015): Anxious, threatened, and also unethical: How anxiety makes individuals feel threatened and commit unethical acts. In: Journal of Applied Psychology, 100(2), 360-375

Krohne, H. w. (1996): Angst und Angstbewältigung, Stuttgart

Mannor. M. u.a. (2016): Heavy lies the crown? How job anxiety affets top executive decision making in gain and loss contexts. In: Strategic Management Journal, 37, S. 1968-1989

Muschalla, B./Linden, M. M. (2013): Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie, Stuttgart

Muschalla B./Linden, M. M./Olbrich D. (2010). The relationship between job-anxiety and trait-anxiety — A differential diagnostic investigation with the Job-Anxiety-Scale and the State-Trait-Anxiety-Inventory. In: Journal of Anxiety Disorders 24(3), S. 366–371.

Pfeffer, J. (2018): The overlooked essentials of employee well-being.  In: McKinsey Quarterly, September

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