Flexible Formen der Arbeitsgestaltung, die eine Balance von Privatem und Beruflichem ermöglichen, erfreuen sich immer stärkerer Beliebtheit. Eine neue Variante hierfür ist der Vertrauensurlaub, der für Unternehmen Chancen bietet, zugleich aber auch Risiken impliziert. An dieser Stelle wird über Hintergründe und Wirkungsweisen aufgeklärt sowie eine erste kritische Bilanz gezogen.

„Hätten Sie lieber mehr Urlaub oder mehr Geld?“. Mit dieser Frage übertitelte die Süddeutsche Zeitung einst ihre Berichterstattung über den Abschluss eines neuen Tarifvertrags in der Metall -und Elektroindustrie. Erstmals wurde verankert, dass entweder eine Einmalzahlung oder bis zu acht zusätzliche freie Tage wählbar waren. Sinnbildlich steht dies für die zunehmende Flexibilität in der Gestaltung des Arbeits- und Berufslebens. Und genau hier hinein fällt auch der sogenannte Vertrauensurlaub. Gemeint ist eine unbegrenzte Anzahl an Urlaubstagen für alle. Beschäftigte entscheiden folglich selber, wie viel Urlaub sie in Anspruch nehmen. Microsoft, Netflix oder Goldman Sachs sind bereits auf den Zug aufgesprungen. Leadership Insiders verknüpft nachfolgend Erklärungsmuster mit ersten empirischen Erkenntnissen zu einem Hintergrundwissen für Führungskräfte.

Das Konzept des Vertrauensurlaubs

Urlaub dient der Erholung und dem Schutz der Gesundheit. Beschäftigte haben nach dem Bundesurlaubsgesetz einen garantierten Urlaubsanspruch, der durch Arbeitsvertrag oder einen anwendbaren Tarifvertrag erhöht werden kann. Der Vertrauensurlaub ist ein Anwendungsfall davon. Eine Forschungsgruppe um Jessica de Bloom (2022, S. 3; ü.) konkretisiert den Vertrauensurlaub als eine

unbegrenzte und sporadische bezahlte Freistellung von der Arbeit, während der ein Arbeitnehmer der Arbeit fernbleiben kann und keine arbeitsbezogenen Aufgaben ausführen muss, mit verhandelbaren Randbedingungen wie Zeitpunkt, Dauer und Anforderungen an Koordination und Leistung“.

Das in diesem Zusammenhang ungewohnte Adjektiv „sporadisch“ meint hier, dass die vertragliche Wochenarbeitszeit von der Regelung unberührt bleibt, wohingegen die Nebenbedingungen hinsichtlich des Zeitpunktes, der Länge und des Koordinationsaufwands darauf verweisen, dass betriebliche Anforderungen und Notwendigkeiten zu berücksichtigen sind (z.B. Fristigkeit von Aufgaben, Vertretungen, etc.). Während somit die reine Anzahl an Urlaubstagen unbegrenzt bleibt, unterliegt die Inanspruchnahme sehr wohl gewissen Beschränkungen.

Die Idee des Vertrauensurlaubs reiht sich nahtlos in den Trend in Richtung flexibler Arbeitsbedingungen ein und trägt dem Umstand Rechnung, dass Wochenarbeitszeit und physische Präsenz heutzutage oftmals keine verlässlichen Prädiktoren für die Produktivität darstellen. Insofern geht der Vertrauensurlaub über die Flexibilisierung sowohl des Arbeitsortes, die jüngst während der Coronapandemie einen Schub erhielt, als auch der Verteilung der Arbeitszeit, wie sie die bereits seit Längerem etablierte Vertrauensarbeitszeit adressiert, hinaus.

Konkret greift das Konzept des Vertrauensurlaubs vor allem drei Entwicklungen auf:

  • Erstens das Zusammenspiel von Materiellem und Immateriellem. Finanzielle Anreize allein reichen vielfach kaum mehr aus, um (potenzielle) Mitarbeiter anzuziehen, zu motivieren oder zu binden. Vielmehr gewinnen immaterielle Aspekte wie das konkrete Zusammenspiel von Arbeit und Nicht-Arbeit an Relevanz.
  • Zweitens die zunehmende Betonung einer „Work-Life-Balance“, gerade vor dem Hintergrund von Arbeitsverdichtung und permanenter Erreichbarkeit.
  • Drittens der Trend zur Individualisierung. Mit Einführung des Vertrauensurlaubs wird ein erhöhter Entscheidungsspielraum an den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin zurückverlagert und ihm bzw. ihr umgekehrt die Übernahme von Verantwortung abverlangt. Die Arbeitsaufgaben müssen – Stichwort Nebenbedingungen – schließlich erledigt werden. Fehlt eine Arbeitskraft, so muss das durch die verbleibende Kollegenschaft kompensiert werden. Ein Kreislauf aus Geben und Nehmen entsteht im Prinzip.

Bei der eingangs erwähnten tarifvertraglichen Regelung der Wahl zwischen Urlaub und Geld optierten 260.000 Beschäftigte und damit ca. 29% der Gesamtbeschäftigten für die zusätzlichen Urlaubstage. Wird bedacht, dass dieses Wahlrecht lediglich für Beschäftige gilt, die in Schicht arbeiten, Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, wirkt die Zahl ungleich mächtiger. Hier dockt der Vertrauensurlaub nahtlos mit einer bemerkenswerten Erweiterung an.

Auswirkungen des Vertrauensurlaubs

Die Einführung des Vertrauensurlaubs ist folglich mit Hoffnungen verbunden, während andererseits das Ausnutzen der Regelung durch Beschäftigte befürchtet wird. Solch pauschale Behauptungen – sowohl in positive wie auch negative Richtung gedacht – sind dabei wenig zielführend, unterstellen sie doch praktisch universelle Wirkungsweisen. Zielführender wären indes differenzierte Untersuchungen, die bislang allerdings kaum vorliegen.

Immerhin hat die uns bereits bekannte Jessica de Bloom, Professorin an der zweitältesten Universität der Niederlande, der Reichsuniversität Groningen, zusammen mit weiteren Forschenden ein Wirkmodell entworfen. Darin unterscheiden sie zunächst zwischen (1) direkten und (2) indirekten Effekten: Direkte Effekte resultieren unmittelbar aus der Einführung oder Existenz des Vertrauensurlaubs, während indirekte Effekte von dem tatsächlichen Nutzungsverhalten durch Mitarbeitende abhängen.

  • Direkte Effekte können aus Unternehmenssicht bspw. in einer höheren Arbeitgeberattraktivität liegen, oder auf Seiten von Beschäftigten u.a. zur Zufriedenheit führen. Dies deshalb, weil im Bedarfsfall und unabhängig von einem zur Verfügung stehenden Kontingent Urlaub genommen werden kann und die freie Verfügbarkeit somit ein Sicherheitsgefühl zu induzieren vermag.
  • Eine größere Aufmerksamkeit gilt nachvollziehbarerweise den indirekten Effekten, die abhängig sind von der Inanspruchnahme der Praktik. Sprich: Entscheidender als die Existenz des Vertrauensurlaubs ist vielmehr, ob und wie Beschäftigte diesen annehmen und für sich in Bezug auf die Anzahl der genutzten Tage oder die Dauer einzelner Urlaube nutzen.

Theoriebezogen evoziert die Einführung des Vertrauensurlaubs zwei Prozesse, die markant als „unlocking the best“ und „unleashing the beast“ bezeichnet werden.

Der erste Prozess fokussiert das Potenzial des Vertrauensurlaubs und erklärt dieses mittels der Selbstbestimmungstheorie (vgl. Ryan/Deci 2000). Der Theorie zufolge ist Autonomie ein menschliches Bedürfnis und ein zentraler Faktor für sowohl ein erfülltes Leben als auch, im kleineren Maßstab, für das arbeitsbezogene Wohlbefinden und die Leistung am Arbeitsplatz. Autonomie am Arbeitsplatz ist definiert als „das Ausmaß, in dem die Tätigkeit dem Individuum erhebliche Freiheit, Unabhängigkeit und Ermessensspielraum bei der Planung der Arbeit und der Festlegung der bei ihrer Ausführung anzuwendenden Verfahren bietet“ (Hackman/Oldham 1976, S. 258, eigene Übersetzung). Die Einführung bzw. Existenz des Vertrauensurlaubs, die mit höheren Freiheitsgraden in der Gestaltung der Arbeit im Vergleich zu einem fixen Urlaubsanspruch verbunden ist, trägt demnach zu einer (höheren) Befriedigung des Bedürfnisses nach Autonomie am Arbeitsplatz bei und kann in der Folge zu einem höheren Wohlbefinden, einer höheren Arbeitsmotivation und Arbeitsleistung führen. Dies deshalb, weil Mitarbeiter in Folge des Wegfalls einer formalen Regelung „psychological ownership“ ausüben, sie sich also persönlich verantwortlich für das Gelingen bzw. die Ergebnisse des Arbeitsprozesses fühlen. Aus Organisationssicht ließe sich anders herum argumentieren, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter zu einem eigenverantwortlichen Handeln ermutigen oder ermächtigen.

Der zweite Prozess hingegen adressiert die Risiken des Vertrauensurlaubs und erklärt diese auf Basis der Theorie des sozialen Austauschs (vgl. Homans 1958; Blau 1964). Dieser beruht im Gegensatz zum ökonomischen Tausch auf immateriellen Ressourcen (Respekt, Wertschätzung) und dem Prinzip der Reziprozität, wobei nicht eine spezifische Gegenleistung erwartet wird, sondern die organisationsseitig initiierte, positive Gestaltung einer Beziehung umgekehrt als psychologische Verpflichtung aufgefasst wird, den Vertrauensvorschuss seitens des Arbeitgebers gerade nicht auszunutzen, sondern mit einem besonderen (im Extrem: entgrenzten) Leistungsverhalten abzutragen oder zu erwidern. Ein so entstehender „psychologischer Vertrag“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird verhaltenswirksam. Im Falle eines überbordenden Engagements bzw. selbst-gefährdendes Verhaltens könnten dann Folgekosten nicht nur für Beschäftigte (Stichwort Gesundheit), sondern auch für Organisationen (z.B. durch schlechtere Arbeitsresultate in Folge von Unkonzentriertheiten) entstehen. Gruppenbezogen ist daran zu denken, dass aufgrund von in einem Team vorhandenen Identifikations- und Normierungsprozesse eine starke Kontrolle auf ihre Mitglieder ausgeübt wird. Dies ist vielfach funktional, könnte aber bei bestimmten Organisations- und Teamkulturen zur Nichtnutzung der Option führen, gar gegenteilig zur Inanspruchnahme einer geringeren Zahl an Urlaubstagen führen. Auch sind weitere negative Folgeeffekte denkbar, bspw. auf Basis eines sozialen Vergleichs bzw. der Gerechtigkeitswahrnehmung. Dies u.a. dann, wenn Personen, die selbst keine Notwendigkeit für vermehrte Urlaubstage besitzen, beobachten, dass Kollegen und Kolleginnen für weniger Arbeit bzw. weniger Arbeitszeit das gleiche Gehalt bekommen. Solche Effekte emergieren im Zuge der Interaktion auf Teamebene, weshalb sie sich der direkten Einflussnahme durch die Unternehmensspitze entziehen.

Empirisch liegen bislang kaum gesicherte Erkenntnisse hinsichtlich der spezifischen Auswirkungen des Vertrauensurlaubs vor. Wiederholt wird zwar von ersten positiven Erfahrungen in der Start-up oder Technologiebranche berichtet, ohne dies allerdings näher zu substanziieren (siehe z.B. Rindone 2023).  Anekdotische Belege, die ihren Weg in die Medien gefunden haben, berichten hingegen von gescheiterten Experimenten mit dem Vertrauensurlaub und scheinen daher die Befürchtungen von Kritikern zu bestätigen. Insbesondere nahm die Mehrheit der Mitarbeiter (zu) wenig Urlaubstage in Anspruch (vgl. Gateley 2018; Wellnitz 2024), weshalb der Vorteil einer stärkeren Erholung nicht wie erhofft eintrat. Hier zeigen sich Parallelen zu den Erfahrungen mit der Vertrauensarbeitszeit, bei der im Schnitt ebenfalls nicht weniger, sondern im Gegenteil mehr gearbeitet wird. Wäre dies gängige Praxis, würde erholungs- und gesundheitsförderliche Ziel eines Vertrauensurlaubs ohne Korrektur oder Aufklärung verfehlt. Immerhin bleibe noch die Möglichkeit, auf die Ausschöpfung des gesetzlichen Minimums stimulierend einzuwirken, anstatt ihn verfallen zu lassen. Das Ziel der Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität könnte natürlich weiterhin erreicht werden.

Anders ausgedrückt kann auf dieser Basis die pauschale Kritik am Vertrauensurlaub, nach der Mitarbeitende diesen für sich ausnutzen und ihr Arbeitsengagement spürbar reduzieren würden, für den Regelfall entkräftet werden, wie dies im Übrigen für das Homeoffice auch gezeigt wurde. In gewisser Weise passt auch der Befund, dass selbst Personen, die mehr Urlaub als zuvor in Anspruch und damit den Vertrauensurlaub faktisch genutzt haben, diesen nicht zum Faulenzen, sondern oftmals für andere Arbeiten (z.B. Umzug, Renovierung) nutzten.

Schlussfolgerungen

Der Vertrauensurlaub bereichert das Spektrum zur Gestaltung der Arbeit. Experimente damit sind unter Beachtung von Randbedingungen anzuempfehlen, um eigene Erfahrungen in Piloten zu sammeln und ergebnisoffen gemeinsame Schlüsse daraus zu ziehen. Ergänzende Regelungen sind immer eine Option, gerade wenn zu Beginn überall Unsicherheit besteht. Führungskräfte haben hier eine Doppelfunktion: Sie haben die Anwendung vorzustellen, zu begründen und auf damit verbundene Chancen wie Risiken hinzuweisen. Sie sind aber auch selbst davon betroffen, weil sie derselben Regelung unterliegen. Durch das eigene Umgehen damit symbolisieren sie, inwieweit Erholung und der Schutz der Gesundheit in der Organisation ernst genommen wird oder nur ein Lippenbekenntnis ist. Zu achten ist auch darauf, dass ein Personalmanagement immer integriert gedacht werden sollte, d.h. dass der Vertrauensurlaub mit dem Geist und der Umsetzung anderer Personalpraktiken vereinbar ist.

Blau, Peter M. (1964): Exchange and power in social life, New York

de Bloom, Jessica/Syrek, Christine J./Kühnel, Jana/Vahle-Hinz, Tim (2022): Unlimited paid time off policies: Unlocking the best and unleashing the beast. In: Frontiers in Psychology, Vol. 13, Nr. 812187

Gateley, Ben (2018): We tried unlimited holiday for three years – Here’s everything that went wrong. Online verfügbar unter: https://www.charliehr.com/blog/we-tried-unlimited-holiday-heres-everything-that-went-wrong/ (letzter Zugriff: 31.05.2024)

Hackman, J. Richard/Oldham, Greg R. (1976): Motivation through the design of work: Test of a theory. In: Organizational Behavior and Human Performance, Vol. 16 (2), S. 250-279

Homans, George C. (1958): Social behavior as exchange. In: American Journal of Sociology, Vol. 63 (6), S. 597-606

Rindone, Daniela (2023): Vertrauensurlaub – Urlaub „unlimited“ als Bestandteil einer innovativen Arbeitswelt. In: Knappertsbusch, Inka/Wisskirchen, Gerlind (Hrsg.): Die Zukunft der Arbeit: New Work mit Flexibilität und Rechtssicherheit gestalten, Wiesbaden, S. 131-138

Ryan, Richard M./Deci, Edward L. (2000): Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. In: American Psychologist, Vol. 55 (1), S. 68-78

Wellnitz, Jeanne (2024): Urlaub ohne Limit. Online verfügbar unter: https://www.psychologie-heute.de/beruf/artikel-detailansicht/43260-urlaub-ohne-limit.html (Letzter Zugriff: 31.05.2024)