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Hinterhältigkeit im Führungskontext

Rob Griffin / Unsplash

Hinterhältigkeit bezeichnet eine Verhaltensweise, bei der jemand heimlich, unehrlich oder arglistig agiert, um einem anderen bewusst zu schaden oder sich selbst Vorteile zu verschaffen – ohne dass das Opfer es kommen sieht. Im Führungskontext ist es eine Spielart der Mikropolitik und kennt verschiedene Ausformungen. Wir mögen keine hinterhältigen Personen, weil sie uns potentiell Schaden oder wir Mitleid mit den Opfern haben. Der manifeste Schaden ist das eine, schlimmer ist aber meistens die Unsicherheit, die dadurch im Umgang miteinander erzeugt wird. Kontrolle wird verunmöglicht, Vertrauen ebenso. Leadership Insiders schaut nachfolgend auf Führungskräfte und die „lieben“ Kolleginnen und Kollegen.

Herkunft und Bedeutung der Hinterhältigkeit

Der Begriff der „Hinterhältigkeit“ ist ursprünglich dem Militärischen verknüpft und bezeichnet dort schlicht und einfach den Umstand, im Hinterhalt zu liegen, um von dort aus anzugreifen. Später kam es dann zur Begriffserweiterung im Sinne eines listigen, also intendierten, für das Gegenüber und ggf. selbst für Dritte unerwarteten Täuschungsverhaltens im sozialen Kontext. Hinterhältigkeit ist demnach nie unbewusst und nicht nur einfach ein Nebenprodukt oder gar Zufallsprodukt einer Handlung, wie Peter Imbusch, Professor für politische Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal in seinem hierfür einschlägigen Herausgeberwerk aus 2021 herausstellt. Kennzeichnend sei vielmehr, dass die Handelnden wissen, wie sie agieren, dass dies gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und im sozialen Raum regelmäßig Normen widerspricht. Wider besseren Wissens wird also perfide gehandelt und Schädigungen anderer werden direkt oder indirekt in Kauf genommen.

In der Psychologie fällt Hinterhältigkeit unter das Spektrum eines manipulativen oder antisozialen Verhaltens. Gehäuft findet es im Rahmen von als machiavellistisch agierenden Personen Verwendung und ist damit ein Bestandteil der uns seit langem bekannten Dunklen Triade der Persönlichkeit, zu der daneben Narzissmus und Psychopathie als Wesensbeschreibung dieser Person in der Theorie zählen. Hinterhältiges Verhalten wird hier als instrumentelle Täuschung verstanden, oft mit einem langfristigen strategischen Ziel (z. B. Machterhalt, Rache, Eigennutz).

Ausformungen der Hinterhältigkeit

Hinterhältigkeit manifestiert sich in verschiedensten Ausformungen (dazu – auch in Weiterführung – Hanspach u. a. ; Dellwing; Lukas/Tackenberg; alle 2021).

  1. Auch wenn wir wissen, dass eine gewisse Geschmeidigkeit im Sozialen vieles vereinfacht und im Gegensatz zur Prinzipienreiterei mehr Ruhe in das Geschehen bringt, sind die Grenzen zum Opportunismus, Überanpassung, Heuchlerei, Schmeichelei, Lobhudelei, Kriecherei, Selbstverleugnung bis freiwilliger Demütigung fließend. Mit einer solchen Überdehnung, nennen wir sie allgemeiner Anbiederung, verdeckt man seine eigentlichen Absichten, um die eigenen Ziele (z. B. Beförderung, Ansehen, Ruhm, Machtteilhabe etc.) zu erreichen. Oftmals wird ein derartiges, vor allem kontinuierliches Verhalten von Dritten sehr leicht durchschaut (z. B. wiederauftretendes anerkennendes Nicken bei Ausführungen des Chefs, lauteres Lachen bei einer humorvoll gemeinten, an sich ausnehmend dämlichen Bemerkung der Vorgesetzten, unnötiges, von der Körperposition zum Chef hingewandtes Wiederholen seiner gerade geäußerten Position, Formulierungen wie „Das hätte außer ihnen niemand geschafft“ usw.), bleibt aber hingen gerade der Zielperson verborgen – oder wird von ihr zwar erkannt, aber bei Gelegenheit selbst für sich zu eigenem Vorteil ausgenutzt (und es gilt sowieso: belohntes Wohlverhalten eines Mitarbeitenden ist ein Symbol für sich).
  2. Über Lob freut man sich im Allgemeinen. Es sei denn, ja es sei denn, der Umstand irritiert, die Person, die das Lob ausspricht, ist in der Verbindung zur eigenen Person eher unerwünscht oder der Inhalt des Lobes ist ambivalent. Solche Konstellationen verdienen die Bezeichnung eines „vergifteten Lobes“ und dürfen als hinterhältig markiert werden. Wer seinen Kollegen in Anwesenheit des Justiziars launisch dafür würdigt, auch mal im Dienst der Sache Fünfe gerade sein zu lassen, dürfte ihm keinen Gefallen tun. Ebenso, wenn die Chefin das stets bemühte Streben einer Sachbearbeiterin lobt und doch Firmenpolitik ist, nur Ergebnisse als Maßstab der Bewertung anzuerkennen, wird wissen, wer die nächste Beförderung nicht erhält. Und kaum jemand möchte von jemanden gelobt werden, der gerade in die Abteilung abgeschoben wurde oder bereits durch unethisches Verhalten auffällig geworden ist.
  3. Provokationen haben in Gemeinschaften, Arbeitsteams und Beziehungen zwar für Außenstehende einen Unterhaltungswert, sind aber für die Provozierten weniger anregend oder lustig. Eine Provokation möchte jemand anderen in eine schlechte, im Regelfall defensive Position bringen und durch dessen Reaktion erreichen, dass seine eigenen Ziele in einem besseren Licht strahlen und/oder die Person von der Bildfläche verschwindet. Damit sie wirkt, muss sie, hinterhältigerweise, überraschend kommen und beim anderen ein spontanes, affektiv unkontrolliertes Verhalten bewirken, das seinerseits ohne Rücksicht auf Konsequenzen gezeigt wird, was im Eigentlichen Sinn und Zweck der Attacke gewesen ist (z. B. Ansehensverlust). Der Anlass ist eher unwichtig, die sozial geächteten Konsequenzen einer behaupteten oder tatsächlich passierten Normverletzung ist die wahre Absicht. Das, was Norm ist, variiert vielfach mit dem Kontext und der Provokateur muss sich durch sein soziales Geschick darauf verlassen, die richtigen Knöpfe zu drücken, um nicht selbst in Misskredit zu geraten. Selbstredend muss auch der Gegner gut ausgesucht sein, denn „emotionsregulierte“ Personen geraten kaum in die Falle des eigentlich Beabsichtigten und müssen allenfalls die Sache erklären oder selbst dreist auf Angriff schalten (sofern dies im sozialen Kontext legitim wäre). Eine coole Reaktion könnte dem Provokateur plötzlich als Verlierer dastehen lassen.

Dies waren nur drei Beispiele für ein hinterhältiges Verhalten. Andere könnten ergänzt werden, wie beispielsweise das lancierte Gerücht, das von seiner Fraglichkeit zwischen Wahrheit und Lüge lebt und auf Personen treffen muss, die sich dafür interessieren – dies glückt vor allem dann, wenn der Inhalt aktuell wie relevant ist. Gerüchte, die im Übrigen ab einem Kipppunkt juristische Bedeutung erlangen (wenn sie als z. B. als Verleumdung zu klassifizieren sind), haben einen Informations- und Nachrichtenwert. „Klatsch und Tratsch“ ist, wie Greenslade-Yeats u.a. (2023) uns wissen lassen, eine Form der Kommunikation, die beständig um einen oder ein abwesendes Dritten/Drittes kreist und eine instabile Grenze zu angrenzenden Begriffen wie Mitteilung, Erwartung oder Ereignis besitzt. Eine solche Grenze wird durch eine Übereinkunft der sich austauschenden Menschen festgelegt (wiewohl Vorfall oder Anlass objektiv falsch, wahr oder etwas dazwischen sein kann). Im Unterschied zum Storytelling hat es keine Dramaturgie wie diese, sondern besitzt einen erst einmal abgeschlossen episodenförmigen Charakter, der je nach Situation versickert oder zum sich aufschiebenden Schneeball wird. Neuere Forschungen zeigen aber nicht nur die Schattenseiten von Gossip, sondern auch deren fallweise positive Bedeutung für die Organisation, das Team usw., indem beispielsweise eine Teamidentität durch das vertrauliche Tuscheln („wir“) untereinander gestärkt wird.

Fazit

Gemeinschaften wie Organisationen, Teams oder auch Beziehungen sind Epizentren sozialer Dynamiken. Hier freigesetzte Energie wird im Regelfall durch Kommunikation oder Beispielgebung über die Veranlasser hinaus nach außen getragen – dies im Guten wie im Schlechten. Was nun die Hinterhältigkeit betrifft, sollten Führungskräfte erstens nicht selbst Träger dieser Untugend sein und zweitens hinterhältiges Verhalten, sofern erkannt, ansprechen und durch diese Ansprache entlarven und damit entschärfen. Dies gilt nicht nur, wenn die eigene Person Zielobjekt gewesen ist, sondern natürlich auch für die Mitarbeitenden, die Opfer eines „kollegialen“ Angriffs geworden sind und es manchmal vielleicht selbst gar nicht wahrnehmen. Merke: Nichts fürchtet die Mikropolitik mehr als Transparenz und Öffentlichkeit.

Dellwing, Michael (2021): Vergiftetes Lob. In: Imbusch, Peter (Hrsg.): Soziologie der Hinterhältigkeit, Weinheim: Beltz Juventa, S. 48-64

Greenslade-Yeats, J./Cooper-Thomas, H./ Corner, P.D./Morrison, R. (2023): A paradox-constitutive perspective of organizational gossip, IJMR, https://doi.org/10.1111/ijmr.12345

Imbusch, P. (Hg.): Soziologie der Hinterhältigkeit, Weinheim: Beltz Juventa

Imbusch, Peter/Steg, Joris (2021): Bausteine zu einer Soziologie hinterhältigen Verhaltens. In: Imbusch, Peter (Hrsg.): Soziologie der Hinterhältigkeit, Weinheim: Beltz Juventa, S. 7-22

Hanspach, S./Imbusch, P./ Mayer, L. (2021): Auf der Schleimspur – Über Arschkriecherei. In: Imbusch, Peter (Hrsg.): Soziologie der Hinterhältigkeit, Weinheim: Beltz Juventa, S. 23-47

Lukas, T./Tackenberg, B. (2021): Macht der Provokation – Provokation der Macht. In: Imbusch, Peter (Hrsg.): Soziologie der Hinterhältigkeit, Weinheim: Beltz Juventa, S. 65-82