Führung gerät heute zunehmend in die Kritik. Zentraler Anlass ist moralisches Versagen der Institution (DFB, Kirchen, Unternehmen…) und damit gleichsam auch ihres Führungspersonals. Die Ursachen einer solchermaßen als schlecht wahrgenommenen Führung sind vielfältig. Sie erklären sich zum Teil mit der Führungssituation. Aber auch die Geführten tragen hier nicht selten eine Mitverantwortung. Auf diese Bestimmungsgrößen des Bad Leadership-Phänomens sind wir bereits eingegangen. Hier wollen wir nun den dritten und für viele zentralen Ursprung einer illegitim – und zuweilen illegal – agierenden Führung in Augenschein nehmen: den Typus des „Bad Leaders“, charakterisiert durch die so genannte dunkle Triade. Aber was ist die Alternative? Leadership Insiders rückt deshalb die helle Triade der Führung in den Vordergrund.
Die „dunkle Triade“ der Führungspersönlichkeit
Schlechte Führung verweist unmittelbar auf schlechte Führungspersönlichkeiten. Und weil die Führung sich seit geraumer Zeit erkennbar eher verschlechtert als verbessert, widmet sich die Führungsforschung zunehmend dem Typus des „Bad Leaders“ bzw. „Dark Leaders“. Die Zugänge zu derartigen Führungspersönlichkeiten sind zwar vielfältig. Orientiert man sich an der Anzahl der Publikationen, dann scheint ein Problemzugang hier allerdings deutlich die Oberhand zu gewinnen, nämlich die Bestimmung schlechter Führer anhand der sog. „dunklen Triade“ der Führungspersönlichkeit – die sich, wie der Name schon sagt, aus drei zwar nicht unähnlichen, aber eben auch nicht gleichen Protagonisten zusammensetzt:
- den narzisstischen Führungspersönlichkeiten, die sich insbesondere durch großartige Gefühle der Selbstherrlichkeit, Fantasien grenzenloser Macht, ein extremes Bedürfnis nach Anerkennung, eine irrationale Annahme besonderer Privilegien sowie überaus geringe Empathie bei überaus großer Arroganz negativ auszeichnen;
- den machiavellistischen Führungspersönlichkeiten, die vor allem strikt eigennützig denken und handeln, dabei aber auch sehr klug und geschickt vorzugehen wissen, indem sie jene, die ihnen nützlich erscheinen, für sich gewinnen, und jene, über die sie Macht besitzen, rücksichtslos ausbeuten;
- den psychopathischen Führungspersönlichkeiten, denen „das Soziale“ vollumfänglich abgeht, die von daher von Emotionen, Verantwortungen, Skrupeln oder Verpflichtungen jeglicher Art komplett „befreit“ sind – was handlungsbezogen auch bedeutet, dass sie völlig furchtlos extreme Risiken eingehen können.
Zur (Selbst-)Diagnose dieser Persönlichkeitsprägungen wurden zwischenzeitlich verschiedene Messverfahren entwickelt, wie beispielsweise die sog. „Niederträchtigen Neun“ resp. das sog. „Dreckige Dutzend“, die wir anderenorts (Kuhn/Weibler 2020) näher vorgestellt haben. Beispielsitems wären
- Ich neige dazu, andere zu manipulieren, um meinen Willen durchzusetzen (M)
- Ich neige dazu, keine Gewissensbisse zu haben (P)
- Ich neige dazu, von anderen beachtet werden zu wollen (N).
Zur Diagnose fauler Äpfel in der Führungspraxis sind sie allerdings aus offensichtlichen Gründen nur bedingt tauglich, auch wenn immer wieder interessante Zugriffe gelingen. Dass mit derartigen Verhaltensweisen negative Auswirkungen einhergehen, liegt nahe, wiewohl die Reaktionsweise der Mitarbeitenden infolge theoretischer Überlegungen wie empirischer Befunden am Ende differenziert ausfällt (Stichworte: Identifikation mit dem Aggressor; größere Anstrengung, um sich zu verbessern).
Die „helle Triade“ der Führungspersönlichkeit
Gewissermaßen als Antidot gegen eine unkontrollierte Ausbreitung solcher toxischen Führungskräfte in der Praxis wird aus führungstheoretischer Sicht regelmäßig der (Gegen-)Typus des „Ethical Leader“ propagiert. Rezipiert wird dieser dabei bislang zumeist entlang tugendethischer Konzepte, was dann bedeutet: Moralisch gute Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie über die sog. Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigung) verfügen, eine stoische Grundhaltung (Disziplin der Vorstellungen, des Strebens und des Handelns) einnehmen oder eine integre Persönlichkeit (Authentizität, Entsprechung von Worten und Taten, Standhaftigkeit im Angesicht von Widerständen) besitzen. Auf diese für eine gute Führung, aber sicher auch darüber hinaus bedeutsamen Überlegungen wollen wir an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingehen (vgl. dazu ausführlich: Kuhn/Weibler 2012).
Stattdessen wollen wir einen neueren Ansatz kurz skizzieren, der sich im direkten Gegensatz zur „dunklen Triade“ positioniert und – wie der Psychologe Barry Scott Kaufman kürzlich verdeutlicht –, programmatisch die folgende Position vertritt (2019):
„Yes, everyday psychopaths exist. But so do everyday saints…“
Der Typus des „Alltäglichen Heiligen“, der nach Ansicht von Kaufman und seinem Forschungsteam überall – und somit auch innerhalb unserer Organisationen – vorzufinden ist, wird dabei durch folgende „helle Triade“ näher charakterisiert:
- Humanismus, d.h. Wertschätzung der Würde und des Wertes eines jeden Menschen;
- Kantianismus, d.h. Behandlung aller anderen jederzeit auch als Ziel, niemals als bloßes Mittel für bestimmte Zwecke (abgeleitet aus der sog. Zweckformel des Kategorischen Imperativs);
- Glaube an die Menschlichkeit, d.h. Überzeugung, dass alle Menschen im Grunde gut sind.
Zur (Selbst-)Diagnose dieser „hellen“ Persönlichkeitsprägungen – und quasi als Gegenentwurf zum „Dreckigen Dutzend“ der „dunklen Triade“ – haben die Autoren folgende 12 Items formuliert:
Narzissten raus, Humanisten rein! … einfacher gesagt als getan
Will man die Führung verbessern, dann resultiert aus dem Gesagten im Grunde das Motto: „Narzissten, Machiavellisten, Psychopathen raus, dafür alle Macht den »alltäglichen Heiligen«!“ Dies dürfte leider jedoch einfacher zu fordern als praktisch zu bewerkstelligen sein. Hierfür lassen sich vor allem zwei zentrale Gründe ausmachen (Kuhn/Weibler 2020):
- Erstens: Das gekonnte „Impression-Management“ seitens der „dunklen Triadisten“, was bedeutet: So antisozial narzisstische, machiavellistische und psychopathische Führungskräfte im Grunde auch sein mögen. Gemein ist ihnen allen dennoch, dass sie – zumindest eine Zeit lang – als überaus sozial kompetent zu erscheinen vermögen. Ihre organisationsbezogene Kernkompetenz ist so gesehen ein Impression-Management, das getragen ist von herausragendem Charme und Charisma, gekonnter Schmeichelei und Manipulation, was ihnen in summa – wie zahlreiche Studien belegen – häufig überdurchschnittliche Karrieren und Aufstiege bis hinein in höchste Führungspositionen ermöglicht.
- Zweitens: Eine klammheimliche „Faszination des Dunklen“, die in unseren Köpfen weit verbreitet sein dürfte und bewirkt, dass wir Führende, die (ökonomisch) überaus erfolgreich sind, „automatisch“ auch für (moralisch) gute Führungskräfte halten. Dies, weil wir häufig schlicht nicht glauben wollen, dass moralisch schlechte Führer auf Dauer erfolgreich sein und moralisch gute Führer relativ erfolglos bleiben können. Wessen Führung von Erfolg gekrönt ist, kann gemäß unserer inneren (falschen) Überzeugung somit kein schlechter Führer sein. Dieses (Miss-)Verständnis geht zuletzt so weit, dass wir außergewöhnlich erfolgreiche Top-Manager, die sich mehr oder minder schlechter Weise verhalten, hierfür nicht kritisieren, sondern vielmehr bewundern.
Wer hier zuerst an Personen denkt, die von ihrem Umfeld als „charismatisch“ wahrgenommen werden, liegt dann richtig, wenn es sich um die egoistische und nicht soziale Form des Agierens solcher Personen handelt (z.B. unberechenbar, ehrgeizig/besessen, distanziert, angsteinflößend, eisern/brutal, eigenwilliger Alleinentscheider gegenüber einem verständnisvollen, sich übermäßig selbst einbringenden, inspirierenden und an einer funktionierenden Gemeinschaft interessierten Führungspersönlichkeit).
Von der Präferenz der „Bad Leader“ zur Protektion der „Everyday Saints“!?
Die Verbreitung des Bad Leadership-Phänomens erklärt sich eingedenk dessen sicher durch die Fähigkeit der Bad Leader, zumindest vorübergehend als Good Leader erscheinen und beeindrucken zu können. Parallel dazu ist aber auch davon auszugehen, dass in unserer HRM-Praxis eine gewisse Tendenz dafür besteht, dass Schlechte in der Führung dann bzw. solange zu übersehen, wie solche Führung erfolgreich wirkt.
Der renommierte Führungsforscher Jeffrey Pfeffer unterstreicht dies, indem er Organisationen eine Präferenz für unbescheidene und unehrliche, grandiose und narzisstische Führer, bei einer gleichzeitig betonten Zurückhaltung gegenüber bescheidenen und ehrlichen, authentischen und wahrhaftigen Führern attestiert (Pfeffer 2015). Die Wege zu einer besseren Unternehmens- wie Mitarbeiterführung sind damit nicht so leicht zu beschreiten, wie wir uns das vielleicht wünschen. Es gilt zum einen, Bad Leader frühzeitiger als bisher – und vor dem Erreichen manifester Machtpositionen – zu enttarnen und zu neutralisieren.
Es gilt zum anderen aber auch den Mut zu finden und zu entwickeln, Führungsverantwortung häufiger als bisher üblich in die Hände von „Everyday Saints“ zu legen und damit gleichsam einen neuen und anderen Typus der Führenden zu protegieren. Impliziert ist damit in gewisser Weise dann wohl auch ein Abschied von unserer tradierten Vorstellung einer „heroischen“ Führung, die Eigenschaften herausstellt, die eher zur „dunklen Triade“ neigen (z.B. Dominanz, Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen). An deren Stelle müsste dann eine „post-heroische“ Führungsphilosophie rücken, die eher auf den Typus des „hellen Triadisten“ zugeschnitten zu sein scheint (Einfühlungsvermögen, Partizipation, Konsensus/Konsent).
Konsequenterweise gehört dazu, Führung weiter zu denken und plurale Führungsformen zuzulassen und selbst situationsangemessen zu propagieren. Führung würde danach nicht nur verstärkt als etwas verstanden, was zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden täglich, wenn auch vielfach unbewusst, im alltäglichen Miteinander ausgehandelt wird, selbst aber eben auch auf mehrere Schultern verteilt werden kann – unabhängig davon, wie von Sigrid Endres und mir andernorts (2019) betont wird, ob es formal überhaupt so vorgesehen ist. Ganz nebenbei erschwert eine plural gedachte Führung eine entgleisende Führung.