Bad Leadership steht im Rang eines universellen Phänomens und erlebt als Thematik innerhalb der Führungsforschung derzeit einen regelrechten Boom. Leadership Insiders skizziert, was Bad Leadership bedeutet, und verdeutlicht im Besonderen, wie die Geführten selbst durch verschiedene Formen eines Bad Followership zum Entstehen und Fortbestehen einer schlechten Führung beitragen.
Was Bad Leadership bedeutet
Der Begriff Bad Leadership steht kurz gesprochen für eine Führung, die die ihr gegebene Führungsmacht (z.B. charismatische Macht, Belohnungs-/Bestrafungsmacht, Informationsmacht) bar aller Verantwortung rücksichtslos einsetzt (z.B. in Form eines feindselig-aggressiven Führungsverhaltens) und im Zuge des Führungsprozesse primär eigennützige Zielsetzungen – billigend auch auf Kosten von anderen – verfolgt (z.B. ausbeuterische Führung).
Eine solche Führung verursacht alltägliches Leid, durch Unhöflichkeiten und Gemeinheiten, Herabsetzungen und Einschüchterungen, Intrigen und Illoyalität, und schafft auf Dauer systematisch Gewinner und Verlierer innerhalb der Führungsbeziehungen. Den ethischen Grundproblematiken wie den praktischen Konsequenzen einer solchen Führung sind wir jüngst in sehr umfassender Weise in unserem Werk „Bad Leadership“ nachgegangen (Kuhn/Weibler 2020).
Bad Leadership verweist dabei selbstredend unmittelbar auf eine negative Persönlichkeit des Führenden. Der Begriff der „Dunklen Triade“, bestehend aus (subklinischem) Narzissmus, Machiavellismus und (subklinischer) Psychopathie, wird in diesem Zusammenhang seit längerem als vorrangiger Erklärungsansatz diskutiert. Hinzu kommt: Bad Leadership hängt in aller Regel auch zusammen mit einer schlechten Situation, in der die Führung stattfindet. Die Stichworte lauten hier: falsche Anreizsysteme, überbordende Leistungserwartungen, unrealistische Zielvorgaben und nicht zuletzt eine allgegenwärtige „get the job done at all costs“-Philosophie und Kultur.
Die Forschung zeigt aber auch: Die Erklärung des Bad Leadership-Phänomens ist nur vollständig, wenn wir auch das in Betracht ziehen, was die Geführten (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) selbst zum Entstehen und Fortbestehen einer schlechten Führung beitragen. Sprich: Bad Leadership verweist fast immer auch auf ein Bad Followership! Dies erscheint auf den ersten Blick vielleicht etwas paradox, bedeutet es doch, dass die Geführten mitschuldig daran sind, dass sie von aggressiven Führern feindselig behandelt und/oder ihre Ziele von ungerechten Führern vernachlässigt oder missachtet werden. Dennoch dürfte genau dieses oftmals der Fall sein. Was aber „reitet“ die Geführten, wenn sie schlechte Führer tolerieren, akzeptieren oder gar evozieren? Wir wollen dieser Frage im Folgenden nachgehen und uns also auf die Suche nach der „Dark Side of Followership“ begeben.
Wie Gehorsamsbereitschaft schlechte Führung ermöglicht – das Milgram-Experiment
Wer die „dunkle Seite“ der Geführten – nicht zuletzt in uns selbst – verstehen möchte, kommt an einem klassischen Experiment schwerlich vorbei, nämlich dem des Sozialpsychologen Stanley Milgram (2004). Das Milgram-Experiment fand in den frühen 1960er Jahren an der Yale University, USA, statt.
Im Zentrum des Experiments stand die – situativ erzeugte und durch den Aufbau des Experimentes fortwährend mittels fiktiver Stromstöße gegenüber einer dritten Person gesteigerte – innere Spannung des Probanden zwischen den Instanzen „Autorität des Versuchsleiters“ und „eigenes Gewissen“. Es galt herauszufinden, „wann und auf welche Weise Menschen sich unter dem Eindruck eines deutlichen moralischen Imperativs gegen die Autorität auflehnen würden“ bzw. ab wann Gehorsamkeit aus moralischen Gründen endgültig verweigert wird.
Das Milgram-Experiment macht deutlich, dass Geführte Führenden auch dann folgen, wenn Letztere eindeutig moralisch schlecht handeln und zerstörerisch auf Dritte, aber auch auf die Geführten selbst wirken. Immerhin folgten zwei Drittel der insgesamt 1000 Probanden den Anweisungen des Versuchsleiters bis zum 450 Volt-Schock. Die Führenden brauchen dabei offensichtlich noch nicht einmal über bedeutsame (Führungs-)Macht zu verfügen, sprich: sie müssen nicht Furcht einflößen (Bestrafungsmacht) oder persönliche Interessen ansprechen (Belohnungsmacht), noch müssen sie in irgendeiner Form vorbildlich oder außergewöhnlich erscheinen (Identifikations- und charismatische Macht). Sie müssen eigentlich gar keine Macht haben – außer eben jener unscheinbaren und fast schon altbackenen Macht, die gemeinhin unter dem Begriff „Amtsautorität“ firmiert. Und selbst diese kann, wie das Experiment zeigt, auf eine Stunde beschränkt sein – und trotzdem hinreichen, Geführte potenziell zu Mördern zu machen. Was wäre dann erst möglich, wenn die persönliche Macht die entscheidende wäre oder sogar noch hinzuträte?
Ich brauche Dich, mein Führer! – Wenn die Führung von innen schwach und das Bedürfnis nach Führung von außen stark ist
Als „verlorene Seelen“ bezeichnet ein Forscherquartett um den US-amerikanischen Psychologen Christian Thoroughgood (2012) all jene Geführten, die sich vor allem zu schlechten charismatischen Führern hingezogen fühlen, weil sie hoffen, von diesen zu erhalten, was ihnen ansonsten weitgehend fehlt: Klarheit und Richtung, Heimat und Zugehörigkeit, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl.
Genau mit diesem Typus des Bad Followers befasst sich ein Buch der Politikwissenschaftlerin Jean Lipman-Blumen (2005), das den Titel „Die Verlockungen der toxischen Führer“ trägt und im Untertitel die Kernfrage nachreicht: „Warum folgen wir zerstörerischen Chefs und korrupten Politikern?“ Ausgehend von der These einer weiten Verbreitung toxisch-schlechter Führung in Wirtschaft und Gesellschaft untersucht Lipman-Blumen ausführlich die Frage, warum solche Führer eine mitunter extrem hohe Attraktivität für die Geführten besitzen. Im Zuge dessen identifiziert sie insbesondere die folgenden (tiefen-)psychologischen Ursprünge:
- Autoritäts-Bedürfnisse, die weitgehend unbewusst und frühkindlich angelegt sind und sich im Wunsch nach (autoritären) Führungspersönlichkeiten äußern, die den Geführten Mut machen, Trost spenden und letztlich eine Befriedigung aller grundlegenden Bedürfnisse versprechen (Sicherheit, Schutz, soziale Wärme, Anerkennung und Selbstverwirklichung; vgl. Abraham Maslow) – ohne dies freilich tatsächlich leisten zu können.
- Existenzielle Ängste, die sich aus dem menschlichen Bewusstsein ergeben, sterblich zu sein, ohne allerdings zu wissen, wann und wie unser Sterben erfolgen wird. Aus dieser existentiellen Angst resultiert der Wunsch, zu Lebzeiten Bedeutendes und Überdauerndes zu schaffen. Toxische Führer greifen diesen Wunsch auf, indem sie Geführten das Gefühl vermitteln, sehr besonders oder gar auserwählt zu sein und ihnen letztlich sogar „Unsterblichkeit“ verheißen – wenn nicht in dieser, dann in einer anderen Welt, oder auf ewig in der Erinnerung der nachfolgenden Generationen.
- Situative Ängste, die einer zunehmenden Wahrnehmung der Welt als unübersichtlich, unsicher und kaum mehr beherrschbar geschuldet sind (Stichworte hierzu wären beispielsweise 9/11 oder die Auswirkungen der globalen Ökonomie) und die das individuelle Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung kontinuierlich (über-)steigern. Wem es in Anbetracht dessen gelingt, glaubhaft zu versichern, als Führender „Ruhe und Ordnung“ wiederherstellen zu können, der kann leichthin in eine exponierte Führungsposition aufsteigen – und dürfte hierin insofern toxische Wirkungen zeitigen, als derartige Versprechen zumindest in offenen und pluralistischen Gesellschaften tatsächlich kaum einzuhalten sein werden.
- Ängste des Scheiterns, die aus der zunehmenden Wettbewerbs- und Erfolgsorientierung unserer (Markt-)Gesellschaft erwachsen, welche den Einzelnen mit immer weitgehenderen und lebenslangen (Leistungs-)Anforderungen konfrontieren und auf diese Weise auch die individuelle Angst des persönlichen (sozialen, ökonomischen, psychischen) Scheiterns steigern. Toxische Führer stehen häufig – wenn auch nur scheinbar – über all dem, bestechen durch Stärke, Klugheit und Erfolge in all seinen Ausprägungen (Selbstsicherheit, Reichtum, Ausstrahlung) und wirken deshalb anziehend für jene, die sich selbst bestenfalls als „durchschnittlich“ empfinden.
Mit der Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autoritäten und der seelischen Verlorenheit sind nun allerdings noch nicht alle Erklärungen für ein Bad Followership benannt, die in der wissenschaftlichen Debatte über diese Thematik erwogen werden.
Ängstlichkeit, Nützlichkeit und Gläubigkeit – Was Bad Followership sonst noch begründen kann
Die vermutlich umfassendste Taxonomie schlägt der uns bereits bekannte Christian Thoroughgood mit seinem Forschungsteam vor. Diese beinhaltet die oben bereits vorgestellten „Gehorsamen“ im Sinne Milgrams ebenso wie die „Verlorenen“ im Sinne Lipman-Blumens, beinhaltet zudem aber noch drei weitere Spielarten des schlechten Geführten:
- die „Ängstlichen“, die die Kosten des Widerstandes mit jenen des Nichtstuns und Wegschauens vergleichen – und sich für Letzteres entscheiden;
- die kalkulierenden „Opportunisten“, die schlechten Führern folgen, weil sie glauben, dass ihnen dieses persönlich zum Vorteil gereichen kann;
- die „Gläubigen“ bzw. „Messdiener“, die von der Ideologie des Bösen schlicht beseelt sind und ihr und ihrem Repräsentanten, dem Bad Leader, deshalb aus tiefstem Inneren heraus folgen.
Das Gesagte lässt sich dann so grafisch zusammenfassen:
Bittere Erkenntnis: Ein zivilisatorischer Fortschritt ist ungewiss
Wie eine passende Ergänzung dessen liest sich der Bestseller „Der Tyrann“ vom renommierten Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt aus 2018. Ausgangspunkt seiner Arbeit ist der Umstand, dass Shakespeare sich während seiner gesamten Schaffensphase immer wieder mit der Frage auseinandersetzte, wie es erklärbar ist, dass ein ganzes Land einem Tyrannen in die Hände fällt. In seiner Analyse des Dramas „Richard III“ zeigt Greenblatt dabei auf, dass Shakespeares das Aufkommen dieses Tyrannen vor allem mit den zwar sehr verschiedenen, allesamt aber auch völlig falschen und fatalen Reaktionen der Geführten auf diesen „Bad Leader“ verband. Einigen droht Richard mit Gewaltanwendung, was Ängste bei diesen erzeugt und ihren Widerstand bricht, andere reden sich ein, dass sie selbst von Richards Aufstieg zur Macht profitieren könnten, und wiederum andere vermögen gar nicht zu sehen, dass Richard böse ist und neigen schlicht dazu, auch „das nicht Normale für normal zu erklären“, andere sehen das zwar, schauen aber lieber weg.
Das Schöne hieran: Das, was Shakespeare ausmachte, bestätigt in bemerkenswerter Weise das, was auch die aktuelle Diskussion herausstellt. Das Schockierende daran: Das, was Shakespeare ausmachte, machte er im Jahre 1592 (!) aus – und wie es scheint, hat sich an alledem bis heute nicht wirklich viel geändert.