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Die politische Theoretikerin Hannah Arendt stellte in ihrem vielgelesenen Werk „On Violence“, auf Deutsch als „Macht und Gewalt“ betitelt, schon im Jahre 1970 fest, dass Autorität im Kontext des Herrschens von Menschen über Menschen „das begrifflich am schwersten zu fassende Phänomen und daher das am meisten missbrauchte Wort“ (S. 46) sei.

Auch wir laufen mit dem pauschalen Ruf nach „Führungsautorität“ Gefahr, in diese Falle zu tappen. Denn damit verlangen wir etwas, ohne genau zu wissen, was genau das sein soll. Das ist nicht gut, schon gar nicht für eine Führungskraft. Gerade Führungskräfte sollten immer wissen, worüber sie reden, und wenn sie zu etwas nichts wissen, sollten sie solange zurückhaltend sein, bis sie sich das entsprechende Wissen angeeignet haben. Ansonsten wirken sie unglaubwürdig.

Bleiben wir beim Wesentlichen und damit beim schwierigen Umgang mit dem Autoritätsbegriff. Dass er wesentlich ist, ist erst einmal unstrittig, wie die Soziologen Wolfgang Sofsky und Rainer Paris schon vor rund dreißig Jahren ausführten:

„Autorität überall. Wo immer sich Menschen dauerhaft miteinander verbinden und soziale Ordnung stiften, erkennen sie einander nicht nur als verschiedene Gleiche, sondern auch als Ungleiche an… Das Bedürfnis, Ränge und Rangordnung zu konstruieren, scheint universell. Denn der Rang des anderen markiert zugleich den eigenen Standort und den eigenen Wert. Im sozialen Vergleich wird nicht nur zwischen Mächtigen und Unterworfenen unterschieden, es werden auch Autoritäten ausgezeichnet, die die anderen überragen und ein besonderes Prestige genießen. Wo es Macht gibt, gibt es immer auch Autorität. Aber nicht jedem Machthaber wird gleichzeitig Autorität attestiert.“

Letzteres sehen wir nicht nur, aber im Besonderen bei der jüngeren Generation: das Infragestellen jener Autorität, die sich allein aus der Einnahme einer Führungsposition abzuleiten sucht. Begrifflich sprechen wir hier von der sogenannten „Funktionsautorität“ – also jene Autorität, auf die das veraltete Wort des „Amtsinhabers“ verweist, und die einer Person zufallen soll, weil sie ein bestimmtes Amt bekleidet. Charakteristika der Person bleiben hier also außen vor. Solche „Funktionsautorität“ kennen wir bereits aus der Antike, beispielsweise bei römischen Senatoren, deren Autorität allein schon darauf gründete, dass die Institution (Senat), für die und in deren Namen sie tätig waren, bereits ein Höchstmaß an Autorität besaß (auctoritas senatus) –  auch wenn in der historischen Entstehung dieser Autorität von einem Wechselspiel zwischen ehedem angesehenen Familien, die dann später Senatsränge verfassungskonform bekleideten, und der Institution des Senats auszugehen ist.

Nun ist natürlich eine Schraubenfabrik in Baden-Württemberg trotz Milliardenumsatz nicht ganz so ehrwürdig wie der frühere Mittelpunkt der politischen Welt. Dennoch: Führungspositionen sind auch heute noch grundsätzlich mit einer gewissen „Amtsautorität“ ausgestattet. Dabei gilt: Je höher der Rang, desto höher die Amtsautorität, u.a. weil gleichzeitig angenommen wurde, dass Wissen auf höheren Hierarchieebenen in besserer Qualität vorhanden wäre. Diese Verbindung von Hierarchie (Amt; Position) und Autorität hat damit zu tun, dass die Institution der „Hierarchie“ in unserer Gesellschaft lange Zeit kulturell unhinterfragt als Ordnungsprinzip akzeptiert war und durch diese Verbindung permanent stabilisiert wurde. Begründungen für Entscheidungen und Arbeitsaufträge sind in einer solchen Konstellation selbstredend eine Option, in letzter Konsequenz jedoch kein Muss.

Das Ordnungsprinzip „Hierarchie“ kam nicht von ungefähr, denn nicht jeden Tag, so der in der Tat nicht beiseite zuschiebende Gedanke, kann die (Arbeits-)Welt auf Neuste komplett neu erfunden werden. Darin liegt ja für den Organisationswissenschaftler gerade auch ein Vorteil von Institutionen und Organisation: Sie repräsentieren unhinterfragte Normalitäten, die den Alltag mit Blick auf die Zielsetzung der Organisation bis auf Weiteres effektiver und effizienter machen, beispielsweise durch eine geregelte Koordination von Aktivitäten.

Doch das Narrativ eines hierarchisch gebundenen superioren Wissens verliert ebenso an Glanz wie die Funktionsautorität in modernen Organisationen bröckelt; der Lack ist hier, wie man sagt, inzwischen ziemlich ab. Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen, wie es sprichwörtlich so schön heißt.

Das „Ende der Autorität“ ist damit gleichwohl noch nicht eingeläutet. Denn da ist noch eine zweite, klassische zentrale Grundlage der Autorität, die personale Autorität. Diese Autorität wird nur individuell zugeschrieben. Sie ist eine Art symbolisches Kapital, das jemand erhält, wenn er nicht nur einem selbst gegenüber überlegen erscheint, sondern sich in der Vorstellung auch anderen gegenüber durch Überlegenheit auszeichnet. Diese Überlegenheit kann umfassender Natur sein, sich aber auch auf sehr konkrete Bereich beschränken (wobei die Fähigkeiten in anderen Bereichen sicherlich nicht gleich desaströse Ausmaße annehmen sollten). Bei moralischen Autoritäten sind es vor allem die Werte, die – für einen selbst höchst attraktiv und beispielhaft – von der Person, der ich Autorität zuspreche, verkörpert werden. Autorität wird zwingend aus freien Stücken „von unten“ zugebilligt. Jemanden also zwingen zu wollen, eine Autorität anzuerkennen, ist widersinnig.

Von wahren Autoritäten wird eine zu erkennende Festigkeit, eine Souveränität erwartet. Chaos, Panik, Unwissenheit, beständige Selbstzweifel sind mit Autoritätszuschreibungen folglich nicht vereinbar. Gefragt sind stattdessen kluge Entscheidungen auf der Grundlage einer angemessenen Situationsbeurteilung, charakterliche Vorzüglichkeit, verbunden mit handlungspraktischen und normativen Orientierungen, was nicht zuletzt auch Perspektivenreichtum voraussetzt. Intensiv respektierte Personen verkörpern ein Ideal, das ich im Extrem sogar bewundern kann, wodurch ich gleichzeitig aber auch eine Selbstwerterhöhung erfahre, weil ich mich im Einklang mit der Autorität fühle. Zur Aufrechterhaltung einer solchen Beziehung ist eine gewisse soziale Distanz dabei mehr als hilfreich, die vor alltäglichen Profanisierungen schützt. Mit Blick auf das Arbeitsleben muss allerdings eine Gratwanderung von der reinen Lehre vollzogen werden, denn hier gilt es, Nähe und Distanz situationsgerecht auszupendeln, sollen Führungsautoritäten nicht nur medial vermittelte Größen sein

Nach dem Gesagten liegt auf der Hand, dass der eine Teil der Führungsautorität, die Funktionsautorität, zunehmend schwindet. Der verbleibende Teil, die personale Autorität, bleibt jedoch davon unbenommen. Wie gewinnt man solche Autorität?

Für Max Weber, dem großen deutschen Soziologen, war klar, dass Autorität eine legitime Form der Zuerkennung von Macht ist. Legitimität konnte ihm zufolge auf dreierlei Art gewonnen werden. Erstens aufgrund von Tradition, also weil etwas immer schon so galt und deshalb auch weiter gilt, beispielsweise der Schamane, der den Kontakt zu den Verstorbenen hält; zweitens der Glaube an die Legalität der gesetzten Ordnung, wozu eben auch das Anweisungsrecht in Organisationen zählt; und drittens das Charisma, was aufgrund der Außergewöhnlichkeit, gar Heldenhaftigkeit der Person in der Wahrnehmung der Zuschreibenden selbiger zuerkannt wird. Wir sehen allerdings, dass diese Unterteilung nicht wirklich weiterhilft. Die Funktionalautorität, auf die der zweite Punkt abzielt, haben wir mit Blick auf die Organisation verworfen, die Tradition, der erste Punkt, greift dort erst recht nicht, wie es beispielsweise für den Adel lange Zeit in der Armee galt und der dritte Punkt, dass Charisma, mag ja als Autoritätsbeschleuniger noch stimmen, ist im eigentlich gemeinten Sinne in der alltäglichen Organisation aber eher eine leere Menge als ein üppiger Ressourcenquell.

So kommen wir dahin, bei der Führungsautorität auf das zu setzen, was immer schon mit einer Person verbunden wurde, die legitime Autorität verdient: Eine besondere Persönlichkeit, die die Tugenden der Klugheit, der Tapferkeit, der Gerechtigkeit und der Mäßigkeit bei sich entwickeln und wahren und dieses zumindest bei anderen anstoßen kann. Konkretisiert für die Führung heißt dies im Besonderen: klares Urteilsvermögen, kraftvoller Einsatz für das, was als gut und richtig erkannt ist, und dies auch gegen Widerstände, Sorge tragen dafür, dass jeder erhält, was ihm zusteht, sowie den Ausgleich zu finden zwischen berechtigten Interessen von Person und Organisation, zuvorderst zwischen den Sach- und Humaninteressen, auf alle Fälle Ausbeutung zu verhindern und Entwicklungen in und außerhalb der Organisation nach vorhandener Möglichkeit zu fördern.

Zur wahren Autorität gehört – seltenst bedacht – schließlich auch, sich des Grunddilemmas einer jeden Autorität bewusst zu sein: Dem unauflöslichen Spannungsfeld zwischen Führen und Folgen. D. h. sich zwar positiv für die Durchsetzung einer Überzeugung einzusetzen, aber die dafür notwendige Gefolgschaft nicht in Abhängigkeit zu überführen. Kurzum: Eine Führungsautorität wird sich für eines in jedem Falle nicht hergeben – für eine autoritäre Führung!

Wenn wir mit Giovanni Baldelli, den Richard Sennett in seinem immer noch lesenswerten Werk „Autorität“ zitiert, annehmen, dass die meisten Menschen nach irgendeiner Form von Autorität streben, um ihrem Leben eine Rechtfertigung zu geben, dann wäre eine Führungsautorität aufgefordert, die ohnehin brüchige Befehlskette in Organisationen (Hierarchie) immer wieder gedanklich und faktisch insofern zu transformieren, als die zugeschriebenen Rollen nicht als fix erachtet werden, sondern wechselseitig eingenommen werden können.

Über dem allem steht die Gewissheit, dass eine jede Führungsautorität nie absolut gedacht werden kann, sondern sich selbst immer in einem Entwicklungsprozess befindet. Nicht selten ist es für die Gesamtentwicklung einer Institution oder Organisation gut, sich als Einzelner selbst zu beschränken, damit anderen vermehrt die Chance zu geben, selbst eine entsprechende Autorität zugeschrieben zu bekommen. In diesem Sinne ist ein freiwilliger, rechtzeitiger Rückzug aus der Verantwortung die Krönung einer an der Sache gelegenen und ihr dienenden Führungsautorität.

Arendt, A. (1970/2013): Macht und Gewalt, 23. A., München (Zitat auf S. 46)

Sennett, R. (1980/1985): Autorität, Frankfurt/M.

Sofsky, W. / Paris, R. (1991): Figurationen sozialer Macht, Opladen (Zitat S. 19)