Der Beitrag verdeutlicht anhand der größten empirischen Studie über Lebensverläufe die Bedeutung sozialer Beziehungen für ein gelingendes Leben. Danach sind Sozialbeziehung nicht nur einer von vielen Bausteinen, sondern ein Baustein von herauszuhebender Relevanz. Das wird näher erläutert.

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Der Mensch ist, so trivial wie richtig, ein soziales Wesen. Ausbau und Pflege sozialer Beziehungen half den Menschen, sich die evolutionären Vorteile zu verschaffen, die es brauchte, ihm Dominanz über alle anderen Tierarten zu verleihen. Die menschlichen Gruppen, die es – auch im strategischen Zusammenspiel mit anderen Gruppen – verstanden, hierin besonders gut zu sein, erreichten ebenfalls Vorteile gegenüber anderen. Koordination, Kooperation und Fürsorge innerhalb verwandtschaftlich verbundener Gruppen (später darüber hinaus) sind hier die entscheidenden Stichworte, um überlebenswichtige Strukturen wie Kulturen auszubilden und fortzuentwickeln. Größere Sicherheit, ein höherer Wohlstand und eine bessere psychische wie physische Gesundheit waren die offensichtlichen Konsequenzen, die den Reproduktionserfolg steigerten und eine Positivspirale initiierten. Leadership Insiders erläutert heute, inwiefern soziale Beziehungen, zu denen auch Führungsbeziehungen gehören, für den Einzelnen nicht nur von überragender Bedeutung für das schiere Überleben sind, sondern für ein gelingendes Leben insgesamt.

Mit guter Gesellschaft ist kein Weg zu lang. (Sprichwort)

Harvard Study of Adult Development

Fragen nach einem gelingenden Leben sind nicht neu, aber von unveränderter Relevanz. Philosophien, politische Theorien oder Religionen befassen sich damit. Wir sind in der glücklichen Lage, uns bei der Frage, warum soziale Beziehung für ein gelingendes Leben so essenziell sind, nicht nur hierauf abstützen zu müssen, so bedeutsam und reichhaltig diese Quellen auch sind. Stattdessen referenzieren wir heute auf die Erkenntnisse aus der weltweit längsten Verlaufsstudie über ein erfülltes Leben, der „Harvard Study of Adult Development“ der Harvard Medical School, die Menschen zweier Generationen seit 1937, also über mehr als 80 Jahre, begleitete.

Über diese Menschen wurde „quasi eine Karte erstellt“ (Waldinger/Schulz, 2023, S. 28f.), in der materielle wie immaterielle Zustände im Lebenslauf verzeichnet sind. Diese werden erhoben oder in persönlichen Gesprächen eruiert. Sehr bedeutsam ist dabei die physische wie psychische Gesundheit. Indikatoren dafür sind Gewicht, Maß an Bewegung, Nikotin- sowie Alkoholkonsum, Cholesterinspiegel oder Operationen samt möglicher Komplikationen. Daneben sind es die berufliche Betätigung, die Anzahl enger Freunde, Hobbys, Freizeitbeschäftigungen, Kirchenbesuche. Gefragt wird zudem nach der Zufriedenheit bei der Arbeit, in der Ehe, den psychischen Auswirkungen von Eheschließung und Scheidung, Geburten und Todesfällen oder nach den berührenden Erinnerungen an Mutter und Vater, nach der emotionalen Bindung (oder deren Fehlen) zu Geschwister. „Alle zwei Jahre verschicken wir umfangreiche Fragebogen, die auch Platz für offene, persönliche Antworten lassen, alle fünf Jahre nehmen wir Einsicht in die Patientenakten und etwa alle 15 Jahre treffen wir die Teilnehmenden von Angesicht zu Angesicht, beispielsweise auf einer Veranda in Florida oder in einem Café im nördlichen Wisconsin…. Wir haben Blutproben, DNA-Proben sowie jede Menge EKGs, MRTs, EEGs und Hirndiagnosen durch bildgebende Verfahren. Wir verfügen sogar über 25 Gehirne, in einem letzten Akt der Großzügigkeit von Teilnehmenden gespendet“ (Seite 28).

Das gute Leben

Robert Waldinger und Marc Schulz, die die Befunde dieser Ausnahmestudie erläuternd in ihrem Werk „The Good Life“ (2023) zu Papier gebracht haben, bitten ihre Leserschaft gleich zu Beginn um eine fiktive Entscheidung, die sinngemäß in eine Frage gekleidet wie folgt lautet:

Welche Entscheidung, die Sie jetzt treffen könnten, garantiert Ihnen mit relativ größter Wahrscheinlichkeit den besten Weg für eine gute zukünftige Gesundheit und anhaltende Zufriedenheit?

Gesundheit und Zufriedenheit sind für Sie Annährungen für das so genannte erfüllte Leben, was im Eigentlichen gemeint ist (wechselnd auch gutes oder glückliches Leben). Seit der Antike wird hierfür auch der Begriff „Eudaimonia“ verwendet, der ein geglücktes Leben mit den erreichten Anforderungen an ein ethisches Handeln und einem ausgeglichenen Gemütszustand verbindet. Es ist nicht das flüchtige Glück sinnlicher Freuden, für den sich der Begriff „Hedonismus“ eingebürgert hat.

Ich selbst spreche in diesem Zusammenhang gerne von einem gelingenden Leben, weil dadurch das Werden deutlicher als das Sein sprachlich verkörpert wird und damit das Menschsein, phylogenetisch wie ontogenetisch stets in Entwicklungslinien zu denken, augenfälliger zum Ausdruck bringt.

Dieses, nennen wir es mit den Autoren hier gute Leben, wird einem nicht geschenkt, sondern erweist sich im positiven Umgang mit dem, was auf einen einströmt und wie man selbst mit sich und anderen umgeht. Müßiggang kann danach ein Teil eines guten Lebens sein, allein entsteht es hieraus aber nicht:

Ein gutes Leben ist voller Freude… und Herausforderungen. Voller Liebe, aber auch voller Schmerz. Und es ist nicht plötzlich da, es entwickelt sich im Laufe der Zeit. Es ist ein Prozess, der Tumult, Unruhe, Leichtigkeit, Schwere, Kämpfe, Errungenschaften, Rückschläge, Sprünge nach vorn und schreckliche Stürze beinhaltet. Und natürlich endet ein gutes Leben immer mit dem Tod.“ (S. 13)

Soziale Beziehungen – Führungsbeziehungen – für ein gutes Leben

Unbestritten ist das, was Menschen gesund erhält und glücklich macht, regelmäßige Bewegung sowie eine umsichtige Ernährung, daneben beruflicher Erfolg. Am wichtigsten seien jedoch erfüllende Beziehungen. Diese Erfüllung ist weit weg von der Instrumentalität von Beziehungen, die diese auch haben können. Beziehungen als Mittel zum Zweck sind ausdrücklich nicht gemeint. Denken wir hier an Netzwerke, die ich bediene, um etwas zu erreichen, beispielsweise Informationen zu erhalten oder mich anderen gegenüber gut darzustellen.

Auch berufliche Beziehungen sind soziale Beziehungen, wie es Partnerschaften oder Freundschaften in je ihrer Eigenart nun auch sind. Matthias Sutter, Verhaltensökonom, schreibt zur Bedeutung von Beziehungen im Berufsleben (2023, ix): „Im Berufsleben ist es entscheidend, mit anderen Menschen ‚zu können‘, mit Ihnen erfolgreich zusammenzuarbeiten, sie zu verstehen und ihre typischen Verhaltensweisen zu kennen. Das gilt auf allen Hierarchieebenen und allen Stufen des Berufslebens und ist die Basis für persönlichen und unternehmerischen Erfolg“, stellt dabei aber sogleich kurz zuvor fest, „dass es nach wie vor in vielen Unternehmen ein zu geringes Bewusstsein für die Bedeutung des menschlichen Faktors gibt (v)“.

Jede dieser Beziehung hat ihre eigenen Charakteristika. Führungsbeziehungen, denen unsere Aufmerksamkeit als Konkretisierung einer beruflichen Beziehung hier gilt, werden zu solchen und überschreiten damit reine „Leitungsbeziehungen“ formal dadurch, dass Führungsrollen angenommen und Geführtenrollen freiwillig ausgeübt werden. Damit steht von vornherein die Beziehung auf einer ihr gemäßen Grundlage. Wir erkennen sofort, dass es also der Akzeptanz beider Seiten bedarf, um die jeweiligen Rollen, die diese Beziehung konstituieren, anzuerkennen. Inhaltlich kommt es also, folgen wir den obigen Ausführungen, nun aber ergänzend darauf an, dass wir die Beziehung ernst nehmen und sie nicht instrumentalisieren. Ernst nehmen heißt, Resonanzerlebnisse in einer solchen Beziehung zu ermöglichen. Wie sich Resonanz ausnimmt, hat vor einiger Zeit Hartmut Rosa (2016, S. 298) umfänglich beschrieben:

Resonanz ist eine …Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren…. Resonanz ist kein emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus. Dieser ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir traurige Geschichten lieben

Vereinfacht könnte man davon sprechen, dass beiden die Führungsbeziehung nicht gleichgültig ist und sie als lebendig, statt kalt oder entfremdet wahrgenommen wird. Man erwartet in diesem Fall, Erfahrungen zu machen, die für beide Seiten wichtig sind. Diese Erfahrung hängt von den konkreten Personen ab, die diese Beziehung bilden. Eine Führungsbeziehung ist natürlich eine Arbeitsbeziehung. Der Beziehungscharakter ist aber bei einer geglückten Beziehung nicht abhängig von der leistungsbezogenen Anstrengung und dem leistungsbezogenen Ergebnis, auch wenn eine Erwartungsentsprechung sicherlich leichter Raum für eine Vertiefung öffnet. Das Umgekehrte gilt aber nicht: Leistung muss nicht auf eine geglückte Beziehung verweisen, lässt allenfalls vermuten, dass dem so ist. Es ist Respekt vor der Person des Anderen an sich, um den es unkonditioniert geht. Dann kann diese Beziehung zu einer der sozialen Beziehung werden, die ihren Beitrag zu einem guten Leben leistet. Dass in einer Arbeitsbeziehung die organisationsbezogene Leistung des Einzelnen oder des Teams mit darüber entscheidet, wie lange die Person(en) die Arbeitsbeziehung aufrechterhalten, ist ebenso klar. Beides ist aber zumindest analytisch zu trennen.

Natürlich hatte die Führungsforschung den Beziehungscharakter nach Überwindung der Eigenschaftstheorie sukzessive gesehen, doch nicht in der gerade beschriebenen Form, sondern in einer instrumentellen Ausführung. Sicherlich ist es besser, eine gute Beziehung zu pflegen, auch wenn damit das Kalkül verbunden ist, davon zu profitieren, als eine schlechte Beziehung zu führen, unter der die machtschwächere Person typischerweise eher leidet. So gesehen sind die Empfehlungen, wie dieses gelingen kann, auch in der bisherigen Form nicht obsolet. Doch diese Entwicklungsstufe reicht nach dieser Studie und anderen Erkenntnissen nicht aus, einen Beitrag für das eigene erfüllte Leben zu liefern.

Eine Empfehlung für heute und morgen

Das hier empirisch fundierte Theoretisieren über die Bedeutung sozialer Beziehungen, zu denen auch die Führungsbeziehung gehört, ist wichtig, um deren Gewicht für den Arbeitsalltag zu begreifen. Dieses „Begreifen“ kann im nächsten Schritt dazu führen, für sich selbst Konsequenzen zu ziehen. Es muss ja nicht gleich für alle mit dem eingängigen, abschließenden Imperativ münden, mit dem im Jahre 1908 Rainer Maria Rilke sein Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“ beschloss und den Peter Sloterdijk nutzte, gleich ein ganzes Werk zu betiteln: „Du musst Dein Leben ändern“.

Vielmehr ende ich an dieser Stelle mit einer etwas einfacheren Empfehlung des Autorengespanns von Waldinger/Schulz (2023, S. 375), die heute wie morgen voraussetzungsloser umgesetzt werden kann:

Denken Sie an jemanden, nur einen einzigen Menschen, der Ihnen wichtig ist. Jemand, der vielleicht nicht weiß, wie viel er Ihnen wirklich bedeutet… Denken Sie jetzt darüber nach, wofür Sie dieser Person danken würden, wenn sie glaubten, sie nie wieder zu sehen. Und dann – genau jetzt – wenden Sie sich dieser Person zu. Rufen Sie sie an. Sagen Sie ihr, was sie Ihnen bedeutet.“

Kennen Sie vielleicht drei Menschen, denen Sie diese meine kurze Ausarbeitung noch zur Vorweihnachtszeit zukommen lassen möchten? Das würde mich freuen! Und den Empfänger vielleicht ebenfalls.