Wenige Themen im People Management sind so vielschichtig wie die Personalführung. Und keine Chefin, kein Chef gibt gern zu, wenn die Regie nicht rundläuft. Viele merken nicht einmal, wenn ihre Führung aus der Spur geraten ist. Dabei gelten die Vorgesetzten und ihr Verhalten als wichtigster Grund, warum gerade die guten Leute ein Unternehmen verlassen und andernorts auf bessere Leader hoffen.
Was ist die Funktion von Personalführung? Warum brauchen wir Vorgesetzte?
Klaus Türk, ein Soziologe, hätte auf eine solche Frage geantwortet, dass Führung eine Lückenbüßerfunktion hat. Damit meint er: All das, was in einer Organisation nicht durch Strukturen, Kulturen und damit auch Routinen geregelt wird, bedarf eines steuernden, koordinierenden Eingriffs. Empirisch gesehen käme dann der Führung eine gewaltige Aufgabe zu, denn wir alle kennen die Grenzen solcher strategischer, struktureller und kultureller Regelungen, die ja vorab ausgedacht
„Je breiter die fachliche Verantwortungsübertragung, desto weniger wird die traditionelle Chef Rolle gespielt.“
werden müssen und anlassbezogen zu aktualisieren und zu ergänzen sind.
Meine Antwort auf Ihre Frage lautet: Führung ist die Kraft, die einen Unterschied macht, also aus Organisationshüllen einen lebendigen Organismus hervorzaubert, der die Welt aller, die diesen Organismus in seiner Vielgestaltigkeit prägen, zum Besseren verändern und die Organisation zur höchstmöglichen Leistungsfähigkeit entfalten kann. Deshalb brauchen wir Führung, doch sollten wir dies keinesfalls mit Führungskräften gleichsetzen. Führungsleistungen werden an unterschiedlichen Orten erbracht und lange sind es nicht immer die formal dafür Vorgesehenen, die dies tun. Und zudem tun sie dies nur so lange, wie die Geführten es wollen, denn sonst fallen sie sofort wieder auf eine reine Leitungsposition zurück, auf der sie nichts haben als das abgeleitete Direktionsrecht, ein bestimmtes Verhalten in Grenzen anzuweisen. Offen gestanden: Davon benötigen wir heute immer weniger. Wie viele leiden darunter! Wir sollten die aktive und gestaltende wichtige Rolle von Followership zukünftig also viel stärker machen. Man denke an die sozialen Netzwerke. Hier haben Follower eine erhebliche Macht. Ohne sie ist ein Influencer nichts! Follower liken und gestalten dadurch. In Organisationen ist dies ähnlich, nur wird das
„Führung hat dann ihre Berechtigung, wenn Sie einen Mehrwert für diejenigen besitzt, die ihre Freiheit ein Stück weit freiwillig einer Person unterwerfen.“
zu wenig wahrgenommen, vor allem von denjenigen, die nur in ihrem eigenen Kosmos meinen, eine überragende Führungskraft zu sein.
Einer der sozioökonomischen Megatrends ist die Partizipation. Schrumpft mit ihr nicht der Bedarf an Personalführung, geht er bald sogar gegen null?
Kluge Herrscher und Herrscherinnen wussten stets um den Wert eines Ratschlags. Und das ist ja schon eine etwas weiter gehende Form der Partizipation im Vergleich zu einer Begründung, die ich für eine Entscheidung gebe, die die anderen an meinem Denken teilhaben lässt. Heute steht Partizipation weitestgehend für die Beteiligung an einer Entscheidung, die in einem definierten Rahmen dann auch selbst und eigenständig getroffen werden kann. Modern ist dies allerdings nicht und dies hat auch keinen Einfluss auf die Anzahl oder die Bedeutung von Führungskräften. Wer sich mit zeitgenössischen Strömungen auseinandersetzt, erkennt, dass es heute um etwas ganz anderes geht: nämlich um die Pluralisierung von Führung. Dies hat überhaupt nichts mit einer Reduktion von Führungsaufgaben zu tun, sondern kreist um eine Verbreiterung derjenigen, die diese wahrnehmen, bis hin zum Gedanken einer gemeinschaftlich ausgeübten Führung. Je breiter die fachliche Verantwortungsübertragung, desto weniger wird die traditionelle Chefrolle gespielt. Die Beziehungsgestaltung und Infrastrukturoptimierung, in der Regel auch die Repräsentation des Teams nach innen wie außen bleiben Sache der Vorgesetzten. Ausnahmen sehen wir vor allem bei überlappenden Organisationsstrukturen, in denen auch Teammitglieder ihre Gruppe horizontal wie vertikal vernetzen, durchaus auch über die Unternehmensgrenze hinweg mit Kunden, beispielsweise bei gemeinsamen Projekten.
Springen wir zum Gegenteil von Partizipation. Wenn der Karren tief im Sumpf steckt, wachsen die autoritären Erlösungsfantasien. Sind heroische, charismatische Leaderinnen und Leader in der Lage, einen gordischen Knoten zu lösen?
Führung hat nur in Ausnahmefällen mit der Lösung eines gordischen Knotens zu tun. Was mir an dem Bild gefällt, ist die Unkonventionalität der Lösung, was mir nicht gefällt, ist der Verzicht auf die Angemessenheit der unkonventionellen Vorgehens- weise, das heißt nichts anderes, als dass unlautere Mittel nicht ausgeschlossen werden können, um ein schwieriges Problem zu lösen. Damit sind wir schnell beim Bad Leadership. Ich selbst verschließe mich einer charismatischen Führung, der ich bereit wäre zu folgen, nicht, weiß aber um die Umsicht und Vorsicht, die von Followern gezeigt werden müssen. Die Verfehlungen von und Katastrophen durch „tolle Hechte“ sind Legende. Keinesfalls würde ich pauschal zustimmen, dass eine heroische Führung automatisch eine bessere Problemlösung bewirken würde. Angesichts empirischer Evidenz hielte ich dieses für falsch, dafür ist die Welt zu komplex. Es ist die alte Sehnsucht, die in vielen von uns steckt. Aber am meisten oder am Ende alles hat derjenige davon, der vorgibt, uns ins gelobte Land zu führen. Nur sollten dann nach dem Anstoß durch den Leader, die Leaderin alle mit eigenem Verstand ans Werk gehen und beständig prüfen, wer im nächsten Schritt der oder die Beste zur Lösung von Führungsproblemen ist. Die Halbwertszeiten von Heroinnen und Heroen sind mittlerweile sehr kurz geworden.
Beim Stichwort Führung fällt es leicht, aus dem Stand das angelernte Wissen aus Studium und Training abzurufen. Zudem haben wir natürlich unsere alltäglichen Erfahrungen als Führungskräfte oder Mitarbeitende. Aus Ihrer Feder stammt ein Klassiker zur Personalführung mit zig Theorien und Konzepten. Welchen Ansatz finden Sie am wichtigsten? Und warum ist dieser ihr Darling?
Ich kenne zu viele Theorien, Konzepte, Modelle und Tausende von Studien, um hier eine einfache Antwort abzuliefern. Wie sagt man so schön, es kommt drauf an. Ich weiß nur, dass Führung dann ihre Berechtigung hat, wenn sie einen Mehrwert für diejenigen besitzt, die ihre Freiheit ein Stück weit freiwillig und widerrufbar einer Person unterwerfen, und diese Person dies auf legitime Art und Weise hinbekommt. Und nicht zu vergessen: die dann dafür Sorge trägt, dass dieser Mehrwert gerecht verteilt und transparent ausgewiesen wird. Ein Mehrwert kann übrigens materiell wie immateriell sein. Der Mehrwert, der durch Führende geschaffen wird, ist mit dem abzugleichen, den andere Akteure liefern können oder könnten. Im Allgemeinen gilt, dass heute viele Menschen prinzipiell in der Lage wären, Führungsaufgaben zumindest für eine bestimmte Zeit zu übernehmen. Sie sollten ihre Chance bekommen, wenn sie dies anstreben. Manche sind auch dazu zu ermuntern, das sind nicht immer die schlechtesten Vorgesetzten, wie die Erfahrung zeigt. Führung kann nämlich eine bereichernde Erfahrung sein, die niemandem aus fadenscheinigen Gründen vorzuenthalten ist. Und falls es für jemanden halt doch noch nicht ganz reicht, eine Führungsposition auszufüllen, er oder sie das aber unbedingt möchte, rate ich dazu, ihm oder ihr die Chance zur Entwicklung – mit Training und Coaching – einzuräumen.
Mir sagt besonders die Idiosynkrasie-Kredit-Theorie zu. Können Sie bitte unseren Leserinnen und Lesern erläutern, was sich hinter diesem komplizierten Begriff verbirgt und worin der Charme dieses Ansatzes liegt? Sie können dies bestimmt besser als ich.
In der Tat ist die Idiosynkrasie-Kredit-Theorie der Führung zwar eine alte, aber doch höchst interessante Führungstheorie. Edwin Hollander, der sich vor allem für die Führung in Gruppen interessierte, bemerkte sehr früh, dass Führerinnen und Führer akzeptiert sein müssen, um Einfluss auszuüben. Ausgangspunkt der Überlegungen war für ihn dabei ein scheinbares Paradoxon: Von Inhaberinnen und Inhabern einer Führerposition wird erwartet, dass sie sowohl überdurchschnittliche Konformität im Hinblick auf die Verfolgung von Gruppennormen zeigen als auch Veränderungen initiieren, die eine Abweichung von etablierten Denk- und Verhaltensmustern impliziert. Führende sind demnach Konformisten wie auch Abweichler. Nur, wann gilt was und worauf stützt sich die Akzeptanz, die der Führungsperson ihren Kredit verleiht?
„Merke: Übernimmst du die Führung an in deinem Team, baue erst deinen Kredit auf, bevor du Änderungen angehst.“
In seiner Idiosynkrasie-Kredit-Theorie der Führung gab Hollander eine Antwort, die bis heute sehr anregend ist. Es ist in aller Regel so, dass einige Gruppenmitglieder mehr als andere nützliche Beiträge zur Lösung der Hauptaufgabe dieser Gruppe liefern und/oder sich um den Gruppenzusammenhalt besonders verdient machen. Hollander nimmt an, dass die einzelnen Gruppenmitglieder diese Anstrengungen sehr genau wahrnehmen und auch honorieren. Personen, die Leistungs- und Konformitätsbeiträge erbringen, erwerben einen Kredit. Der verwendete Begriff des „Kredits“ ist dabei auf das englische Wort „credit“ zurückzuführen, dessen Bedeutung sowohl ein Schuldverhältnis als auch den Erwerb eines Guthabens einschließt. Dieser Kredit ist hier primär eine Form der Anerkennung, die idiosynkratisch, das heißt spezifisch auf eine einzelne Person bezogen, gewährt wird. Er ist vergleichbar mit einem Sparbuch, auf dem unregelmäßige Einzahlungen getätigt werden, sodass sich das Vermögen stufenweise erhöht, das jedoch nicht beliebig, sondern nur zum Wohle der Gruppe „verausgabt“ werden darf.
Hollander geht davon aus, dass eine Person erst mit der Zeit einen überdurchschnittlichen Kredit erwirbt. Dies bedeutet, dass sich diese Person durch ihre Kompetenz und Konformität in einem besonderen Maße um die Gruppe verdient gemacht hat. Dafür wird dieser Person Führerschaft zuerkannt. Aus austauschtheoretischer Perspektive geben die jetzt Geführten der führenden Person für deren Leistungen ihre Bereitschaft zurück, auf die Ideen, Anweisungen etc. einzugehen, und gewähren der/dem Führenden einen höheren Status und Wertschätzung. Es wird dabei davon ausgegangen, dass nur jene Personen für Führungspositionen infrage kommen, von denen man annimmt oder die erkennen lassen, diese Position auch besetzen zu wollen.
Dieser Kredit ermöglicht nun der/dem Führenden, vom bisherigen Verhalten abweichende Aktivitäten zu zeigen, was auch als produktive Nonkonformität zu verstehen ist. Merke: Übernimmst du die Führung in deinem Team, baue erst deinen Kredit auf, bevor du Änderungen angehst. Hast du das Gefühl, keinen Kredit zu besitzen, weißt du, wo du ansetzen musst: Kultur, Kohäsion und Teamgeist einerseits, Leistungsausweise andererseits. Sonst wird es nichts mit der von dir gewünschten Transformation.
Bringt die oft zitierte Unterscheidung zwischen transaktionalem Management und transformationalem Leadership eigentlich einen Mehrwert für die Praxis?
Ihre Frage ist zu kompliziert gestellt, weil sie gleich zwei Ebenen durcheinanderwirbelt. Zum einen zielt sie auf die Unterscheidung von Transaktion und Transformation ab, zum anderen auf die zwischen Management und Leadership. Über die Unterscheidung von Management und Leadership ist sehr viel geschrieben worden und wir können es analytisch auch trennen. Führungskräfte in der Praxis sind aber mit beidem konfrontiert, es sei denn, ich definiere die Leadership-Funktion als einen Teil der Managementaufgaben. Warum nimmt man sie aber raus? Um die besondere Bedeutung der Führung (= Leadership) zu unterstreichen. Management ist dann alles außerhalb der Führung, zum Beispiel Einkauf, Logistik oder Administration.
Zur zweiten Ebene: In den Führungstheorien kennen wir die Begriffe einer transaktionalen Führung und einer transformationalen Führung. Eine transaktionale Führung basiert auf einer austauschtheoretischen Vorstellung: Vorgesetzte stellen materielle wie immaterielle Belohnungen bei einer Zielerreichung in Aussicht; ihr Umfang bemisst sich meist nach Grad und Qualität der Zielerreichung. Mitarbeitende arbeiten an Aufgaben, erreichen ihre Ziele oder auch nicht. Führungskräfte gewähren die in Aussicht gestellten Belohnungen
„Generell ist eine digitale Führung einer Führung in Präsenz hinsichtlich der Möglichkeit der Einflussnahme nachweisbar unterlegen. Über den Bildschirm lässt sich weniger gut führen als im direkten persönlichen Kontakt.“
nach einem vorab definierten Kriterienkatalog oder nach eigenem Gutdünken, wobei auch Loyalität etc. gewürdigt werden kann.
Die transformationale Führung, die empirisch sehr gut hinsichtlich ihrer Wirkung abgesichert ist, beschreibt hingegen verschiedene Verhaltensweisen, die, sofern richtig praktiziert, mit besonderem Erfolg einhergehen. Beispielsweise inspirierend auf die Mitarbeitenden zu wirken, um im ersten Schritt ihre Motivation zur Zielerreichung zu erhöhen, damit sie im zweiten Schritt ein höherwertiges Arbeitsergebnis abliefern. Der Charme einer inspirierenden Motivation ist, dass sie zwar von außen angestoßen wird, aber unmittelbar in eine intrinsische Motivation überwechseln kann. Deshalb spielt die Inspiration in der Führungspraxis eine solche Rolle. Das lässt sich gut an den Geschichten über solche Leader ablesen, die das nach kolportierter Auffassung von Beteiligten offenbar hinbekommen. Die Grenze zur heroischen Überhöhung ist in diesen Geschichten leider fließend, sodass ich empfehle, nicht jede dieser Storys für bare Münze zu nehmen.
Inzwischen verstärkt sich die virtuelle, digitale Führung. Manchmal treffen Mitarbeitende ihre Vorgesetzten über Monate nicht persönlich. Was sind die Erfolgsfaktoren für diese „Führung aus Distanz“?
Das ist gegenwärtig eine höchst aktuelle Frage und das wird sie aufgrund der erweiterten Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, auch bleiben. Das berührt die Führung massiv, aber auch die Zusammenarbeit im Team. Generell ist eine digitale Führung einer Führung in Präsenz hinsichtlich der Möglichkeit der Einflussnahme nachweisbar unterlegen. Über den Bildschirm lässt sich weniger gut führen als im direkten persönlichen Kontakt. Für alle Leserinnen und Leser, die mehr über die Erfolgsfaktoren erfahren möchten, verweise ich auf eine kostenlose Veröffentlichung (siehe Kasten).
Ein landläufiger Spruch ist das 4-M-Prinzip: Man muss Menschen mögen. Was mache ich mit einer Führungsperson, die eine andere Mentalität hat?
Wie viele Merksätze ist auch dieser bei genauerer Betrachtung unergiebig. Letztendlich hat man immer mit konkreten Menschen zu tun und nicht mit einer abstrakten Kategorie. Sicher, wer anderen Menschen lieber aus dem Weg geht, sollte sich beruflich nicht in Situationen bewegen, in denen es essenziell ist, mit Menschen zu kommunizieren, ihre Anliegen und Emotionen zu verstehen, und in denen man zuvorderst dafür verantwortlich ist, einen Resonanzraum aufzuspannen. Der Maßstab, der dabei anzulegen ist, ist der der Gerechtigkeit, nicht der des Mögens und damit der Sympathie. Bei Führungskräften scheint mir entscheidend zu sein, allen Mitarbeitenden, die sich einbringen möchten, gleichermaßen gerecht zu werden, unabhängig davon, ob man sie sympathisch findet. Ich weiß natürlich, dass dies nicht immer funktioniert, aber das ändert ja nichts an meinem steten Bemühen. Gleichsam gilt, dass das, was die jeweiligen Mitarbeitenden einbringen, unabhängig von meiner emotionalen Position ihnen gegenüber, zu würdigen ist. Eine ganz andere Frage ist, ob ich dauerhaft mit Personen zu tun haben möchte, die mir nichts geben und denen ich nichts geben kann. Das gilt im Privaten übrigens auch.
Ist es überhaupt möglich, einen Saulus mit schlechtem Menschenbild zum Paulus mit guter Personalführung zu drehen?
Entwicklung und Wandel gehören zum menschlichen Dasein. Allerdings sind die Möglichkeiten begrenzt. Organisationen sind auch keine Charakterwaschanlagen. Personen, die absolut nicht passen oder trotz Gespräch und Hilfestellung weiterhin eine schlechte Führung praktizieren, sollten ihre Zukunft woanders suchen, je eher, desto besser.
Im Performance Management werden beim Zielkonflikt zwischen Verkaufsstar und Führungsgurke meist beide Augen zugedrückt. Verständlich! Aber auch richtig?
Nein, vollkommen falsch. Verständlich finde ich das auch nicht. Für andere Menschen oder das Team ist es eine Zumutung, sich mit solchen Vorgesetzten auseinandersetzen zu müssen, die in aller Regel das Team benötigen, um selbst erfolgreich zu sein. Sie haben mich ja nicht nach jemandem gefragt, der ganz für sich alleine vor sich hinarbeitet und nur bei der Übermittlung seiner Umsatzzahlen ab und an Kontakt zur Organisation hält.
Um zur Personalführung wenig geeignete Typen in andere Bahnen zu lotsen, gibt es vielerorts die sogenannte Fachlaufbahn. Sie dient als Ausweichpfad, wenn es mit der Karriere über die Führungslaufbahn nicht klappt. Weil bekanntlich die hierarchischen Pyramiden nach oben hin immer schmaler werden. Was raten Sie einem ambitionierten Menschen, der auf einer Fachlaufbahn feststeckt?
Wer irgendwo feststeckt, bewegt sich bekanntlich nicht, und das allein ist schon ungesund. Abgesehen davon sind Fachlaufbahnen nicht nur Sackgassen aufgrund eines mangelhaften Führungsvermögens, sondern auch interessante Entwicklungsmöglichkeiten für alle, die ihre Zeit einer Sache, im besten Fall ihrer Passion widmen. Organisationen sollten das entsprechend würdigen, als wertgeschätzte Karriereoption.
Der Chef oder die Chefin soll zum Coach ihrer Teammitglieder werden. Schön und gut. Aber wo beginnt der Rollenkonflikt beim gleichzeitigen Fördern und Fordern?
Der Rollenkonflikt ist bei einem richtig verstandenen Coaching unauflösbar. Deshalb gibt es gelegentlich intern vorgehaltene Angebote weisungsunabhängiger Coaches oder externe Expertise, die gebucht werden kann. Es ist wichtig, sich als Führungskraft verschiedene Coaching-Techniken anzueignen, beispielsweise aktives Zuhören oder von der Sage- zur Fragehaltung wechseln. Positive Begleiterscheinung: Dies gelingt nur, wenn man sich auch mental darauf einstellen kann. Und das heißt in vielen Fällen, ohne Vorannahmen und Vorurteile aus der Warte des Mitarbeitenden zu denken – welch neue Erfahrung für so manche Führungskraft darin liegen könnte.
Wir kennen „übersichere“ Chefs (wollen alles wissen) und „untersichere“ Chefs (möchten nichts wissen). Liegt das richtige Maß in der Mitte?
Seit Platon und Aristoteles sollte klar sein, dass das richtige Maß im Regelfall das ist, was Extreme vermeidet. Die Handlung muss zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig ausgewogen sein. So liegt Zuversicht zwischen den Extrema der Tollkühnheit (Zuviel) und der Feigheit (Zuwenig). Wer nun für diese Mäßigung eine Handreichung erwartet, der verkennt die Situation. Es ist die eigene Urteilskraft, die Klugheit, die dieses Maß auf Vernunftbasis immer aufs Neue auszutarieren hat. Klug ist aber auch, die eigenen Handlungen im Nachhinein zu reflektieren oder gelegentlich im Vorhinein um Rat zu fragen, ohne am Ende die Verantwortung für das eigene Tun abzugeben.
Über „richtige“ Führung haben alle ihre eigene Meinung. Auch Mitarbeitende, die noch keine Führungsverantwortung hatten und noch keine Zielkonflikte lösen mussten. Wie schaffe ich es, zu verdeutlichen, dass gute Führung nicht ganz easy ist?
Nun, wenn es ganz „easy“ wäre, würde es auch nicht besser bezahlt werden. Und die Praxis würde nicht gewaltige Beträge in die Leadership-Weiterbildung investieren. Und die Wissenschaft würde sich nicht seit mehr als 100 Jahren damit auseinandersetzen. Und wir würden dieses Interview nicht ernsthaft führen. Aber die Botschaft, die ich abschließend mitgeben möchte, lautet: Führung macht einen Unterschied, oftmals den alles entscheidenden. Es lohnt sich deshalb, alles dafür zu tun, um die Möglichkeiten zu kennen, die sie bietet, und jedes Mal aufs Neue zu überlegen, wer es diesmal sein kann, der den Unterschied bewirkt: ich selbst, ein Teammitglied oder wir alle gemeinsam.
Herr Weibler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Martin Claßen. Es ist zuerst erschienen in der Startausgabe des Fachmagazins:
people&work (Heft 1/21. September 2021, S. 24-30). Martin Claßen ist dort geschfd. Herausgeber.