Motivationstheorien sind ein wichtiges Fundament der Managementlehre, insbesondere der Führungslehre. Wenn jemand etwas aus dem Dunstkreis der Motivation je gehört und mitgenommen hat, dann ist es die Maslowsche Bedürfnispyramide. Sie gilt als einer der bekanntesten Ansätze der Managementlehre überhaupt und ist untrennbar verbunden mit der geometrischen Form der Pyramide. Die Sache hat nur ein unschönen Haken: Die Pyramide hat Maslow nie entworfen oder gar erstellt. Wie es wirklich war, warum sich diese Vorstellung über einer der bekanntesten Psychologen weltweit bis heute gehalten hat und was wir daraus lernen können, ist Gegenstand des nachfolgenden Beitrags.

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Wer kennt sie nicht, die Maslowsche Bedürfnispyramide. Sie gilt als einer der bekanntesten Managementansätze überhaupt. Niemand, der jemals etwas von Bedürfnissen und Motivation gehört hat, konnte ihr ausweichen. In der Führungslehre hat sie ihren festen Platz. Jedem bleibt die Verbindung von Pyramide, Bedürfnis und Maslow in nahezu unauslöschbarer Erinnerung. Leider ist die Erinnerung so stabil wie falsch. Weder hat Maslow diese Pyramide entworfen noch sie aktiv verbreitet. Wie es dazu kam, was an dieser Motivationstheorie dennoch richtig ist und was wir aus einer vom Original gelösten Darstellung wie Interpretation generell lernen können, weist Leadership Insiders nun aus.

Die Maslowsche Bedürfnispyramide (die Maslow zugeschriebene Bedürfnispyramide!)

Was treibt Menschen an? Diese existenzielle Grundfrage ist in der Managementlehre den Motivationstheorien zur Beantwortung anheimgestellt. In diesen Theorien finden sich verschiedene Ausformungen, die wiederum unterschiedliche Bereiche des Motivationsgeschehens fokussieren. Aber eines ist in den Lehrbüchern fast immer gleich: Die Motivationstheorie von Abraham Maslow, die im Wesentlichen 1943 und in Fortführung dann 1954 entwickelt wurde, ist der Beginn der Auseinandersetzung mit jeglichen Fragen der Motivation.

Maslow unterscheidet bekanntermaßen fünf Bedürfnisklassen. Diese werden in der Literatur durchaus etwas anders, gerade bei Übersetzungen, benannt. Ich wähle nachfolgend die populären Bezeichnungen von Douglas McGregor (1960, übersetzt.)

Bedürfnispyramide, aufbauend auf Abraham Maslow (die Pyramide wurde von Maslow selbst weder entworfen noch genutzt). Die Pyramidenform ist erstmals bei Charles McDermid 1960 zu finden. Maslow selbst betitelte seine Bedürfnisklassen wie folgt: physiological, safety, belongingness and love, esteem, self-actualization).

Maslow hat seine Erkenntnisse zur Motivation von Menschen mit Bezug auf sein wissenschaftliches Fundament, die Phänomenologie und den Existenzialismus, formuliert. Erfahrungswissen, das er u.a. durch zahleiche tiefgehende Interviews reichhaltig besaß, war ihm für seine existenzielle Psychologie wichtiger als abstrakte Kategorisierung. Dies wirkt sich auf die gefundenen Klassenbezeichnungen (physiologische Bedürfnisse … Selbstverwirklichung) wie auf die dahinterliegenden Klasseninhalte aus.

Maslow selbst hat seine Überlegungen nie in ein Diagramm oder eine geometrische Form überführt, wie Todd Bridgman, Stephen Cummings und John Ballard in einer managementhistorischen Arbeit in 2019 minutiös nachgewiesen haben.

Warum wurde die Maslowsche Bedürfnispyramide so populär?

Die Popularität der Maslowschen Pyramide resultiert zunächst daraus, dass Inhalt und Form extrem eingängig sind und sich gegenseitig stützen. Die Sprache ist leicht verständlich. Der Inhalt selbst entspricht sehr gut der Alltagspsychologie menschlicher Motivation: Erst die Pflicht (physiologische Bedürfnisse), dann die Kür (Bedürfnis nach Selbstverwirklichung), so sind wir in unserer Kultur vermutlich mehrheitlich sozialisiert:

Pointiert hat Bertolt Brecht (1928) dies bekanntermaßen in einem anderen Zusammenhang wie folgt formuliert:

„Das eine wisset ein für allemal,
Wie ihr es immer dreht, und wie ihr’s immer schiebt,
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“
Die Dreigroschenoper, MacHeath

Die Pyramide als geometrische Form steht wie kaum eine zweite für Eindeutigkeit, Klarheit, Vollkommenheit, Stärke und Stabilität. In der Architektur vergangener Reiche (Ägypter, Maya) taucht sie ebenso auf wie in jener der Moderne (Glaspyramide im Innenhof des Louvre). Das kommt nicht von ungefähr, denn als ein Mehrwert wird ihr in einschlägigen Kreisen ein spiritualistisches Potenzial (wie z.B. in der Abbildung auf der Ein-Dollar-Note der Vereinigten Staaten) zugeschrieben. Denn die Form der Pyramide verfügt über eine Art interpretative Transzendenzassoziation, sei es ob der nach oben ragenden Spitze oder über einen imaginierten (mystischen) Dreiklang, den drei Seiten entsprechend, beispielsweise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Hinzu tritt eine bemerkenswerte Parallelität, die die Legitimation der Bedürfnispyramide im Managementkontext indirekt erhöht. Denn die Pyramidenform wird ebenfalls gewählt, wenn die Managementhierarchie grafisch verdeutlicht werden soll. Dadurch ergibt sich für den Betrachter ein zumeist unbewusster, dennoch einprägsamer Gleichlauf zwischen dem Aufbau einer Organisation und dem Aufbau der menschlichen Bedürfniswelt. Beiden ist gemein, dass der jeweils höchsten Stufe die höchste Wertigkeit zugesprochen wird und die unterste Stufe quasi „nur“ lebensnotwendige operative Arbeiten zu verrichten hat. Beides kann zielgerichtet durch das Management gestaltet werden. Die „heilige Ordnung“, das ist die Bedeutungswurzel von „Hierarchie“, manifestiert sich damit in Form und Inhalt. Mehr bedarf es für eine Selbstevidenz nicht.

Praktischerweise traf Maslow mit der besonderen Betonung der Selbstverwirklichung den Zeitgeist der Nachkriegsjahre. Selbst mit Anspruch auf eine humanistische Orientierung trat er für eine Psychologie ein, die auf die Entfaltung des Potentials der Persönlichkeit setzte. Diese könne dann gelingen, wenn die niedrigen Bedürfnisse, so Maslow, befriedigt sind und höherwertige Bedürfnisse Raum greifen.

Der humanistische Psychologe Douglas McGregor, höchst selber berühmt durch seine Differenzierung des Menschenbildes in X (negativ, kontrollierend) und Y (positiv, entfaltend), war mehr als nur inspiriert durch die Arbeiten von Maslow, ohne bestimmte Übernahmen allerdings ausreichend in seinem extrem populären Werk „The Human Side of Enterprise“ (1960) zu kennzeichnen. Dennoch bereitete er den Boden für die Verbreitung der Maslowschen Bedürfnispyramide, u.a. weil er den Bedürfnisklassen griffige Namen gab – dies dann allerdings zum Preis der „pyramidischen“ Fehlinterpretation.

Im Gegensatz zu Maslow selbst postulierte er nämlich die Notwendigkeit der Erfüllung unterer Bedürfnisse, bevor sich höherwertige in den Vordergrund schieben können. Maslow ging von einer möglichen Gleichzeitigkeit in der Aktivierung verschiedener Bedürfnisklassen aus, die ein munteres Auf und Ab ermöglichen. Konkret: Warum sollte, und das zielt auf das Brecht-Zitat ab, Moral nicht auch in der Not handlungsbeeinflussend sein? Von daher ist die Metapher der „Leiter“, die früher häufig Verwendung fand, die dem Original getreuere. Auch sah Maslow die hierarchisch konzipierten Bedürfnisklassen als weit verbreitet, nicht jedoch als universell an, wie McGregor tat, sondern betonte kulturelle wie individuelle Unterschiede. Ein Beleg (Maslow 1943, S. 387):

“There are other, apparently innately creative people in whom the drive to creativeness seems to be more important than any other counter-determinant. Their creativeness might appear not as self-actualization released by basic satisfaction, but in spite of lack of basic satisfaction.”

Die Umdeutung nahm aber erst dann richtig Fahrt auf, als der Berater Charles McDermid in 1960 die Pyramide als Form entwarf, um in einem Praktikerjournal Bedürfnisse mit Vergütungsplänen zu verbinden. Sein Ziel: maximale Motivation zu den geringsten Kosten. Das zog damals wie heute: eingängig, nicht überfordernd, trainierbar, monetarisierbar. Für die Wissenschaft und ihre Lehrbücher war es ebenfalls ein idealer Einstieg in das weite Feld der Motivation.

Lehren aus dem Jahrhundertirrtum

Dass die Wissenschaft nicht vor Irrtümern gefeit ist, ist nicht neu, darf aber gerne noch einmal herausgestellt werden. Dass sich fleißig origineller Denker bedient wird, ohne es angemessen zu würdigen, lehrt die Wissenschaftsgeschichte um Abraham Maslow auch. Bedeutsam für die Popularisierung wird es dann, wenn griffige Formulierungen gefunden werden, die sich gut vermarkten lassen. Das ist im Unternehmenskontext bekanntermaßen nicht anders.

Und schließlich benötigt man jemanden, der eine Multiplikatorwirkung für die Praxis besitzt. Dies war damals wie heute die Beratungsindustrie, die es immer wieder schafft, tatsächlich interessante oder auch nur scheinbar interessante Theorien, Konzepte und am liebsten Modelle marktgängig zu kommunizieren und zu verkaufen. Geometrische Figuren (Formen) können die Kommunikation unterstützen, sie sogar entscheidend prägen. Im Falle Maslow ist die Quasiidentität von Form und Inhalt wie nirgends sonst in der Managementgeschichte erreicht worden, leider zum Preis formaler wie inhaltlicher Irrtümer. Das ist neben der Aufforderung, sich mit dem Original, und nicht nur dem Nacherzähltem zu beschäftigen, in der heutigen Medienlandschaft eine wichtige Lehre. Die andere besteht darin, zu reflektieren, wie die bildliche Darbietung einer Information die eigene Aufmerksamkeit beeinflusst und was sie in einem auslöst. Da dies unbewusst passiert, ist das Wissen darum der einzige Schutz.

Auch wenn Maslow im Gegensatz zu anderen Managementtheoretikern, die erst nach ihrem Tode bekannt wurden, sich noch ein Jahrzehnt über seinem Bekanntheitsgrad, den vor allem andere vorangetrieben haben, hat erfreuen dürfen, wurde sein Grundanliegen dennoch verzerrt. Der Preis war also auch für ihn hoch. Er hatte nämlich mit Nützlichkeitsüberlegungen für Organisationen wenig im Sinn. Ihm ging es um das Individuum und das bestmögliche Einlösen des Potenzials eines jeden einzelnen von uns. Er war eben ein humanistischer Psychologe, dem der Mensch etwas bedeutete und dem er seine eigentliche Arbeit widmete. Ihm war es wichtig, dass Menschen ihre Kreativität entfalten und sich Konformismus entziehen konnten, so die Einordnung des Forscherteams um den zurzeit in Neuseeland lehrenden Todd Bridgman.

Damit passt das Anliegen von Abraham Maslow hervorragend in die heutige Zeit. Allerdings auch seine Frustration. Er war tief enttäuscht darüber, dass sich die wenigsten Theoretiker wie Praktiker dem humanistischen Ziel seiner Forschung verpflichtet sahen, sondern stattdessen die Forschungsergebnisse zur fortschreitenden Ökonomisierung des menschlichen Antriebs in Organisationen nutzten. Für ihn war der Mensch Zweck in sich, Selbstzweck also, und nicht Mittel zum Zweck – womit er im Übrigen Kants berühmter Zweckformel des Kategorischen Imperativs entsprach. Bis zum Schluss seiner Schaffenskraft arbeitete Maslow an der Integration von Arbeit und Leben. Ein halbes Jahrhundert später ist dies unter dem Signum New Work wieder extrem modern.

Bridgman, T./Cummings, S./Ballard, J. (2019): Who Built Maslow’s Pyramid? A History of the Creation of Management Studies’ Most Famous Symbol and Its Implications for Management Education.  In: Academy of Management Learning & Education, 18(1), 81-98

Maslow, A. (1943): A theory of human motivation. In: Psychological Review, 50(4), 370-396

Maslow, A. (1954): Motivation and personality, New York

McDermid, C. D. (1960): How money motivates men. In: Business horizons, 3(4), 93-100

McGregor, D. (1960): The Human Side of Enterprise, New York