Der Blick in die Zukunft hat Führende – und sicher nicht nur sie – schon immer interessiert. Das gilt selbstredend auch für die „Zukunft der Arbeit“. Befasst man sich jedoch genauer mit dieser Materie, dann erkennt man schnell: Auf dem Markt ist hier nicht nur eine Art von Zukunft, sondern eine Vielzahl von „Zukünften“, die in ihren Aussichten unterschiedlicher kaum sein könnten. Manche Prognosen scheinen dabei von Optimisten entworfen zu sein, denn sie verheißen den Arbeitenden und der Gesellschaft insgesamt vor allem viel Gutes; andere müssen von Pessimisten entstammen, da so manche Inaussichtstellung dystopischer kaum sein könnte. Angesichts dessen gilt es eigentlich zu fragen: Wer hat recht? Die Optimisten oder die Pessimisten? „Falsche Frage!“ lautet das Motto einer überaus spannenden Untersuchung des Belgischen Autorentrios um Nicky Dries. Leadership Insiders zeichnet nach, welche Frage die Forschenden stattdessen für die richtige halten.
Prognosen wecken Emotionen: Methoden und Hintergründe der Studie
Die hier nachgezeichnete Studie der Belgischen Organisationsforschenden Nicky Dries, Joost Luyckx und Philip Rogiers (2023) gründet auf zwei Datensätzen: Zunächst einer qualitativen Auswertung von 485 Print-Beiträgen, die zwischen 2015 und 2021 erschienen sind und sich mit der Zukunft der Arbeit befassen, sowie einer anschließenden quantitativen Auswertung der beruflich-fachlichen Hintergründe der jeweiligen Verfasser dieser Beiträge. Geschuldet ist letztere Datenerhebung der Erkenntnis der Autoren, dass Kollegen und Partner in Gesprächen überaus unterschiedlich und teilweise auch sehr emotional auf einzelne Prognosen reagierten. Dazu kam, dass nicht zuletzt auch sie selbst völlig unterschiedliche Einstellungen zu bestimmten Prognosen hatten, was sie mit ihren unterschiedlichen berufsfachlichen Hintergründen (Psychologie, Geschichte, Betriebswirtschaftslehre) erklärten. Die mitunter hohe Emotionalität, die bestimmte Zukunftsszenarien bei manchen Gesprächspartnern hervorriefen, führten sie auf die häufig „deterministisch-depolitisierte“ Grundanlage dieser Prognosen zurück, sprich: deren Subtext, dass bestimmte Innovationen und Technologien, einmal erschaffen, sich quasi „aus sich heraus“ durchsetzen, der Mensch somit kaum oder keinen Einfluss auf seine Zukunft nehmen kann und am Ende womöglich ein Kampf Mensch gegen Maschine in Aussicht steht (den letztere in der Regel gewinnt). Wir kommen hierauf zurück. Doch schauen wir zunächst auf die Inhalte der verschiedenen Prognosen, die Nicky Dries und ihre Kollegen auf sieben Narrative (Erzählungen!) verdichten.
Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Sieben Narrative im Angebot
- Dataism – weiter steigende Bedeutung von Algorithmen und Big Data; Entstehung von Daten-gesteuerten Gesellschaften; Abschied vom Privaten; zunehmende Abhängigkeiten von Technologien und technokratischen Eliten.
- Exterminism – Horten von Ressourcen durch die Reichen, Vernichtung aller menschlichen Arbeit von nur geringem bzw. ohne ökonomischen Wert; weiter zunehmende Ungleichheit der Verteilung; dazu Klimawandel und ökologische Katastrophen.
- Re/Upskilling – Notwendigkeit zum kontinuierlichen Lernen angesichts schnell überholter Qualifikationen; Schritt halten mit den neuen Technologien; Automatisierung vieler Arbeiten bei gleichzeitiger Entstehung neuartiger Jobs; Kollaboration von Mensch und Maschine.
- Augmentation – weitgehende Harmonie zwischen Computer/Algorithmus und dem arbeitenden Menschen; immer weiter steigende Produktivität; Technologie verbessert die menschliche Arbeit statt sie zu ersetzen.
- Singularity – Künstliche Intelligenz übersteigt die menschliche Intelligenz zunehmend; vollständige Automatisierung der Arbeit; Erreichung eines „point of no return“; Eintritt in eine völlig neue Ära der Menschheit.
- Job Destruction – fortschreitende Automatisierung; Verschwinden ganzer Industrien und ihrer Jobs ohne parallele Entstehung neuer Jobs in anderen Bereichen; Massenarbeitslosigkeit.
- Work Deintensification – abnehmende Intensität der Arbeit sowie auch Verkürzung der Arbeitszeit; mehr Freizeit; Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; Bedeutungsverlust der Arbeit im Leben der Menschen.
Von der Frage, wer Recht hat, zur Frage, wer sich welche Zukunft warum erdenkt
Wir sehen: Die vorliegenden „Zukünfte der Arbeit“ könnten unterschiedlicher kaum sein, reichen sie doch von quasi-paradiesischen Aussichten (Work Deintensification, Augmentation) bis hin zu ultimativ beängstigenden Untergangsszenarien (Dataism, Exterminism). Und natürlich muss die (bange) Frage nun lauten: Wer hat recht? Wird alles gut, oder wird alles schlecht(er)? Nun, wie bereits gesagt, an genau dieser Stelle haken die Autoren der Studie ein, indem sie diese (alles entscheidende) Frage für schlicht falsch gestellt halten und stattdessen einen „Paradigmen-Wandel“ in dem Sinne anregen, dass wir die „Zukünfte der Arbeit“ nicht länger als begründete „Vorhersagen“, sondern vielmehr als erdachte „Vorstellungen“ verstehen sollten („from ‚predictions‘ to ‚imaginaries‘). Dies deshalb, weil die verschiedenen Zukunftsentwürfe kaum auf objektiven, interdisziplinären und umfassenden Daten beruhen (können), sondern weil sie vielmehr nur spezifische Sichtweisen widerspiegeln, die in jener Disziplin aktuell vorherrschen, der der jeweilige Erzähler (Narrator) entstammt („Tunnelblick“). In ihrer Studie haben Nicky Dries und Kollegen dabei drei zentrale (sowie zwei hier zu vernachlässigende) Narratoren identifiziert, die bestimmte öffentliche Debatten aktuell dominieren:
- Tech/Innovation Experts publizierten 38% aller Beiträge und dominieren in den Debatten über Dataism, Augmentation und Singularity.
- Authors/Journalists publizierten 27% aller Beiträge und dominieren in der Debatte über Exterminism.
- Economy/Labor Market Experts verfassten 20% aller Beiträge und dominieren in den Debatten über Re/Upskilling, Job Destruction und Work Deintensification.
Wenn nun aber mehrere „Erzähler“ jeweils spezifische Narrative ins mediale „Rennen“ schicken, dann werden sie typischerweise auch danach streben, mit ihrer „Erzählung“ erfolgreich zu sein, sprich: die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen und damit gleichsam auch die organisationale Praxis in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dries und Kollegen (2023, S. 56, ü.) bringen diese Sichtweise wie folgt auf den Punkt:
„Die öffentliche Debatte über die Zukunft der Arbeit ist eine Arena für diskursive Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen von Akteuren, die jeweils unterschiedliche Narrative über die Zukunft propagieren, die mit ihren Interessen übereinstimmen, und die jeweils versuchen, die Debatte zu ‚gewinnen‘, indem sie die Öffentlichkeit dazu bringen, sich ihrem Master-Narrativ anzuschließen“
Und dieser Wettbewerb um die Frage, wer am zuverlässigsten weiß, wie die Zukunft unweigerlich aussehen wird, führt im Weiteren dazu, dass die Narrative der einen mit Gegen-Narrativen der anderen angegangen und dadurch aus dem „Rennen“ geschlagen werden sollen.
Narrative und Gegen-Narrative: Der Wettbewerb um die Deutungshoheit
Als beispielhaft für die verschiedenen „Kämpfe“ um die Deutungshoheit hinsichtlich der Zukunft der Arbeit soll hier das Job Destruction-Narrativ genannt werden. Der Journalist und Autor Philipp Blom schreibt hierzu exemplarisch (pessimistisch):
„Die Maschinen werden kommen und sie werden gewinnen. (…) Alle meine pessimistischen Behauptungen über (…) die schädlichen Auswirkungen der Digitalisierung und Robotisierung beruhen auf den besten mir bekannten Forschungsergebnissen und vielen Gesprächen mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen. (…) Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir als Gesellschaft Fehler machen können, die wir nur einmal machen können.“
Opponenten zu dieser „Authors/Journalists“-Prognose sind typischerweise „Tech/Innovations Experts“, so etwa Luc Steels, Direktor des AI Labs in Brüssel, der wie folgt (optimistisch) in Aussicht stellt:
„Die Befürchtung, dass KI Arbeitsplätze überflüssig machen wird, ist extrem übertrieben. (…) Die meisten Menschen (…) verstehen einfach nicht, was KI ist. (…) Jobs werden dank KI besser, einfacher und optimaler [sic] werden, oder sie werden sich zu neuen Arten von Jobs entwickeln.“
Diese Kontroversen, die sich auch im Hinblick auf die weiteren dort angesprochenen Narrative gut nachzeichnen lassen, sind erkennbar dadurch geprägt, dass dem jeweiligen Counterpart ausdrücklich vorgehalten wird, weniger kompetent zu sein, auf widerlegte Studien und Daten zurückzugreifen und letztlich ideologisch statt rational zu argumentieren – was für die eigene Person und Position selbstredend nicht gilt!
Wer glaubt warum an was?
Die originelle Untersuchung geht zuletzt auch der Frage nach, wer typischerweise welchem Narrativ folgt und entgegengesetzte ablehnt. Hier zeigt sich, dass in der Regel jenem „Erzähler“ geglaubt wird, der der eigenen fachlichen Akteursgruppe zugehört bzw. nahesteht, folglich auch ähnliche Interessen verfolgt, ein ähnliches Vokabular verwendet, ähnliche Wertvorstellungen vertritt (z.B. Tech/Innovation Experts = typischerweise optimistisch, experimentierfreudig, kaum Widerstand gegen Veränderungen) u.ä.m. Dazu gesellt sich ein stark selektiver Informationsprozess derart, dass bevorzugt das gelesen wird, was offensichtlich den eigenen Vorstellungen am weitestgehenden entspricht bzw. dieselben nicht infrage stellt. Um diesen wenig befriedigenden Zustand zu verbessern bedarf es nach Einschätzung der Forschenden einer analytisch-kritischen Hinterfragung der verschiedenen „Zukünfte der Arbeit“ durch das Publikum, das dabei insbesondere folgenden Fragestellungen nachgehen sollte:
- Wer sagt was und warum?
- Was ist der disziplinäre Hintergrund der Prognose?
- Welcher anderen Prognose soll hier widersprochen werden?
- Welchen Interessen dient diese Prognose?
- Wer finanziert diese Prognose?
- Welche (Arbeits-)Gesellschaft wird hier als zukünftig wünschenswert erachtet und angestrebt?
Fazit: Die Zukunft der Arbeit ist ungewiss und bleibt eine (politische) Gestaltungsaufgabe
Die zentrale Botschaft des hier nachgezeichneten Forschungsbeitrags von Nicky Dries und Kollegen lautet mit Blick auf die derzeit auf dem Markt befindlichen Prognosen über die – zumindest nicht sehr nahe – Zukunft der Arbeit: Es handelt sich hier stets um Fiktion, nicht um Fakten! Zurückgewiesen wird damit auch der häufig stark deterministische Charakter, mit dem Zukunftsentwürfe im (Aufmerksamkeits-)Wettbewerb mit anderen Entwürfen beim Publikum punkten wollen. Und diese Zurückweisung der Zwangsläufigkeit der Entwicklung hat – last, not least – eine höchst positive Implikation, sprich (S. 2):
„… die Zukunft der Arbeit muss nicht etwas sein, das ‚uns‘ passiert – stattdessen kann die Zukunft das sein, was wir ‚machen‘ „.
Zu dieser Auffassung kommt man auch, wenn man sich frühere und klassische Diskussionen zur Zukunft der Arbeit kursorisch erinnert. Marx sah hier einen monolithischen Block, die Arbeiterklasse, die die Zukunft sozialistisch determinieren sollte. Nur, es gab tatsächlich diesen Block nie, weil das Sein dann doch nicht hinreichend das Bewusstsein bestimmen wollte. Der Jahrhundertökonom Keynes prognostizierte einen zwangsläufigen Zusammenhang von maschineller Rationalisierung und wirtschaftlichem Wachstum, was sich durchaus bewahrheitete – wobei er mit seiner Voraussicht einer 15-Stunden-Woche für jedermann dann doch wieder falsch lag. Thomas Watson, Chef von IBM, sah in den vierziger Jahren den Weltmarkt für Computer auf fünf begrenzt; später, in den 1970-zigern, verneinte Ken Olsen, Gründer von Digital Equipment, einen Bedarf für Heimcomputer. Wäre dies eingetreten, hätten wir heute eine vollkommen andere Arbeitslandschaft.
Wie alle Prognosen wurden die obigen aus dem Wissen der jeweiligen Gegenwart heraus gegeben und waren dabei stets einem subjektiven Erfahrungshintergrund wie auch einer persönlichen Interessensperspektive verpflichtet. Die Zukunft entsteht stattdessen aus einer nahezu unendlichen Anzahl von individuellen Entscheidungen, eingebettet in objektive wie interpretierbare Rahmenbedingungen (politische, technologische, militärische, ökologische etc.), die sich wiederum dynamisch verändern. Als gutes Leitmotiv für unseren Umgang mit den „Zukünften der Arbeit“ kann das Bonmot des Kritischen Theoretikers Max Horkheimer dienen, der 1969 in einem Interview treffend feststellte:
„Wir müssen theoretische Pessimisten und praktische Optimisten sein. Wir müssen das Schlimmste befürchten und doch unser Bestes versuchen.“