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Entrepreneurial Leadership – Indikator für gesehene Bedrohungen?

Innovationen sind eigentlich wesensmäßig mit der Führung verbunden, in der Führungspraxis aber oft von ihr getrennt. Ermüdende Verwaltung des Status quo ist stattdessen keine Seltenheit bei zu vielen Führungskräften. Der Ansatz des Entrepreneurial Leadership versucht, diesem weithin verlorengegangenen Wesensmerkmal von Führung wieder verstärkt Geltung zu verschaffen.

Sergey Nivens / Shutterstock

Seit der irische Nationalökonom Richard Cantillon im 18. Jahrhundert den Begriff des Entrepreneurs in das Schrifttum einführte, interessierte man sich fortan insbesondere für die spezifische Persönlichkeit desselben (z.B. Siegerwillen, Initiative, Voraussicht). Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang vor allem die Analyse des österreichischen Nationalökonomen Joseph A. Schumpeter, der im kraftvollen Bild der „schöpferischen Zerstörung“ den Entrepreneur als dynamischen Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung ausmachte. Und zuletzt erlangte das Konzept des sog. „Entrepreneurial Leadership“ besondere Aufmerksamkeit innerhalb der um Innovationen kreisenden Führungsforschung. Leadership Insiders konkretisiert und reflektiert dieses Konzept nachfolgend.

Entrepreneurial Leadership – Was ist das?

Dadurch, dass Entrepreneurship eine immens wichtige Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung im Allgemeinen und den Erfolg von Organisationen im Besonderen spielt, ist es gut, mehr über dessen Nahtstelle zur Führung zu wissen. Alles in allem geht es darum, die Neugierde, die Suche nach dem Neuartigen und Besseren, die hiermit verbundene freiwillige Übernahme von Initiative und Verantwortung wie auch eine ausgeprägte Kunden- wie Chancenorientierung bei den Mitarbeitenden durch diese Art der Führung hervorzurufen bzw. zu bestärken.

“Entrepreneurial leadership values and strategies are the primary competitive advantages that differentiate one organization from another”

(Nurmi and Darling, 1997: xiii, zit. nach Darling/Keefe/Ross 2007, S. 53)

Typischerweise wurde dies zunächst lediglich mit einer Vorstands-/CEO-Position verbunden, später dann aber zur Leitidee für alle unternehmerisch denkenden Führungskräfte ausgeweitet. Hier können dann drei grundlegende konzeptionelle Zugriffe auf das Entrepreneurial Leadership unterschieden werden (Leitch/Harrison 2018):

(1) Entrepreneurial Leadership als Führungsstil

Diese erste Sichtweise gründet auf Schumpeters Annahme (1934), dass Entrepreneure „natural-born leaders“ seien und fordert, dass diese insbesondere als Agenten für eine experimentierfreudige Führungskultur wirken sollten. Vecchio (2003) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Entrepreneurship eine Art von Führung bedingt, die ursprünglich typischerweise in kleinen und schnell wachsenden Unternehmen ausgeübt wurde, heute jedoch auch und gerade für Großorganisationen geboten erscheint, denen Dynamik und Wagemut allzu häufig abhandengekommen sind.

Überlegungen zur Förderung eines entrepreneurialen Handelns finden sich allerdings auch in anderen bekannten Führungstheorien. Zu denken ist hier an Yukl (2012), der ein veränderungsorientiertes Verhalten („change-oriented“), bestehend aus

  • der Befürwortung von Veränderungen,
  • Förderung von Innovation und
  • dem Ermöglichen des kollektiven Lernens,

als eine von vier Metakategorien des Führungsverhaltens identifiziert. Zu erwähnen wären überdies die ambidextre Führung, die ein exploratives Verhalten einfordert (Keller/Weibler, 2014) sowie die unternehmerische Führung eines Rolf Wunderers (2011), der ein (mit-)unternehmerisches Denken und Handeln auf allen Ebenen und in allen Funktionen einer Organisation als Ideal vorstellt.

(2) Entrepreneurial Leadership als Mindset

Entrepreneurial Leadership kann aber nicht nur die Perspektive eines Führungshandelns einnehmen, sondern auch als Mindset definiert werden. Sicherlich ist dies sogar zwingend, soll die Nachhaltigkeit eines hierauf fußenden Verhaltens erzielt werden. Abgesehen davon wird so die Empfänglichkeit für entsprechende Anlässe und Situationen geschärft. Damit ist der Weg nicht nur für Entrepreneure, sondern für alle vorgezeichnet, die Teams und Mitarbeitende unternehmerisch führen wollen oder müssen. Dass ein entsprechendes Mindset eine wesentliche Rolle für eine effektive Führung spielt, gilt hier als ausgemacht (Kuratko, 2007). Dies kann sowohl bei jeder Führungskraft jeglichen Organisationstypus in Form eines initiativen Intrapreneurships (Pinchot 1985; frei nach dem Motto: es ist einfacher, um Verzeihung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen) oder auf der Makroebene in Form eines Corporate Entrepreneurship (CEO als Funktion, Top Management Team) auftauchen.

(3) Die Schnittstelle von Entrepreneurship und Leadership

Nimmt man diese Perspektive ein, dann sind die beiden Domänen Entrepreneurship und Leadership zwar ähnlich, aber keinesfalls gleichzusetzen (Greenberg et al., 2011). Entrepreneurial Leadership befindet sich dann an der Schnittstelle der beiden Domänen, die hier zusammenfinden, und zeichnet sich durch gemeinsame Attribute aus: einerseits Vision, Einfluss und Führung von innovativen und kreativen Individuen (Cogliser &Brigham, 2004), andererseits Problemlösen, Entscheidungsfindung, Risikobereitschaft (Fernald et al., 2005). Durch diese bunte, angedeutete Kombination entstünde eine Eigenständigkeit dieses Ansatzes. Dem mag man dann zustimmen, sofern eine Eigenständigkeit bereits durch die adjektivistische Bestimmung von Führung (wie auch: agile Führung, bescheidene Führung) und die damit gemeinte Fokussierung zum Ausdruck kommen soll, wiewohl bekannt sein sollte, dass dadurch das Führungsgeschehen im Konkreten nicht hinreichend beschrieben werden kann. In der Führungspraxis bedarf es natürlich viel mehr, auch um das Umfeld zu schaffen, damit eine entrepreneuriale „Ermunterung“ überhaupt auf fruchtbarem Boden fallen kann.

Entrepreneurial Leadership und Erfolg

Es ist nicht so trivial, wie man denkt, dass eine unternehmerische Führung außerhalb des Top-Sektors Erfolge zeitigt. Dies hängt nicht nur davon ab, dass die Anregungen vom Team aufgegriffen und umgesetzt werden müssen – dies unter Berücksichtigung passender oder weniger passender Strukturen und Kulturen. So sind zumindest die Studien im Einzelnen näher zu prüfen, die genau das versuchen, zu zeigen. Huang et al. (2014) fanden beispielsweise in ihrer Untersuchung einen positiven Zusammenhang zwischen Entrepreneurial Leadership und Unternehmensleistung. Dabei schienen das Erkennen und Nutzen von Innovationspotenzialen diesen Zusammenhang zu beeinflussen. Bei näherer Betrachtung des Kontexts stellten sie weiterhin fest, dass in einem sehr dynamischen Kontext die Beziehung zwischen Entrepreneurial Leadership und dem Erkennen von Innovationspotenzialen verstärkt wird, sich aber die Beziehung zum Nutzen dieser Potenziale abmildern kann. Eine Studie von Cai et al. (2019) zeigte basierend darauf in der Tat, dass Entrepreneurial Leadership Kreativität sowohl auf Individual- als auch auf Teamebene vorhersagt. Nicht umsonst wird also bei der ambidextren Führung auf die effiziente Nutzung bestehender Ressourcen abgestellt, um nicht bei der Erfindung neuer Verfahren, Dienstleistungen oder Produkte in kreativer Vielfalt zu sterben. Eine Studie von Mehmood et al. (2019) schließlich berichtet über einen positiven Zusammenhang zwischen Entrepreneurial Leadership und innovativen Verhaltensweisen der Mitarbeitenden. Die Studie konnte auch zeigen, dass ein psychologisches Empowerment (bestehend aus den vier Facetten: Kompetenz, Bedeutsamkeit, Einfluss, Selbstbestimmung) eine unterstützende Rolle dabei spielt. Diese Ergebnisse spiegeln empirische Evidenzen aus anderen bereits verfügbaren Leadership Studien wider.

Entrepreneurial Leadership ist manchmal sehr hilfreich, aber welche Motivation muss beim Führenden dazu vorliegen?

Etwas Anzustrebendes – hier einen Führungsstil – zu fordern ist das eine. Das andere ist aber, jemanden zu finden, der wirklich so agiert. Was könnte also die Motivation sein, sich dem Wagnis des Abweichens vom Bestehenden, denn nichts anderes ist innovatives Unternehmertum, auszusetzen und dies idealiter dann auch noch zum Nutzen der Gemeinschaft (Team, Organisation)?

Typischerweise werden hier zwei Erklärungen angeboten, eine ökonomische und eine psychologische. Die ökonomische Erklärung postuliert, dass ein derartiges Verhalten dann gezeigt wird, wenn die individuelle Kosten-Nutzen-Analyse positiv ausfällt, die Führungskraft sich somit persönliche Vorteile davon verspricht. Sind die Kosten oder ist der Nutzen nicht genau zu kalkulieren, werden Erwartungswerte dafür eingesetzt oder man behilft sich mit einem groben „Mehr oder Weniger“. Die psychologische Erklärung führt ein Entrepreneurial Leadership demgegenüber auf korrespondierende Werte und Überzeugungen der Führungskraft zurück. Man findet etwas gut, und also macht man es auch. Beiden Erklärungen ist gemeinsam, dass sie die materiellen wie immateriellen Präferenzen der Führungskraft nur aus dieser selbst heraus erklären. Wird eine Chance zur günstigen Einlösung gesehen, wird der Wille, auch so zu handeln, unterstellt. Ausgeblendet wird hier allerdings die Frage, wie das Verhalten anderer das eigene tun motiviert. Die Übernahme von Führung wäre bei dieser Überlegung eher eine Reaktion auf äußere Ereignisse.

Genau diesen Gedanken hat Gwen Arnold (2021) jüngst in ihrer „Threat-Centered Theory of Policy Entrepreneurship“ entwickelt, die ich hier auf Organisationen anwende. Ihre bedrohungszentrierte Theorie des politischen Unternehmertums wendet sich gegen die Überlegung, dass es unwahrscheinlich ist, Entrepreneurship dort zu zeigen, wo es eine große und/oder anhaltende Opposition gegen das eigene Anliegen gibt. Typischerweise wird für diesen Fall angenommen, dass ein anderer Schauplatz gesucht wird, um die eigenen Überzeugungen zu lancieren, wenn überhaupt. Gwen Arnold argumentiert verblüffend anders:

Eine Motivation zur Übernahme einer Führungsposition entwickelt sich danach, wenn die eigenen Präferenzen, Werten, Vorlieben usw. zur Gestaltung der Gemeinschaft (Ausrichtung auf wichtige Ziele usw.) durch oppositionelle Bestrebungen anderer, die erfolgsträchtig erscheinen, gefährdet werden. Dies umso mehr, als man denkt, dass sich hieraus ein Teufelskreis entwickeln kann, der auch andere eigene Werte etc. berührt. Diese Art unternehmerisch Führender tritt also eher in Kontexten auf, in denen eine Verlustgefahr demgegenüber, was man für wirklich wichtig für die Gemeinschaft hält, besteht. Dann schlägt Passivität in Aktivität um.

Diese Sicht liefert uns auch eine vielversprechende, ergänzende, auf Verantwortungsbewusstsein setzende Erklärung für Unternehmertum in Organisationen. Sie besitzt den Charme, doch sehr nah mit dem ursprünglichen Unternehmertum verbunden zu sein, das sich oftmals als Dienst für die Gemeinschaft versteht. Doch Vorsicht: Ein plötzlich auftretendes  Entrepreneurial Leadership wäre so gesehen ein mögliches Zeichen dafür, dass Führungskräfte nicht nur prosozial, also im Interesse des Teams bzw. der Organisation handeln, sondern dass von ihnen auch eine reale Gefahr für „ihre“ Organisation gesehen wird dies veranlasst sie dazu, aktiv zu werden und nicht alles geschehen zu lassen oder zu resignieren.

Ein Letztes

Wie Entrepreneurial Leadership sich im Detail entfaltet, beispielsweise wie Vertrauen vom Team gewonnen oder  „Kreativität“ im Team befördert wird, ist dann anderen, vorliegenden allgemeineren (Führungs-)Theorien zu entnehmen. Auch kann nicht erklärt werden, wer am Ende aufsteht, um als Entrepreneurial Leader zu wirken. Das ist aber wiederum eine Frage, zu der die Führungsforschung bereits in anderen Zusammenhängen Antworten gefunden hat.

Arnold, G. (2021). A threat-centered theory of policy entrepreneurship. Policy Sciences. https://doi.org/10.1007/s11077-021-09445-z

Cai, W., Lysova, E. I., Khapova, S. N., & Bossink, B. A. (2019). Does entrepreneurial leadership foster creativity among employees and teams? The mediating role of creative efficacy beliefs. Journal of Business and Psychology34, 203-217. https://doi.org/10.1007/s10869-018-9536-y

Cogliser, C. C., & Brigham, K. H. (2004). The intersection of leadership and entrepreneurship: Mutual lessons to be learned. The Leadership Quarterly15(6), 771-799. https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2004.09.004

John R. Darling , Michael J. Keeffe & John K. Ross (2007) Entrepreneurial Leadership Strategies and Values: Keys to Operational Excellence. Journal of Small Business & Entrepreneurship, 20(1), 41-54. https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/08276331.2007.10593385

Fernald, L. W., Solomon, G. T., & Tarabishy, A. (2005). A new paradigm: Entrepreneurial leadership. Southern Business Review30(2), 1-10.

Greenberg, D., McKone-Sweet, K., & Wilson, H. J. (2011). The new entrepreneurial leader: Developing leaders who shape social and economic opportunity. Berrett-Koehler Publishers.

Hollander, E.P. (1995): Führungstheorien – Idiosynkrasiekreditmodell. In A. Kieser, G. Reber, R. Wunderer (Hrsg.). Handwörterbuch der Führung (2. Aufl., S. 926-949). Stuttgart.

Huang, S., Ding, D., & Chen, Z. (2014). Entrepreneurial Leadership and Performance in C hinese New Ventures: A Moderated Mediation Model of Exploratory Innovation, Exploitative Innovation and Environmental Dynamism. Creativity and Innovation Management23(4), 453-471. https://doi.org/10.1111/caim.12085

Keller, T., & Weibler, J. (2014). Behind managers’ ambidexterity—studying personality traits, leadership, and environmental conditions associated with exploration and exploitation. Schmalenbach Business Review66, 309-333. https://doi.org/10.1007/BF03396909

Kuratko, D. F. (2007). Entrepreneurial Leadership in the 21st Century: Guest Editor’s Perspective. Journal of Leadership & Organizational Studies, 13(4), 1–11. https://doi.org/10.1177/10717919070130040201

Leitch, C. M., & Harrison, R. T. (2018). The evolving field of entrepreneurial leadership: an overview. In Harrison and Leitch (Eds.), Research Handbook on Entrepreneurship and Leadership. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing. https://doi.org/10.4337/9781783473762.00006

Mehmood, M. S., Jian, Z., Waheed, A., Younas, A., & Khan, S. Z. (2019, January). Impact of Entrepreneurial Leadership on Employee’s Innovative Behavior: Mediating role of Psychological Empowerment. In Proceedings of the 2019 3rd International Conference on Management Engineering, Software Engineering and Service Sciences (pp. 223-229). https://doi.org/10.1145/3312662.3312701

Nurmi, R. & J. Darling, J. (1997). International Management Leadership: The Primary Competitive Advantage. New York

Pinchot, Gifford III, Intrapreneuring: Why You Don’t Have to Leave the Corporation to Become an Entrepreneur (1985). University of Illinois at Urbana-Champaign’s Academy for Entrepreneurial Leadership Historical Research Reference in Entrepreneurship. https://ssrn.com/abstract=1496196

Schumpeter, J. A. (1934). The Theory of Economic Development. Cambridge, MA: Harvard University Press.

Vecchio, R. P. (2003). Entrepreneurship and leadership: common trends and common threads. Human Resource Management Review13(2), 303-327. https://doi.org/10.1016/S1053-4822(03)00019-6

Wunderer, R. (2011). Führung und Zusammenarbeit: Eine unternehmerische Führungslehre (9. Aufl.). München.

Yukl, G. (2012). Effective leadership behavior: What we know and what questions need more attention. The Academy of Management Perspectives, 26(4), 66–85. https://doi.org/10.5465/amp.2012.0088