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Paternalistischer Führungsstil – überholt oder erfolgsträchtig?

Ein paternalistischer Führungsstil ist durch eine klare hierarchische Strukturierung der Führungsbeziehung geprägt. Leitfigur ist die Position des Familienoberhauptes. Das an die Vaterrolle angelehnte Führungsbild provoziert die Frage, inwieweit dieser in heutiger Zeit noch angemessen sein kann. Unter bestimmten kulturellen Bedingungen wird dieser sich durch drei Verhaltensdimensionen definierende Führungsstil durchaus als erfolgreich ausgewiesen.

Ysbrand Cosijn/Shutterstock

Paternalismus oder Patriarchalismus, zwischen denen hier nicht weiter unterschieden wird, ist einerseits eine individuelle Haltung und andererseits eine kollektive Herrschaftsform, die seit der Antike die Gemüter bewegt. In der Führungspraxis ist ein paternalistischer Führungsstil eine empirisch vorzufindende Art und Weise, sich Mitarbeitenden gegenüber zu verhalten. Was ist aber genau mit solch einem Führungsstil gemeint und findet er geführtenseitig heutzutage Befürworter? Leadership Insiders klärt auf.

Was bedeutet Paternalismus?

Die ehemals normativ verankerte „Herrschaft der Väter“ ist die wichtigste Herrschaftsform vor dem Einsetzen rationaler, bürokratisch operierender Herrschaftsformen, zu denen auch die Demokratie zählt. Mit Max Weber liegt ihr Keim „in der Autorität eines Hausherrn innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft“. Der Anspruch auf Fügsamkeit gegenüber der Person, die dem Haushalt vorsteht, beruht auf Tradition und konkret auf „dem Glauben an die Unverbrüchlichkeit des immer so Gewesenen als solchen“ (1922, Seite 580). In einer solchen Tradition, die ja bereits sehr viel über das kulturelle Gesellschaftsverständnis aussagt, ist ein Patriarchat eine unhinterfragte und als legitim erachte Form der Machtausübung; sie weist Verantwortung sehr asymmetrisch zu und bezieht andere bei Entscheidungen lediglich gemäß eigenem Ermessen ein, beinhaltet grundsätzlich aber auch Pflichten gegenüber den „Schutzbefohlenen“. Wer diese Pflichten ignoriert, mutiert zum autoritären Herrscher, gar zum Tyrannen.

Wodurch zeichnet sich ein Paternalistischer Führungsstil aus?

Dieses patriarchalische Herrschaftsverständnis wurde dann später im Führungskontext aufgegriffen, um einen Führungsstil, eben den paternalistischen Führungsstil, zu kennzeichnen, der im deutschsprachigen Raum im Zusammenhang mit Familienunternehmen besonders bekannt wurde.  Der St. Galler Führungsforscher Rolf Wunderer verortete diesen Führungsstil in seiner zweidimensionalen Führungsstiltypologie (Machtdimension, prosoziale Dimension) als einen unter mehreren Führungsstilen (z. B. neben einem autoritären oder delegativen). Dort umschreibt er diesen Führungsstil als eine „wohlwollend-autoritäre Führung“:

„Der Patriarch oder die Matriarchin sorgen sich schon wertschätzender um ihre Mitarbeiter, behandeln sie aber im Entscheidungsprozess tendenziell wie ihre Kinder, also Unmündige“ (Wunderer 2007, S. 170)

Um das Konstrukt des Paternalismus, das im Übrigen für ein breites, über die Führung hinausgehendes Kulturverständnis in einem Unternehmen steht, besser zu verstehen,  haben Farh und Cheng ein Modell der paternalistischen Führung entwickelt (vgl. Farh/Cheng 2000, vgl. auch Cheng/Wang 2015). Nicht von ungefähr beziehen sie es auf den chinesischen Raum, da Asien, aber auch Lateinamerika oder der Nahe Osten diesen Führungsstil bis heute als einen Standardführungsstil kennen, wohingegen er in westlichen Organisationen kaum mehr praktiziert wird – und wenn, dann kaum in voller Ausprägung und vorzugsweise in inhabergeführten Familienunternehmen. Tendenz aber auch hier vermutlich deutlich abnehmend.

Die obigen Autoren konstituieren den paternalistischen Führungsstil aus drei verschiedenen Dimensionen:

  • Autoritarismus,
  • Gutmütigkeit („Benevolenz“) und
  • Moralische Integrität.

Alle drei Dimensionen finden im Konfuzianismus ihre Wurzeln. Autoritarismus bezeichnet ein Führungsverhalten, bei dem sich der Führende durch intensive Kontrolle und Autoritätsanspruch gegenüber seinen Geführten durchsetzt; Gutmütigkeit bezieht sich auf einen Führenden, der ein individuelles, verschiedene Lebenssituationen integrierendes Interesse am Wohlbefinden seiner Geführten aufbringt, und moralische Integrität schildert einen Führenden, der seinen Untergebenen gegenüber persönliche Tugenden wie Selbstdisziplin oder Selbstlosigkeit zeigt (vgl. Farh/Cheng 2000, S. 94).

Abb.1: Paternalistische Führung und die Reaktion der Geführten
(vgl. Farh/Cheng 2000, S. 120)

Die Auswirkungen eines paternalistischen Führungsstils auf Respekt und Identifikation, Abhängigkeit und Folgsamkeit sowie Dankbarkeit und Rückzahlung (s. Abb. 1), sind konzeptionell fundiert. Autoritarismus übt den stärksten Effekt auf die Folgsamkeit aus, Moralität auf die Identifikation und Gutmütigkeit auf die Dankbarkeit. Ein Wandel im Autoritätsverständnis lässt sich inzwischen empirisch aber selbst dort nachweisen, wo sich dieser Führungsstil traditionell großer Beliebtheit erfreut. Denn durch die fortschreitende Modernisierung der Gesellschaft verliert vor allem die autoritäre Dimension an Einfluss bzw. verweist im Sinne einer inneren Neuausrichtung nunmehr auf eine Autorität, deren Zuerkennung durch Leistung verdient sein muss und von daher weniger von oben einfach gesetzt werden kann („autoritative Führung“). Dies ist eine Entwicklung, die ich für die westlichen Kulturen bereits dargelegt habe (Weibler 2020). Entsprechendes konnte tendenziell durch die Metanalyse von Bedi (2020) nun auch für jene Kulturen, die sich durch eine höhere Machtdistanz, stärkere Maskulinität wie auch einen größeren Kollektivismus auszeichnen, erhärtet werden. Dort, wo die Autorität allein machtbasiert ausgefüllt wird, korrelieren zentrale, für Organisationen typische Erfolgsgrößen allerdings negativ mit dieser Dimension der paternalistischen Führung.

Durch die vom paternalistisch Führenden bereitgestellte Unterstützung und Betreuung seiner Geführten werden gerade die Bedürfnisse einer kollektivistisch geprägten Gesellschaft, beispielsweise nach häufigerem zwischenmenschlichen Kontakt und engeren persönliche Beziehungen, erfüllt. Dies erklärt wohl am besten den Erfolg dieses Führungsstils in den entsprechenden Kulturen. Auf diese Weise hat paternalistische Führung in kollektivistischen Kulturen potenziell einen positiven Einfluss auf die Einstellung der Mitarbeitenden zum Führenden und der Organisation. Empirische Studien weisen eindeutig günstige Effekte auf Leistung, Zufriedenheit oder Bindung auf.

Warum sollte ein paternalistischer Führungsstil ernst genommen werden?

Im Gegensatz zur vorwiegend positiven Deutung des Paternalismus in Lateinamerika, dem Nahen Osten und dem asiatisch-pazifischen Raum, ist das Konzept der paternalistischen Führung in westlichen Ländern hauptsächlich negativ besetzt. Dies spiegelt sich exemplarisch in Metaphern über den Paternalismus wider: „Mildtätige Diktatur“ oder auch „Country-Club Management“ sind nur einige der negativen Assoziationen. Hauptkritikpunkt der westlichen Literatur ist die unbestrittene Machtunausgeglichenheit zwischen Führer und Geführten. Damit wird paternalistische Führung allerdings weitgehend auf die Dimension des Autoritarismus reduziert, wobei solche autoritären Beziehungen dann auf Kontrolle und Ausbeutung verweisen und die Geführten sich in dieser Diktion nur deshalb in Übereinstimmung mit dem Führenden verhalten, um einer Bestrafung auszuweichen. Dies ist insofern falsch, als es definitorisch eindimensional (statt dreidimensional, s.o.) denkt – was zu wissen durchaus nicht nur wichtig für Führungskräfte ist, die hier in Teams mit ethnisch diverser Mitgliederstruktur arbeiten, sondern auch in den betreffenden Regionen Führungsverantwortung innehaben. Zweifelsfrei hilft es auch, patriarchalische vs. autoritäre Ausformungen eines Führungsstils im deutschsprachigen Raum präziser abgrenzen zu können.

Interessanterweise hat sich die westliche Führungsforschung in den letzten Jahren verstärkt auf zwischenmenschliche und relationale Fähigkeiten von Führungskräften sowie deren Einfluss auf die Effektivität von Führung fokussiert. Und dieser Aspekt der persönlichen Beziehung ist genau das Anliegen einer paternalistischen Führung. Zudem: Wer wollte etwas gegen Wohlwollen und Integrität in Führungsbeziehungen einwenden? Denken wir hier doch sofort an eine „ethics of care“, wie sie in westlichen Kulturen nach vorne gebracht wird, oder an die Integrität als Meta-Tugend, wie es Thomas Kuhn und ich  aufgezeigt haben (2020). Kritik mag zuvorderst bei denjenigen erwartet werden, die dies zwar goutieren, von vornherein jedoch stärker auf Selbstbestimmung und Selbstorganisation setzen und Führung pluraler sehen (Endres/Weibler 2019).

Aber so plural und partizipatorisch, wie man meint, ist die Führung auch bei uns bis heute nie gewesen. Denken wir doch an die Reifegradtheorie der Führung, bei der es den Führenden obliegt, einseitig den Reifegrad des Geführten festzulegen. Oder denken wir an die mit ihren Führungskräften Unzufriedenen – und dies sind nicht wenige –, die zum großen Teil autoritäre Führungsstile beklagen, die anderen Charakteristika eines paternalistischen Führungsstils, das wohlwollende und verantwortungsvolle Verhalten des Führenden gegenüber dem Einzelnen oder dem Team, hingegen wertschätzen. Offen schließlich auch die Frage, wie viele Mitarbeitende sich mit einem Führungsstil arrangieren könnten, der ihnen die Verantwortung für die Ausfüllung ihrer prinzipiell zahlreichen Beteiligungsmöglichkeiten abnimmt (Stichwort: Überforderung oder Unlust, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen zu wollen).

Dies darf meine Darlegungen nicht als ein Plädoyer für einen paternalistischen Führungsstil in unserer Arbeitswelt missverstanden werden, ganz im Gegenteil. Dies gilt ausdrücklich auch für das patriarchalische Führungsbild, das bis heute immer noch im Mittelstand gerne vorgezeigt wird. Auch wenn ich keinen Vergleich der Leistungsfähigkeit eines paternalistischen mit anderen möglichen Führungsstilen vorgenommen habe, ist er dort, wo einerseits Entwicklung, Selbstbestimmung und Partizipation erwünscht ist, unpassend und dort, wo dezentrales Denken vorherrscht, selbststeuernde Teams agieren und/oder Innovationen im Vordergrund stehen, nicht zu praktizieren bzw. ineffektiver. Vielmehr sind unsere Überlegungen als eine Mahnung zum Respekt gegenüber jenen Kulturen zu verstehen, in denen dieser Führungsstil vorherrschend ausgeübt wird und in denen sich Mitarbeitende in Kenntnis seiner Vor- und Nachteile und im Wissen um andere Führungsformen frei hierfür entscheiden. Als offene Flanke dieses Führungsstils bleibt aber bis auf Weiteres, dass er allein schon namensgebend auf eine einseitige, weil männliche Vorstellung des Besetzens von Führungspositionen verweist und damit ein illegitimes Diskriminierungspotenzial bis heute in sich birgt. Es wäre nun eine empirische Frage, die Manifestation dieser Befürchtung konkret zu analysieren und die Befunde entsprechend nach vorne zu bringen.

Bedi, A. (2020): A Meta‐Analytic Review of Paternalistic Leadership. In: Applied Psychology 69, S. 960-1008

Cheng, M.-Y. /Wang, L. (2015): The Mediating Effect of Ethical Climate on the Relationship Between Paternalistic Leadership and Team Identification: A Team-Level Analysis in the Chinese Context. In: Journal of Business Ethics 129, S. 639–654

Endres, S. / Weibler, J. (2019): Plural Leadership, Wiesbaden

Farh, J.-L./Cheng, B.-S. (2000): A cultural analysis of paternalistic leadership in Chinese organizations. In: Li, Jiatao / Tsui, Anne S./Weldon, Elizabeth (Hrsg.): Management and organizations in the Chinese context, MacMillan, London, S. 84-127

Kuhn, T. / Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Weber, M. (1980): Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. (1922)

Weibler, J. (2020): Führungsautorität quo vadis – Ein Essay. Auf: Leadership Insiders, 07.01.2020
https://www.leadership-insiders.de/fuehrungsautoritaet-quo-vadis-ein-essay/

Wunderer, R. (2007): Führung und Zusammenarbeit, München