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Vom gewohnten Goal Setting zum radikalen Goal Stretching (Teil I)

Dieser Beitrag ist Teil der Serie Motivation/Zielsetzung

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Zielerreichung durch Zielfixierung – weg mit dem Plan B!
  2. Motivation und Wille – Wann Führungskräfte die Willenskraft stärken müssen
  3. Motivation und Motiv – Wann Führungskräfte das Motiv schärfen müssen
  4. Vom gewohnten Goal Setting zum radikalen Goal Stretching (Teil I)
  5. Vom gewohnten Goal Setting zum radikalen Goal Stretching (Teil II)
Seit langem ist bekannt: Gibt man den Mitarbeitern anspruchsvolle Ziele vor, dann leisten sie mehr als zuvor. Aber nur unter bestimmten Bedingungen und wenn das Umfeld stimmt. Offenbar entfesselt die Setzung hoher, konkret formulierter Ziele im Individuum eine motivationale Kraft. Leadership Insiders bringt die wissenschaftliche Diskussion im ersten Teil auf den Punkt (Teil I). Im zweiten Teil (Teil II) wird auf die Radikalisierung dieses Gedankens, scheinbar unerreichbare Ziele zu setzen (Goal Stretching), bewertend eingegangen.

Nikkolia/Shutterstock

Führungskräfte arbeiten mit Zielen, um den Teamerfolg zu steigern. Theoriegemäß funktioniert das Goal Setting vor allem, wenn es sich um hohe und spezifische Ziele handelt. Unerreichbare Ziele werden hingegen als untauglich erachtet.  Stimmt dies aber unter allen Umständen? Die Antwort der Kritiker lautet „nein“, denn eine fundamentale Veränderung verlange nach einem großen Denken, das am besten in einer bahnbrechenden Innovation münde. Dazu benötige man eine den üblichen Rahmen sprengende Motivation der daran Beteiligten. „Normale“ Teamziele seien dafür allerdings untauglich. Vielmehr sei ein so genanntes Goal Stretching (Zielstreckung, Zieldehnung) zu praktizieren. Dieses Zauberwort meint dabei das Setzen von aus gegenwärtiger Sicht unerreichbaren Ziele. Es setze dann genau die Kräfte frei, die benötigt würden, um den entscheidenden Unterschied zur Konkurrenz zu machen. Hat diese Position etwas für sich oder ist sie nicht vielmehr selbst ein unrealistisches Wunschdenken? Leadership Insiders erläutert zunächst die Logik des klassischen Goal Settings (Teil I), um auf dieser Basis das Für und Wider des Goal Stretchings zu diskutieren (Teil II).

Dieser Beitrag ist Teil der Serie Motivation/Zielsetzung

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Zielerreichung durch Zielfixierung – weg mit dem Plan B!
  2. Motivation und Wille – Wann Führungskräfte die Willenskraft stärken müssen
  3. Motivation und Motiv – Wann Führungskräfte das Motiv schärfen müssen
  4. Vom gewohnten Goal Setting zum radikalen Goal Stretching (Teil I)
  5. Vom gewohnten Goal Setting zum radikalen Goal Stretching (Teil II)

“The tragedy of life doesn’t lie in not reaching your goal. The tragedy lies in having no goals to reach.”*
Robert H. Smith

Fresh up „Zielsetzungstheorie“

Hintergrund

Die Zielsetzungstheorie ist eine der mächtigsten Theorien der Motivation. In einem Ranking von 73 der einflussreichsten Managementtheorien stand sie an der Spitze. Damit ist sie für die Führung mehr als ernst zu nehmen. Keine Führungskraft kann sich eigentlich erlauben, sie nicht zu kennen. Unverbrüchlich verbunden ist sie mit den Namen der US-Forscher Edwin. A. Locke und Gary P. Latham (2013).

Was sind Ziele?

Ziele sind hiernach die Objekte einer Handlung, das, was es in einer definierten Zeit zu erreichen gilt. Das Erreichen von Zielen erzeugt positive Gefühle und Zufriedenheit, das Nicht-Erreichen Gegenteiliges. In Organisationen sind es quantitative wie qualitative Ziele, die von oben nach unten gesetzt oder vereinbart werden. In der Führungspraxis wird in diesem Zusammenhang von einem Management by Objectives (MbO) gesprochen (Führen mit Zielen). Eine Selbstsetzung ist ebenfalls möglich. Während zwischen gesetzten und vereinbarten Zielen empirisch keine eindeutige Überlegenheit ausgemacht werden kann, weisen Studien für die Selbstfestlegung eine etwas schlechtere Erfolgsbilanz aus.  Dies liegt demnach an dem verminderten Schwierigkeitsgrad, der zumeist gewählt wird. Hier muss man aber sehen, dass dies auch eine Erfahrungsfrage ist. Angesichts der modernisierten, hierarchieflexibleren Arbeitswelten wird die Selbstsetzung an Bedeutung gewinnen, auch weil dies datengestützt mit einer erhöhten Kompetenz zur Selbst-Regulierung einhergeht. Genau dies wird bei wachsender Autonomie vielfältig gebraucht.

Was sind die wesentlichen Bestandteile der Zielsetzungstheorie?

Die zwei bedeutendsten Bestandteile der Zielsetzungstheorie sind der Zielinhalt und die Zielintensität. Während der Zielinhalt einfach zu beschreiben ist (z.B. Erhöhung des Umsatzes um 10%), ist die Zielintensität diffiziler. Sie hebt nämlich darauf ab, wie tief ein bestimmtes Ziel in der Person verwurzelt und priorisiert ist und damit, welche individuelle Verpflichtung zur Zielerreichung besteht. Etwas vereinfacht können wir von der „Zielwichtigkeit“ sprechen.

Die Zielsetzungstheorie postuliert empirisch gestützt, dass gesetzte schwierige Ziele zu einer besseren Leistung führen als leichtere (bis zu 250% Differenz im Extrem). Neben den am meisten untersuchten Leistungszielen gilt dies grundsätzlich auch für Verhaltensziele und Lernziele. Die Empirie zeigt ferner, dass konkrete, hohe Ziele zu einer höheren Performance (Maß für einen vorgegeben Erfolg) führen als keine oder lediglich vage Ziele („Mach das Beste draus!“). Dies gilt generell und also (weitestgehend) unabhängig von Persönlichkeitsdispositionen oder des Leistungsmotivs, das die grundsätzliche Bereitschaft, sich immerfort Ziele zu setzen, beeinflusst. Allerdings wird das Niveau einer akzeptierten Zielsetzung oder die Wahl eigener Ziele durch das (veränderbare) Selbstvertrauen (genauer: die Überzeugung, selbst etwas bewirken zu können) mitbestimmt. Dieses Selbstvertrauen und die spezifische Zielsetzung sind im Zeitablauf mithin dynamisch verbunden.

Wie sieht der Zusammenhang von Zielsetzung und Erfolg genau aus?

Der Zusammenhang zwischen Zielsetzung und Leistung (Performance) ist linear, solange die Person (u.a. Latham u.a. 2016)

  • ihre Fähigkeitsgrenze noch nicht erreicht hat,
  • die notwendigen Ressourcen (finanzielle, technologische) zur Verfügung stehen,
  • sich den Zielen verbunden („committed“) fühlt und diese nicht nur akzeptiert
  • objektives Feedback erhält (d.h. selbst erfährt oder von anderen bzw. automatisiert erhält).

Dass hohe, spezifische Ziele eine verbesserte Performance [ein höheres Maß an Zielerreichung] zur Folge haben, liegt daran, dass

(1)  zielrelevante Sachverhalte besser beobachtet werden und das individuelle Wissen passgenau dazu aktiviert wird, anderes dagegen ausgeblendet bzw. zurückgestellt wird

(2) ein stets angestrebter positiv emotionaler Zustand nur mit mehr Anstrengung und physiologischer Aktivierung, z.B. durch die Stimulation von Neugierde, erreicht werden kann und

(3) dann mehr Ausdauer als bei einem vagen oder vollkommen unkonkretem Ziel gezeigt wird sowie

(4) es Personen motiviert, sich strategisch zusätzliches Wissen und Lernerfahrungen zur Zielerreichung anzueignen, sofern sie sich nicht durch eine zu schnelle Zielerreichung oder zu detaillierte Formulierung unter Druck setzen oder sich unter Druck gesetzt fühlen („Tunnelblick“, der über Stress und Angst Scheitern provoziert). Bei neuen und komplexen Zielen, für die die Fähigkeiten noch nicht ausreichen, können Lern- statt Leistungsziele (und hier dann doch: „Do your best!“) wesentlicher vorteilhafter sein.

Finanzielle Anreize für die Zielerreichung spielen in der Zielsetzungstheorie im Übrigen eine nur untergeordnete und gemäß bestimmter Studien möglicherweise sogar eine kontraproduktive Rolle. Die Idee ist, dass das Ziel selbst motivationale Kraft erzeugen soll. Schwierige und spezifische Ziele entfalten ihre maximale Kraft dann, wenn sie verständlich und nachvollziehbar sind und am besten eine intrinsische Motivation hervorrufen.

Die in der Führungspraxis bei der Zielsetzung verfolgte SMART-Regel, die gerne auch in der Führung von Projekten verwendet wird, gibt in der Tat Wesentliches aus der Zielsetzungstheorie wieder: Ziele sollten spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert sein.

Goal Stretching setzt auf der Zielsetzungstheorie auf. Das Konzept geht jedoch einen entscheidenden, im Grunde auch radikalen Schritt weiter. Der Schwierigkeitsgrad von Zielen wird hier nämlich so überzogen, dass sie in dem Moment ihrer Formulierung als unerreichbar wahrgenommen werden müssen. So stellt Jack Welch (1994) als prominenter Nestor dieser Idee fest: „If you do know how to get there – it’s not a stretch target.” Gemäß der gängigen Theorie wäre damit eher Demotivation und Leistungsschwäche zu erwarten. Die praktischen Ergebnisse sind mitunter (sprich: unter bestimmten Umständen) tatsächlich jedoch verblüffend anders. Dazu in Teil II des Beitrags mehr!

Latham, G./Seijts, G./Slocum, J. (2016): The goal setting and goal orientation labyrinth: Effective ways for increasing employee performance. In: Organizational Dynamics, 45(4), S. 271-277

Locke, E.A./Latham, G.P. (Hrsg.) (2013): New Developments in Goal Setting and Task Performance, New York

Welch, J.F. (1994): To Our Share Owners, 1993, https://www.valuewalk.com/wp-content/uploads/2014/11/Jack-Welch-GE-Annual-Letters-1980-to-2000.pdf

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