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Bad Leadership aus Sicht höherer Führungsetagen – Studie von Leadership Insiders

Die Führungspraxis und die Führungsliteratur sind voll von Beispielen und Befunden schlechter Führung. Beispiele werden in aller Regel erst bei einem offensichtlichen Versagen publik und die Befunde werden aus (den selten hierfür einschlägigen) Befragungen von Mitarbeitenden gewonnen. In dieser eigenen Studie fragen wir dort, wo Führende gemeinhin besonders kritisch beobachtet werden: im eigenen Milieu, also von anderen Personen mit Führungsverantwortung in derselben Organisation. Die Ergebnisse geben Anlass zur Besorgnis.

Sarah Quintans / Shutterstock

Thomas Kuhn und der hier Schreibende haben in ihrem Werk „Bad Leadership“ in 2020 eine kommentierende und klärende Bestandsaufnahme zur dunklen Seite der Führung in eigener Akzentuierung vorgelegt, um anschließend zu verdeutlichen, wie einer schlechten, nicht selten hochtoxischen Führung entgegengetreten werden kann. Dabei standen die Führenden, die Führungssituation und die Mitarbeitenden (Geführten) im Mittelpunkt der Betrachtung. Nicht eingegangen wurde auf die Frage, inwieweit innerhalb der Führungsetage selbst bemerkt wird, wo die „faulen Äpfel“ gären. Leadership Insiders hat das nun mit einer eigenen Studie nachgeholt. Diese untermauert Ausführungen aus „Bad Leadership“,  reichert sie aber um Erkenntnisse aus dem Führungsmilieu selbst an.

Besondere Verantwortung der Führungskräfte

Manchmal herrscht noch Unklarheit darüber, ob Führungskräften im Vergleich zu Mitarbeitenden eine besondere Verantwortung für ein aufrichtiges und umsichtiges Handeln zukommt. Dies muss eindeutig bejaht werden, denn Führung ist bedeutsam. Für ihren Geltungsbereich entscheidet sie in einem beträchtlichen Maß über das Wohl und Wehe des Teams oder einzelner Teammitglieder. Ergibt sich daraus eine besondere Verantwortung? Aber natürlich! Denn Führende besitzen eine formale Machtposition und Macht ist in Führungsbeziehungen zumeist asymmetrisch verteilt. Im Regelfall muss davon ausgegangen werden, dass Führungskräfte diejenigen sind, die eine größere Chance haben, Einfluss auf den Mitarbeitenden auszuüben als es umgekehrt der Fall ist. Und es ist unausweichlich für eine funktionierende Gemeinschaft, anzunehmen, dass mehr Macht, soll sie nicht tyrannisch daherkommen, auch mit mehr Verantwortung einhergehen muss. Umso gravierender ist es, wenn dieser Anspruch verfehlt wird. Auch wenn man mit der Relativierung von Führungsverantwortung sehr sorgsam umgehen sollte, dürfte die Position dennoch zu vertreten sein, dass mehr Macht mehr Verantwortung impliziert und die Bemessung der Verantwortung angesichts der Folgen von zuwachsender Macht eher exponentiell denn linear zu sehen ist.

Messung eines Bad Leadership

In der einschlägigen Führungsforschung haben sich inzwischen verschiedene Instrumente zur Messung einer schlechten Führung etabliert. Je nach theoretischer Ausgangssituation legen sie die Gewichte jeweils ein wenig anders. Besondere Beachtung zur Erfassung eines Bad Leadership hat schon relativ früh eine Skala von Delroy Paulhus und Kevin Williams aus 2002 gefunden, die der Idee der dunklen Triade (Dark Triad) folgend, Neigungen erfasst, die den Bereichen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie zuzurechnen sind. Während beim Machiavellismus das manipulative Ausnutzen eigener Machtmöglichkeiten im Vordergrund steht, geht es bei dem Narzissmus um die beständige Arbeit der Führungskraft an der eigenen Grandiosität und bei der Psychopathie (auf subklinischer und damit nicht im psychiatrischen Sinne krankhafter Ebene) um die eigene Empathielosigkeit bei höchstmöglichen Geschick, soziale Bedürfnisse von anderen scheinbar mitfühlend auszunutzen. Die Inhalte dieser dunklen Triade werden in dem entsprechenden Test natürlich differenzierter erfasst.

Bei meiner Forschung für Leadership Insiders habe ich mich auf fortgeschriebene Kurzskalen zur Erfassung der dunklen Triade von Albrecht Küfner, Michael Dufner und Mitja D. Back bezogen, die auf Deutsch unter dem Namen „Das dreckige Dutzend“ und die „Niederträchtigen Neun“ sprachmächtig laufen. Der Unterschied zwischen diesen beiden messtheoretisch gut abgesicherten Instrumenten liegt ganz einfach in der Anzahl der darin enthaltenen Aussagen. Die von mir schlussendliche verwendete Kurzskala besteht aus neun Aussagen (Items), die zu beantworten sind (3 für jede Dimension der dunklen Triade).

Typischerweise werden die Antworten von den Führungskräften selbst bezüglich ihres eigenen Verhaltens oder von Mitarbeitenden mit Blick auf den direkten Vorgesetzten jeweils sprachlich angepasst erbeten, um die einschlägige Führungsqualität einzuschätzen. Dadurch gewinnt man einen Einblick in das Ausmaß und die Intensität eines schlechten Führungsverhaltens. Methodische Bedenken, insbesondere zu Befragungen des eigenen Verhaltens, sind bekannt. Beispiele für solche Selbstbefragung sind: „Ich neige dazu, andere zu manipulieren, um meinen Willen durchzusetzen.“ „Ich neige dazu, von anderen beachtet werden zu wollen.“ „Ich neige dazu, gefühllos oder unsensibel zu sein.“

Die aktuelle Studie zu Bad Leadership aus Sicht der Führungsetage selbst

Es liegt auf der Hand, dass jede Perspektive ihren eigenen Reiz hat und unterschiedliche Einblicke gewähren kann. Ich habe mich in Abkehr des üblichen Vorgehens von der Überlegung leiten lassen, dass es oftmals andere Führungskräfte sind, die eine Führungskraft besonders gut aufgrund von getätigten Äußerungen und beobachtetem Verhalten einzuschätzen wissen. Dass Führungskräfte daran interessiert sind, wie andere Führungskräfte nicht zuletzt auch auf ihrem Level agieren, darf als gesichert gelten, denn diese Informationen sind extrem wertvoll, um die eigene Situation und das eigene Verhalten abzugleichen und, falls das ein weiteres Motiv ist, karrieretechnisch zu deuten. Denn neben der Beobachtung der Äußerungen und des Verhaltens anderer interessiert gemeinhin auch, was dieses Verhalten bewirkt – einerseits auf der Leistungsebene mit dem dortigen Team, andererseits in Form von Anerkennungen oder Missfallensäußerungen seitens höherer Vorgesetzter.

In dieser Studie habe ich eine neue Perspektive hinzugefügt. Sprachlich adaptiert sollten Führende nun beantworten, inwieweit sie bei anderen Führungskräften ein Verhalten beobachten, das dem entspricht, was die dunkle Triade repräsentiert. Abgezielt wird also auf das Milieu der formal Führenden in seiner Gesamtheit, soweit es individuell eingesehen werden kann. Wir vermuten, dass damit vordringlich Verhaltensweisen der Kollegenschaft (lateral) wie der direkten oder höheren Vorgesetzten (vertikal) ins Blickfeld rücken. Letztere, weil sie das eigene Wohlbefinden und die eigene Karriere tangieren, Letztere, weil sie die naheliegende Referenzgröße für einen selbst sind.

Gefragt habe ich konkret:

Wenn Sie sich in Ihrem Unternehmen einmal umschauen, wie schätzen Sie das Führungsverhalten anderer ein? Bitte sagen Sie uns, ob Sie die folgenden Statements teilen oder nicht teilen:

Ich beobachte hier in meinem Job Führende, die dazu neigen, …

Im Rahmen einer umfangreicheren Führungskräftestudie, die auch von zwei anderen Institutionen getragen und von Leadership Insiders wissenschaftlich begleitet wurde,  habe ich abschließend eine eigene und forschungsorientierte Befragung angehängt. Meines Wissens erstmalig wurden zur Erforschung von Bad Leadership hier neben (vergleichsweise wenigen) Mitgliedern aus der Geschäftsführung nur Leitende Angestellte und außertarifliche Angestellte als Zielgruppe angesprochen. Damit ist die Befragung in den höheren Führungsetagen angesiedelt, deren Vertreterinnen und Vertreter über hinreichend Führungserfahrung  verfügen und ob ihres formalen Status eine besonderen Verantwortung für eine ethisch ansprechende Führung besitzen.

Wesentliche Ergebnisse meiner Studie weise ich nachfolgend aus[1] :

  • Eine statistische Prüfung zeigte, dass die Kurzskala in sich konsistent ist, was einen Indikator der Zuverlässigkeit des Instruments darstellt (Cronbach‘s alpha = .92). Eine empirische Analyse der insgesamt 941 Fälle, erhoben in verschiedenen Branchen, legt im Abgleich mit der theoretischen Fundierung eine eindimensionale Struktur des Instruments nahe. Ein häufiger Befund. Der Gesamtwert steht also für das Ausmaß des Dunklen in der Triade und kann summarisch als ein Index interpretiert werden (Furnham/Richards/Paulhus 2013). Nennen wir ihn also: Dark-Leadership-Index. Dies schließt nach Studienlage übrigens nicht aus, dass die drei konzeptionell zu trennenden und hier einfließenden Dimensionen (Machiavellismus etc.) eine jeweils differenzierende Kraft auf andere Größen wie z.B. „Engagement bei den Geführten“ entfalten können. Dies weiterzuverfolgen, war jedoch nicht Anliegen dieser Untersuchung.
  • Der Dark-Leadership-Index beträgt 3,04 (Min: 1/Max: 5). Damit wird zugleich eine erste Referenzgröße für andere Organisationen vorgelegt. Dies entspricht sprachlich einer „teils/teils“-Bewertung, was die Bedeutung des Befundes angesichts der durchaus drastischen Formulierungen, die zu beurteilen waren, unterstreicht. Alter, Geschlecht, Führungserfahrung, Nettoeinkommen und Unternehmensgröße wirken sich nicht signifikant auf die einschlägige Wahrnehmung anderer Führungskräfte aus.
  • Hingegen hat sich gezeigt, dass insbesondere die Zeit, die sich der/die eigene Vorgesetzte für den Austausch und Kontakt nimmt, interessanterweise – sofern als ausreichend angesehen – einen beträchtlichen hemmenden Einfluss auf die negative Bewertung der anderen Führungskräfte ausübt (β = .23). Insgesamt konnte dieser Faktor innerhalb einer linearen Regressionsanalyse (ohne Berücksichtigung anderer Prädiktoren) sogar 10% des Dark-Leadership-Index erklären. Auch die empfundene Arbeitsplatzsicherheit ist nicht zu vernachlässigen: So konnte bei einer hohen Arbeitsplatzsicherheit auch hier ein hemmender Einfluss auf die negative Bewertung der anderen Führungskräfte festgestellt werden (β = .29).
  • Gerät eine Führungskraft unter Stress, annäherungsweise geschlossen aus dem Grad der empfundenen Arbeitsdichte, so geht dies sofort mit einer Verstärkung einer beobachteten schlechten Führung einher (β = .11); ebenso, wenn die Führungskraft selbst zu wenig Zeit für die eigenen Mitarbeitenden hat (β = .18). Damit stellt sich heraus, dass ein Umfeld, was zu wenig Zeit für die beziehungsorientierte  (Führungs-)Arbeit lässt, ein Milieu, in dem eine schlechte Führung wahrgenommen wird, gedeihen lässt. Dies mag dann an fehlenden Resonanzerfahrungen liegen, deren Bedeutung ich für eine gelingende Führungsbeziehung anderenorts näher beschrieben habe (2021).
  • Auch Ziele, die als schwer erreichen eingestuft werden (Zielschwierigkeit), haben für sich betrachtet einen hohen, verstärkenden Einfluss auf die negative Bewertung der anderen Führungskräfte (β = .30). Diese Einschätzung der im Arbeitsalltag schwer zu erreichenden Ziele korreliert signifikant und nennenswert gleichgerichtet mit der Wahrnehmung einer hohen Arbeitsverdichtung, von strikten Anreizsystemen und einer Profitorientierung, um die sich alles dreht. Dies ist nun ein aktueller Befund, den Thomas Kuhn und ich in unserem Werk „Bad Leadership“ (2020) theoretisch bereits vorgezeichnet haben. Da sich die hier aufgeführten Größen wechselseitig beeinflussen, sollten qualitative Studien diese sich von einer guten Führung  entfernenden Abwärtsspirale in der Führungspraxis zukünftig inhaltsreicher beleuchten.

Die Ergebnisse sind auch so zu lesen, dass eine Zufriedenheit mit der eigenen Führungssituation mit der Wahrnehmung einer schlechten Führung um einen herum negativ korreliert (r=-.40). Damit ist zumindest nahegelegt, dass sich das schlechte Handeln von Führungskräften zumindest bei denen negativ auswirkt, die selbst eine verantwortungsvollere Führung praktizieren möchten.

Bad Leadership bleibt ein Thema

Die aktuelle Studie zeigt, dass eine schlechte Führung weiterhin als solche in den Organisationen wahrgenommen wird und dies auch von höherrangigen Führungskräften. Dass diese oberen Führungsetagen selbst Teil des Problems sind, steht angesichts des Aufmerksamkeitsfeldes der Befragten zu vermuten. Verwundern kann dies Eingeweihte nicht, deuten Studien doch an, dass ethisch labile Personen, gerade mit narzisstischer Grundtönung, solche höheren Positionen im Management überproportional erreichen. Es hilft also nicht – schauen wir uns allein die Folge für die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeitssituation an – darüber zu schweigen, sondern es ist geboten, zu handeln; angesichts der bedeutsamen strukturellen Faktoren, die in dieser Studie im Zusammenhang mit einer schlechten Führung stehen, geht es am Ende wie so oft um integrale Herangehensweisen.

[1] Alle Ergebnisse sind signifikant (p < .001). β-Angaben sind unstandardisiert. Die Standardabweichung beim Dark-Leadership-Index beträgt .92.

Anmerkung:

Für die statistischen Berechnungen zur Hinterlegung meiner Ausführungen bedanke ich mich bei Diplom-Kauffrau Claudia Galloy.

Furnham, A. /Richards, S. C. /Paulhus, D. L. (2013): The dark triad of personality: A 10 Year Review. In: Social and Personality Psychology, 7(3), 199-216

Küfner, A. C. P. /Dufner, M. / Back, M. D. (2014): Das Dreckige Dutzend und die Niederträchtigen Neun. Kurzskalen zur Erfassung von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. In: Diagnostica, 1-16

Kuhn, T. / Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Paulhus, D. L. / Williams, K. M. (20002): The dark triad of personality: Narcissism, Machiavellianism, and psychopathy. In: Journal of Research in Personality, 36(6), 556-563

Weibler, J. (2021) Digitale Führung.  Beziehungsgestaltung zwischen Sinnesarmut und Resonanz, München