Ethische Führung zahlt sich aus! Stimmt das wirklich? Oder stimmt das Gegenteil – dass wer Erfolg sucht, gerade keine Rücksicht auf die Moral nehmen kann? Leadership Insiders zeichnet diese ebenso verbreiteten wie konträren Führungsmythen nach, erklärt deren spezifische Defizite und skizziert schließlich einen vermittelnden „Dritten Weg“ zwischen den Extremen.

Niccolo Machiavelli
(vkilikov/Shutterstock)

Wer als Führender erfolgreich sein möchte, und wer wollte das nicht, der muss ethisch führen, also gut sein und Gutes tun. So hört man immer wieder. Klar ist aber auch, wer führt, der hat Macht. Und hier wiederum steht die viel zitierte Aussage im Raum, dass Macht Menschen korrumpiert. Würde dann eine Führung überhaupt ethisch sein können? Ist dies aufzulösen? Leadership Insiders spürt zwei populären Führungsmythen nach und liefert differenzierende Einsichten jenseits eines verkürzenden Schwarz-Weiß.

Führungskräfte sind mächtig, aber auch moralisch?

Führungskräfte sind per definitionem mit Macht ausgestattet. In Organisationen ist die durch die Hierarchie verliehene Macht die offensichtlichste. Danach dürfen sie Nachgeordneten Anweisungen erteilen, und sie – vertraglich kodifiziert – „belohnen“ wie auch „bestrafen“. Andere, informelle Machtgrundlagen treten hinzu, beispielsweise Informationsvorsprünge. Dadurch beeinflussen Führungskräfte das Verhalten ihrer Mitarbeiter, dies mitunter in Ausmaßen und mit Auswirkungen, die über das mit dem Eintritt in die Organisation bewusst Akzeptierte (z.B. Auslandseinsatz) hinaus weisen können (z.B. Wohlbefinden, Gesundheit).

Wie gehen Führungskräfte aber nun mit ihrer Macht um? Von Bedeutung innerhalb der Führungsdiskussion ist daher immer auch die Frage, ob Führungskräfte über eine hinreichend ausgeprägte Moral verfügen, ein starkes Verantwortungsbewusstsein besitzen, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet sind etc. pp. Sind Führende also „gute Menschen“, die Gutes tun? Oder sind Führende nicht doch eher das Gegenteil – wie etwa die vieldiskutierten Narzissten oder Machiavellisten, die weder Moral besitzen noch sich um diese scheren?

So gefragt, was denn nun stimme, werden Sie vielleicht sagen: Beides kann je nachdem der Fall sein! Genau dieses „Sowohl-als-Auch“ widerspiegelt sich in der Diskussion über Führung allerdings nicht immer. Denn dort haben sich Positionen verfestigt, die jeweils eine Seite so stark machen, dass die jeweils andere wenig wahrscheinlich erscheint. Sie stehen, schaut man genauer hin, für divergente Führungsmythen, die uns allzu häufig begegnen und die für uns die Frage bereits beantwortet haben, ob Führende moralische Menschen sein müssen – oder gerade nicht, um Erfolg zu haben.

Mythos 1: Nur wer mit Moral führt, der wird erfolgreich sein!

Diese weithin dominierende Führungssicht bezeichnete die Harvard-Professorin Barbara Kellerman (2004) einmal treffend als „light side of leadership“ – „hell“ deshalb, weil damit quasi begründet wird, dass jeder, der – zumindest längerfristig und insofern erfolgreich – führt, notwendigerweise auch moralisch geführt haben muss. Denn, so der Gedanke,

ethische und gerechte Führung erwirkt bei den Geführten Zufriedenheit mit ihrem Vorgesetzten und ihrer Arbeit, steigert die Motivation, fördert damit die Leistung und senkt nicht zuletzt auch die Neigung, das Unternehmen zu schädigen oder zu verlassen.

Spieltheoretisch gesprochen kommen wir so zu einer win-win-win-Situation: Alle gewinnen bei „ethischer Führung“ – die Mitarbeiter an Zufriedenheit, die Organisation in Form von Leistung, und den erfolgreichen Führungskräften winkt Anerkennung und Aufstieg. Zahlreiche empirische Studien (vgl. bspw. Ng/Feldman 2015) stützen diese Sichtweise. die sich gleichfalls auf die Erwartungshaltung der Mitarbeiter stützen kann.

So hat die GLOBE-Studie (Weibler 2016, S. 523ff.) länderübergreifend erforscht, was Führungspersonen daran hindern würde, als eine herausragende Führungskraft eingestuft zu werden. Auf der Liste der Negativmarker standen Charakterisierungen wie „rücksichtslos“, „egozentrisch“ und „diktatorisch“, die ganz offensichtlich eine Immoralität verkörpern, wohingegen die weltweit gesuchten Führungskräfte „vertrauenswürdig“, „ehrlich“ und „gerecht“ sein sollten, was leicht mit „moralisch“ in Verbindung zu bringen ist.

Passend dazu schürt in diesem Mythos ein „unethical“ oder „bad leadership“ zunehmend Unruhe und Unzufriedenheit. Das ist der Motivation und Leistung deutlich abträglich und wirkt sich negativ auf die organisationale Performance aus. In der Konsequenz wird unmoralische Führung damit auch für den Führenden selbst zum Problem, das häufig auf ein persönliches „Derailment“ (bis hin zum Karriereende) hinausläuft. So der allgemeine Tenor hinsichtlich der sog. „dark side of leadership“ (vgl. Kuhn/Weibler 2012).

Mythos 2: Wer erfolgreich sein will, der kann auf die Moral keine Rücksicht nehmen!

Dem universell-harmonischen win-win-win der „light side of leadership“ folgen jedoch nicht alle. Der renommierte Professor der Stanford University, Jeffrey Pfeffer, beispielsweise gab seinem neusten Buch den Titel „Leadership BS“ (2015). „BS“ steht dabei für „Bullshit“.

Seine (Anti-)These lautet: Das, was die Leadership-Industrie mehrheitlich produziert (s.o.), sind reine „feel-good-stories“, die eine Kausalität und Realität vorgaukeln, die de facto so gar nicht existiert – und von daher schlicht „BS“ sind. Dazu verweist er seinerseits auf einschlägige Studien, die zeigen, dass die Arbeitswelt überwiegend durch Mitarbeiter geprägt ist, die unzufrieden und demotiviert agieren und ihren Vorgesetzten und Unternehmen höchst misstrauisch gegenüber stehen. Wenn Unternehmen angesichts dessen wirklich auf ethische Führung als Erfolgsfaktor setzen wollten, könnten sie, so Pfeffer, einigermaßen problemlos bescheidene, hoch moralische und grundehrliche Führungskräfte auswählen und in Position bringen. Tatsächlich sei aber das Gegenteil zu konstatieren: „a preference for immodest, grandiose, and narcissistic leaders“ (S. 83).

Die Welt der Führung sieht für Pfeffer folglich auch völlig anders aus: Unternehmen interessieren sich im Grunde nicht für die Interessen ihrer Mitarbeiter, ebenso wie Führungskräfte weder den Bedürfnissen der von ihnen Geführten noch den Zielen der sie beschäftigenden Organisation, sondern ausschließlich ihren eigenen Interessen dienlich zu sein beabsichtigen. Wer im Zuge seiner egoistischen Interessenverfolgung lügt, betrügt oder in sonstiger Weise unmoralisch handelt, kommt in aller Regel ungeschoren davon.

Ergo: Nicht darauf setzen, dass die (Arbeits-)Welt fair ist oder wird, denn das ist und wird sie nicht. Vielmehr gelte (S. 187):

„Take care of yourself and assiduously look out for your own interests”

Differenzierende Erkenntnisse zwischen den Extremen

Die Führungswelt, die Pfeffer beschreibt, ist im Grunde jene, in der Erfolg und Ethik als Antipoden erscheinen. Eine Einschätzung, die früher bekanntlich schon von anderen und durchaus prominent vertreten wurde. Man denke nur an Lord Acton und dessen ihm zugesprochene unsterbliche These, dass

„Macht korrumpiert“ und absolute Macht „absolut korrumpiert“,

aber auch an Thomas Hobbes‘ Bild vom „Kampf aller gegen alle“, sowie an die ethikbefreiten Handlungsanweisungen, die Niccolò Machiavelli seinen „Fürsten“ ins Stammbuch schrieb. Ja, und wenn man so will, auch an den bemerkenswert verbreiteten Witz, mit dem das Fach Wirtschaftsethik gerne bedacht wird: Student: „Herr Professor, ich möchte Wirtschaftsethik studieren“, Professor: „Jetzt entscheiden Sie sich mal, entweder das eine oder das andere; beides zusammen geht nicht“.

Ganz anders dagegen die „light side of leadership“. Hier wird eine universelle soziale Harmonie vorgestellt, in der Ethik und Erfolg sich vollkommen bedingen und „Unethik“ unweigerlich in Misserfolg mündet. Denkt man diese Sichtweise einmal zu Ende, dann müssten vor allem erfolgshungrige Egoisten ethisch handeln – weil ja viel Ethik viel Erfolg verspricht.

Insgesamt lässt sich damit resümieren, dass beim ersten Ansatz praktisch überall Ethik und Moral herrschen, beim zweiten hingegen nirgendwo. Da das eine ebenso falsch ist wie das andere, beides aber große, tief verwurzelte Narrative sind, haben wir beide Ansätze als Mythen bezeichnet. Das heißt aber sofort: Wir sollten diese (simplifizierenden) Sichtweisen nicht teilen, aber ernst nehmen!

Glücklicherweise gibt es diesseits der populären Führungsmythen auch Ansätze, die ein differenzierteres Bild der führungsethischen Problematik zulassen. Exemplarisch hierfür wollen wir kurz die Arbeit von DeCelles u.a. (2012) skizzieren, die gewissermaßen (dialektisch) eine Synthese aus den beiden Führungsmythen darstellt.

Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob (Führungs-)Macht immer genutzt wird, um Eigeninteressen zu verfolgen, oder ob (Führungs-)Macht nicht auch genutzt werden kann, um dem Gemeinwohl (oder auch: Mitarbeiterwohl) zu dienen.

Quasi mit Blick auf unseren Mythos 1 wird dabei eingeräumt, dass es sicherlich Situationen gibt, in denen die Förderung des Gemeinwohls unmittelbar auch dem Eigennutzen dienlich sein wird (win-win-situation). Allerdings wird auch davon ausgegangen, dass es hinreichend Situationen gibt, in denen der Eigennutz nur auf Kosten des Gemeinwohls gesteigert werden kann – und umgekehrt (win-lose-situation).

Folgte man dem Mythos 2, dann wäre davon auszugehen, dass in allen diesen Fällen Macht korrumpiert und also ein jeder seinen Nutzen auf Kosten der anderen steigern wird. Dass diese Möglichkeit besteht, wird ebenfalls eingeräumt. Allerdings wird auch in Betracht gezogen, dass Menschen dem Gemeinwohl dienlich sein wollen, selbst wenn dies mit Einschränkungen und Verzichten für sie selbst verbunden ist.

Zur näheren Erklärung dieser unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten werden zwei weitere Kategorien in die Betrachtung einbezogen:

  • „moralische Identität“, sozusagen die Frage, ob wir qua Charakter nur an uns selber denken (Egoisten) oder ob wir zudem auch eine Verantwortung gegenüber anderen und deren berechtigten Interessen besitzen („Moralisten“ im positiven Wortsinne),
  • „moralisches Bewusstsein“, was gleichsam auf die Fähigkeit verweist, die moralische Dimension unseres Handelns angemessen zu erkennen.

Im Ergebnis zeigen die Autoren, dass je nachdem vieles und sehr verschiedenes möglich ist:

(Führungs-)Macht kann korrumpieren – aber nur dann, wenn die moralische Identität des Einzelnen schwach ausgeprägt ist. Dies impliziert: Macht kann auch positiv zum Nutzen der anderen verwandt werden, wenn nämlich die moralische Identität, aber auch das moralische Bewusstsein des Führenden, stark ausgeprägt sind. Erkennbar ist im Weiteren, dass manche wohl bereit sind, ihren Eigennutzen ganz bewusst auf Kosten von anderen zu steigern (hohes moralisches Bewusstsein bei geringer moralischer Identität). Andere hingegen wären hierzu nicht bereit. Wichtig ist ferner zu erkennen, dass zum moralischen Handeln in jedem Falle auch ein Bewusstsein über die Auswirkungen der eigenen Handlungsweisen gehört, dass seinerseits auf die Notwendigkeit entsprechender Information und Kommunikation verweist.

Führungsmythen kennen und ihnen widerstehen

Die Führungswelt wird weithin dominiert durch Mythen der Führung. Deren zentrale Charakteristika lauten: Sie sind schlicht und unterkomplex, bedienen gedankliche Schablonen und einfache Weltbilder, verkaufen sich leider gut und schreiben sich deshalb auch immer weiter fort. Aber es sind und bleiben Mythen, die nur in (kleineren) Teilen wahr und in vielerlei Hinsicht einfach falsch sind.

Ihnen aufzusitzen und zu folgen wäre fatal – für Führende, Geführte und Organisationen, darüber hinaus aber auch für Politik und Gesellschaft. Was entsprechend dringlich ist, sind differenzierte Einsichten, die als Anleitung für konstruktive Gestaltungs- und Verbesserungsansätze fungieren können. Problembezogen heißt dies: Die (sozialharmonische) Idee, dass Führung immer ethisch sein muss, führt uns ebenso in die Sackgasse wie die (sozialdarwinistische) Vorstellung, dass Führung niemals ethisch sein kann.

Zur Beförderung einer ethikbewussten Führung in Organisationen ist es vielmehr erforderlich, zu erkennen, dass Führungskräfte unter anderem in Bezug auf ihre moralische Identität wie auch hinsichtlich ihres moralischen Bewusstseins sehr unterschiedlich sein können, und die richtigen Konsequenzen hieraus zu ziehen. Die richtigen Konsequenzen aus Sicht der einzelnen Organisation sind zuvorderst in der strukturellen Führung zu verorten. Hierfür trägt das Top-Management wie dessen Kontrollgremium die Erstverantwortung: Die Sicherung von Führungsstandards durch Personalpolitik, Personalauswahl, Personalentwicklung und Karriereentscheidungen. Wird dies in Ihrem Haus auch schon so gesehen? Wenn nicht, könnten Sie es sein, der als Erster den Anstoß dazu gibt und damit etwas in Bewegung bringt. „In Bewegung (auf ein Ziel hin) setzen“ ist, Sie ahnen es schon, die sinngemäße Wortherkunftsbedeutung von Führung.

DeCelles, K./DeRue, S./Margolis, J./Ceranic, T. (2012): Does power corrupt or enable? When and why power facilitates self-interested behavior. In: Journal of Applied Psychology, 97(3), S. 681-689

Kellerman, B. (2004): Bad leadership, Boston

Kuhn, T./Weibler, J. (2012): Führungsethik in Organisationen, Stuttgart

Ng,T.W./Feldman, D.C. (2015): Ethical leadership: Meta-analytic evidence of criterion-related and incremental validity. In: Journal of Applied Psychology, 100(3), S. 948-965

Pfeffer, J. (2015): Leadership BS, New York

Weibler, J. (2016): Personalführung, 3. Aufl., München