Manager, gestresst am SchreibtischGestresste Führungskräfte ist eine Beschreibung, die niemanden überrascht. Überraschend wäre es eher, wenn von entspannten Führungskräften die Rede wäre. Als Ursachen für den Stress von Führenden werden typischerweise Arbeitsverdichtung, Zeitdruck, technologische Neuerungen, Konflikte unterschiedlichster Natur, ein Übermaß an Verantwortung, Fluktuation im Team, lästige Missverständnisse und vor allem der Stress mit den eigenen Vorgesetzten, die Erwartungen beständig höher schrauben, angegeben. Dabei ist nicht zu vernachlässigen, dass sich der Wechsel des direkten Chefs oder auch höherer Vorgesetzter ebenfalls auf das Stressniveau auswirken. Nachvollziehbar, denn gerade hierdurch entsteht Unsicherheit, Angst vor Arbeitsplatzverlust und damit innere Unruhe, die bis ins Private reichen kann. Das sind alles wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen. Eine Stressquelle wird jedoch systematisch vernachlässigt: die eigenen Mitarbeitenden. Leadership Insiders sagt mehr dazu.

Führungsstress durch Verhaltensweisen der Mitarbeitenden

Gestresste Führungskräfte sind ja bereits das Resultat einer Entwicklung. Die Reaktion Stress entsteht dabei erst, wenn der Körper und/oder der Geist die auf das Individuum wirkende Belastung nicht mehr kompensieren kann (Weibler 2023). Wenn wir auf das Mitarbeiterverhalten fokussieren, so sind es soziale Belastungsfaktoren, die formal aus der Position oder informell aus Interaktionen resultieren können.

Eine Studie von Gesang u.a. (2024) aufgreifend, die aber mit eigenen Ergänzungen und Überlegungen versehen wird, sind es die unteren Verhaltensweisen, die typischerweise belastend auf Führende wirken:

  • Nachahmen der Führungskraft: Mitarbeitende machen sich lustig über die Führungskraft, die sich so persönlich attackiert fühlt.
  • Unfreundliches Missverstehen: Mitarbeitende erkennen bewusst nicht den Sinn, der in einer Erledigungsbitte liegt.
  • Wahrgenommene Schlechtleistung bei Zeitdruck: Der Zeitdruck entsteht entweder aufgrund einer Terminierung oder weil die Führungskraft keine Zeit hat, die Aufgabe hinreichend zu erläutern. Am Ende ist beiden gemeinsam: Die Leistung stimmt nicht.
  • Wahrgenommene Schlechtleistung im Zeitverlauf: Immer wieder kommt die Führungskraft zu dem Schluss, dass die Aufgaben nicht oder nicht gut erledigt werden.
  • Wiederkehrende Unzuverlässigkeit: Unzuverlässigkeit kann durchaus unter der Rubrik „schlechte Leistung“ verarbeitet, wenn man es verhaltensbezogen sieht, aber es ist doch eher eine Sonderkategorie, weil sie das Verhalten der Führungskraft extrem triggert: Nie sicher sein zu können, dass jemand da ist, dass eine Aufgabe oder gar ein Projekt zu einem ordentlichen Ende kommt, dass nichts vergessen wird usw., ist extrem anstrengend. Hinterherrennen nervt. Da macht man es gleich selbst oder gibt es denen, die es sicher hinbekommen – und überlastete diese möglicherweise damit, was wiederum auf einen selbst und damit die eigene Verfasstheit zurückschlagen kann.
  • Unselbständigkeit: Sicher kann man auch dies als eine „Schlechtleistung“ sehen, doch erscheint auch dieser Punkt herauszuheben zu sein, denn wir fokussieren hier doch auf den Charakter, der erst einmal gar nichts mit einem Leistungsverhalten zu tun hat. Wir reden von mangelndem Selbstvertrauen, der die Person auf ein Scheitern, gar konkrete Fehler fokussieren lässt, das Gefallenwollen übergewichtet und eigene Stärken untergewichtet. Dies mündet in zögerlichem Verhalten, beständigem Nachfragen, ein Übermaß an Feedbackschleifen und sehr hoher Risikoaversion. Für einen Neuling noch auf der Verhaltensebene in Ordnung, für eine weitere Integration in das Team bei einer erworbenen Hilflosigkeit allein in der Wahrnehmung hinderlich. Alsbald steht die Führungskraft vor der Frage: Und jetzt? Der gesamte zeitraubende und teure Einstellungsprozess wird sofort visualisiert. Und dann ist da der unterstützungsbedürftige Mensch, der sich viel vorgenommen hatte, eventuell mit seiner Familie umgezogen ist. Wie lange verdient er das Vertrauen der Führungskraft (siehe auch dazu den letzten Punkt)? Man sieht, je intensiver alles einbezogen wird, umso unruhiger kann es für die Führungskraft werden, gerade wenn es sich um ein (Quasi-)Dilemma handelt. Auch sieht man hier, dass feste Prinzipien, die sich vom Einzelfall lösen und dem Grundsätzlichen verpflichtet sind, damit nicht abwägen müssen, selbstschutzförderlich sein können.
  • Unerwartete unfreundliche Reaktion in einem Feedbackgespräch: Hier begegnet der Führungskraft entweder Widerstand bei der Einschätzung oder der Mitarbeitende nimmt das Feedback extrem persönlich oder wartet plötzlich mit Ideen auf, die gar nichts mit dem Feedbackgespräch zu tun haben, auf die man jedoch eingehen muss.
  • Dauerhaft schlechte Laune eines Mitarbeitenden: Die Führungskraft trifft beständig auf Klagen, Unzufriedenheit und/oder eine pessimistische Grundeinstellung. Diese Negativität wirkt sich potenziell zudem auf das Team aus.
  • Konkurrenzdenken unter Mitarbeitenden: Konkurrenz mag „das Geschäft beleben“, aber wenn es zu Unproduktivitäten, beispielsweise durch Zurückhaltung von Informationen führt, zu Missgunst, Gerüchten, Abwertungen anderer u.v.m. beiträgt, wird es anstrengend.
  • Fehlende Proaktivität des Mitarbeitenden: Hier wird die Führungskraft nie positiv überrascht, keine Initiative, die einen selbst entlastet, aufbaut, hoffnungsfroh stimmt, erreicht sie, stattdessen ist das unauffällige Arbeiten des Mitarbeitenden im eigenen Garten bereits resignativ als eine Erfolgszuschreibung zu werten. Die Folge: Alles muss selbst in die Hand genommen werden, die eigene Verantwortung wird weiter erhöht.
  • Das Führen von Entlassungsgesprächen: Die Führungskraft muss entweder eine Entscheidung höherer Ebenen kommunizieren oder sieht sich selbst zu einer Trennung gezwungen.

Neben diesen in einer persönlichen Interaktion vorkommenden Belastungen der Führungskraft bietet natürlich auch die schriftliche Kommunikation, oftmals E-Mails, genug Stoff für Stressreaktionen: persönliche Attacken, die plötzliche Nachricht, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, wobei keine andere Lösung zur Aufgabenbewältigung in Sicht ist, eine Rückdelegation von Aufgaben, die formal zudem unangemessen ist, oder auch eine (von vornherein) viel zu weite Einbeziehung Dritter in die Konversation durch Verteiler etc. – und hier im Speziellen die Einbeziehung von Kunden, was dann auch bei anderen den Eindruck erweckt (erwecken soll), die Führungskraft sei überfordert.

Auf einer abstrakten Ebene wirken diese Faktoren auf die persönliche Integrität der Führungskraft ein, die für das eigene Selbst wichtig ist. Man könnte ergänzen, dass diese Einwirkung einen Kontrollverlust über die Situation für die Führungskraft provoziert, der nicht ohne Weiteres umkehrbar ist. Wäre er es, fiele das Stresserleben unbedeutender aus und würde als „mitbezahlt“ abgehakt. Ist es aber nicht – und so entsteht am Ende womöglich das unerfreuliche Szenario des eigenen Scheiterns, und zwar umso eher, je wichtiger der betreffende Mitarbeitende für den Teamerfolg oder direkt für den eigenen Erfolg ist.

Gestresste Führungskräfte – Fazit

Wir alle haben von den Folgen von Stress bereits gehört. Ich verweise nur auf die verminderte Entscheidungsfähigkeit der Führungskraft oder die Gefährdung der Güte ihrer Entscheidung, denn Vorgesetzte definieren sich ja zwangsläufig immer auch über Entscheidungen, die von ihnen zu treffen sind.

Zu selten denken wir daran, dass auch das Verhältnis zu Mitarbeitenden für die Entstehung von Stress bedeutsam ist. „Gestresste Führungskräfte“  werden aber weder in der Führungsforschung noch im Führungsalltag hinreichend damit verbunden. Führungskräfte sind, um damit besser umzugehen, aufgefordert, dass, was sie durch das Mitarbeiterverhalten belastet, anzusprechen, um dann gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Am Ende können Potenziale nur ausgeschöpft oder Hochleistungen erzielt werden, wenn auch Führungskräfte eine bestmögliche Umgebung vorfinden. Ausgeklammert haben wir Effekte des Verhaltens der Führungskraft, die zu einer Situation bei Mitarbeitenden führen, die sie dann wiederum belasten. Aber nicht alles ist einfach der Führungskraft anzulasten. Was wann für wen in einer Führungsbeziehung angemessen ist, muss situativ besprochen und gelegentlich auch fest geregelt werden. Ziel ist es, eine Kommunikationskultur zu haben, die es erlaubt, nicht nur einmal im Jahr über die Problematik „gestresste Führungskräfte“ zu sprechen, sondern es sollte anlassbezogen erfolgen. Gegenseitiges Verständnis zeichnet eine gute Führungsbeziehung eben auch aus.

Gesang, E./Klingenberg, I./Süß, S. (2024): When do leaders feel stressed by their followers? An examination of face-to-face, virtual and written interactions. IN: Leadership, 20(2), 52-76

Weibler, J. (2023): Personalführung, 4. Auflage, München