In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 wurde die Sklaverei verboten. Aber sie existiert ungebrochen bis heute weiter. Nachdem ihre Formen und ihrer ökonomische Bedeutung beschrieben werden, richtet sich das Augenmerk des Beitrags auf die diesbezügliche gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. In den USA werden schon Best Practices ausgewiesen. Auch europäische Firmen werden sich absehbar einer erweiterten Compliance-Debatte mit gewachsenen Transparenzerwartungen stellen müssen.

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Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948 verbietet sämtliche Formen der Sklaverei. Und tatsächlich ist auch überall auf der Welt die legale Institution „Sklaverei“ abgeschafft. Realität ist sie dennoch geblieben. Mehr noch: Nie gab es mehr Sklavinnen und Sklaven als heute. Die dadurch erwirtschafteten Profite sind immens, die Opfer Legion. Angesichts diesbezüglichen Staatsversagens wird in der CSR-Debatte eine Privatisierung der unternehmensrelevanten Menschenrechte gefordert. Leadership Insiders gibt einen Einblick in die dämonische Welt der Körperkapitalisierung und führt Gegenaktivitäten von Lead-Unternehmen auf diesem Gebiet an.

Sklaverei vergessen und verdeckt, aber erschreckend aktuell

„Ohne Zweifel ist die Sklaverei das Größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben“

Selbst bei den radikalsten Globalisierungsgegnern komme, so der Historiker Michael Zeuske noch 2013, Sklaverei meist nur in der Vergangenheit vor. Und in der Tat ist es eher die Filmindustrie, die immer wieder einmal auf die „große“ Zeit der Sklaverei verweist, nämlich die hegemoniale Plantagensklaverei. Dabei ist diese „lediglich“ eine sehr bedeutende Schreckensepoche der Sklaverei, aber weder die erste noch die letzte.

Diese Vergangenheitsassoziation verklärt den Blick dafür, dass sich, während ich diese Zeilen niederschreibe, weltweit mehr Menschen in Sklavereien befinden als jemals zuvor. Laut dem Global Slavery Index (GSI) fristeten in 2016 40.3 Millionen ihr Dasein in ausgelieferter Unfreiheit (davon 24.9 Mio. in Zwangsarbeit), wobei andere Schätzungen in Ermangelung einer verbindlichen Rechtsdefinition Werte zwischen 12 und 250 Millionen ausweisen.

Die meisten Sklavinnen und Sklaven leben im asiatischen und pazifischen Raum, aber auch Europa ist mit 2,7 % nicht außen vor. Selbst in Deutschland sollen es 14.500 Personen sein (0,018 %). Der mit der Kapitalisierung von Körpern gemachte Umsatz wird auf rund 150 Milliarden Dollar geschätzt, eine Summe, die natürlich je nach Rechtsdefinition der Sklaverei ebenfalls gewaltig schwankt (Marschelke 2015). Die Kinderarbeit tritt noch hinzu und wird auf der Website der Walk Free Foundation, die den GSI verantwortet, mit 150 Millionen angegeben.

Die Handelspreise einer illegalen Aneignung sind historisch tief. Während im antiken Griechenland der Gegenwert von Sklaven, eingestuft als Sachgut, im Schnitt 3-10 Rinder betrug, zahlten zur Hochzeit der Plantagensklaverei deren Besitzer umgerechnet 15.000 bis 40.000 Euro für voll arbeitsfähige Sklaven, dies bei einem Amortisationszeitraum von 20 Jahren. Im römischen Reich wurden für gelehrte Sklaven vereinzelt noch weit höhere Preise gezahlt, sofern der Sklave als „Luxusgut“ den Status des Besitzers erhöhte; der wirtschaftliche Aspekt solcher Haussklaven war dann bestenfalls sekundär. Im westafrikanischen Kakaoanbau werden, wie zu hören ist, heute schon Kinder für 50 Euro gehandelt (durchschnittlich rund 250 Euro). Hier regiert der „freie“ Markt; Nachfrage und Angebot bestimmen den Preis. Fest steht nach Expertensicht, dass Sklaverei, Menschenhandel und unfreie Arbeit mehr denn je Teil unserer Globalgeschichte sind (auch wenn sie relativ zur Weltbevölkerung abnehmen).

Formen der Sklaverei

Die Sklaverei hat eine lange Geschichte, die bis auf 10.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung zurückreicht. Dem Soziologen und National Book Award Winner Orlando Patterson (1982) folgend, sind – mit Überlappungen ­–  acht alte Formen der Versklavung (u.a. Tribut bzw. Steuerzahlung, Schulden, Kriminalstrafe) sowie vier Formenmoderner Versklavung zu unterscheiden:

  • Kriegsgefangenschaft und Entführung
  • Kinderverkauf (Armut, besonders gefährdet sind Mädchen)
  • Täuschung (Tätigkeit /Arbeitsbedingungen / Löhne [„Gebühren“] )
  • Verschuldung (Notsituationen / Perspektivenlosigkeit / Vererbung)

Auch wenn sich die Formen der Sklaverei unterscheiden (deshalb wird von Sklavereien gesprochen),

geht es bei der Sklaverei um die auf Gewalt basierende vollständige Beherrschung einer Person durch eine oder mehrere andere zum Zwecke der  Ausbeutung.

Die Ausbeutung ist insbesondere wirtschaftlich motiviert (Arbeitskräfte im Haus und außerhalb), wiewohl auch flächendeckend sexuelle und ggf. soziale Motive (Überhöhung der eigenen Person/Erniedrigung einer anderen) originär auftreten.

Jan-Christoph Marschelke von der Universität Regensburg führt drei Gründe an, warum sich die Betroffen nicht aus ihren Verhältnissen befreien, obwohl ein „legal ownership“ (Sklavenhaltung als Eigentumsrecht) nirgends offizielle Rechtskraft besitzt.

  • Viele Personen werden an einem bewachten bzw. überwachten Ort gefangen gehalten (Fabrik- oder Farmgelände, Bordelle, Baustellen, Dorfgemeinden), wobei ein Ausbruch brutal, auch gegenüber Dritten (Eltern und Verwandte), sanktioniert wird.
  • Das Herausreißen aus der bisherigen Lebenswelt und die Verschleppung in anonyme Städte traumatisiert und paralysiert. Zudem werden Pässe, Mobiltelefone und Geld genommen.
  • Gerade eine frühe Versklavung lässt die Situation als Normalität des eigenen Lebens erscheinen. Dies wird oftmals noch ideologisch gerechtfertigt (Hautfarbe / „Blut“ / Ethnie / kosmische Ordnung).

Neben traditionellen Praktiken wie Schuldknechtschaftssysteme wirken nach dem auf diesem Gebiet führenden US-Soziologen Kevin Bales und der Expertin für Menschhandel Becky Cornell das rapide Bevölkerungswachstum[und die damit verbundene Migration, J.W.] , dieStruktur der Weltwirtschaft sowie die lokale Korruptionursächlich begünstigend auf die Entwicklung der modernen Sklaverei ein. Nicht zu vergessen aber auch die wirtschaftsstrukturellen wie mentalen Folgen der „historischen“ Sklaverei für die Länder bis heute selbst, wie eine aktuelle Studie belegt (Pierce/Snyder 2020).

Unterschiedliche Räume der Welt weisen unterschiedliche Typen der Sklaverei aus. An diesen Fakten wird sich absehbar nichts ändern. Ganz im Gegenteil: Die Zahlen steigen und das relativ neue Feld der zwangsweisen Bioverwertung des Menschen (Organe, Blut, Gewebe etc.) wird, der Marktlogik folgend, ökonomisch vorangetrieben. Was heißt dies aber alles für Unternehmen und deren Entscheidungsträger?

Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – Corporate Responsibility

Es steht außer Zweifel, dass die Bekämpfung der Sklaverei und der damit verbundene Menschenhandel zuallererst eine politische Aufgabe ist, innerstaatlich wie zwischenstaatlich. Bei den Gegenmaßnahmen wird oftmals die 3-P-Strategie genannt: Strafverfolgung (prosecution), Opferschutz (protection) und Armutsvorbeugung (prevention). Offensichtlich reicht dies bislang nicht aus (vgl. Maihold 2011).

Da bleibt am Ende die Frage, welche Verantwortung Unternehmungen jenseits der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zur Einhaltung von Menschenrechten und zur Eindämmung des Menschenhandels für dieses Problemfeld haben. Nach Insideraussagen: Mit Blick auf die Bekämpfung der an dieser Stelle besonders interessierenden Form der wirtschaftlichen Ausbeutung von Menschen eine ganz wesentliche.

Juristisch gesehen ist die Lage allerdings kompliziert. Birgit Spießhofer (2017) hat dies in ihrem umfangreichen Werk zur unternehmerischen Verantwortung ausbuchstabiert. Eine Verbindungslinie zwischen dem einklagbaren Recht einerseits und einer unverbindlichen Forderung andererseits bildet ein sich entwickelndes „soft law“. Das ergänzt das weiche Wirtschaftsvölkerrecht, gesetzt u.a. durch UN-Standards, um solche weichen Normen, „die verhaltenssteuernde Soll-Vorgaben für unternehmerische Verantwortung statuieren, unabhängig von ihren Urhebern, sofern sie gegenüber Unternehmen … Bindungswirkung entfalten können“ (S. 38).

Unternehmenspraktisch bleibt es zwar auch kompliziert, gesetzliche Regelungen können jedoch einen sich eigenständig dynamisierenden Prozess in Gang setzen, wie das Beispiel des US-Bundestaates Kalifornien, immerhin der achtgrößten Volkswirtschaft der Welt, zeigt. So sind definierte, dort Business treibende Unternehmen verpflichtet, ihre diesbezüglichen Gegenmaßnahmen zu dokumentieren und auf ihren Websites auszuweisen:

“The California Transparency in Supply Chains Act of 2010 (“CA-TISCA”) is the first disclosure law to address human trafficking and slavery within the global marketplace. CA-TISCA requires every retail seller and manufacturer who does business in the state of California and has annual worldwide gross receipts exceeding $100 million “to disclose its efforts to eradicate slavery and human trafficking from its direct supply chain for tangible goods offered for sale.”

Eligible companies have to post this information on their websites “with a conspicuous and easily understood link to the required information placed on the business‘ homepage.” (California Civil Code Section §1714.43). With California being the 8th largest economy in the world, CA-TISCA affects companies with a combined revenue of $48.4 trillion [dt.: Billionen] in 2016, among them many Fortune 1000 companies”.

Diesen Text habe ich der Website von iPoint (2018) entnommen, dem zweifachen „Innovator of the Year Award Winner“, die auf dem Geschäftsfeld  „Product Compliance und Sustainability“ tätig sind. Und dort wird dann auch auf einschlägige weitere Reports verwiesen, die u.a. Benchmark-Analysen beinhalten. So wirft die dort ebenfalls verlinkte wichtige Studie von Development International (2017), an der iPoint mitbeteiligt war, beispielsweise ein Schlaglicht auf die aktuelle Performance (man beachte das Wort) von Unternehmen mit Stand 2016 im Kampf gegen Sklaverei und Menschenhandel (vgl. dazu nachfolgend Nicolay 2017).

Die Studie spricht von deutlichen Verbesserungen gegenüber 2015, auch wenn zum Beispiel nur ein Prozent der untersuchten Unternehmen ihre Methoden des Supply Chain-Mapping beschrieben haben, lediglich 12 % die Methoden diskutierten, die sie bei der Auditierung ihrer Zulieferer bzw. Lieferkette angewandt haben, und nur 27 Prozent der untersuchten Unternehmen eine entsprechende Policy bzw. einen Verhaltenskodex veröffentlicht und referenziert haben. Sichtbare Verbesserungen waren aber nicht nur bei proaktiven Maßnahmen in der Supply Chain zu verzeichnen, sondern auch hinsichtlich der Umsetzung des Transparenzgebots in den Bereichen Risikobeurteilung, Audits, Supplier-Überprüfung, interne Rechenschaftspflicht und Training.

Top-Bewertungen bei knapp 2.000 evaluierten Brands erhielten u.a.

American Eagle Outfitters, Hewlett-Packard Company, Altera Corp, Intel Corp, Burberry Group PLC, Brooks Sports Inc., Patagonia Inc, GAP Inc, Vans sowie Apple.

Diese Leader könnten zwar im Alleingang das System nicht verändern, aber aufzeigen, wie Lieferketten strukturiert und überwacht werden müssen, um nachhaltigen Wandel zu bewirken. Hinzu müssten branchenspezifische und branchenübergreifende Regelungen kommen.

Corporate Social Responsibility (CSR) wäre nach dieser Lesart ein „smarter mix“ aus „teilweise ineinander übergehender und miteinander verbundener Regelungsformen und einer gleitenden Skala von Verbindlichkeit“, wie an anderer Stelle bereits allgemeiner formuliert (Spießhofer 2017, S. 38). Deutlich wird aber auch, dass der Impuls zum Veränderungsprozess, wie der Bundesstaat Kalifornien als ein Pionier auf diesem Gebiet zeigt, von staatlicher Seite erfolgen muss, soll er raumgreifend wirken.

Diese Entwicklung ist für die Geschäftsleitungen auch in Europa ein klares Signal, welche Vorkehrungen zu treffen sein werden, möchte man zukünftig auf Märkten weiter mitspielen, die sich einschlägigen Reportingpflichten (und zivilgesellschaftlichen Erwartungshaltungen) ausgesetzt sehen werden. Orientierungspunkte im EU-Raum sind u.a. der UK Modern Slavery Act aus 2015 und auch die EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung aus 2014 (95/EU).

Für Führungskräfte der einschlägigen Branchen ist dies keine komplette Neuorientierung, denn Compliance-Systeme sind zumindest in den Großorganisationen, den börsennotierten eh, Standard. Aber es bewirkt doch zunehmend für viele eine stärkere Fokussierung auf ein Terrain, mit dem man gemeinhin nicht sehr vertraut ist. Für andere potenziell gefährdete Industrien und Dienstleister mag sich eine gemeinschaftliche Verantwortungszuweisung noch sehr fremd anfühlen (siehe aber bereits die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahre 2011, die u.a. ein recht auf Wiedergutmachung im Falle erlittener Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliche Akteure vorsehen). Aber sie täten aus ethischen und angesichts der kommenden Entwicklungen wohl auch aus instrumentellen Gründen gut daran, moderne Formen der Sklaverei nach Kräften in ihrer Einflusssphäre zu bekämpfen.

Bales, K. / Cornell,B. (2008):  Moderne Sklaverei, Hildesheim

Global Slavery Index (2016): https://www.globalslaveryindex.org/ Abgerufen am 07.01.2018

iPoint (2018): CA-TISCA Report and Scorecards. Anti-Slavery Performance in 2016. Abgerufen am 08.01.2018.
http://www.ipoint-systems.com/solutions/human-trafficking-and-modern-day-slavery-legislation/ca-tisca/

Maihold, G. (2011): Der Mensch als Ware. Konzepte und Handlungsansätze zur Bekämpfung des globalen Menschenhandels, Berlin. Abgerufen am 09.08.2018.
https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2011_S24_ilm_ks.pdf

Marschelke, J. C. (2015): Moderne Sklavereien.  Bundesanstalt für politische Bildung. Abgerufen am 08.01.2018.
http://www.bpb.de/apuz/216478/moderne-sklavereien?p=all

Nicolay, J. (2017) Bericht zeigt die Fortschritte im Kampf gegen Sklaverei. Abgerufen am 08.01.2018
http://www.umweltdialog.de/de/unternehmen/soziales/2017/Bericht-zeigt-die-Fortschritte-im-Kampf-gegen-Sklaverei.php

Patterson, O. (1982): Slavery as Social Death, Cambridge

Pierce, L. / Snyder, J. A. (2020): Historical Origins of Firm Ownership Structure: The Persistent Effects of the African Slave Trade. In: AMJ (in-press)

Spießhofer, B. (2017): Unternehmerische Verantwortung, Baden-Baden

UN (2011): Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Umsetzung des Rahmens der Vereinten Nationen‚ Schutz, Achtung und Abhilfe. Nichtamtliche Übersetzung für die das Deutsche Global Compact Netzwerk (2. A. 2014).  Resolution des Menschenrechtsrates  vom 17/4 vom 16. Juni 2011.
https://www.globalcompact.de/wAssets/docs/Menschenrechte/Publikationen/leitprinzipien_fuer_wirtschaft_und_menschenrechte.pdf

Walk Free Foundation (2017) siehe Global Slavery Index

Zeuske, M. (2013): Handbuch Geschichte der Sklaverei, Berlin

Zeuske, M. (2015): Globale  Sklavereien: Geschichte und Gegenwart. Bundesanstalt für politische Bildung.  Abgerufen am 08.01.2018.
http://www.bpb.de/apuz/216476/globale-sklavereien-geschichte-und-gegenwart