Kurzfristige Gewinnmaximierung alias Gier gilt in Theorie und Praxis heuten vielen als zentrales und ethisch besehen dabei absolut legitimes Unternehmensziel. Dieser Sicht der Dinge ist allerdings kaum älter als einige wenige Jahrzehnte. Denn in den zwei Jahrtausenden zuvor galt maßloses Gewinnstreben resp. pure Gier als schädlich für die Gesellschaft wie auch als fatal für den Gierigen selbst, weshalb Institutionen wie Individuen stets ein gemäßigtes Gewinnstreben anempfohlen wurde – eine Kategorie, die heute aus der Debatte verschwunden zu sein scheint.

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Blickt man auf die anhaltende Debatte über Unternehmensethik bzw. Corporate Social Responsibility, dann geht es in erster Linie – oder auch in letzter Konsequenz – immer um die Frage, was das oberste Ziel der wirtschaftlichen Aktivitäten sein sollte. Konkret gesprochen: Gewinnmaximierung – ja oder nein? Und wenn nein, was dann? Abgesehen von harmoniegetränkten Beruhigungsfloskeln wie der Triple Bottom Line (Motto: „Wir maximieren die Gewinne, aber auch unsere ökologischen und sozialen Ziele!“ – was Unsinn ist, da man diese drei Zielsetzungen nicht gleichzeitig maximieren kann), dominiert heute ein breites Bekenntnis zum Maximizing Shareholder Value, gleichsam zur kurzfristigen Maximierung aller möglichen Gewinne, oder eben auch: zur entgrenzten Gier. So avanciert eine Handlungsorientierung zur obersten Maxime, die über 2000 Jahre und bis vor wenigen Jahrzehnten als kollektiv, aber auch individuell höchst schädlich und gefährlich abgelehnt wurde. Leadership Insiders erläutert die Hintergründe.

Protagonisten der Gier

In der unternehmerischen Praxis wie auch innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung und Lehre ist es heute quasi selbstverständlich, im Streben nach maximalen Gewinnen die zentrale Zielsetzung erwerbswirtschaftlicher Organisationen zu sehen. Denn ohne ein dergestaltes Bestreben, so die gängige (Fach-)Meinung, könne die „unsichtbare Hand“ des Marktes (Adam Smith) nicht funktionieren und folglich auch nicht den höchstmöglichen Wohlstand für alle generieren. Entsprechend ist es im ökonomischen Kontext heute auch kaum mehr anstößig, sondern fast schon Ausdruck besonderer Expertise, „pure Gier“ zu befürworten, was bedeutet: „etwas erreichen wollen um jeden Preis, jede Hemmung verlieren bei der Jagd nach einem bestimmten Ziel“ (Sautter 2015, S. 53). Besondere Popularität hat in diesem Zusammenhang wohl das Diktum „Gier ist gut“ des Corporate Raiders Gordon Gekko aus dem Film „Wall Street“ erlangt, das sich weitgehend an einer Aussage des (kurz hiernach wegen Insiderhandels inhaftierten) Börsenspekulanten Ivan Boesky orientierte, welcher in 1986 vor Harvard-Absolventen sprach und ihnen die folgenden Worte mit auf den (Karriere-)Weg gab:

Greed is all right, by the way. I want you to know that. I think greed is healthy. You can be greedy and still feel good about yourself”

(Newsweek 1986, S. 48)

Ganz in diesem Sinne, nur unter expliziter Bezugnahme auf das derzeit vorherrschende Verständnis von der Funktionsweise des (vollkommenen) Marktes, liest sich Michael Burda (2009, S. 142), wenn er festschreibt: “Als Ökonom kann ich (…) Gier nicht verurteilen. Ich muss sie sogar loben! Ohne das Streben nach Gewinn, das der Motor unseres Wirtschaftssystems ist, wäre der Wohlstand, den wir genießen, unmöglich”. Und selbst Wirtschaftsethiker wie Christoph Lütge und Matthias Uhl (2018, S. 32) deuten den “schlechten Egoismus” als “moderne Form der Nächstenliebe” und sehen folglich in wirtschaftlichen Zusammenhängen keinen Grund mehr, zwischen “gutem, altruistischen Verhalten und “schlechtem Egoismus” zu unterscheiden. Kurzum: Nicht etwa Mäßigung, sondern Maßlosigkeit im Gewinnstreben gilt heute weithin als verantwortungsethisches Gebot für erwerbswirtschaftliche Institutionen, wie auch für das wirtschaftlich handelnde Individuum (vgl. Sautter 2015, S. 67).

Protagonisten des rechten Maßes in der Historie der Ökonomie

Blickt man vor diesem Hintergrund auf die rund 2000-jährige Dogmengeschichte der Ökonomie, dann zeigt sich, dass eine Maßlosigkeit des Eigennutzes bzw. Gewinnstrebens bis vor wenigen Jahren weithin als höchst gefährlich und schädlich – sowohl für den Einzelnen als auch für die Wirtschaftsgesellschaft als Ganzes – galt und deshalb strikte abgelehnt wurde. Gefordert wurde stattdessen ein „gebändigtes“, „diszipliniertes“, „selbstbegrenztes“, „einfaches“ oder auch „gemäßigtes“ Gewinnstreben (vgl. Sautter 2015; Hecker 2019; Lorenzen 1989), da nur ein solches positive Wirkungen für alle Beteiligten zeitigen könne und deshalb ethisch begründbar sei. Diese Überlegungen können anhand der Arbeiten bedeutender Protagonisten wie folgt kurz veranschaulicht werden.

So unterschied bereits Aristoteles zwischen zwei grundlegenden Formen des Wirtschaftens, nämlich der „widernatürlichen Erwerbskunst“ („chrematistike“) und der „natürlichen Erwerbskunst“ („oikonomia“). Erstere ist dabei charakterisiert durch ein entgrenztes Gewinn(maximierungs)streben, das sich in Form der Gier („pleonexia“) Bahn bricht und auf zweierlei Weisen negativ wirkt: Zum einen für den Gierigen selbst, dadurch, dass er das rechte Maß („mesotes“) verliert und Ungerechtigkeiten gegenüber anderen akzeptiert, damit die Ausbildung der eigenen Tugenden versäumt und deshalb am Ziel der Verwirklichung eines „guten Lebens“ scheitert. Zum anderen gehe die Gier von Einzelnen notwendigerweise zu Lasten von Anderen und bewirke insgesamt zunehmende Ungerechtigkeiten innerhalb der Gemeinschaft oder Gesellschaft. „Oikonomia“ („natürliche Erwerbskunst“) äußert sich demgegenüber in einer „Selbstbegrenzung des Erwerbsstrebens“ und damit verbundenen einer persönlichen Zufriedenheit mit einem „begrenzten Maß an Reichtum“. Aus solcher „Selbstdisziplinierung“ resultiere, anders als bei der „chrematistike“, ein gesellschaftlich „optimales Fundament menschlichen Zusammenlebens“, sowie auch eine individuelle „Kontrolle der Affekte“, welche ihrerseits als wesentliche Voraussetzung eines „guten Lebens“ angesehen wird (vgl. Hecker 2019, S. 54ff.). Diese aristotelische Sichtweise findet eine erkennbare Fortschreibung bis hinein in die frühe Neuzeit, da Mäßigung („temperantia“) auch hier als Kardinaltugend verstanden wurde, derweil Gier und Geiz („avaritia“) als Todsünden galten, da sie Schuld gegenüber Mitmenschen und Verachtung gegenüber Gott vergegenwärtigen (vgl. Hecker 2019, S. 56f). Im Buddhismus, um eine weitere Sicht aus einer ursprünglich asiatischen Erfahrungsreligion einzubringen, ist die Gier eine von drei Geistesgiften und wird als eine anhaftende Geisteshaltung beschrieben.

Anders als oftmals unterstellt, findet sich diese dichotome Denkungsart auch bei den sog. „Schottischen Moralisten“ des klassischen Liberalismus. So stellte Adam Smith in seinen Darlegungen zum „Wohlstand der Nationen“ zwar die Bedeutung des Eigeninteresses für die Wirksamkeit der „unsichtbaren Hand“ des Marktes deutlich heraus, betonte in seiner „Theorie der moralischen Gefühle“ allerdings auch, dass Eigeninteresse („self-interest“) und Gier („greed“) keinesfalls das Gleiche seien. Dies insofern, als das Eigeninteresse – anders als die Gier – durch verschiedene Disziplinierungsmechanismen so eingehegt werde, dass es der Wohlfahrt aller zuträglich sein kann. In diesem Zusammenhang verweist Smith insbesondere auf die Kategorie des „unparteiischen Zuschauers“ („impartial spectator“), eine „fiktive Instanz der Selbst-Reflexion vor dem Hintergrund der Erwartungen der Mitmenschen“ (Hecker 2019, S. 59), die eng mit den Kategorien Sitte, Moral und Gewissen verwoben ist (vgl. Sautter 2015, S. 57) und dafür sorgt, dass legitime Eigeninteressen nicht in maßlose Gier umschlagen. In ähnlicher Weise positionierte sich davor bereits der klassische Nationalökonom Bernard Mandeville, der zuvorderst ja für seine These bekannt wurde, wonach „private Laster“ markttransformiert „öffentliche Vorteile“ generieren („private vices, public benefits“), dabei jedoch betonte, dass das Laster nur dann nutzen könne, „wenn das Gesetz es kappt und stutzt“ (Mandeville 2002, S. 85). Während Smith also eher auf eine Begrenzung der Maßlosigkeit durch den Einzelnen setzte (Sitte, Moral, Gewissen), suchte Mandeville diese auf gesetzlichem Wege zu „kappen“ und zu „stutzen“ – was nichts an der Übereinstimmung dahingehend ändert, dass beide Maßlosigkeit im Erwerbsstreben in jedem Falle als schädlich erachteten und deshalb weitmöglichst zu unterbinden suchten.

Im Sinne einer distinkten Differenzierung zwischen einem maßlosen/schädlichen und einem maßvollen/nützlichen Gewinnstreben lesen sich überdies eine Vielzahl weiterer herausragender Protagonisten der Politischen Ökonomie, so etwa der Mitbegründer des Utilitarismus, John StewartMill, der in Übertreibungen des Erwerbsstrebens eine Gefährdung der Marktwirtschaft erkannte (vgl. Hecker 2019, S. 60f), der Wirtschaftssoziologe Max Weber, der Maßlosigkeit im Erfolgsstreben als irrational und unverträglich mit dem „Geist des Kapitalismus“ einstufte (vgl. Sautter 2015, S. 60), oder auch der Theoretiker des Sozialismus und Kommunismus, Karl Marx, der zwischen „Warenbesitzern“ und „Schatzbildnern“ unterschied, wobei Erstere eine Anhäufung konkreter Güter verfolgen, was natürliche Grenzen kenne, derweil Letztere ohne Rückbindung an die Realwirtschaft eine reine Akkumulation von Kapital anstreben, was auf eine schrankenlosen „Bereicherungssucht“ hinauslaufe (vgl. Sautter 2015, S. 60).

Dazu fügt sich im Übrigen der praxisbezogene Umstand, dass die meisten westlichen Wirtschaftsordnungen während der Nachkriegsjahre (1945 bis ca. 1980) wesentlich durch ein Unternehmertum geprägt waren, das dezidiert keine Gewinnmaximierung anstrebte, sondern im Stile eines gemäßigten Gewinnstrebens vorrangig um einen verantwortungsbewussten Ausgleich divergierender (Stakeholder-)Interessen am Unternehmen bemüht war. Das „Davoser Manifest“ (vgl. European Management Forum 1973) sei hier als konkretes Beispiel dessen benannt, fordert es doch expressis verbis lediglich Gewinne, die „ausreichend“ sind, um die Existenz des Unternehmens (im Interesse aller Anspruchsgruppen) „langfristig“ zu sichern – was etwas völlig anderes ist als ein Streben nach kurzfristig maximalen Gewinnen (für die Aktionäre).

Diskussion und Fazit

Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein fast schon kurioses Bild. Denn das, was in der betriebswirtschaftlichen Theorie und unternehmerischen Praxis heute als eine Quasi-Selbstverständlichkeit dargestellt wird, nämlich (maßlose) Gewinnmaximierung (alias Gier) als zentrales Ziel des Unternehmens, galt zwei Jahrtausende lang als das, was unbedingt zu vermeiden sei, da es weder als (gesellschaftlich) förderlich für den „Wohlstand der Nationen“ noch als (individuell) förderlich für ein „gutes Leben“ sein könne. Überhaupt ist festzustellen, dass die gedankliche Unterscheidung zwischen Mäßigung und Maßlosigkeit im Gewinnstreben, die zwei Jahrtausende im Mittelpunkt aller wirtschaftsethischen Überlegungen stand, während einiger weniger Jahre, konkret: seit dem Triumpf des Neoliberalismus der frühen 1980er Jahre, aus der Debatte praktisch verschwunden ist. Genauer gesprochen: Verschwunden ist – bis auf wenige Ausnahmen – exakt das, was vormals unbedingt anempfohlen wurde, nämlich eine Mäßigung im Gewinnstreben, womit dem Betrachter derzeit nur noch die (Pseudo-)Alternative suggeriert wird: Maximale Gewinne oder keine Gewinne (Konkurs)! Eingedenk dessen ist Christian Hecker (2019, S. 72) zuzustimmen, der es als „fatal“ erachtet, „wenn heutige Wirtschaftswissenschaftler/-innen im Gegensatz zu früheren Generationen nicht (mehr) zwischen Eigeninteresse und Gier unterscheiden“ (können, wollen, dürfen).

Folgt man diesen Überlegungen, dann ist abzuleiten, dass die Rede von einer ethisch bzw. gesellschaftlich verantwortungsbewussten Unternehmensführung im Grunde nur für solche Unternehmen Sinn macht, die dezidiert ein „gemäßigtes“ Gewinnstreben verfolgen und sich einem (zielmonistischen) Streben nach maximalen Gewinnen (um jeden Preis) folglich bewusst verweigern.

Burda, M. (2009): Das Glücksrad wird sich weiterdrehen. In: Spiegel Geschichte, 4, S. 140-143 (https://www.spiegel.de/geschichte/das-gluecksrad-wird-sich-weiterdrehen-a-ad7a5560-0002-0001-0000-000066214364; zugegriffen am 09.08.2024)

European Management Forum (1973): European management symposium, Summary of plenary sessions, Davos

Hecker, C. (2019): Gier und ihre Gefahren. Warum die Diskussionen um Managergehälter und Bankerboni keine Neiddebatte sind. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 20(1), S. 52-75

Lorenzen, P. (1989): Philosophische Fundierungsprobleme einer Wirtschafts- und Unternehmensethik. In: Steinmann, H./Löhr, A. (1989): Unternehmensethik, Stuttgart, S. 25-57

Lütke, C./Uhl, M. (2018): Wirtschaftsethik, München

Mandeville, B. (2002): Die Bienfabel oder private Laster, Frankfurt a.M.

Newsweek (1986): True greed, 1. Dezember, S. 48

Sautter, H. (2015): Gier als wirtschaftsethisches Problem. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik, 16(1), S. 52-75