Brian A Jackson / Shutterstock

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Die Rekrutierung von Führungskräften ist ein heikles Unterfangen – aufwendig und risikobehaftet. Fehlbesetzungen sind dann nicht nur für alle frustrierend, sondern auch teuer. Derlei Ungemach ließe sich jedoch reduzieren, wenn, ja wenn man sich nur der wissenschaftlichen Personaldiagnostik vermehrt bedienen würde. Heute zeigt Leadership Insiders im Besonderen auf, warum die berufsbiografische Lücke im Lebenslauf überbewertet wird (und damit Chancen auf die Bestbesetzung aus dem Kandidaten-Pool reduziert werden).

Praxis der Personalauswahl von Führungskräften

Die Auswahl von Führungskräften ist unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten gut durchdrungen. Theoretisch erprobtes Wissen und korrespondierendes Handeln in der Praxis klaffen jedoch auseinander. Erstaunlicherweise gilt dies auch für die Top-Verdiener unter den Führungskräften. Vermeidbare Fehlbesetzungen sind die Folge. Einer etwas älteren Studie der Kienbaum-Beratung zufolge (2005) werden bis zu 25 % der Personalentscheidungen in den ersten beiden Jahren korrigiert, bis zu 15 % der Neubesetzungen werden als unbefriedigend eingestuft, bleiben dennoch erst einmal bestehen. Einer Broschüre des Bundesverbandes der Personalmanager entnehmen wir eine Schätzung der Fehlbesetzungsquote von 22 % – 30 %. Eine nicht mit der Führungssituation kompatible intellektuelle Befähigung, unzureichende emotionale Intelligenz oder ein vom Team nicht akzeptierter Führungsanspruch sind häufige Erklärungen des Scheiterns (sog. Derailment). Dass selbst bei den unkritischen Besetzungen nicht immer die beste Passung für Bewerber und Unternehmen erreicht wird, steht dann noch auf einem anderen Blatt.

Die handfeste Fehlbesetzung einer Führungskräfteposition kommt das Unternehmen teuer zu stehen (Cost of Vacancy). Auch wenn die Berechnungen bis zur erneuten Besetzung eines Missgriffs variieren, stellt eine Überschlagsrechnung der Vakanz in Tagen multipliziert mit dem dafür anteiligen Jahresgehalt und einem Gewichtungsfaktor eine gute Annäherung dar. Beispielsweise wird eine Dreifachgewichtung zugrunde gelegt, wenn es sich um eine Schlüsselstelle innerhalb der Unternehmung handelt, die besonders wertschöpfend ist (z.B. Leiterin Vertrieb). Im sechsstelligen Bereich ist man bei ehrlicher Berechnung da schnell. Die Folgen der Mehrarbeit für Kolleginnen und Kollegen oder ein möglicher Imageverlust sind dabei noch gar nicht eingepreist. Wer die Vakanz forsch als Kostenreduktion verbucht, sollte den Stellenzuschnitt überdenken.

Das Zutrauen in die eigene Beurteilungsfähigkeit ist zu groß

Die wissenschaftliche Literatur hat zur Genüge ausgewiesen, wie und warum vermeidbare Fehler in der Personalauswahl passieren. Sie erweisen sich in erster Linie als Folgen einer Selbstüberschätzung. Sicher, es gibt Personen, die besitzen eine beneidenswerte Treffsicherheit auch ohne jedwede methodische Unterstützung; für den Rest wäre jedoch empfehlenswert, sich fundierter, vorhandener Instrumente zu bedienen, auch wenn diese keine garantierte Sicherheit zur perfekten Wahl bieten können.

Allein ein Beispiel zur Verbesserung der Interviewtechnik mag dies illustrieren: Untersuchungen zeigen zunächst, dass knapp 30 % aller mittelständischen Untersuchungen auf jegliche Vorbereitung von Einstellungsinterviews mit Führungskräften verzichten. Und überhaupt bereiten nur 15 % – 20 % der Unternehmen einen irgendwie strukturierten Interviewleitfaden gezielt vor (Kanning 2017 sowie auf YouTube mit verschiedensten Äußerungen dazu). Da wundert es nicht, dass die prognostische Kraft herkömmlicher, unstrukturierter Interviews für den Berufserfolg bei durchschnittlich maximal 4 % liegt, wohingegen die Anwendung eines von Diagnostikern empfohlenen hochstrukturierten trimodalen Interviews diese Quote bei korrekter Durchführung auf über 30 % schießen lässt („trimodal“ meint die Kombination aus eigenschaftsorientierten, biografieorientierten und simulationsorientierten Verfahren; Schuler 2014).

Aber hier muss die Kandidatin oder der Kandidat die Sichtung der Bewerbungsunterlagen natürlich bereits positiv überstanden haben, was nach einer jüngeren Studie des Staufenbiel Instituts (2015) mit mehr als 160.000 Bewerbungen (197 deutsche Unternehmen) nur rund 11 % der Bewerber gelang. Formale Kriterien sind dafür wesentlich, obwohl gerade deren Validität vielfach ausgesprochen begrenzt ist. Die Lücke im Lebenslauf ist eines dieser formalen Kriterien. Sind formale Kriterien überhaupt wichtig? Sicher, denn Dreiviertel der Personalentscheider schauen noch vor dem Studium des Anschreibens in den Lebenslauf (Staufenbiel Institut/Kienbaum Consultants International 2016).

Die Lücke im Lebenslauf als Stein des Anstoßes

Mit diesem Fokus lenke ich den Blick auf die erste Stufe des Auswahlprozesses. Die Lücke im Lebenslauf, speziell in der Berufsbiografie, ist definiert als ein Lebensabschnitt,

„in der sich eine Person im erwerbsfähigen Alter in keinem Arbeitsverhältnis befindet und auch keine berufliche Ausbildung absolviert“.
(Frank/Wach/Kanning 2017, S. 70)

Ausdrücklich wird weder einer selbstständigen noch einer nicht-selbstständigen Arbeitstätigkeit nachgegangen. Wie lange diese Phase anhalten muss, um als Lücke definiert zu werden, ist nicht eindeutig zu bestimmen, die hier referenzierte Studie geht schon von vier Wochen aus.

Warum ist mehr diagnostisches Führungswissen zur Lücke im Lebenslauf wichtig? Nun, weil dieser Aspekt  von Unternehmen als wesentlich erachtet wird. Denn von Rekrutierungsverantwortlichen wird hier auf Persönlichkeitsfaktoren wie Gewissenhaftigkeit oder Leistungsmotivation oder gar direkt auf Karrierefähigkeit geschlossen.

Nicht umsonst lassen sich Bewerber deshalb manches einfallen, oftmals unterstützt durch Ratgeber, um eine Lücke zu kaschieren. Da wird schon mal aus einer unfreiwilligen Auszeit ein persönliches Achtsamkeitstraining,  aus einer längeren Reise ein Sprachaufenthalt oder für eine längere Periode wird eine selbstständige Beratertätigkeit reklamiert. Aber muss dies so sein? Funktional betrachtet nur dann, wenn Lücken in einem Zusammenhang zu berufsrelevanten Kriterien stünden. Aber auch so ist hier Vorsicht geboten: Eine  Befragung bei 240 Unternehmen weist aus, dass für fast 84 % aller Befragten die Lücke ein wichtiges Kriterium der Personalauswahl darstellt (Kanning 2016). Aus einer sehr frühen Untersuchung von Dahlinger (1995) haben wir noch in Erinnerung, dass von 249 mittelständischen deutschen Unternehmen nur 2 % Lücken im Lebenslauf nicht negativ einschätzten.

Ist das aber begründet? Nun, in der bislang einzigen wissenschaftlichen Studie hierzu wurde dieser Praxisvermutung kaum Unterstützung zuteil. Bei weit über 1.400 Befragten konnte hinsichtlich der Merkmale Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Leistungsmotivation, Zielorientierung und Selbstkontrolle nur ein sehr geringer negativer Zusammenhang ausgewiesen werden. Zwischen unter einem und bis zu maximal gut 2 % konnten Lücken im Lebenslauf die Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale erklären. Lediglich eine spezifische Analyse auf einzelne Lückengründe führte zu leicht höheren Zusammenhängen, im Falle einer abgebrochenen Ausbildung waren es dann für den Persönlichkeitsfaktor Gewissenhaftigkeit immerhin markante knapp 15 % und für die Verträglichkeit knapp 10 %.

Damit ist klar, dass eine pauschale Betrachtung des Zusammenhanges von berufsbiografischen „Fehlzeiten“ und typischerweise interessierenden Persönlichkeitsfaktoren (z.B. Big Five) hier nicht gestützt werden kann. Vielmehr muss sich der Qualität der Lücken genähert werden. In einer Nachfolgestudie wurden verschiedene Gründe für Lücken genauer differenziert und diesmal mit dem beruflichen Erfolg in Verbindung gebracht.

Folgende Lückenarten lagen dabei zu Grunde:

  • Reisen
  • Wartezeit
  • Kinder
  • Pflege einer nahestehenden Person
  • Krankheit
  • Ausbildung abgebrochen
  • Unfreiwillige Arbeitslosigkeit
  • Freiwillige Arbeitslosigkeit
  • Sonstiges

Abb. 1: Lückenarten in Lebensläufen (nach Frank/Wach/Kanning 2017)

Für den erfahrenen Diagnostiker in einer Personalabteilung ist wohl von Anfang an klar, dass die Art und Weise der Lücke eine Rolle bei der Bewertung dieser Lücke spielt. Aber auch er oder sie konnte bislang nur darüber spekulieren, welche Bedeutung für das Kriterium des beruflichen Erfolgs jeweils besteht. „Beruflicher Erfolg“ wird in der einschlägigen Forschung  zweiseitig erfasst: Der objektive Berufserfolg orientiert sich an für Dritte sichtbare Größen wie Gehalt/Geschwindigkeit des Anstiegs des Gehalts, Beförderung und beruflicher Status. Den subjektiven Berufserfolg definiert jeder für sich, wobei sich typischerweise an der Erreichung beruflicher Ziele und am relativ unscharfen Kriterium des wahrgenommenen Laufbahnerfolgs orientiert wird.

Die Ergebnisse, die durch eine Onlinebefragung von über 2.200 Personen gewonnen werden konnten (44.6 % Frauenanteil, das Alter lag im Mittel bei rund 38 Jahren und die Berufserfahrung betrug knapp 14 Jahre, 74 % Akademiker, Bruttoverdienst im Mittel bei rund 5.700 €), waren wiederum eindeutig und hinsichtlich der beliebten Annahme von Praktikerinnen und Praktiker dürftig: Der durchgängig von den Teilnehmenden berichtete Berufserfolg konnte nur zwischen knapp einem Prozent und maximal 3,4 % mit der Lückendauer im Lebenslauf in Verbindung gebracht werden. Dabei waren Lücken unter einem Jahr objektiv bedeutungslos, in der subjektiven Bewertung stieg dies geringfügig an. Eine nach Lückenarten differenzierte Untersuchung förderte zu Tage, dass bspw. Reisen mit keinem Kriterium des Berufserfolgs signifikant korrelierten. Allein der Lückendauer aufgrund unfreiwilliger Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr, und besonders mit mehr als 2 Jahren, kam eine leicht erhöhte Bedeutung zu. Deutlicher war dieser Effekt jedoch in der verringerten subjektiven Wahrnehmung des eigenen Erfolgs.

Führungskräfteauswahl verbessern

Es ist unter Expertinnen und Experten unbestritten, dass in der Personalpraxis erkennbare Verbesserungspotenziale bei der Auswahl von Führungskräften bestehen, und natürlich nicht nur hier. Bei den Führungskräften sind die Folgen aber besonders gravierend. An dieser Stelle habe ich mit der Lücke im Lebenslauf ein formales Kriterium herausgehoben, welches in der Praxis regelmäßiger Gegenstand der Betrachtung im Auswahlprozess ist. Für die gerne geforderte Führungserfahrung habe ich das bereits an anderer Stelle aufgezeigt und erklärt.

Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Lücken im Lebenslauf pauschal eine einstellungsrelevante Bedeutung zuzumessen ist, kann die bisherige Befundlage dies in dieser Allgemeinheit nicht bestätigen. Allerdings muss zugestanden werden, dass die bisherigen Ergebnisse noch weiterer Überprüfungen bedürfen. Zwingende Schlussfolgerung für Personalentscheider aus den vorliegenden Daten ist dennoch, sich die Qualität der Lücke und deren Dauer individuell anzuschauen. Ist eine Kandidatin oder ein Kandidat interessant, wäre eine Fokussierung auf diesen Sachverhalt unverantwortlich, es sei denn, Dauer und Häufigkeit, insbesondere eindeutig selbst verursacht, erzeugten ein Übermaß an Erklärungsbedarf. Man würde sich potenzieller Chancen auf eine Bestbesetzung berauben. Dann sollte man schon von den sich Bewerbenden erwarten dürfen, in Kenntnis einer solchen Einschätzung von vornherein eine sehr detaillierte Erklärung hierfür abzuliefern. Knapp die Hälfte der Personalentscheider sortiert solche interpretationsoffenen Bewerbungen direkt aus (Staufenbiel Institut/Kienbaum Consultants International 2016).

Als sich Bewerbender steht man natürlich vor dem Problem, dass man zwar die wissenschaftliche Befundlage auf seiner Seite hat, aber leider nicht darauf vertrauen kann, dass die Personalentscheider sich dessen bewusst sind, von so definierten Algorithmen bei einer automatisierten elektronischen Überprüfung schon gar nicht zu reden. Noch soll deren Anteil nur 3 % sein (Staufenbiel Institut/Kienbaum Consultants International 2016). Auszuschließen ist auch nicht, dass seitens der Personalentscheider eine unbewusste Übertragung auf die Bewertung anderer Sachverhalte vorgenommen wird. Deshalb tut man weiterhin gut daran, erläuternde Hinweise einer unverzichtbar klar strukturierten Bewerbung beizufügen, sofern es sich nicht um eine Lappalie handelt. Diese sehe ich persönlich unterhalb von 3 Monaten.

Aber möchte man wirklich einer Organisation angehören, die sich bei der Personalauswahl eher an hinsichtlich ihrer Bedeutung unklaren Formalia statt an wirklich validen Kriterien wie zuvorderst der intellektuellen wie sozialen Befähigung orientiert? Ich erwarte allerdings, dass die Toleranz des nicht Stromlinienförmigen angesichts einer größeren Diversität von Berufskarrieren größer wird, und sich Personaler zunehmend (umgekehrt) fragen werden, warum ein aufgeweckter Mensch, gerade ein junger, offensichtlich nichts anderes unternommen hat, als an der Optimierung einer lückenlosen Karriere zu arbeiten.

Zusammenfassung

Die Führungskräfteauswahl ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Leider werden die dazu zur Verfügung stehenden diagnostischen Instrumente von der Personalpraxis nur unzureichend genutzt. Formale Kriterien werden im ersten Auswahlschritt, der Analyse des Lebenslaufs, über Gebühr strapaziert. Dort werden Lücken in der Berufsbiografie immer wieder als Ausschlusskriterium herangezogen. Die Forschungslage bestätigt die prognostische Kraft dieser Handhabung pauschal jedoch nicht. Es existieren keine oder nur geringe Effekte zu erwünschten Persönlichkeitsfaktoren und auch die Bedeutung für den beruflichen Erfolg ist bis auf Ausnahmetatbestände zu vernachlässigen.
Bierwirth, D. / Nagengast, B. (2005): Der falsche Mann wird teuer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, aktualisiert am 19.08.2005. Abgerufen am 08.10.2017
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/karrieresprung-der-falsche-mann-wird-teuer-1258626.html

Bundesverband der Personalmanager (Hrsg.) (o.J.): Siehe May / Wehrs

Dahlinger, I. (1995): die Personal Vorauswahl bei Stellenbesetzungsprozessen in mittelständischen Unternehmen (zitiert in Frank u.a.)

Frank, F. / Wach, D./ Kanning, O. P. (2017): Zusammenhang zwischen Lücken im Lebenslauf und Berufserfolg. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 61(2), 69-80

Frank, F. / Kanning, O. P. (2014): Lücken im Lebenslauf: ein weil jedes Kriterium der Personalauswahl? In: Zeitschrift für Arbeits-und Organisationspsychologie, 58,155-162

Kanning, O. P. (2016): über diese Sichtung von Bewerbungsunterlagen in der Praxis der Personalauswahl. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 60(1) 18-32

Kanning, U. P. (2017): Geeignete Verfahren für die Auswahl von Führungspersönlichkeiten – Status Quo, Qualitätskriterien und Ausgestaltung. In: von Au, C. (Hrsg.): Auswahl und Onboarding von Führungspersönlichkeiten. Diagnose, Assessment und Integration, 27-47, Wiesbaden

Kienbaum (2005): Siehe Bierwirth / Nagengast

May, R. /Wehrs, T. (o. J.): So werden Fehlbesetzungen vermieden! Hrsg. v. Bundesverband der Personalmanager (BPM), Berlin, 1-14

Schuler, H. (2014) psychologische Personalauswahl, Göttingen

Staufenbiel Institut (Hrsg.) (2015): Job Trends Deutschland 2015. Die Studie zu Entwicklungen am Arbeitsmarkt für Absolventen, Köln (zit. nach Frank u.a.)

Staufenbiel Institut / Kienbaum Consultants International (2016): Job Trends Deutschland 2017. Was Berufseinsteiger wissen müssen, Köln