Sicherlich kann man nicht sagen, dass Führung nur Kommunikation sei, aber ohne Kommunikation geht es in der Führung nicht. Gut, wir erinnern uns, dass wir der sogenannten interaktionellen Führung, also einer direkten Führung von Angesicht zu Angesicht, auch eine strukturelle Führung gegenüberstellen können. Letztere versucht, über die Gestaltung von Führungspolitik, Führungsstrategie, Führungskultur, Führungsstrukturen sowie Personalstrukturen indirekten Einfluss auf das Denken, Fühlen, Wollen und Verhalten einer Vielzahl von Personen zu nehmen. Idealerweise ergänzen sich beide Führungsformen kongenial.
Bleiben wir bei der interaktionellen Führung. Hier ist die Aufgabe von Führungskräften, in Versammlungen, in Meetings, in Gesprächen oder einfach nebenbei Informationen, beispielsweise zum Leistungsfortschritt, auszutauschen, Erkundigungen über Befindlichkeiten von Einzelpersonen und Atmosphären in Teams einzuholen, Anweisungen zu geben oder auch eigene Absichten bzw. die höherer Führungsebenen zu erläutern. Wir alle wissen, dass die Beachtung von Ton, Zeitpunkt und Form entscheidend dafür ist, ob das damit Intendierte auch tatsächlich erreicht wird.
Ein Kommunikationsmodell
Über die Art und Weise einer gelingenden Kommunikation muss man sich nicht nur alleine Gedanken machen. Das haben andere bereits hinreichend beschrieben und jeder ist in der Lage, sich einige Basics dazu selbst anzueignen. Neben vielen klugen, oftmals erfahrungsgetränkten Ratschlägen gibt es auch ausgearbeitete Konzeptionen und Modelle, von denen das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun eine hohe Prominenz erworben hat.
In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass eine Nachricht nie eindeutig ist und stets mehrere Aussagen (Botschaften) gleichzeitig enthält. Konkret wird jede Nachricht immer auf vier Ebenen/von vier Seiten zugleich gesendet, nämlich auf
(1) der Sachebene: Worüber wird informiert und was ist die objektive Botschaft?
(2) der Appellebene: Wozu wird veranlasst?
(3) der Selbstoffenbarungsebene: Was wird über den Sender selbst preisgegeben? und
(4) der Beziehungsebene: Was denkt der Sender vom Gegenüber und wie stehen sie zueinander?
Der Empfänger empfängt die Nachricht entsprechend ebenfalls immer auf diesen vier Ebenen/vier Ohren, wobei sich Hörende dahingehend unterscheiden, welche Ebene für sie besondere Bedeutung besitzt, also z.B. dem „Beziehungsohr“. Auf welchem Ohr der Empfänger nun die Nachricht interpretiert, ist für den Sender nicht eindeutig vorhersehbar und kann demnach der (auch unbewusst vermittelten) Absicht widersprechen. Damit sind Kommunikationsprobleme latent vorprogrammiert. Führung ohne eine gelingende Kommunikation geht nicht, wie der nachfolgende Praxisfall zeigt.
Der Praxisfall – Führung ohne gelingende Kommunikation ist lediglich Leitung
Sebastian ist einer von acht Abteilungsleitern bei einem Konsumgüterunternehmen. Er besitzt eine langjährige Arbeits- wie Führungserfahrung und erhielt bislang immer gute Bewertungen von seinen Vorgesetzten. Da sich das Unternehmen wie viele andere auch in einem immer wieder ausgerufenen Wandel befindet, haben sich in den letzten Jahren eine Fülle von Umstrukturierungen ergeben. Dazu gehört auch, dass vor 13 Monaten sein direkter Vorgesetzter das Unternehmen gewechselt hat. An seine Stelle ist eine Person getreten, die weiterhin als Abteilungsdirektor unmittelbar dem Vorstand berichtet. Vor nicht allzu langer Zeit wurde er von ebendiesem Vorgesetzten zu einem Gespräch gebeten. Die Einladung erfolgte über eine Einstellung in den Gruppenkalender. Da Sebastian gerade in den letzten zwei Jahren eine Fülle von Projekten zu stemmen hatte, diese allesamt erfolgreich zum Abschluss brachte, auch wenn sie ihn an die Grenzen seiner Belastbarkeit brachten, erwartete er einen Rückblick auf die jüngere Vergangenheit und ein Vorausblick auf das nun Anstehende. Sein Vorgesetzter war darüber informiert, dass diese permanent von Druck geprägte Situation einer Abhilfe bedurfte, zumal Sebastian, der immer auch operative Tätigkeiten übernehmen musste, von seinen eigenen Leuten, die logischerweise ebenfalls von dieser Arbeitslast tangiert wurden, signalisiert bekam, dass es keinesfalls so weitergehen könne.
Sebastian war das Gespräch also von vornherein sehr wichtig. Entgegen seiner Erwartung fand es in Form eines Videocalls statt – dies obwohl beide sich einen Tag zuvor persönlich in einem Meeting getroffen hatten. Nachdem sein Vorgesetzter kurz ohne weitere Einleitung zum Ausdruck brachte, dass die vergangenen Projekte ja ganz gut gelaufen seien, teilte er seinen Bildschirm und bat Sebastian, doch einen Blick auf das neue Organigramm zu werfen. Er wisse ja – und das war die letzte Bemerkung dazu – dass Umstrukturierungen auf breiter Front liefen.
Bereits etwas irritiert ob des Gesprächsbeginns schaute Sebastian in das neue Organigramm, guckte kurz seinen Vorgesetzten an und schaute noch einmal hinein. Ob er es denn richtig verstanden habe, was dort stünde, fragte sein Vorgesetzter, und fügte hinzu, dass alles bereits vom Vorstand abgesegnet sei. Sebastian hatte es verstanden. Sein Vorgesetzter hatte flugs zwischen den acht Abteilungsleitern eine neue Hierarchiestufe eingezogen, indem er zwei dieser acht Abteilungsleiter zu den jeweiligen Vorgesetzten der verbliebenen sechs machte. Die verbliebenen sechs rutschten in ihrem Kästchen nach unten. Auf der Ebene, auf der sie ehemals verortet waren, waren nur noch zwei ehemalige Kollegen positioniert. Sein nun neuer, deutlich jüngerer Vorgesetzter, für ihn bis gerade noch gleichrangiger Kollege, war erst kürzlich in das Unternehmen eingetreten, entstammte demselben Unternehmen wie sein bisheriger Vorgesetzter. Detailkenntnisse vom Aufgabengebiet besaß er bislang nicht. Sein nun Ex-Chef machte sogleich klar, dass Sebastian ab jetzt seinem neuen Vorgesetzten, seinem ehemaligen Kollegen, zu berichten habe. Damit war gleichzeitig der Kommunikationsweg zu seinem Ex-Chef abgetrennt, da die bislang regelmäßig stattfindenden Abteilungsleitertreffen in der bisherigen Form aufgehoben wurden bzw. nur noch aus den zwei hervorgehobenen Abteilungsleitern mit ihm bestehen würden. Diese hervorgehobenen Abteilungsleiter nannten sich allerdings fortan Bereichsleiter, eine Bezeichnung, die für das Unternehmen neu und unverbraucht war.
Damit war das Gespräch auch sogleich beendet. Gespräche über seine Arbeitslast und die des Teams oder gar eine Betrachtung seiner Zukunftsperspektive erfolgten nicht mehr, denn sie fielen automatisch in die Zuständigkeit seines neuen Vorgesetzten, der jetzt als Bereichsleiter firmierte. Bei seinem ersten Gespräch mit ihm ging es dann nur um die Frage, welche neuen Aufgaben zu den bereits bestehenden diese Abteilung noch übernehmen könne. Dass sie von den drei Aufgabenpaketen mindestens zwei übernehmen müsse, sei bereits mit seinem eigenen, also Sebastians jetzt nächsthöheren Vorgesetzten, vereinbart.
Bewertung
Man kann diese Begebenheit als einen Tiefpunkt, als einen Offenbarungseid einer Leitungsbeziehung sehen, die den Namen „Führungsbeziehung“ nicht verdient hat. Sämtliche Kommunikationsregeln wurden in diesem Zusammenhang verletzt. Führung ohne eine sinnvolle Kommunikation geht nicht.
Gemäß Schulz von Thun kann der „Hörer“ zunächst mit Blick auf die Sachebene zur Kenntnis nehmen, dass eine weitere Hierarchieebene eingezogen wurde. Dadurch wurde die eigene Position reputationsbezogen, aber auch durch einen Wegfall von Informationsrechten und Einwirkungsmöglichkeiten, deutlich geschwächt. Allerdings wurde die Sachebene darüber hinaus nicht weiter bedient, denn die Entscheidung wurde ohne Begründung ausgegeben. Weder wurde der Person erklärt, warum eine betriebliche Notwendigkeit bestand, dieses Manöver zu machen, noch wurde erläutert, warum die langjährig erfolgreiche Führungskraft dem mehr oder minder gerade in das Unternehmen eingetretenen Kollegen plötzlich zu „folgen“ habe. Auf der Appellebene wird signalisiert, dass man sich gefälligst ohne weitere Auseinandersetzung mit der neuen Situation abzufinden habe, die von anderen, die dafür zuständig sind, nun genau so gestaltet wurde. Auf der Selbstoffenbarungsebene wird so einiges deutlich. Die eigene Überzeugung wird ohne Rücksichtnahme auf andere Personen oder den Kontext durchgesetzt, die damit verbundenen sozialen und emotionalen Auswirkungen werden nicht reflektiert bzw. sind einem, falls erkannt, schlicht egal. Daneben erkennt man eine Neigung, „Stammesverbundenheiten“ zur Machtabsicherung zu priorisieren. Auf der Beziehungsebene ist die Botschaft drastisch: Ich bin oben, an einer Beziehung mit dir nicht interessiert, du bist das Mittel zum Zweck und solange nützlich, wie du meinen eigenen Interessen dienst; deine Sorgen interessieren mich genauso wenig wie deine Perspektiven und für mich, der zwischen einer In-Group und einer Out-Group unterscheidet, gehörst du eindeutig zur Out-Group. Und jetzt gehe wieder an die Arbeit und verschone mich mit Betroffenheiten jedweder Art.
Fazit
Die Frage, warum es Personen überhaupt bis in solche Positionen schaffen, ist müßig. Es ist so. Und es ist oft so. Aus Führungssicht es ist ein Offenbarungseid. Selbst wenn wir der Entscheidung eine sachliche Grundlage unterstellten und von einer hier ausgesprochen naheliegenden machtgetriebenen Entscheidung absehen würden, wäre die Form ihrer kommunikativen Vermittlung ein Desaster. Die führungsbezogene Beziehungsebene wird praktisch damit aufgelöst und in eine reine, technische Leitungsbeziehung überführt, ohne dass Mindeststandards des Anstandes bei diesem Wechsel des Beziehungsstatus eingehalten werden. Interessant ist, dass anscheinend geglaubt wird, dass man sich dieses Verhalten wird leisten können, denn weder die entscheidende Person noch die neu installierte Leitungsebene waren fachinhaltlich bislang mit den Kerngeschäften der Abteilung vertraut, sodass in dieser Hinsicht weiterhin eine Abhängigkeit von der desavouierten Person besteht. Auch deshalb muss man es als ein Führungsversagens kennzeichnen, da Effektivität und Effizienz der Abteilung dadurch bedroht werden. Dass diese Person (Sebastian) und vermutlich auch seine Mitarbeitenden nicht mehr für den Wandel, von dem man nicht weiß, warum und wozu, zu motivieren sind, dürfte angenommen werden.
Wir könnten aus diesem Fall sicherlich nicht nur etwas für die Führung lernen, sondern auch über das Unternehmen, in dem so etwas möglich ist. Dazu passt – dies am Rande – ganz gut, dass ein vor einiger Zeit neu hinzugetretenes Vorstandsmitglied mit viel Voraussicht gekontert hat. Nach dem er den gesamten Vorstand dazu bewegen konnte, der Absicht zum Einziehen einer Hierarchiestufe wie geschildert zuzustimmen, verstand er es kurz danach mit dem Einziehen einer weiteren Hierarchieebene, diesmal aber zwischen sich und dem Abteilungsdirektor, sich nochmals zusätzlichen Abstand zu verschaffen. Der Abteilungsdirektor, der bislang an den zuständigen Vorstand berichtete, also an ihn, wurde damit ins obere Mittelfeld verschoben. Diese neue Position, zeitgeistig als „Direktor Digitales und KI“ bezeichnet, besetzte er ebenfalls durch einen Ex-Mitarbeiter, diesmal aber aus seinem eigenen vorherigen Unternehmen.
Handlungsempfehlung
Meine Handlungsempfehlung für Sebastian (und darüber hinaus wohl auch die Mitglieder seines Teams) aus der Ferne wäre, das toxische Umfeld zu verlassen. Andere Optionen bieten sich nicht wirklich an: Voice? An seiner Meinung ist niemand interessiert, die nächsthöhere Führungsebene ist verbaut, Sebastian ist auch nicht das einzige Opfer dieses Versetzspiels, was im Übrigen und im Verbund mit der darauffolgenden Entscheidung des Vorstandes ein personelles Einzelfallproblem ausschließt. Silence? Mündet in einer praktischen Selbstaufgabe, allenfalls wäre Dienst nach Vorschrift eine Übergangsvariante. Dies minderte zumindest vorübergehend die Gesundheitsgefahren. Loyalität? Worauf sollte sie fußen, wem gegenüber wäre sie zu zeigen? Alles deutet auf darauf hin, dass nicht nur ein personelles, sondern ein systemisches Problem besteht. Ergo: „Exit“ ist nicht nur einfach ein „Aus dem Feld gehen“, sondern der Wiedergewinn der Kontrolle über das eigene Leben.
Aus Anonymitätsgründen wurden Details verfremdet.