Jede Krise ist eine Bewährungsprobe für Führungskräfte. Eine digitale Führung ist es nicht minder. Im Bereich des Sozialen ist sie als eine Verlusterfahrung zu charakterisieren.  Nachfolgend wird begründet, warum auch eine digitale Führung, veranschaulicht an einer Videokonferenz, trotz einiger Vorteile einer Führung in leiblicher Präsenz unterlegen ist und woran sich Führungskräfte nun orientieren sollten. Eine hybride Führung ist am Ende eine vielversprechende Führungsform.

Die zunehmende Digitalisierung macht auch vor der Führung nicht halt. Fast alle Führungskräfte,  zumindest die, die im Management positioniert sind, haben dies im letzten Jahr erleben dürfen. Und viele sind noch mittendrin. Sie wurden von jetzt auf gleich in eine Führungssituation geworfen, die sie in dieser Form unvorbereitet traf. Sicher, so manche (internationale) Projektleitungen und sich ständig auf Reisen befindende Führungskräfte, gemessen an der Gesamtzahl eine überschaubare Gruppe, führten hin und wieder, selten nahezu, digital. Auch wurde von dieser Möglichkeit zuvor anlassbezogen Gebrauch gemacht, aber meistens war es hier ein einzelner Mitarbeitender, der ansonsten nicht erreicht werden konnte und nicht gleich (fast) das komplette Team. In dieser verordneten Ausschließlichkeit war es für alle eine neue Erfahrung, weil der Rettungsanker, die Präsenz, sich beispielsweise zu einer Krisensitzung oder zur letzten Vorbereitung auf eine Kundenakquisition zu treffen, auch für die nicht mehr gegeben war, die bereits Erfahrungen mit einer digitalen Führung sammelten. Für alle anderen galt dann erstmalig: Mein Team ist weg und nun? Leadership Insiders verlinkt heute zu einer Studie, in der ich mich mit den Eigenheiten und Auswirkungen der digitalen Führung beschäftige und den Blick nach vorn wende.

In meiner Studie „Digitale Führung. Beziehungsgestaltung zwischen Sinnesarmut und Resonanz“, erschienen beim Roman Herzog Institut im März 2021, beschreibe ich nach einer kurzen Analyse unserer Zeit, die eng mit Unsicherheit verbunden ist, kurz die neuen Arbeitswelten, die – durch die Digitalisierung getrieben –  immer mehr beschleunigt werden.  Danach widme ich mich den wesentlichen Grundlagen der Führung. Danach gehe ich sehr intensiv auf Führungsbeziehungen ein und verbinde den Resonanz-Ansatz von Hartmut Rosa mit meinem Verständnis einer gelingenden, lebendigen Führungsbeziehung. Resonanz ist ein Beziehungsmodus, der Führende wie Geführte in eine erlebnisreiche, sich untereinander verbindende Kommunikation und Interaktion bringt. Um das näher zu beschreiben, zitiere ich aus dem Werk (das hier ein Originalzitat von Rosa enthält):

„Resonanz ist eine durch Affizierung und Emotion, intrinsi­sches Interesse und Selbstwirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt ge­genseitig berühren und zugleich transformieren“

Vereinfacht gesagt: Man ist sich nicht egal, man geht aufeinander ein, man erlebt einen für beide bereichernden Austausch, der eine individuelle wie gemeinsame Entwicklung ermöglicht. Starke Wertungen (richtig/falsch; was ist edel oder gemein; wofür lohnt es sich, zu kämpfen“), bezogen auf Ereignisse, Gegebenheiten und Personen, werden durch eine lernorientierte Kommunikation in eine (ungefähre) Übereinstimmung gebracht (die eine gelegentliche respektierte Differenz einschließt). Dies lässt eine Beziehung als sinnhaft empfinden. Sie sagt einem etwas.

Resonanz und ihre Begleitumstände können in Führungsbeziehungen allerdings nicht erzwungen werden. Durch kluges und ehrliches Verhalten kann die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens jedoch erhöht und Entfremdung voneinander, die zu technisch-kalten Beziehungen führt, vermieden werden.

Breiten Raum nimmt sodann die Prüfung ein, inwiefern über eine technisch vermittelte Kommunikation wie eine Videokonferenz Führung möglich ist und wo überhaupt die entscheidenden Unterschiede in einer Führung durch physische Präsenz liegen. Generell lässt sich zeigen, dass eine Digitale Führung trotz einiger praktischer Vorteile aus Sicht der Beziehungsgestaltung  als eine Verlusterfahrung, die im Virtuellen und durch Virtuelles nicht zu substituieren ist, ausgewiesen werden muss. Es fehlt nicht zuletzt an Resonanzerfahrungen (oder sie sind sehr eingeschränkt, wenn). Damit liegen Auswirkungen nicht nur auf die Zufriedenheit, der affektiven Bindung oder des inspirierenden Potenzials einer Beziehung nahe, sondern wirft bei Ausschließlichkeit langfristig in Summe auch Fragen des optimalen Abrufes des Leistungspotenzials  der Organisation auf, vor allem dann, wenn personale wie situationale Bedingungen unberücksichtigt bleiben.

Wäre dem nicht so, um auf dieses Gedankenexperiment hinzuweisen, müssten wir uns alle ein Arbeitsleben vorstellen können (mit offensichtlichen Ausnahmen natürlich), das ohne jegliche physische Kontakte, auch z. B. gegenüber Lieferanten, Kunden oder Partnerbetrieben, auskäme – und uns gleichermaßen befriedigte. Denn auch hier würden Verlusterfahrungen, teilweise andere womöglich, durch die Aufgabe des unmittelbaren Mit- und Zueinanders wahrgenommen werden. Dieses Weiterdenken zeigt ja, dass dann immer mehr Räume unbelebt blieben, in denen die sozialen Bedürfnisse des Menschen keinen oder nur eingeschränkt Widerhall mehr fänden und soziale Erholungsräume außerhalb des Führungsraumes immer mehr schrumpften. Zu bedenken ist ebenfalls, dass eine Digitale Führung gerne mit einer digitalen Zusammenarbeit von Mitarbeitenden einhergeht, sodass auch hier soziale Beschränkungen Gefahr liefen, Verluste empfinden zu lassen. Auch hier gilt: Dies ist ein übergreifender Befund. Der Einzelfall ist demnach stets im Auge zu behalten.

Dies im Hinterkopf, kann aus theoretischer wie empirischer Sicht kein Zweifel bestehen, dass die Zukunft der Führung nicht total digital sein kann. So wird eine hybride Führung, die leibliche (Body-to-Body Leadership) und virtuelle Führung geschickt kombiniert, vielfach das Erfolgsrezept nicht nur in digitalisierten Arbeitswelten sein.

Als Leitbild zur Gestaltung der Führungsbeziehung wird dann von mir ein lernorientierter Dialog entworfen. Führungsbeziehungen, die sich darauf stützen, besitzen hohe Resonanzpotenziale. Für die bislang gewohnte und weiterhin praktizierte Form einer Füh­rung unter Anwesenden trägt dieses Leitbild ebenfalls und ist dort wesentlicher leichter zu realisieren, auch wenn es selbst anspruchsvoll ist. Eine Führungshaltung, die aus Bescheidenheit heraus operiert, passt zu einer solchen Führungsbeziehung sehr gut.

Am Ende ist der Erfolg einer Führungsbeziehung immens davon abhängig, ob sie »in Schwingung« versetzt werden kann und damit die Idee eines gemeinsamen Weges spürbar in sich trägt.

Mehr unter

Weibler, J. (2021): Digitale Führung. Beziehungsgestaltung zwischen Sinnesarmut und Resonanz. Herausgegeben vom Roman Herzog Institut, München.

Alle Quellenbelege und teilweise übernommenen Formulierungen finden sich dort.

Originalstudie „Digitale Führung“: Kostenfrei solange vorrätig als Buch im DIN-5 Format zu beziehen oder auch als Download abrufbar:

https://www.romanherzoginstitut.de/publikationen/detail/digitale-fuehrung.html