mantinov / Shutterstock

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Führungsverantwortung sollte eigentlich ein bedeutsames Thema in der Ausbildung von zukünftigen Führungskräften sein – tatsächlich fristet das Thema jedoch ein Schattendasein in der Hochschullehre. So das Ergebnis einer neuen Studie. Nun ja, so richtig schlimm mag einem das erst einmal nicht erscheinen. Wäre da nicht die zeitgleiche Veröffentlichung einer anderen Studie, die besagt: Jeder zweite Manager in Deutschland hat bereits unethische Verhaltensweisen im eigenen Unternehmen erlebt. Und jeder vierte wäre bereit, auch selber unethisch zu handeln. Leadership Insiders stellt beide Studien vor und diskutiert den Gesamtzusammenhang.

Führungsverantwortung als blinder Fleck in der Ausbildung von Führungskräften

Die Frage: „Inwieweit bereiten Universitäten ihre Studierenden im Rahmen eines Fachstudiums auf spätere Führungsverantwortung vor?“ stand im Mittelpunkt einer Untersuchung, die die Carl-Zeiss-Stiftung 2016 in Zusammenarbeit mit den Universitäten Tübingen, Mainz und Jena durchführte. Gegenstand waren dabei über 600 Bachelor- und Master-Studiengänge im Bereich der Wirtschaftswissenschaften sowie der sog. MINT-Fächer (Mathematik-, Ingenieur- und Naturwissenschaften). Dieser Fokus wurde gewählt, da rund 80 Prozent des deutschen Top-Managements genau diese Studienhintergründe haben. Die wissenschaftlich-methodische Analyse des Lehrangebots kam dabei zu folgenden Ergebnissen:

  • Führung, Ethik und Verantwortung sind in der universitären Ausbildung als Lernziele kaum vorhanden.
  • Führungsverantwortung als zu erwerbende Kompetenz ist in 73 Prozent der untersuchten Studiengänge formal gar nicht oder kaum verankert.
  • Das Wort „Führungsethik“ findet sich auf den 76.712 Seiten aller untersuchten Modulhandbücher nur ein einziges Mal. Das Wort „Führungsverantwortung“ kommt auf ganze 4 Nennungen.
  • Wenn es im Studium tatsächlich einmal zur intensiveren Auseinandersetzung mit Fragestellungen aus dem Bereich der Moral, Ethik und Verantwortung kommt, so ist dies im Wesentlichen nur dem Engagement einzelner Personen (Lehrender) zu verdanken.
  • Das Fazit der Studie lautet mithin: Führungsethik stellt derzeit lediglich ein Desiderat in der universitären Ausbildung der MINT-Fächer und Wirtschaftswissenschaften dar. Soll heißen: Das Lernziel „Führungsverantwortung“ wird in den Rahmenvorgaben für die Hochschulausbildung zwar als relevant eingestuft; von Seiten der Hochschullehre wird hier allerdings nichts Nennenswertes geleistet.

Die Verfasser der Studie bezeichnen die Ergebnisse als „besorgniserregend“, bemerken aber auch, dass der Befund „in Wissenschaft und Gesellschaft bislang nur wenig Beachtung gefunden hat“. Warum ist das so? Vielleicht, weil wir davon ausgehen, dass Werte und Moral (gerade) bei uns noch immer hoch gehalten werden und jeder auch ohne Ethikkurse wissen sollte, was gut und richtig ist. Und vielleicht auch weil wir gerne der (Pseudo-)Logik folgen, dass erfolgreiche Führungskräfte im Grunde immer auch integre Persönlichkeiten sein müssen, da sie andernfalls ja überhaupt keine Akzeptanz und Gefolgschaft finden würden.

Und mancher mag vielleicht auch leicht überdrüssig denken: Wird denn nicht schon genug über Moral und Ethik in der Wirtschaft, gar Führungsethik, räsoniert, braucht es da wirklich noch mehr davon? In der Tat könnte man sagen, dass die Kompetenz zur Führungsverantwortung sicher nicht als Desiderat betrachtet werden müsste, wenn Führungsverantwortung in der Wirtschaft in hinreichendem Maße gelebt würde. Wird sie aber nicht! Dies zumindest ist das zentrale Ergebnis einer zweiten aktuellen, aufschlussreichen Studie.

Die Verbreitung der Verantwortungslosigkeit unter deutschen Führungskräften

Durchgeführt wurde der sog. EMEIA Fraud Survey 2017 von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. Befragt wurden hierzu 4.100 Unternehmen aus 41 Ländern der Regionen Europa, Mittlerer Osten, Indien und Afrika. Interessieren soll uns hier allerdings nur der separate Teilbericht für Deutschland vom April 2017, der im Besonderen folgende Studienergebnisse ausweist:

  • 43 Prozent der Manager halten unlauteres Geschäftsgebaren hierzulande für verbreitet – in 2015 waren es noch 26 Prozent.
  • Fast ein Viertel (23%) der Befragten gab offen an, dass sie bereit wären, für berufliches Fortkommen und höhere Bezahlung in unethischer Weise zu handeln. Der Durchschnitt für ganz West-Europa lag hier bei lediglich 14 Prozent.
  • Mehr als 50 Prozent der deutschen Manager räumten ein, in ihrem Berufsleben mit ethischen Verfehlungen konfrontiert worden zu sein. 22 Prozent der Befragten gaben ferner an, um ihre eigene Sicherheit fürchten zu müssen, falls sie derlei Fehlverhalten melden würden.
  • Dazu passt: Lediglich 7 Prozent der befragten Manager hatten Kenntnis von einer Whistleblower-Hotline in ihrem Unternehmen. Weltweit ist der Anteil hier exakt drei Mal so hoch.

Zunehmende Verantwortungslosigkeit gerade unter den Jüngeren?

Als seien diese Befunde nicht schon bedenklich genug, so weist die Studie zudem auch ausdrücklich auf eine weitere Augenfälligkeit hin: Die sog. Generation Y, hier definiert als die Gruppe der 25-34-jährigen, ist erkennbar bereiter, sich in unethischer Weise zu verhalten als es die älteren Managergruppen sind. Konkret waren 73 Prozent der befragten Nachwuchskräfte der Ansicht, dass unethische Verhaltensweisen gerechtfertigt sein können, wenn sie dazu beitragen, ein Unternehmen über einen Wirtschaftsabschwung zu retten. Im Durchschnitt aller Altersgruppen vertraten „nur“ 59 Prozent der Manager diese Ansicht.

Mein Wirtschaftsstudium spricht den ethischen Aspekt in keiner Weise an. Deshalb wird sich damit wenig auseinandergesetzt. Hinzu kommt der immer größer werdende Wettbewerb um gute Jobs, der dazu führen könnte, prioritär in Erfolgskategorien des Managements zu denken.

Kira Volgmann

Dieser Befund zwischen den Generationen wurde jedoch nicht auf  eine statistische Überzufälligkeit hin getestet. Es muss zudem an diesem Punkt kritisch angemerkt werden, dass bereits die Frageformulierung unglücklich ist. Faktisch geht es ja um einen ethischen Konflikt, der das „Unethische“ unspezifiziert lässt, aber das Ergebnis, das klar vorstellbare Folgen hat (Auflösung der Unternehmung), deutlich herausstreicht.

Auch muss davon ausgegangen werden, dass Fragebögen zu ethischen Fragen zwischen den Generationen semantisch unterschiedlich aufgenommen werden (können), wie das US-Forscherteam John Meriac, David Woehr und Christine Banister erstmals bereits an einem Instrument zur multidimensionalen Messung der Arbeitsethik zeigten (2010). Hier besteht also weiterer Forschungsbedarf. Dieser sollte insbesondere auch das moralische Vorab-Wissen zu unternehmerischen Ethikdilemmata zwischen den und innerhalb der Generationen einbeziehen, um zukünftig gesicherte Aussagen zu treffen.

Dessen ungeachtet nährt die lesenswerte Studie gleichwohl natürlich Zweifel an der hoffnungsfrohen These, dass allein schon mit dem Einzug einer neuen Generation in die Führungsetagen ethischen Defiziten in der Wirtschaft entschiedener begegnet würde. Dem muss nicht so sein. Sogar das Gegenteil wäre demnach möglich.

Führungsverantwortung fördern – ein erforderlicher und arbeitsteiliger Prozess

Stellt man die beiden Studien gegeneinander, so sind die Ergebnisse recht kompatibel. Hier der Wunsch, dass künftigen Führungskräften in ihrer Ausbildung einiges an ethischem Rüstzeug mit auf den Weg gegeben werden sollte, verbunden mit der Wahrheit, dass unsere Ausbildungssysteme für potentielle Führungskräfte diesbezüglich tatsächlich wenig bis nichts leisten. Dort die Erkenntnis, dass ethisches Verhalten generell auf dem Rückzug ist und die Akzeptanz unethischer Verhaltensweise möglicherweise gerade beim Führungsnachwuchs auf dem Vormarsch sein könnte.

Wenn wir uns nicht an die gegebenen Ausmaße oder gar noch an eine weitere Ausweitung der Unmoral in der Wirtschaft gewöhnen wollen, dann scheint es an der Zeit, Strukturen zu schaffen, die dem zu begegnen vermögen. Und diese Strukturen können im Grunde nur arbeitsteilig geschaffen werden. Das heißt:

Zum ersten müssen die Hochschulen in ihren Ausbildungsgängen, aber auch in der Managementweiterbildung bzw. Weiterbildung Leadership, flächendeckend  auf ein Bewusstsein dafür hinwirken, dass Moral und Ethik in Wirtschaft und Unternehmen leichthin unter die Räder kommen können. Deutlich muss werden, dass dem ungezügelten einzelwirtschaftlichen Erfolgsstreben durchaus eine Tendenz zu illegitimen und auch illegalen Verhaltensweisen innewohnt.

In Anbetracht dessen gilt es dann aufzuzeigen, wie in derlei Konfliktsituationen ethisch kompetent gehandelt werden könnte. Wenig durchschlagend ist es allerdings, solche Überlegungen allein in „Ethikkursen“,  deren Besuch dann auch noch fakultativ ist, an den Mann oder an die Frau zu bringen. Vielmehr bedarf es einer Integration in die einzelnen Problemfälle der Unternehmensführung, des Marketing oder des Leadership.

Zum anderen müssen aber auch die Unternehmen selbst deutlich mehr tun, um den Trend zur „Unethik“ zu brechen. Whistleblower-Hotlines, die allerdings am Ende der Kette stehen, sind dafür schon angesprochen worden, Compliance Management-Systeme und Fallbesprechungen müssen hinzutreten.

Aber es bedarf dazu noch mehr: Der Abwehr einer „profits-at-all-costs“-Kultur, der Gesetz und Ethik wenig bedeuten; überdies bedarf es eines integren Top-Managements, das nicht nur dem Shareholder-, sondern erkennbar auch dem Stakeholder-Value verpflichtet ist. Und nicht zuletzt vielleicht auch einer vorbildgebenden Selbstbeschränkung, symbolisch beispielsweise festzumachen an der sog. CEO-to-worker-pay-ratio (Verhältnis zwischen der Vergütung des Vorstandsvorsitzenden und dem Durchschnittsverdienst im Unternehmen. In deutschen Unternehmen wird das derzeit wiederum im Durchschnitt mit dem Faktor 93 und im Maximum mit dem Faktor 190 ausgewiesen; SpiegelOnline 2017.  In den USA besteht für börsennotierte Unternehmen ab 2017 eine definierte Ausweispflicht).

Dies sind lediglich hervorgehobene Bausteine. Bei systematischer Betrachtung würde man, wie es unsere Konzeption von der wirksamen integralen Führung von Organisationen vorsieht (Deeg/Küpers/Weibler 2010), den

  • Struktur-System-Bereich (z.B. Kontextmanagement)
  • Kulturbereich (z.B. Bedeutungsmanagement)
  • Bewusstseinsbereich (z.B. Selbstmanagement) und den
  • Verhaltensbereich (z.B. Kompetenzmanagement)

zusammenhängend betrachten und verzahnen müssen, frei nach dem Motto:

Das Ganze verstehen, aber auch die Teile nicht aus den Augen verlieren.

Dass dabei der Erfolg der integralen Führung zur Verantwortungsübernahme von den gesellschaftlichen Praktiken, Erwartungen und Sanktionierungen („einzuhaltende Spielregeln“) beeinflusst wird,  dürfte klar sein. Keine Organisation agiert in einem luftleeren Raum.

Deeg, J./Küpers, W./Weibler, J. (2010): Integrale Steuerung von Organisationen, München.

Ernst & Young (2017): EMEIA Fraud Survey (http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY_-_EMEIA_Fraud_Survey_2017/$FILE/ey-emeia-fraud-survey-2017.pdf; zugegriffen am 6.4.2017)

Ernst & Young (2017): EMEIA Fraud Survey – Ergebnisse für Deutschland April 2017 (http://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY_-_EMEIA_Fraud_Survey_%E2%80%93_Ergebnisse_f%C3%BCr_Deutschland_April_2017/$FILE/ey-emeia-fraud-survey-ergebnisse-fuer-deutschland-april-2017.pdf; zugegriffen am 6.4.2017)

Fregin, M.-C. u.a. (2016): Führungsverantwortung in der Hochschullehre (https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/70705/Band_12_F%C3%BChrungsverantwortung.pdf?sequence=1&isAllowed=y; zugegriffen am 6.4.2017)

Meriac, J.P./Woehr, D.J./Banister, C.J. (2010):  Generational Differences in Work Ethic: An Examination of Measurement Equivalence Across Three Cohorts. In: Journal Business and Psychology, 25(2), 315-324

SpiegelOnline (2017): Heidelberg-Cement ist Spitzenreiter bei Gehaltsexzessen (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gehaelter-deutsche-vorstandschefs-verdienen-bis-zu-190-mal-so-viel-wie-angestellte-a-1141729.html; zugegriffen am 6.4.2017)