Spotify bespielt die Welt. Es gilt als ein agiles Unternehmen, das sich stets am Puls der Zeit befindet. Wir beleuchten, was die Führung anders als bei vielen macht. Ins Auge sticht dabei ein umfassendes Empowerment.

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Der schwedische Musikstreaming-Dienstleister Spotify ist allgegenwärtig. Über mobile Endgeräte, Auto, AV-Receiver und mehr bespielt er unterschiedlichste Räume. Im Management wird er als ein erfolgreiches, agiles Softwareunternehmen gehandelt, das sich mit seinem Organisationsaufbau, den charakteristisch flachen Hierarchien und eigenwilligen Benennungen organisatorischer Einheiten von anderen Unternehmen unterscheidet. Gilt das auch für die Führung? „Durchaus“, sagt Leadership Insiders anhand vorliegender Berichte, und sortiert es in die New Leadership Bewegung ein.

Spotify

Spotify wurde 2006 von Daniel Ek und Martin Lorentzon in Stockholm gegründet. Im Kern ist es ein Audio-Streaming-Dienst (später auch Videos), der via Abonnement bezogen werden kann. Im Oktober 2020 waren es 144 Millionen Abonnenten und 320 Millionen aktive Nutzer in 92 Ländern und damit um Längen mehr als bei den Konkurrenten Apple Music und Amazon Music. Beschäftigt waren in 2019 rund 4.400 Menschen und diese erzielten durch ihren Einsatz einen Umsatz von rund 6,6 Milliarden Euro (Wikipedia 2020). Damit verleihen sie der schwedischen (Pop-)Musik auf ihre Art und in mehrfacher Hinsicht weiteren Glanz.

Führungsverständnis und Führungsorganisation

Fangen wir mit der Leitidee zur Führung bei Spotify an, um danach die Organisation besser zu verstehen. Zur Führung bei Spotify hat ihr Co-Gründer und heutiger Vorstandsvorsitzender Daniel Ek, wie Friederike Müller-Friemauth und Rainer Kühn (2020) beschreiben, nämlich eine sehr eigenwillige Ansicht. Danach sage er, dass gute Mitarbeitende in 70% aller Fälle genauso entscheiden wie Vorgesetzte und in 20% der Fälle sogar eine bessere Entscheidung treffen, da die Mitarbeitenden bessere Kenntnisse der sie oder ihn betreffenden Thematik haben. Lediglich in 10% der Entscheidungen treffen Vorgesetzte die bessere Wahl. Diese Grundeinstellung sorge für Vertrauen und stützt die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden.

2012 veröffentlichten Kniberg und Ivarsson ihr Whitepaper „Scaling Agile@Spotify with Tribes, Squads, Chapters & Guilds“ und beschrieben darin den Aufbau des Spotify-Modells. Werfen wir mit Ergänzung anderer Quellen (Kniberg 2014) einen Blick hinein.

Das Team bildet bei Spotify im Grunde die kleinste organisatorische Einheit. Diese Teams heißen laut Kniberg (2012) Squads. Sie bestehen aus bis zu 8 Mitgliedern und arbeiten mit einer End-to-End Verantwortung an ihrer Aufgabe. Teil des Teams sind unter anderem ein Product-Owner, Designer*innen, Programmier*innen und jeweils ein Agile Coach (vormals der Idee des Scrum-Masters folgend; heute gibt es keine Verbindlichkeit für diese Methode mehr), der oder die dafür sorgt, dass die gewünschte agile Arbeitsweise im Flow ist und bleibt. Mehrere Squads werden zu einer größeren Gruppe, dem sogenannten Tribe, zusammengefasst und sollen 150 Mitglieder nicht überschreiten. Dann, so die Idee, seien soziale Beziehungen als gesamte Einheit nicht mehr erlebbar.

Innerhalb dieses Tribes werden Mitarbeitende aus den Squads noch nach fachlichen Kompetenzen in sogenannten Chaptern organisiert. Beispielsweise bilden alle Agile Coaches aus unterschiedlichen Squads eines Tribes ein Chapter. Dies hat den Charme, dass ein Wechsel eines Mitarbeiters zwischen Squads seine Chapter-Zugehörigkeit unberührt lässt.

Als größere, eher lose Verbindung gibt es noch Guilds, die sich durch das gesamte Unternehmen freiwillig nach Interessen zusammenfinden (man denke hier an die community-of-practice) und bei gelegentlichen persönlichen Treffen und daneben virtuell über die Grenzen der Einheiten hinweg kommunizieren.

Abbildung 1: Organisation bei Spotify (Kniberg und Ivarsson 2012)

Die Squads haben keine formelle Führungskraft, allerdings einen Product-Owner, dessen Rolle aus der Anfangszeit als SCRUM-Teams stammt, der die zu erledigenden Aufgaben und die Anforderungen an die Lösungen verantwortet. Die Chapter haben eine formelle Führungskraft, die allerdings auch neben der Führung des Chapters in Personalunion ein ganz normaler Teil eines Squads ist, was eine Verbindung zur täglichen Arbeit schafft. Weisungen hinsichtlich der Arbeitswahl und der operativen Ziele kann er allerdings nicht erteilen. Das obliegt der Selbstorganisation des Squads. Ebenso können die Mitarbeitenden hier eine definierte Zeitspanne zur Verfolgung eigener produktbezogener Ideen verwenden. Der Führer oder die Führerin des Chapters kümmert sich in ihrer Führungsrolle vielmehr um ganz klassische Dinge wie Gehaltsverhandlungen oder Mitarbeiterentwicklung.

Eine Ebene höher gibt es die Tribe-Leads, auf deren Ebene es auch die meisten Veränderungen gab, seit dem Kniberg und Ivarsson 2012 das Spotify-Modell publik gemacht haben. Gab es zu Beginn nur eine Führungskraft pro Tribe, gibt es nun ein Trio aus Tribe Leadern, die sich, wie Schmiedinger 2019 schreibt, auf die Bereiche Tech, Product und Design aufteilen. Die Entwicklung zeigt also eine Auffächerung der Führung, je mehr das Unternehmen wuchs.

Damit einhergehend wurde eine weitere Organisationseinheit geschaffen: die Alliance. Eine Alliance umfasst mehrere Tribes, die in einem ähnlichen Feld, z.B. dem der Privatkunden, tätig sind.

Die Alliance wird wiederum von drei Führungskräften, hier Heads, geleitet und ist in die bereits bekannten Bereiche Tech, Product und Design, mit dem jeweiligen Tribe-Leader als Geführten unterteilt. Beispielsweise führt der Tech-Head einer Alliance alle Tech-Leads, die dann jeweils einen Tribe führen.

Abbildung 2: Spotify Struktur ab 2015 (Schmiedinger 2019)

Trotz des vielen Teamworks und vor allem der Freiheiten in der Organisation gibt es also dennoch eine klare Hierarchie mit Führungsbeziehungen, die allerdings dem gemeinsamen Führungsgrundsatz der hohen Eigenverantwortung unterliegen, was die Frage aufwirft, ob nicht der Vorteil oder das Neue in der Organisation nicht der Aufbau, sondern der Grad der Eigenverantwortung ist.

Einordnung

Sicherlich ist es die Führungsorganisation, die hier direkt ins Auge fällt. Zunächst sind es die Benennungen der Einheiten, die gleichermaßen an urwüchsige und straff geordnete Gemeinschaften erinnern. Das hierarchische Element ist nicht aufgegeben, wird aber mit einer extrem hohen Eigenverantwortung gelebt. Dadurch, dass die Einheiten, erinnernd an das Linking-Pin Modell des Sozialpsychologen Rensis Likert, wissensbezogen verknüpft sind, wird eine große Verbundenheit erreicht, die allerdings von der offenen Kommunikation aller und Transparenz über die Einheiten hinweg abhängig ist (Andreas Diehl 2019):

„Dabei vertraut das Spotify Model auf “cross pollination”. Das heißt, statt “best practices” zu ritualisieren und in einen Rahmen zu pressen, setzt die Spotify Organisation darauf, dass sich überlegene und wertstiftende Tools, Methoden und Werkzeuge rumsprechen. So “mutieren” wertvolle Erfahrungen im Spotify Modell automatisch zum Standard.“

Deshalb wird sehr stark daran gearbeitet, den „Purpose“ von Spotify beständig zu verdeutlichen – eine ganz zentrale Führungsaufgabe – und allen ein sehr großes Ausmaß an Autonomie und Flexibilität zu gewähren. Hinzu kommt eine Ermutigung, zu experimentieren und Fehler nicht zu scheuen (Prinzip Analyse und „fast failure recovery“).  Man würde dies wohl als eine maximale Ausprägung einer „Empowerment-Philosophie“ bezeichnen.

Prominent geworden ist diese Philosophie durch die Harvardprofessorin Rosabeth Moss Kanter (1977). In ihrem Bestseller „When Giants Learn to Dance“ spielte Empowerment eine zentrale Rolle und wurde in einer Wirkungskette eng mit der Produktivität eines Unternehmens verbunden. Dabei fokussiert sie auf organisationale Strukturen anstatt auf individuelle Begabungen.

Genau das sehen wir hier auch, da das strukturelle Empowerment durch ein weitgehendes psychologisches Empowerment ergänzt wird. Letzteres befördert theoriegemäß die Überzeugung der Mitarbeitenden, autonom erfolgreich handeln zu können, und wird mit einer als bedeutungsvoll erlebten Arbeit verbunden (Überschneidung von Arbeitszielen und eigenen Einstellungen/Werten). Studien weisen aus, dass u.a. das Gefühl, durch sein Tun einen Unterschied zu machen, also Wirkung (Impact) zu entfalten, daraus entspringt! Am Ende entsteht, so die gut begründete These, eine intrinsische Arbeitsmotivation. Wie oft, fragen wir uns, fehlt das eigentlich engagierten Teammitgliedern in ihrem Arbeitsalltag? Warum? Darum: weil sie unsinnigen Regelungen unterworfen werden, ihre Initiativen, wenn überhaupt wahrgenommen, abgebügelt werden, und Vorgesetzte haben, die man als „Micro Manager“ bezeichnen muss, die einem die Luft zum Atmen nehmen und dabei Höchstleistungen verlangen. Was für ein führungsbezogenes Versagen.

In seinem Bestseller „Reinventing Organizations“  aus 2015 ordnet Frederic Laloux, ehemaliger Associate Partner von McKinsey und INSEAD-Absolvent, das Empowerment einer fortgeschrittenen Phase der Organisationsentwicklung zu. Als gelenkte Intervention zur Mobilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es zwar weiterhin traditionell hierarchisch, soll aber neue Spielräume im bestehenden System schaffen. Das hierarchische Moment ist aber aufgrund der eingeforderten Selbstorganisation auch hinsichtlich Arbeitsweise und operativer Zielsetzung sehr zurücknehmend formuliert, zumal die Basiseinheiten ohne formale Leitung und damit ohne der ansonsten damit verbundenen Weisungsbefugnis nach innen auskommen müssen. Von höheren Instanzen ist dies jedoch weiterhin in Form einer strategischen Zielvorgabe möglich. Allerdings wird erwartet, dass sich die Einheiten selbständig für die notwendigen Schritte absprechen. Dies geschieht ja ebenfalls in den Dreier-Führungsgruppen.

Den Status des New Leadership können also auch hierarchisch aufgebaute Organisationen erlangen. Dies, sofern sie sich von traditionellen, dominant bestimmenden Führungskräften und ihren typischen Verhaltensmustern befreien, offen und transparent durch einen auf Gutwilligkeit und Integrität setzenden und allgemein Bescheidenheit signalisierenden Führungsstil kommunizieren. Dabei Macht denjenigen geben, die die beste Entscheidung treffen können. Führung zudem plural (Endres/Weibler 2019) und konstruktiv-entfaltungsorientiert (Kuhn/Weibler 2020) denken, Sinnangebote für das Hiersein liefern, eine korrespondierende Führungskultur leben, und dabei einen organisatorischen Rahmen kreieren, der Eigeninitiative ermöglicht, fördert und mit Blick auf das Große und Ganze klug koordiniert. Sofern dies geschickt aufeinander abgestimmt wird, dürfte der Erfolg überproportional wachsen. Und die Skalierbarkeit? Nun, vieles findet sich in der New Work-Bewegung wieder und erhebt Anspruch auf eine breite Umsetzbarkeit. Aber eine 1:1-Übernahme sollte nicht das Ziel sein. Es dient dazu, Anregungen zu gewinnen und Mut zu bekommen, selbst aus der eigenen Box heraus zu denken und seinen eigenen Weg zu finden. Eine formelhafte Sicherheit für die eigene Transformation der Organisation gibt es nie. Wer einseitig Sicherheit sucht, sollte es vermutlich gleich lassen. Und wo fängt man an, wenn man sich traut? Im eigenen Kopf, denn ohne ein entsprechendes Mindset geht sicherlich nicht wirklich etwas.

Diehl, A. (2019): Das Spotify Modell als Blaupause für eine agile Organisation. URL: https://digitaleneuordnung.de/blog/spotify-model/#tribes, abgerufen am 28.11.2020

Endres, S. / Weibler, J. (2019): Plural Leadership – Eine zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show, Wiesbaden

Kanter, R.M., (1990): When Giants Learn to Dance: Mastering the Challenge of Strategy, Management, and Careers in the 1990s, New York

Kniberg, H. / Ivarsson, A. (2012): Scaling Agile@Spotify with Tribes, Squads, Chapters & Guilds. Whitepaper October 2012. URL: https://bit.ly/2PneB7L, abgerufen am 25.11.2020

Kniberg, H. (2014): Spotify Engineering Culture (Part 1). (Video auf engineering.atspotify.com) veröffentlicht am 20.09.2014. URL: https://engineering.atspotify.com/2014/03/27/spotify-engineering-culture-part-1/, abgerufen am 18.07.2020

Kühn, R. / Müller-Friemauth, F. (2019): New Work-Challenge – Die schöne neue Arbeitswelt aus zukunftsforscherischer Sicht. In: Hermeier, B./Heupel, T./Fichter-Rosada, S. (Hrsg.): Arbeitswelten der Zukunft. Wie die Digitalisierung unsere Arbeitsplätze und Arbeitsweisen verändert, Wiesbaden, S. 391-412

Kuhn, T. / Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Laloux, F. (2015): Reinventing Organizations, München

Scheller, T. (2017): Auf dem Weg zur agilen Organisation: Wie Sie ihr Unternehmen dynamischer, flexibler und leistungsfähiger gestalten. Franz Vahlen, München, e-book, URL: https://doi.org/10.15358/9783800652723, abgerufen am 18.11.2020

Schmiedinger, Ch. (2019): Vorbild Spotify? Was Sie beachten sollten, bevor Sie das Organisationsmodell kopieren. URL: http://www.schmiedinger.biz/media/files/vorbild_spotify.pdf , abgerufen am 23.11.2020

Wikipedia (2020) Spotify. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Spotify, abgerufen am 28.11.2020