Wie reagieren Organisationen am besten auf Veränderung? Indem sie sich selbst verändern, ggf. sogar neu erfinden. Wenn die Geschwindigkeit der Umweltanpassung zum Erfolgsfaktor wird, benötigt man flexible Einheiten, die unter zentral gesetzten Maßgaben selbständig agieren. Erfahrungen mit hochleistungsfähigen Teams, gewonnen aus einer Extremsituation, werden dargestellt und dienen dazu, den Improvisationswillen auch bei „normalen“ Organisationen anzuregen. Die gute Botschaft für Veränderungswillige: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Die schlechte: Es gibt nur eine temporäre Stabilität, man muss in Bewegung bleiben.

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General Stanley Allen McChrystal, langjähriger Kommandeur des Joint Special Operations Command und einjähriger Kommandeur der ISAF sowie der US Forces in Afghanistan, entwickelte nach seinen Erfahrungen in „Team of Teams“ (2015) ein klares Verständnis von erfolgreichen Basiseinheiten in unsicherer Lage. Diese funktionieren dann exzellent, wenn ineinander verschachtelte Teams die Organisationen bilden, Leitprinzipien das Miteinander regeln und nichts auf Dauer gestellt ist – selbst die Leitprinzipien nicht, da diese auch nur eine Antwort auf die momentan gültige Situationsdeutung darstellen. Da sich viele seiner Aussagen mit Überlegungen aus der Teamforschung und des New Work decken, diese gleichzeitig aber auch anschaulich das Verhalten unter Unsicherheit weiterdenken, lohnt sich für Leadership Insiders ein genauer Blick auf eine Lebenswelt, in der Führung durch Extremsituationen, wie hier dem militärischen Einsatz, geprägt ist.

Führung muss sich der Situation anpassen

„Neuerungen entwickeln sich innerhalb von Gruppen, mögen das nun Unternehmer oder Künstler, Aktivisten oder Musiker sein“
Timothy Snyder

In seinem Vorwort zu „Team of Teams“ streicht Walter Isaacson, ehemaliger Präsident des Aspen-Instituts und CEO von CNN, heraus, dass nahezu alle großen Innovationen durch Teams und nicht durch Einzelkämpfer entstanden sind. Selbst Steve Jobs, der gerne als Inkarnation des einsamen visionären Führers gesehen wird, antwortete, als er danach befragt wurde, auf welche seiner kreativen Leistungen er am stolzesten sei, dass es das Team war, das den Macintosh Anfang der achtziger Jahre unter einer aufgestellten Piratenflagge erfand und zur Marktreife brachte.

Teams spielen nach den Erfahrungen des West Point Absolventen McChrystal deshalb eine so prominente Rolle, weil nur sie das realisieren können, was die wichtigste Lehre für ihn im Überlebenskampf gewesen ist: Anpassungsfähigkeit in Hochgeschwindigkeit.

Der Ausgangspunkt der Erkenntnis war der Folgende: Seinen Kräften, die er im Irak befehligte und die Teil einer Militärorganisation waren, die sich für die Beste der Welt hielt, drohte eine unverständliche Niederlage. Eine streng hierarchisch organisierte Organisation mit weltweit erprobten Routinen, hochspezialisiert und einzigartig ausgestattet, war einem in der Logik des Terrorismus operierenden Feindes (Al-Kaida) nicht gewachsen, der anscheinend nichts besaß, was man als „Organisation“ dem eigenen Verständnis nach bezeichnen würde. Was man von ihm zum damaligen Zeitpunkt lediglich sah, wenn man ihn sah, waren kleinste und kleine, in sich homogene Einheiten, Einzelgruppierungen, untereinander nur sehr lose verbunden, ressourcial um Längen unterlegen, ohne identifizierbare zentrale Kommandostruktur, aber außerordentlich beweglich, und rücksichtslos entschlossen agierend – nach den traurigen Maßstäben des Krieges zudem sehr erfolgreich.

Die Analyse legte dar, dass ohne eine grundsätzliche Änderung des Vorgehens der Krieg nicht gewonnen werden konnte. Der Analyse folgte die Wiederbelebung eines einfachen Grundsatz der Organisationsgestaltung: Organisationen müssen sich in ihrer Philosophie und ihrem Aufbau den Gegebenheiten des Feldes, in denen sie tätig sind, anpassen. Ändern sich die Gegebenheiten, beispielsweise aus technologischen Gründen, kann dies eine Änderung erzwingen, sofern man weiterhin erfolgreich bleiben möchte. Bewegt man sich von einem vertrauten Umfeld in ein unvertrautes, das offensichtlich wenig mit dem bisherigen gemein hat, beispielsweise in diesem Fall topographisch, klimatisch und die Art und Weise der Auseinandersetzung selbst betreffend, gilt dies umso mehr. Sind zudem diese neuen Bedingungen selbst nicht prognostizierbaren Veränderungen unterworfen, wird die Anpassungsfähigkeit der Organisation zur mit Abstand wichtigsten Fähigkeit. Die Effizienz verliert ihre die Organisation ausrichtende Leitfunktion.

Veränderung ohne Plan und Training

Etablierte Organisationen haben das Problem, dass sie für die Veränderung der Umwelt weder geplant noch geübt haben. Genauso erging es der von General McChrystal befehligten Task Force, der die Veränderungsnotwendigkeit erst im Einsatz auf unvertrautem Terrain erkannte. Für in West Point trainierte Offiziere, die sich eher ingenieursmäßig Lagen näherten, war die Idee, dass ein Problem mehrere Lösungen auf verschiedenen Wegen haben kann, extrem irritierend; natürlich auch, das Gefühl gegen einen Gegner zu verlieren, der weder intellektuell brillant war, über keine besondere Waffe verfügte und dem es permanent an Ressourcen mangelte. Dafür war er der Situation, in der gekämpft wurde, weitaus besser angepasst. So entstand eine Task Force, die eine völlig neue Organisation während des Einsatzes entwickeln musste. Dies betraf alles: Philosophie, Strategie, Struktur, Kultur und das Mindset ihrer Mitglieder. Das ist im Überlebenskampf nicht wenig und liefert in der erfolgten Umsetzung Anregungen über das militärische Operationsfeld hinaus.

Lehren für Teams und Teamleitungen

Die Herausforderung ist also die Geschwindigkeit, mit der auf immer neue, nicht vorhersagbare Situationen reagiert werden muss. Auch Alltagsorganisationen ist dieses im Prinzip nicht fremd. Was war die Antwort, die nach vielen Diskussionen dort gefunden wurde?

Es war die Transformation der Organisation in ein Team von Teams. In überschaubaren, dezentral operierenden Teams kann leichter das (spontan) entstehen, was eine schnelle Handlungsfähigkeit in unbekannten oder nur teilweise bekannten Situationen ermöglicht. Damit werden Organisationsfragen nicht obsolet, ganz im Gegenteil. Aber die Organisationsform ist eine andere (Netzwerkorganisation), die Organisationsprinzipien sind es weitgehend auch (z.B. keine Zentralisierung von Entscheidungsmacht über Grundlinien hinaus).

  • Danach sind es nicht die Superhelden, auf die es ankommt, sondern die Prozesse im Team und um das Team herum, die auf Basis eines von allen Teams geteilten Zwecks des Einsatzes die gewaltigen Anstrengungen ermöglichen und das Vertrauen zwischen den Teammitgliedern befördern. Es ist also eine Form der post-heroischen Führung, der das Wort geredet wird. Die im Teameinsatz gefundenen Lösungen sind dabei jedoch nicht so einfach zu skalieren, wie es Organisationen gerne hätten und oftmals fordern. Vielmehr müssen stets weitere oder andere Lösungselemente gefunden werden, um die sich verändernde Lage zu meistern. Gelernt, so die Devise, wird zunächst im Einsatz bzw. während des Tuns. Danach über die Reflexion des Gelungenen wie Misslungenen, bei dem jede Stimme gefordert ist und vorab das gleiche Gewicht hat.
  • Es kommt darauf an, ein gemeinsam geteiltes Bewusstsein im Team zu erzeugen. Dazu muss u.a. jedes Teammitglied die eigene Aufgabe wie die der anderen Teammitglieder genau kennen und verstehen, warum dies in dieser Aufteilung sinnvoll ist. Dies funktioniert nur über Transparenz und eine offene Kommunikation. Kommunikationsinseln sind im Feld tödlich und im Zivilen ein wesentlicher Grund des Scheiterns.
  • Die Teammitglieder kennen und vertrauen sich. Aber auch zwischen den Teams unterschiedlicher Organisationseinheiten muss ein geteiltes Mindset vorhanden sein. Gelebt wird dieses durch eine vorgeschriebene Verbindung der Teams untereinander. Mindestens eine Person muss in jedem anderen Team, mit dem das Team operiert, persönlich bekannt sein. Dies gilt auch für Unterstützungsgruppen und Partnerorganisationen. Nicht gemeint ist damit eine physische Doppelmitgliedschaft, wie es in den 60er-Jahren im Linking-Pin-Modell von Rensis Likert bereits vorgeschlagen wurde. Voraussetzung ist hier nur, dass alle Akteure wissen, welche Aufgaben die anderen Teams, mit denen man kooperiert, haben.
  • Im Team und zwischen den Teams müssen sich Entscheidungsgewalten und Eigenverantwortung in jeder Situation auf dem richtigen Level befinden. „Empowered execution“ ist hier das zu merkende Stichwort mit Blick auf die Dezentralisierung von Verantwortung für das Handeln. Das Handeln bewegt sich zwar auf Basis von standardisierten Routineprozessen, doch sind deren Gültigkeit und Dauer unbestimmt. Generelle Lösungen erweisen sich schnell als untauglich, insbesondere wenn sie eine operative Antwort determiniert. Dies betrifft die Führung elementar.
  • Die Kontingenz von Strukturen und Prozessen setzt, um sie zu leben, ein kollektives Mindset (Denkweisen, die Handlungen prägen) voraus, das die flexible und zügige Anpassung des Verhaltens an die Situation priorisiert. Im Falle des militärischen Ausgangsbeispiels hatte der Feind keine fixen Stellungen, keine Schlachtformationen, keine Uniformen und eine Identität, die sich nur durch Rekrutierungsvideos im Netz näher bestimmen ließ. Wer sich darauf nicht mental einstellen kann, ist außerstande, die temporär gültigen Automatismen aufzubauen und die taktischen Entscheidungen zu treffen, die für den Erfolg notwendig sind.
  • Repräsentiert wird das veränderte Denken schließlich auch durch eine veränderte Architektur der Zentrale. Im gewählten Beispiel mutierte das Joint Operations Center zu einem offenen Ort, der keine abgeschirmten, eingegrenzten und geschlossenen Räume mehr kannte. Selbst die Anordnung von nun mobilen Einrichtungsgegenständen und Gerätschaften war bedarfsabhängig. Alles war durchlässig und konnte von allen eingesehen und begangen werden. Führung durch Informationsmacht war kein Thema. Jederzeit musste jede Information fließen können, da sie nicht nur den momentan Handelnden zur Verfügung stehen sollte, sondern irgendwann womöglich auch für die anderen Anwesenden in einer noch nicht vorhersehbaren Situationen wertvoll sein könnte.

Wie zu erkennen ist, greifen verschiedenste Ebenen der Organisationsarbeit integrativ ineinander.

Hochgeschwindigkeit mit Netzwerkstrukturen begegnen und erreichen

Jene Organisationen, in denen wir alle groß geworden sind, sind heute nur noch ein Teil der Wirklichkeit. Es gibt sie noch, die traditionellen Formen der Organisation, und wenn die Bedingungen stimmen, in denen sie operieren, dann werden sie auch weiterhin existieren. Monopole und Oligopole mit gewaltigen Markteintrittsbarrieren sind hierfür günstige Bedingungen. Aber Vorsicht: Wer die Bedingungen nicht mehr kontrollieren kann, bekommt selbst dann Probleme.

Nehmen wir die Mahnung ernst, die beispielsweise der Blockbuster-Case für uns vorhält: Blockbuster beherrschte den DVD-Videomarkt mit Tausenden von Filialen und baute damit enorme Markteintrittsbarrieren für jeden neuen Konkurrenten auf. Eine wunderbare Welt, die innerhalb einer Dekade zur verbrannten Erde wurde. Ein Unternehmen namens Netflix änderte die Bedingungen, unter denen das Anschauen von Videos möglich war: sie kamen jetzt via Streaming ins Haus. Das wurde von den Zuschauern begeistert aufgenommen, die nur noch eine Lernerfahrung für die Gestaltung eines gemütlichen Abends machen mussten: Chips und Bier konnten nicht mehr auf dem Weg zur Ausleihe besorgt werden. Aber auch hier halfen bald die rasant wachsenden Lieferdienste jeglicher Couleur, die die Wertschöpfung von herkömmlichen Restaurants und später Lebensmittelketten angriffen, obwohl sie gar nichts selbst produzierten. Zu dieser aufregenden Zeit schliefen auch die Hoteliers nachts noch sehr fest und interessierten sich nicht besonders dafür, dass ein Community-Markplatz für die Buchung und Vermietung von Unterkünften in Kalifornien das Licht der Welt erblickte. So viel erst einmal zur trügerischen Sicherheit von (scheinbar) stabilen Umweltbedingungen.

Neue Organisationsformen bestimmen inzwischen immer stärker die Märkte, wie Göran Ahrne vom Stockholm Centre for Organizational Research treffend feststellt. Organisationen grenzen sich weniger deutlich von der Umwelt ab. Im Extrem sind sie kaum aus der Umwelt heraus dingfest zu machen, wie es auch für die beschriebenen terroristischen Netzwerke gilt. Es sind Formen, die nur einige Prinzipien der vertrauten Organisationswelt aufnehmen: Hierarchie, fixe Regeln, Entscheidungen über die Mitgliedschaft, Überwachung und Kontrolle.

Wir müssen Organisationen heute viel eher als soziale Gebilde verstehen, die diverse formale Grade hinsichtlich etablierter konstitutiver Merkmale aufweisen. Alle haben aber eine Lösung dafür zu finden, Ordnung in ihr Tun zu bringen. „Anything goes“, sofern Grundfunktionen des Überlebens bei partieller Organisiertheit gesichert werden können. Hackerkollektive gehören als schwach organisierte Formen ebenso dazu wie Start-Ups, die zu Beginn nur die formale Hülle der Rechtsform besitzen und den damit einhergehenden Pflichten nachzukommen haben.

Netzwerke sind sicherlich die zurzeit am intensivsten verfolgte neuere Organisationsform, mit der als Teillösung auch innerhalb von Großorganisationen experimentiert wird. Ihre Vielfalt ist immens. In Reinform stehen sie für das „Team der Teams“. Das „Team“ der Teams in der hiesigen Fassung meint eine Leitung, die das Netzwerk in seinen Metastrukturen hält, Kommunikationsforen strikt und zentral vorgibt (z.B. ein morgendliches Briefing), extreme Transparenz pflegt und verlangt sowie eine diszipliniert praktizierte (!) „empowered execution“ einfordert und ermöglicht. All das dient dazu, die Anpassungsgeschwindigkeit wie infolge die die Aktionsgeschwindigkeit zu maximieren.

Deshalb steht am Ende die Einsicht, dass die Mischung aus Vorsteuerung und Autonomie nur gelebt werden kann, wenn Personen zur Strategie, zur Struktur und zur Soll-Kultur passen. Während dies bereits Gedankengut der altbekannten Organisationsentwicklungsdebatte ist und nur die Frage aufwirft, wie groß eine Diskrepanz gerade noch sein darf, damit nicht alles auseinanderfliegt, bedarf die Schlussthese von General McChrystal hinsichtlich ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit noch weiterer Beweise. Sie läuft auf eine Angleichung der Organisationsformen im unmittelbaren Wettbewerb der Organisationen zueinander hinaus. Oder in seinen Worten:

„To defeat a network, we had become a network. We had become a team of teams”.
Ahrne, G./Brunsson, N./Seidl, D. (2016): Resurrecting organization by going beyond organizations. In: European Management Journal, 34, S. 93-101

McChrystal, S. u.a. (2015): Team of Teams, New York (Schlusszitat S. 251)

Snyder, T. (2018): Der Weg in die Unfreiheit: Russland Europa Amerika, München