Das bekannte Edelman Trust Barometer ist 2017 eine Dokumentation der Erosion von Vertrauen in die Grundpfeiler der Gesellschaft. Der niedrigste je gemessene Stand bleibt auch für Unternehmen nicht ohne Auswirkung: Nur noch ein Viertel der allgemeinen Bevölkerung hält CEOs für glaubwürdig, ein Rückgang in Deutschland von 11% zum Vorjahr. Grund genug für Führungskräfte, die täglich agieren müssen, zu erfahren, wie sie Vertrauen in diesem schwierigen Umfeld dennoch gewinnen und fördern können. Warum? Ganz Pragmatisch: Führungserfolg wird günstig durch Vertrauen beeinflusst. Ausrufungszeichen. Leadership Insiders liefert dazu jetzt das wissenschaftlich fundierte Führungswissen.
Leadership Trust Indizes
Ein Indikator, der die die Bedeutung von Vertrauen ausdrückt, ist die Vielzahl der Skalen, die zur Messung von Vertrauen in Wissenschaft wie Praxis entwickelt wurden. Vielleicht ist der Great Place to Work Trust Index© hierunter im Managementbereich am bekanntesten, der jährlich weltweit bei mehreren Tausend Unternehmen erhoben wird. Die Auswertungen zeigen, dass der finanzielle Erfolg mit einer High-Trust Culture einhergeht. Die 100 besten Companies verdienen nach dortigen Angaben fast dreimal mehr als der Marktdurchschnitt (Stock Market Returns).
Wechselwirkungen zwischen Vertrauen und Erfolg werden vermutlich nicht analysiert worden sein. Dennoch, eine klare Evidenz. SAP (2017), um den Blick zu fokussieren, verwendet einen Leadership Trust Index, der das Vertrauen der Mitarbeitenden in ihre Führungskräfte misst. Die Ergebnisse werden im Leistungsüberblick des Unternehmens ausgewiesen und stehen dort so selbstverständlich in ihrer Entwicklung wie die Umsatzerlöse. Vorbildlich. Dass SAP statistische Beziehungen nicht nur zur Gesundheit der Belegschaft sieht, sondern selbst auch finanziellen Auswirkungen angeblich weicher Faktoren, die faktisch aber sehr hart sind, errechnet, wirft auch ein Licht auf die dort gesehene Bedeutung eines Führungs-Controllings.
Vertrauenstreiber für Führungsbeziehungen
Dass SAP offensiv das Führungsvertrauen stark macht, kommt nicht von ungefähr. Die Führungsforschung hat sehr umfangreich lebensweltliche Erfahrungen aufgegriffen und konkretisiert. Es ist nicht übertrieben, festzustellen, dass Vertrauen als ein Basiskonzept für eine erfolgreiche Interaktion und damit einer erfolgreichen Führungsbeziehung anzusehen ist (Weibler 2016). Konsequenterweise ist es in verschiedene Führungstheorien eingeflossen. Die transformationale Führungstheorie, die beispielsweise im Zusammenhang von Change Management gerne herangezogen wird, gehört neben anderen dazu.
Der „Vertrauensmarkt“ hat viele Angebote zur Fassung von Vertrauen hervorgebracht, die unterschiedlich differenziert sind. Einen instruktiven Überblick gewähren Ashley Fulmer und Michele Gelfand von der University of Maryland (2012). Ich möchte mich hier aber auf die Vertrauenstreiber konzentrieren, die unstrittig sind und von Führenden beeinflusst werden können.
Danach wird die Vertrauenswürdigkeit des Führenden dann positiv gefördert, wenn ihm oder ihr im Wesentlichen folgende Charakteristika zugeschrieben werden:
- Integrität (Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit, Authentizität, Standhaftigkeit)
- Gutwilligkeit (Schaffung eines unterstützenden Klimas, Fehlen von eigennützigen, gar destruktiven Absichten, Sorge um und Achtung der Interessen des Geführten; besonders die Emotionen ansprechend)
- Aufgabenbezogene Führungsfähigkeiten (ansprechende Zieldefinition, Demonstration von Fachwissen, Schaffung unterstützender Strukturen, Definition verbindlicher Normen)
- Offene, transparente Kommunikation
An den genannten Faktoren kann man sehr gut als Führungskraft arbeiten. Sie betreffen den Charakterkern, die hierauf fußenden Absichten, die eigenen Fähigkeiten und das auf andere bezogene Verhalten. Deshalb sollte man sich hierauf konzentrieren.
Priorisierungen sind immer schwierig, weil das Paket stimmig sein muss, aber wenn, sollten Sie die eindeutige Aussage von Susanne Marell (2017), CEO von Edelman.ergo, der deutschen Tochter des weltweiten Agenturnetzwerkes von Edelman, dafür ins Kalkül ziehen:
„Der wichtigste Schlüsselfaktor, um Vertrauen zu gewinnen, ist unserer Studie zufolge der respektvolle Umgang mit Mitarbeitern“
Simpel und empirischweiter zu stützen. Respekt wird in der Führungsforschung auch als Bestandteil einer empfundenen Gerechtigkeit gehandelt, und zwar der Gerechtigkeit mir ganz persönlich gegenüber.
Aber Einflüsse haben auch Faktoren, die dem unmittelbaren Einfluss nicht in diesem Ausmaß unterliegen, aber dennoch beachtet werden müssen:
- Die wahrgenommene Reputation des Führenden
- Die wahrgenommene Reputation der Organisation (Systemvertrauen, bedingt u.a. durch die Organisationsgeschichte, Regelungen in der Organisation, Umgang mit Krisen und Mitarbeitenden)
- Die wahrgenommene Ähnlichkeit mit dem Führenden (Werte, Herkunft), gerade ohne weitere Informationen bedeutend.
- Positive Erfahrungen aus der Zusammenarbeit
- Das Ausmaß, wie intensiv sich eine vertrauensvolle Beziehung entwickeln kann, hängt von der früh erworbenen Neigung eines jeden von uns mit ab, Vertrauen zu wagen.
- Das Teamklima, zu dem man natürlich auch selbst beiträgt, sich aber am Ende durch eine Vielzahl von Ereignissen und Interaktionen formt, ist des Weiteren zu berücksichtigen.
Unter den Effekten, die mit Vertrauen empirisch verbunden werden, ist zuerst sicherlich die Bereitschaft, den Vorgesetzten als Führungsperson zu akzeptieren. Daneben auch, zufrieden mit ihm oder ihr zu sein. Dann die Bereitschaft zur nicht strategischen, sondern offenen und wechselseitigen Kommunikation mit ihm. Des Weiteren zum Lernen bzw. zur Innovation, zur Fehlertransparenz, und zur Förderung der gegenseitigen Akzeptanz auf Mitarbeiterebene. Nicht zuletzt Effekte auf die Fluktuation oder auf ein Extra-Rollenverhalten sowie (oftmals indirekt) auf leistungsbezogene Kriterien quantitativer oder qualitativer Natur.
Effekt von Vertrauen auf den Teamerfolg
Vertrauen ist relevant gegenüber Vorgesetzten, im Team, in der Organisation und für die Arbeit zwischen Organisationen. Wegen der besonderen Bedeutung von Teams im Arbeitsleben hebe ich den Effekt von Vertrauen auf den Teamerfolg ergänzend hervor. Dies ist eine jüngere Entwicklung. Nicht dabei zu vergessen ist, dass Führungskräfte regelmäßig am Teamerfolg gemessen und auf das Vertrauen im Team (vorbildgebend) einwirken können.
Ein internationales Forscherteam, angeführt von dem Amsterdamer Professor Bart A. De Jong (2016), hat nach einer Meta-Analyse von über 7.700 Teams den Schluss gezogen, dass im Durchschnitt 9% des Teamerfolges vom Teamvertrauen abhängt (Effektivität und Effizienz – bei unterstellter Kausalität, was wahrscheinlich ist, die Datengrundlage aber so nicht eindeutig hergeben kann). Dies ist als direkt wirkende Einzelgröße extrem beachtlich, berücksichtigt man, wie viele unterschiedliche Erklärungsgrößen die Teamleistung hat – und darin sind die Wirkungsketten über andere Variablen noch nicht einmal geprüft (indirekte Effekte). Die Autoren betonen, dass damit das Teamvertrauen vergleichbar der Wirkung des Vertrauens in die Führungsperson ist. Da das Teamvertrauen eine eigenständige Erklärung für die Teameffektivität liefert, sollten beide Vertrauensgrößen in der Führungspraxis getrennt zur Bestimmung der Vertrauenskultur erhoben werden.
Grund genug also, das Teamvertrauen im Blick zu behalten. Erklärung? Vertrauen im Team hilft Mitgliedern entscheidend, Unsicherheit und eigene Verletzlichkeit durch das Verhalten anderer Teammitglieder zu überwinden und die damit prinzipiell verbundenen Gefahren auszublenden oder unterzugewichten. Dadurch wird die Zusammenarbeit effektiv und effizient gefördert und Energien wie Ressourcen werden auf die Teamleistung fokussiert. Fehlt hingegen das Vertrauen, werden Anstrengungen in einem viel stärkeren Ausmaß zur Wahrung der eigenen Interessen verwendet. Auch defensive Verhaltensweisen sind die Folge. Das alles gilt selbstredend ebenso für Führungskräfte gegenüber ihren eigenen Vorgesetzten.
Der analysierte Vertrauenseffekt sei im Durchschnitt bedeutender als jeder andere, typischerweise beforschte Teameffekt in Organisationen. Dieser Effekt wirke sowohl bei kurzfristiger als auch bei langfristiger Zusammenarbeit von Teams. In Organisationen, wo Machtdifferenzen hoch ausfallen, ist der Effekt um fast 40% höher als bei niedrigen Machtdifferenzen, fast um eben so viel höher, wenn unterschiedliche Skills im Team vorliegen. Dort, wo die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit im Team schwach ist, wirkt er hingegen unterdurchschnittlich. So oder so: Der Befund erzwingt quasi automatisch eine viel stärke Beachtung für die Führungspraxis als bisher geschehen.
Zumal das Ergebnis ja alles andere als alleine dasteht. So konnte zum Beispiel ein Forscherteam der Universitäten Münster und Dortmund im gleichen Jahr und ebenfalls publiziert in einem Top-Journal und gleichsam mit Hilfe einer Meta-Studie anhand von 54 Einzelstudien, die 1.850 Teams inkludiert, einen klaren Zusammenhang von Teameffektivität und Teamvertrauen zeigen. Hier wurde ausgewiesen, dass sowohl die Koordination als auch die Kooperation mit dem Teamvertrauen zusammenhängt. Zudem sind die Mitglieder eines Teams mit hohem Vertrauen zufriedener mit ihrer Arbeit. Bei virtuellen Teams sei der Zusammenhang zwischen Vertrauen und effektivem Arbeiten sogar noch höher.
Vertrauen rechtfertigt, ein strategisches Top-Thema zu sein
Vertrauen ist dadurch definiert, dass das eigene Schicksal, die eigene Reputation, letztendlich der eigene Erfolg (teilweise und zeitweilig) in die Hände eines Dritten gelegt wird. Dadurch ist man verwundbar, aber man bleibt doch zuversichtlich, dass es der bessere Weg ist.
Natürlich, nicht jedes Miteinander hängt vom Vertrauen ab. Ein Zusammenspiel kann gesetzlich normiert sein, kann aus rationalem Kalkül heraus erfolgen oder aus Verpflichtung heraus entstehen. Aber manche Handlungen wären ohne Vertrauen auch im Arbeitsleben praktisch nicht möglich. Und es zeigt sich in vielen Studien, dass Vertrauen in der Führungsbeziehung mit dem Führungserfolg zweifelsfrei verbunden ist, kognitiv wie affektiv.
Vielfach wird ein unsinniger Gegensatz zwischen Vertrauen und Kontrolle konstruiert. Oft ein Vorwand, nicht in das Risiko einer Vertrauensgewährung gehen zu müssen. Selbstverständlich muss auch in vertrauensvollen Beziehungen erwartet werden dürfen, dass Führende vereinbarte Meilensteine mit den Mitarbeitenden besprechen. Vertrauen entbindet nicht von konstruktiver Kritik und legitimiert kein Wegsehen. Bestimmte Aufgaben verlangen sogar nach strikten Kontrollprozessen (z.B. in Kernkraftwerken, bei polizeilichen Einsätzen, in der Medizin oder nach Börsentransaktionen). Hieraus einen Gegensatz konstruieren zu wollen, verkennt die Sachlage vollständig.
Und wenn Vertrauen verloren ist? Ein Trust Repair ist hier nicht der Punkt, aber Kandidaten sind in einer Schlagwortbenennung: Begründungen, um das unglückliche Handeln besser verstehen zu lassen, Bedauern, Entschuldigungen, Wiedergutmachungen, Bußhandlungen und vor allem strukturelle Vorkehrungen, um ein erneutes Auftreten zu verhindern (Kramer/Lewicki 2010).
Und wie macht man das eigentlich, Vertrauen gewähren? Der Schriftsteller Ernest Hemingway hat schon vor Jahrzehnten eine verblüffend einfache Handlungsanweisung formuliert, die er trotz erlebter Enttäuschungen – denn was ist schon sicher – als die effektivste erachtet:
„The way to make people trust-worthy is to trust them”
Mehr habe auch ich jetzt nicht mehr zu sagen. Allein: Warum dies nicht zum Anlass nehmen, wieder einmal etwas vom Nobelpreisträger zu lesen? Z.B. das weniger bekannte „Paris, ein Fest fürs Leben: A Moveable Feast – Die Urfassung“. Dieser Schlüsseltext ist eine schöne autobiographische Zeitreise in das Paris der zwanziger Jahre – und natürlich am besten in Paris zu lesen …