Eigenschaften der Führenden – und damit ihre Persönlichkeit – waren seit Beginn der Führungsforschung ein Thema. Erfolg und Legitimität (Rechtmäßigkeit) der Führung wurden damit verbunden. Nachfolgend wird gezeigt, durch welche Persönlichkeitsfaktoren (Big Five) die Diskussion heute prioritär bestimmt wird und welche Bedeutung ihnen für die Führung zukommt.

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4504 Persönlichkeitseigenschaften machen die Individualität des Menschen aus, so ein Forschungsbefund. Umfassend sicherlich, aber unpraktisch zur Beschreibung des konkreten Gegenübers. Deshalb wurde die Beschreibung der Persönlichkeit, hierauf basierend, vereinfacht und auf fünf zentrale Dimensionen zurückgeführt. Welche sind das und was haben sie mit Führung zu tun? Leadership Insiders liefert vor diesem Hintergrund grundlegende Einblicke in die komplexe Welt der Persönlichkeit.

Eigenschaften von Führenden – ein kurzer historischer Rückblick

Als Francis Galton sein umstrittenes Werk „Hereditary Genius“ 1869 vorlegte, war die Führungsforschung (bis weit in die 40er Jahre des nächsten Jahrhunderts) sehr stark beeinflusst von dem Gedanken, dass es stets einzelne, außerordentliche Personen seien, die Großes schaffen, gar den Lauf der Geschichte prägen und dass dies jeweils auf einzigartige, überdurchschnittlich ausgebildete kognitive Fähigkeiten zurückzuführen sei. Angereicht wurde dieser Gedanke noch mit der Annahme, dass diese Qualitäten erblich seien und also von Generation zu Generation weitergegeben werden könnten. Im Grunde heißt dies,  dass durch eine Laune des Schicksals manche die Möglichkeiten besitzen, Führerinnen und Führer zu werden, andere trotz Anstrengung hingegen keine, mindestens keine maßgeblichen Führungspositionen einnehmen können. Scheinbar war somit einerseits klar, was eine Person zur erfolgreichen Führungskraft macht und andererseits war (ideologisch) legitimiert, dass die, die eine Führungsposition innehatten, diese auch zu Recht ausübten. Die (letztlich vergebliche) Suche nach dem Führungsgen (oder -genen) nahm so ihren Lauf.

Dabei vermutete Galton allerdings auch, dass Führende durch die besondere Beanspruchung des Gehirns Gefahr laufen, Geisteskrankheiten auszubilden – was jene, deren Schicksal lediglich ein Leben als Geführte vorgesehen zu haben schien, als halbwegs ausgleichende Gerechtigkeit empfunden haben mögen. Mitarbeitende finden auch heutzutage gelegentlich Gefallen an einer solchen von ihnen kongenial entdeckten Zuschreibung. Es war wohl der Zeitgeist, der hier die Protagonisten umtrieb, sich mit der geistigen Verfassung der Führenden zu beschäftigen, denn auch der französische Arzt Gustave Le Bon diagnostizierte in seiner  „Psychologie der Massen“ 1895, dass Führer mehrheitlich keine Denker, sondern als Männer der Tat mit wenig Scharfsinn gesegnet seien, die man „namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsinns befinden (S. 83) zu suchen habe. Ausnahmen sah er natürlich bei den wenigen „großen Führern“ dezidiert auch.  Max Weber rückte das Bild mit dem von ihm popularisierten „charismatischen Führer“ (Herrscher) 1922 aus seiner Sicht wieder ins rechte, positive Licht, wiewohl diese „Gnadengabe“ zum Einnehmen anderer Menschen historisch und bis heute unverändert ambivalent bleibt. Fortan lag das Erkenntnisinteresse in der spannenden Frage der Identifizierung und Messung von Eigenschaften.

Führungsbezogene Eigenschaften lassen sich dreiteilen

Der Eigenschaftsbegriff selbst ist komplex und wird unterschiedlich gefasst. Gemeinsam ist allen jedoch eine zeitliche Stabilität, d. h. spontane Empfindungen zählen nicht dazu, wohl aber die stabil zu beobachtende Neigung, sich immer wieder zu spontanen Empfindungen hinreißen zu lassen. Die meisten führungsbezogenen Eigenschaften können unterteilt werden in die drei übergeordneten Kategorien:

  • Demografia (z. B. Geschlecht, Größe, Alter, Erziehung),
  • aufgabenbezogene Eigenschaften (z. B. Intelligenz, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität), sowie
  • beziehungsbezogene (interpersonelle) Eigenschaften (z. B. Extraversion, Verträglichkeit, Kommunikationsfähigkeit).

Eigenschaften gelten als biologische oder psychologische Charakteristika, die nach John Antonakis (2011) von der Universität Lausanne selbst vier Eigenschaften aufweisen müssen, um für Führungsfragen interessant zu sein: (1) Sie müssen messbar sein, (2) zwischen Individuen variieren, (3) eine zeitliche und übersituationale Stabilität aufweisen bzw. situationsnotwendige Ausprägungen anderer Faktoren erleichtern und (4) Einstellungen, Entscheidungen oder Verhalten und die damit verbundenen Ergebnisse vorhersehbar machen. Daneben sollte man sehr wohl eine begründete Vorstellung davon haben, warum die so identifizierten Eigenschaften Führerschaft und eine effektive Führung vorhersagen.

Eine Eigenschaft, die alle vier Bedingungen erfüllt und in der Führungsforschung eine dominante Stellung eingenommen hat, ist die allgemeine Intelligenz (general intelligence, kurz „g“).

Sie ist (1) messbar, wenngleich hier verschiedene Messverfahren mit etwas anderer Schwerpunktsetzung existieren, sie ist (2) zwischen den Menschen statistisch normalverteilt und damit unterschiedlich, sie ist (3) bereits in der Kindheit in ihrer Ausprägung recht stabil und kann für eine Reihe von Situationen, vor allem bei der Lösung von komplexen Problemen, (4) gute Vorhersagen liefern.

Und in der Tat: Viele Studien zeigen, dass Intelligenz Führerschaft begünstigt. Salgado u. a. (2003) weisen hier in einer Metaanalyse zunächst für den Zusammenhang von Intelligenz und Arbeitsleistung bemerkenswerte Korrelationen aus (r =  .51 und .62; Werte sind zwischen 1 und -1 möglich) – und einen positiven Einfluss auf die Arbeitsleistung zu besitzen ist eine zentrale Erwartung an Führerschaft. Der direkte Zusammenhang von Intelligenz und Führung ist notgedrungen geringer und wird bei dem Evolutionspsychologen Van Vugt (2012, S. 162) mit durchschnittlich .33 angegeben. Das ist im Einzelfall durchaus einmal deutlich höher, aber eben auch mal niedriger, abhängig u.a. von der Komplexität des Problems.

Im Übrigen muss nicht zwingend eine lineare Beziehung angenommen werden. So kann auch und gerade bei der Intelligenz ein kurvenlinearer Zusammenhang existieren. Dann verliefe die Führungsleistung bei Personen mit zu niedriger und zu hoher Intelligenz weniger effektiv. Kurz hierzu: Andere Studien legen den Schluss nahe, dass der IQ-Abstand zwischen Führenden und Geführten nicht zu groß sein darf. Warum?  Eine zu große Distanz könne danach eine Ähnlichkeitszuschreibung seitens der Geführten gefährden („Die hat nichts mit mir zu tun“) oder eine verständliche Kommunikation werde verunmöglicht („Was will der eigentlich sagen?“).

4504 Persönlichkeitseigenschaften stehen zur Beschreibung Führender zur Verfügung

Heute besteht kein Zweifel daran, dass die Eigenschaftstheorie der Führung, wie die hierauf aufbauende Theorie heißt, eine Anzahl von Eigenschaften fokussiert, die mit Führung empirisch nachweisbar in Verbindung gebracht werden. Uns geht es aber hier nicht darum, alle möglichen Eigenschaften zu listen, die die Forschung bislang untersucht hat, sondern uns (1) auf Persönlichkeitseigenschaften zu konzentrieren, die in ein (2) Persönlichkeitsmodell überführt werden können, aus dem dann (3) besonders vielversprechende Aussagen zu Führungspersönlichkeiten entwickelt werden können.

Dies lenkt den Blick also auf das schillernde Konstrukt der Persönlichkeit. Hierunter soll an dieser Stelle die Gesamtheit aller überdauernden Ausprägungen im Denken, Fühlen und Verhalten verstanden werden, aus der eine Person seine Individualität bezieht.

Jule Specht (2018), Professorin für Persönlichkeitspsychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, beschreibt die Genese des momentan in der empirischen Forschung dominierenden Ansatzes der „Big Five“ in ihrem Werk „Charakterfrage“ sehr anschaulich. So gingen Wissenschaftler davon aus, dass Gesellschaften Unterschiede zwischen Menschen im Denken, Fühlen und Verhalten sprachlich fassen würden und analysierten daraufhin ein besonders umfassendes Wörterbuch der englischen Sprache (Webster’s New International Dictionary) mit 400.000 Wörtern. Jedes 20. Wort fiel in diese Kategorie. Nach weiteren Eingrenzungen standen am Ende 4504 Persönlichkeitseigenschaften, die alle Bedingungen erfüllten. Umfänglich, aber schlecht zu handhaben. Also wurde nach Zusammenhängen zwischen den gefundenen Eigenschaften gesucht, was letztlich in fünf globalen Persönlichkeitseigenschaften mündete, den Big Five.

Obwohl zahlreiche Studien von unterschiedlichen Forschern immer wieder (vergleichbare) fünf Persönlichkeitsfaktoren belegten, erfuhr das auf dieser Forschung basierende Big Five-Modell erst in den 90er-Jahren – insbesondere durch die Forschungsaktivitäten von Costa und McCrae – verstärkt Beachtung. 1992 entwickelten Costa/McCrae einen (Persönlichkeits-)Fragebogen, das sogenannte NEO-Personality Inventory Revised (NEO-PI-R), um die Big Five der Persönlichkeit messen zu können.

Auch eine deutschsprachige Version liegt infolge der Bemühungen von Ostendorf und Angleitner (2004) mittlerweile vor. In ihr werden die fünf grundlegenden Dimensionen des NEO-PI-R wie folgt beschrieben:

  • Neurotizismus (neuroticism) bedeutet, dass jemand dazu neigt, empfindlich zu sein und unter Stress leicht aus dem Gleichgewicht kommen kann. In Stresssituationen tendieren neurotische Personen dazu, sich häufiger zu ärgern, traurig, verlegen, ängstlich, beschämt, erschüttert oder besorgt zu sein. Auch entwickeln sie eher unangepasste Formen der Problembewältigung, neigen zu unrealistischen Ideen und sind weniger in der Lage, ihre Bedürfnisse zu kontrollieren.
  • Extraversion (extraversion) bedeutet, dass jemand gesellig, gesprächig, freundlich, unternehmungslustig und aktiv ist. Extravertierte Personen mögen die Gesellschaft anderer, fühlen sich wohl in Gruppen, sind aber auch durchsetzungsfähig, selbstbewusst und dominant. Sie lieben aufregende Situationen und Stimulierungen, neigen zu Optimismus und sind eher heiter gestimmt.
  • Offenheit für Erfahrungen (openness) bedeutet, dass jemand interessiert ist an neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken. Offene Personen sind interessiert an der Außenwelt, aber auch an ihrer Innenwelt. Sie haben ein reges Fantasieleben und nehmen eigene und fremde Gefühle deutlich wahr. Sie lassen sich auf neue Ideen ein und sind unkonventionell in ihren Wertorientierungen.
  • Verträglichkeit (agreeableness) bedeutet, dass jemand hilfsbereit, entgegenkommend und vertrauensbereit ist. Verträgliche Personen sind meist überzeugt, dass andere Personen ebenso hilfsbereit reagieren. Sie begegnen anderen Personen mit Wohlwollen, neigen zu Gutmütigkeit, sind bereit in Auseinandersetzungen nachzugeben und können im Extremfall als unterwürfig oder abhängig erscheinen.
  • Gewissenhaftigkeit (conscientiousness) bedeutet, dass jemand zielstrebig, willensstark und entschlossen ist. Gewissenhafte Personen sind leistungsorientiert, pflichtbewusst, prinzipientreu und ordentlich.

Die fünf Persönlichkeitsfaktoren sind sehr breit gefasst und beinhalten jeweils sechs Unterfaktoren (sog. Facetten), die eine differenzierte Beschreibung der Hauptfaktoren ermöglichen. Die sechs Unterfaktoren umfassen wiederum acht Items, sodass das NEO-PI-R insgesamt aus 240 Aussagen besteht.

Und der Zusammenhang zur Führung? Es zeigt sich, dass eine hohe Ausprägung bei der Extraversion, der Gewissenhaftigkeit und der emotionalen Stabilität hier förderlich ist. Genauere Analysen sind jedoch unverzichtbar. In einer Metanalyse (Judge u. a. 2002) wurde beispielsweise hinsichtlich der Gewissenhaftigkeit für die Führungseffektivität Folgendes ausgewiesen:

Danach ist die Gewissenhaftigkeit (conscientiousness) sogar der konsistenteste Faktor zur Vorhersage von effektiver Führung (aber Achtung: nicht mehr bei einem Umschlagen in Überperfektion/Zwanghaftigkeit). Ein Beispiel: Gewissenhaftigkeit korreliert insbesondere mit der Teamleistung positiv. Sie kann knapp Zweidrittel dieses Zusammenhanges erklären. Allerdings konnte der Zusammenhang in dieser Studie nur zu 14% erklärt werden und damit bleiben 86% des Zusammenhanges in dieser Studie unaufgeklärt. 14% sind, das am Rande, als Durchschnitt erfreulicher ist als es auf den ersten Blick scheint. Besser wird es sofort, ziehen wir andere Forschungen hinzu, wenn das Führungsverhalten, was ja nur teilweise durch die Eigenschaften ursächlich getriggert wird, als Erklärungsgröße für die Effektivität einbezogen wird.

Fazit – oder ein Führungsgen gibt es nicht

Zweifelsfrei zeigt die Debatte, dass es kein „Führungsgen“ gibt, wie bereits auch der schon oben bemühte Forscher von der VU Amsterdam, Mark Van Vugt, feststellt (2012, S. 146). Aber natürlich sind bestimmte, sich früh entwickelnde Persönlichkeitseigenschaften für die Übernahme einer Führungsposition und ihrer erfolgreichen Ausübung wichtig, wenn auch in ihrer Erklärungskraft begrenzt. Die hier ausgewiesenen Persönlichkeitsfaktoren stehen dafür. Sie sind im Übrigen nicht so invariant wie einst angenommen und können sich gerade mit fortschreitendem Alter noch verändern.

Um führungspraktische Aussagen von höherem Wert zu tätigen, muss genauer zwischen Erwerb einer Führungsposition und ihrer Ausübung unterschieden werden. Des Weiteren müssen mehr  Faktoren als nur Eigenschaften berücksichtigt werden, beispielsweise Motivationen, Erfahrungen, Wissen, spezifische Fertigkeiten (z.B. Konfliktlösungstechniken) und Verhalten. Dann stellt sich die Frage nach der zeitlichen Passung des vorhandenen Sets mit den aktuellen Bedürfnissen der Geführten und dem Zustand des Teams. Andere situative Variablen wie der relative Vergleich zur Vorgängerin und dem Vorgänger sollten ebenfalls nicht unterschätzt werden. Hinzu treten potenziell noch andere Einflussgrößen wie der Druck, der auf einer Organisation lastet oder ihr Reifegrad.

Und natürlich das Glück, dass der Ball vom Innenpfosten ins Tor geht und nicht zurück auf das Spielfeld springt. Kluge Führungskräfte wissen seit jeher darum, auch wenn in der Antike nicht der Ball, sondern das Glücksrad zur Veranschaulichung bemüht wurde. Dort war aber bereits mitgedacht, dass sich das Höchste mit dem Tiefsten kraft Fortuna beständig abwechselt, was man nicht verhindern, sondern nur durch Mäßigung hinausschieben kam.

Antonakis, J. (2011): Predictors of leadership: The usual suspects and the suspect traits. In: Bryman, A.; Collinson, D.; Grint, K.; Jackson, B.; Uhl-Bien, M. (Hrsg.): The Sage Handbook of Leadership. Thousand Oaks, S. 269–285

Costa, P.T. / McCrae, R.R. (1992): Multiple uses for longitudinal personality data. In: European Journal of Personality 6(2), S. 85–102

Galton, F. (1869): Hereditary Genius. London

Judge, T.A. / Bono, J.E. / Ilies, R. /Gerhardt, M.W. (2002): Personality and leadership: A qualitative and quantitative review. In: Journal of Applied Psychology 87(4), S. 765–780

Le Bon, G. (1982): Psychologie der Massen, 15. Aufl., Stuttgart

Ostendorf, F. / Angleitner, A. (2004): NEO-Persönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae. Göttingen

Salgado, J.F. / Anderson, N. / Moscoso, S. / Bertua, C. / DeFruyt, F. (2003): International validity generalization of GMA and cognitive abilities and the prediction of work behaviors. In: Personnel Psychology 56(3), S. 573–606

Specht, J. (2018): Charakterfrage, 2. Aufl.,  Reinbek bei Hamburg

Van Vugt, M. (2012): The nature in leadership: Evolutionary, biological, and social neuroscience perspectives. In: Day, D.; Antonakis, J. (Hrsg.): The Nature of Leadership. London, S. 141–175

Weber, M. (1972): Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen