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Auf TikTok hat sich ein junger Mann, ein Ingenieur, der sich Zaid Khan nennt, 17 Sekunden lang Gedanken zur Arbeit an sich gemacht. Eigentlich kein Grund, darüber weiter nachzudenken, wäre hier nicht eine Bewegung popularisiert worden, die aus einer bekannten Erzählung aus dem Managementvokabular zur Arbeit ausbricht, mit Quiet Quitting einen eingängigen Begriff besitzt und ein anderes Narrativ bevorzugt:

You’re still performing your duties, but you’re no longer subscribing to the hustle-culture mentality that work has to be your life. The reality is it’s not. And your worth as a person is not defined by your labor.

Sein Video ging viral und befeuert eine Diskussion, die vor allem im Management beschäftigte Arbeitnehmende umtreibt und geeignet ist, Arbeitgeber nervöser auf die Arbeitskraft schauen zu lassen. Eine kürzlich durchgeführte Gallup-Umfrage ergab, dass die stillen Kündiger im zweiten Quartal 2022 mehr als die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmer ausmachten (Harter 2022). Im gleichen Atemzug wird von der „Great Resignation“ gesprochen, was allerdings einen anderen Zungenschlag, wie wir noch sehen, besitzt. Die „stille Kündigung“, das ist hervorzuheben, lässt die betreffende Person zwar auf ihrem Job selbstgewählt verweilen, doch markiert der Arbeitsvertrag die Grenze des Engagements. Diese Arbeit soll weiterhin ordentlich ausgefüllt werden und es spricht auch nichts dagegen, diese in dieser Zeit so zu verrichten wie zuvor.

Allerdings ist diese Arbeit, sollte sie quantitativ oder qualitativ wie auch immer definiert überdurchschnittlich gewesen sein, reflektiert auf ein durchschnittliches Maß zu reduzieren. „Dienst nach Vorschrift“ träfe es landläufig gesprochen dann ganz gut. Faktisch gilt jedoch für Managementjobs natürlich, dass diese „Vorschriften“ auch informal zu sehen und durch Routinen wie Kulturen vorgegeben sind. An eine wie auch immer zu sehende Minderleistung zum Referenzpunkt „Durchschnitt“ ist allerdings nicht gedacht. In so einem Fall wäre man schon eher bei der „inneren Kündigung“ oder gar beim „inneren Widerstand“.

Die Legalität dieses Verhaltens kann nicht angezweifelt werden. Vertrag ist hier Vertrag. Auch unter Einbeziehung ethischer Kriterien würde eine Position nicht zu halten sein, die einer Person auf der Arbeit einseitige Lasten über seine Verpflichtungen hinaus aufbürdet, die nicht in eigener Verantwortung und ohne Sanktionsandrohungen im Hintergrund getragen würden.

Quiet Quitting – Mögliche Motive

Schwierig wird es bei der motivationalen Einordnung. Dies setzt immer eine bewertete Situation voraus, die auf die Motive einwirkt.

Bin ich nicht bereit, mehr zu arbeiten, weil ich die Arbeit als entfremdet erlebe? Karl Marx, der Arbeit und Menschsein an sich in einer natürlichen Verbindung sieht, hat hierzu vier Formen der Entfremdung in der kapitalistischen Lohnarbeit definiert (vom Produkt der Arbeit, vom Prozess der Arbeit, von sich selbst und damit von seiner Natur, von anderen Menschen), die physische wie psychische Belastung durch eine faktische Zwangsarbeit – des Geldes wegen – produzieren. In dieser Situation ist ein Quiet Quitting zwar keine Lösung des Problems, doch eine Linderung der Beanspruchung und ein Akt des Selbstschutzes.

Bin ich nicht mehr bereit, mehr zu arbeiten, weil die Verteilungsgerechtigkeit nicht gewahrt ist? Dieses Argument setzt keine Spaltung von meiner Person und meiner Arbeit voraus, sondern orientiert sich an der ungleichen Verteilung des durch Arbeit erzielten Mehrwerts. Dies könnte insbesondere dramatisch ins Ungleichgewicht geraten, wenn ich immer größere Beiträge erbringen muss, um immer weniger Prozente an sichtbarer Leistungssteigerung zu erzielen (80:20 Regel), die aber infolge Grundlage – wenn überhaupt – für meine Vergütung oder Anerkennung ist.

Bin ich nicht mehr bereit, mehr zu arbeiten, weil eine tolle und befriedigende Arbeit mich in dieser Welt gefangen hält und andere Lebensbereiche zu kurz kommen? Hier ist beispielsweise an Arbeitsverhältnisse in hippen Unternehmen zu denken, die eine Rundumversorgung für mich anbieten (Sport, Social Events, Fahrten zur und von der Arbeit, administrative Dienstleistungen, Double Career Couple planning etc.). Antriebsfeder wäre hier die Autonomie und der Wunsch nach Vielfalt unabhängig von Arbeitsbezügen.

Bin ich nicht mehr bereit, mehr zu arbeiten, weil eine sinnvolle Arbeit mich zu einem Workaholic macht, andere Lebensbereiche zunehmend unattraktiv werden und meine Gesundheit gefährdet (Burn-Out-Problematik)? Dann mag ich mich zwar prinzipiell mit den bestehenden Verhältnissen arrangieren, aber persönlich bin ich dann nicht mehr in der Lage, diesen ohne Gefahr für meine gesundheitliche Integrität gerecht zu werden.

Bin ich nicht mehr bereit, mehr zu arbeiten, weil eine durchschnittliche Leistung genau das ist, was ich in diesem Bereich anstrebe und ich damit im Reinen bin? Meine Leidenschaften liegen außerhalb der Arbeit – möglicherweise Hobbys, soziale Arbeit, Umweltaktivitäten – und dort investiere ich, weil es mir die von mir als wahrhaft eingestufte Befriedigung verschafft.

Quiet Quitting auch eine Machtfrage

Wir sehen, die Gründe können sehr unterschiedlich sein. Bedenken Sie aber auch, dass man sich diese Form der Zurückhaltung leisten können muss. Die entscheidende Frage ist nämlich, wer den Durchschnitt definiert. Habe ich die Definitionsmacht oder meine Teamleitung bzw. mein Arbeitgeber? Es ist ja praktisch nicht so, dass ein Arbeitsvertrag im Management genau erkennen lässt, was wie viel zu welchem Zeitpunkt zu leisten ist. Bewusst sind hier Indifferenzzone eingespeist, die einer Interpretation bedürfen und die kann selbstredend unterschiedlich ausfallen. Je wichtiger meine Leistung ist und je schwieriger sie zu ersetzen ist, desto größer ist meine Macht, den Interpretationsspielraum selbst zu bestimmen. Aber selbst das hat seine Grenzen, wenn dadurch der Teamfrieden oder die Organisationskultur bedroht ist, denn dann muss von der individuellen Position Abstand genommen und eine übergreifende Entscheidung getroffen werden – sofern die Auswirkung meines Verhaltens überhaupt sichtbar ist bzw. irgendjemanden interessiert.

Abgesehen davon, was ist schlecht am Durchschnitt? Viele Arbeitgeber würden einiges darum geben, überhaupt eine durchschnittliche Leistung von ihren Angestellten zu bekommen. Aus Organisationssicht ist es so, dass der Durchschnitt die gewünschte Norm ist, denn der Begriff sagte schon aus, dass dies mehrheitlich zu erwarten ist. Eigentlich sollte keine Organisation überrascht sein, eine erwartete durchschnittliche Leistung und damit eine durchschnittliche Arbeit zu bekommen. Faktisch ist es allerdings so, dass außerhalb von Monopolen und günstigen Situationen eine überdurchschnittliche Leistung notwendig ist, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, denn keine Organisation hat in kompetitiven Märkten die Definitionsmacht darüber, was ein durchschnittlicher Output ist. Hier entscheidet die Empirie. Zu anderen Organisationen, deren Arbeitskräfte es schaffen, überdurchschnittliche Leistung zu erzielen, gerät man schnell ins Hintertreffen. Diese Ambitionen sind dort anzutreffen, wo die Beschäftigten von sich aus eine besondere Leistung für die Organisation erbringen möchten, beispielsweise weil sie sich besonders mit ihrer Zielsetzung identifizieren, oder aber dort, wo viele andere darauf warten, mehr materiellen Wohlstand zu erfahren oder wo andere hoffen, klaglos in die Fußstapfen der nicht mehr mitspielenden Beschäftigten zu treten.

Das Sich-Leisten-Können setzt bei übergreifender Betrachtung nicht nur eine nicht prekäre Lebenssituation voraus, sondern verlangt nach einem Status, der auch außerhalb der Organisation mit dieser Art von neu justierter Arbeit gewahrt bleibt (ggf. gesteigert wird) oder fußt auf einem Selbstbild, was sich von der Einschätzung Dritter unabhängig gemacht hat. Damit macht man sich zugleich unabhängig von neoliberalen Vorstellungen, die eine beständige Wettbewerbsorientierung bis in das Private hinein postulieren und von der Vorstellung besessen sind, es jeden Tag ein Stück besser machen zu müssen. Eine Befreiung von einer derartigen Ideologie darf aus individueller Sicht als selbstständiger emanzipatorischer Akt begriffen werden, der eine gewisse Mündigkeit symbolisiert. Damit muss aber zwingend, sollte man nicht in einen Selbstwiderspruch geraten, die Bereitschaft mitgedacht werden, auch als Kunde auf Person zu treffen, die eine vertragsorientierte Perspektive bei der Erbringung ihrer Dienstleistung haben, denn es kann ja nicht ernsthaft erwartet werden, dass sich dort ein Bein ausgerissen wird, wohingegen in eigener Verantwortung man die eigene Leistung ohne besondere Schmerzen zu erbringen trachtet (wobei es natürlich als befriedigend erlebt werden kann, eine positive Kundenbedingung aufzubauen und selbst die Bereitschaft besteht, einiges dafür zu leisten).

Das wirft den Blick darauf, dass das Privileg des Quiet Quitting sektoral und individuumsspezifisch zu sehen ist. Wer dem Polier sagt, „das war es für mich heute“, wenn der Polier dem Architekten versprochen hat, das Fundament bis morgen fertigzustellen, wird wenig Perspektiven haben, sobald es der Arbeitsmarkt hergibt. Wer bei Plattformunternehmen im Lager der Auffassung ist, dass die Erwartungen an die Leistung mit Blick auf den Arbeitsvertrag zu hoch sind, wird nicht auf diskussionsfreudige Vorgesetzte setzen dürfen. Ist das richtig? Sicherlich nicht, aber die Realität.

Quiet Quitting der anderen

Wir alle erwarten übrigens implizit, dass unsere Dienstleister uns nicht mit den internen Problemen ihres Hauses konfrontieren, sondern sie für uns auffangen. Welches Elternteil wertet die Versetzung ihres Sohnes geringer als den ausgeglichenen Arbeitstag des Lehrers? Wer möchte auf Baugenehmigungen bereitwillig bei steigenden Preisen warten, weil dem entsprechenden Sachbearbeiter aufgrund der herrschenden Personalnot keine Zusatzarbeit zugemutet werden möchte? Wer unterstützt eine Pflegerin, die die eigenen Angehörigen nun nicht mehr weiter versorgen kann, weil die Familie zu Hause auf sie wartet? Und ist jeder bereit, auf eine Beförderung zu verzichten, weil eine andere Person im Team mehr freiwillige Leistung erbracht hat, man selbst der Auffassung ist, dass das ja gar nicht zählen dürfte, weil dies vertraglich nicht vereinbart wurde? Wir sehen, weitergedacht wird ein Quiet Quitting im großen Spiel für Unmut sorgen. Wie so oft funktioniert eine individuelle Lösung auf kollektiver Ebene automatisch nicht mehr.

Quiet Quitting geht über die Person hinaus und stellt am Ende die Systemfrage

Damit haben wir die Systemfrage auf dem Trapez. Denn natürlich zeigt das Phänomen des Quiet Quitting die neben der ökologischen und in manchen Gesellschaften Human Rights bezogene Perspektive die größte Schwachstelle unseres gegenwärtigen Wirtschaftens schonungslos auf: Es ist der Verlust der Zeitautonomie, die durch Überlastung und Arbeitsverdichtung das tägliche Handeln vieler extrem beeinflusst. Hier darf man auch die Beschleunigungsfalle, was der Soziologe Hartmut Rosa so schön formuliert hat, nennen, dass zum Beispiel durch Rationalisierung gewonnene Freiräume sofort dazu genutzt werden, wieder zu verdichten und Beschäftigten keine Luft zum Atmen mehr zu lassen.

Die Tragik ist ja die, dass sich dieser Zeitdruck nicht innerhalb der Arbeitszeit erschöpft, sondern auch in die Nicht-Arbeitszeit, also die Privatsphäre, hineingetragen wird. Dies ist dann in positiver Wendung manchmal auch so gewollt, man denke an das Work-Live-Blending, was eine räumliche wie zeitliche Entzerrung des Arbeitsdrucks bewirken soll, aber durchaus zum Gegenteil führen kann. Deshalb mehren sich die Stimmen, eine strikte Trennung zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit wieder herbeizuführen, wobei sogleich die ganz zentrale Frage aufgegriffen wird, was denn überhaupt als Arbeit zu verstehen ist. Handelt es sich nur um unbezahlte Lohnarbeit (Angestellte, Beamte), um die die Diskussion kreist, oder auch um selbstständige Arbeit, häusliche Arbeit oder fürsorgliche Arbeit? Oder, um eine andere Einteilung zu wählen, um sinnlose oder sinnvolle Arbeit? Gilt das Gesagte für alle Formen oder nur für einige davon? Gibt es ein Anrecht auf freudige Arbeit? Kann sich eigentlich jeder die Arbeit aussuchen, die ihm/ihr gefällt? Und was ist überhaupt Nicht-Arbeit? Wie viel Arbeit wäre für den Menschen eigentlich ideal, was uns auf die existenzielle Frage des Verhältnisses von Leben und Arbeit zurückwirft, wie schon dies eine kritische Trennung ist, und damit verbunden auch ein verändertes Wohlstandsverständnis aufwirft.

Hier müssen wir glücklicherweise nicht neu anfangen zu denken, denn eine breite Grundlage liegt vor, aber wir müssen das Bestehende angesichts der aktuellen Diskussion weiterdenken. So gesehen muss die Diskussion um das Quiet Quitting als eine notwendige und bereichernde gesehen werden, die weiterführend gedacht die Frage stellt, inwieweit das jetzige System in unveränderter Form eine (menschenwürdige) Zukunft besitzt.

Harter, J. (2022): Is qiet quitting real? https://www.gallup.com/workplace/398306/quiet-quitting-real.aspx. Abgerufen am 08.01.2023