Führungskräfte müssen immer wieder ihre fachliche und persönliche Weiterentwicklung auch selbst in die Hand nehmen. Für dieses selbstgesteuerte Leadership Development eröffnet die Technologie in verschiedenen Formaten und für unterschiedliche Zielsetzungen neue Möglichkeiten. Wir berichten heute von einem Selbstversuch, der das Coaching betrifft. Versprochen wurden dem Erstautor eine kostengünstige, flexible Herangehensweise mit schnellen Ergebnissen. Für Leadership Insiders berichtet er mit seiner Co-Autorin von seinen holprigen und tragikomischen, durchaus auch positiven Erfahrungen und schließt mit einer kritischen Bewertung.

Der Chatbot und ich

Ich, der Erstautor dieses Beitrages, hatte beschlossen, mich auf eine Selbstentwicklung einzulassen, die die neuesten technologischen Möglichkeiten nutzt. Nach einiger Recherche stieß ich auf Chatbot Rocky.ai, eine verlockend klingende „AI Coaching App“: Kostengünstig, anonym, vorurteilsfrei, allzeit verfügbar, zeitsparend, im App-Format, buntes Layout, gefällige Formen, niedrige Barrieren. Dahinter steht die Firma Rocky, gegründet 2019 vom Software-Entwickler Harry Novic, der im High-Tech-Sektor Mitarbeitende schulte und daher die Inspiration nahm. Coaching-Chatbots lassen sich als maßgebliche Innovation zum Lernen und zur Selbstreflexion sehen (Mai/Rutschmann 2023). Rocky.ai formulierte direkt das Ziel schlechthin:

Seien Sie eine bessere Führungskraft und bauen Sie leistungsstarke Teams bei der Arbeit auf

In 30 Tagen sollten die Resultate dann sichtbar werden. Um das zu überprüfen, habe ich bei meinem autoethnographischen Selbstversuch auch ein Tagebuch mit Skizzen geführt – das soll nämlich, so die Theorie, die reflexive Verarbeitung im Leadership Development verbessern (Adler, 2010). Die eingrückten Auszüge stammen aus meinem Tagebuch und spiegeln vor allem die Herausforderungen des 30-tägigen Selbstversuchs. Verständigungsschwierigkeiten, Frust, Zurückweisung, unfreiwilliger Humor, unverdientes Lob und ideologische Fragezeichen sollten noch auf mich warten. Während meines Coaching-Selbstversuchs mit der künstlichen Intelligenz ging ich durch ein Wechselbad der Gefühle und nahm doch einiges mit.

In meinen zwölf Jahren als Führungskraft habe ich schon einige Coachings erlebt und kann deshalb einige Vergleiche ziehen. Schon am Anfang fiel mir auf, dass die Technologie ein anderes Tempo hat. Niemand ging so zielstrebig an die Zusammenarbeit heran wie der Chatbot Rocky.ai. Auf dem Handybildschirm poppten Fragen im Sekundentakt auf: Was ist Deine persönliche Motivation? Was willst Du werden? Worin bist Du schlecht? Worin gut? In welchen Bereichen willst Du wachsen?

Von der anfänglichen Fragewelle war ich direkt baff, aber auch positiv überrascht. Ich hatte schon Coaches, die mir zugewiesen wurden, wo ich erst einmal misstrauisch war, und überlegen musste, was ich über mich preisgeben möchte. Dafür blieb hier eigentlich keine Zeit, die Kontaktphase fiel kurz aus, ebenso die Kontraktphase, in der ich per Auswahlbutton Ziele festlegen konnte wie „Act like a Leader“ oder „Successful Networking“. Die künstliche Intelligenz bemüht sich nicht, eine vertrauensvolle Beziehung zu etablieren, sondern erstellt ratzfatz den persönlichen Entwicklungsplan und überwacht ihn parallel beim Coaching.

Selbstgesteuertes Leadership Development

Die Forschung – hier vertreten von der zweiten Autorin, mit der ich mich theoretisch ausgetauscht habe und die auf Basis meiner Orgiginaltexte auch die hier gezeigten Bilder mit Leonardo.ai generiert hat – spricht für meinen Selbstversuch. Führungsentwicklung ist die Herausforderung unserer Zeit, denn die Aufforderungen stapeln sich schneller als man schauen kann. Wer Führung effizient mitgestalten möchte, muss kritisch denken, Technologien beherrschen, mit Komplexität umgehen können und vor allem mit Menschen, einschließlich sich selbst. Für die Weiterentwicklung fehlt leider in der gehetzten Arbeitsroutine oft die Zeit. Dennoch, so der Anspruch, sollten Individuen zu „beständigen Selbstentwicklern“ (Reichard/Johnson 2011, S. 34) werden, die ihre Weiterbildung in die eigene Hand nehmen. Ich nahm also den Erfolg selbst „in die Hand“, wortwörtlich sogar, denn die App läuft auf dem Handy.

Andere Formen des so genannten selbstgesteuerten Leadership Developments können ein Tagebuchführen beinhalten, Podcasts, Veranstaltungsbesuche, Führungsaktivitäten in der Freizeit wie im Sportverein nutzen, oder auch durch kreative Formen inspiriert sein, wie beispielsweise  den Opernbesuch oder das Lernen mit Filmen. Wenb man nun mit Captain Jean-Luc Picard in Star Trek (meine ganz persönliche Empfehlung) Game of Thrones oder Barbie (Empfehlungen der zweiten Autorin) Handlungsfähigkeit und Führungsidentität entwickeln kann, warum sollte man also nicht als technikaffiner Mitarbeiter einmal neue Wege gehen, um sein „Humankapital zu überarbeiten“, wie es so schön heißt, und sich einer künstlichen Intelligenz anvertrauen.

Auf das eigene Unternehmen und „Maßnahmen der Personalentwicklung“ kann man sich als Führungskraft – oder eine Person, die es werden will – auch nicht verlassen. Die Forschung übt viel Kritik an bisweilen unzusammenhängenden Pflichtprogrammen, die eine Schlagseite haben mit zu viel Verhaltenstrainings und Wissensvermittlung (Vogel et al., 2021). Dabei kommt die wichtige affektive Dimension, die die Motivation, Haltung und Emotionen beinhaltet, zu kurz. Genau dort kann Coaching im Besonderen helfen. Da ja nun Menschen gegenüber Maschinen Gefühle äußern können (wie wenn man verärgert gegen ein kaputtes Gerät tritt) und den Maschinen menschliche Eigenschaften zuschreiben (wie dem Computer HAL bei Odyssee im Weltraum, auch bekannt als Anthropomorphismus) ist der Selbstversuch kulturhistorisch in bester Gesellschaft.

Mein Coach begrüßt mich mit meinem Vornamen und fragt mich nach meinem Tag. Nachdem ich das mit „durchwachsen“ beantwortet habe, antwortet er, dass ich dennoch ein super Leader sei und einen super Job mache. Ein anderes Mal will Rocky wissen, was ich bezüglich der Motivation meines Teams heute gemacht habe. Als ich antworte, dass Wochenende ist und ich nicht im Büro war, stellt er fest, dass ich das bestimmt ganz gut gemacht habe, auch wenn ich nicht im Büro war.

Er geht nicht auf das ein, was ich geschrieben habe, sondern fertigt mich mit allgemeinen Aufbaufloskeln ab. Ich habe mal gehört, dass dies im angloamerikanischen Raum so üblich sei und man jeden Tag seinen Mitarbeitern mit einem „Good job“ auf die Schultern hauen muss. Mir persönlich hilft das aber nicht, es gibt mir das Gefühl, dass mein Coach mich nicht versteht. (Tagebucheintrag)

Wie läuft das Coaching weiter

Rocky.ai erinnert mich gleich zu Beginn unserer Reise freundlich daran, dass ich auch ordentlich mitarbeiten möge: „You are the creator of your future success and need to be practive in our journey”. Das Coaching ist immer in der gleichen Weise strukturiert. Zunächst wird das „Mindset“ erfasst. Hierzu kann man mittels Smileys die Stimmung auswählen. Dann kommt der Schritt „Thoughts“. Mittels Fragestellungen versucht die KI eine Reflexion von einem selbst, aber auch von der Interaktion mit der Umwelt zu fördern. Dann wird zum Schritt „Actions“ übergeleitet, die sich als wichtige Aufgaben im Arbeitsalltag ergeben. Auch dieser Schritt wird mit Fragen der KI gesteuert.

Allerdings kommen des Öfteren noch Missverständnisse hinzu. „Was hilft dir gewöhnlich, um dich gut vorzubereiten?“ fragt die KI sinngemäß. Ich antworte: „Druck“. Schließlich entstehen ja unter Druck erst Diamanten. Die KI schlussfolgert daraus, dass ich mit Stress nicht gut umgehen kann. Dieses Missverständnis aufzuklären, ist nicht so einfach. Direkt nach dieser Antwort erzählt mir die KI, dass das Tagesziel erreicht  und alles gut gelaufen sei. … Ab jetzt bringt die KI, die Druck nun als negativ für mich abgespeichert hat, diesen immer wieder auf die Tagesordnung und fragt mich, inwieweit ich mich schon verbessert habe, den Druck abzubauen. (Tagebucheintrag)

Abbildung: Auszug aus dem Coaching-Chat: Missverständnis zum Thema „Druck“

Im nächsten Schritt „Insights“ werden dann unter Einbezug des bis dorthin erfolgten Chatverlaufs möglichst genaue Aufgaben abgeleitet. Eine Fragestellung der KI lautete beispielweise: „Wer könnte dir helfen…?“.  Worauf meine Antwort „ Mitarbeiter Schmidt“, als zu erledigende Aufgabe „Mitarbeiter Schmidt kontaktieren“, an mich adressiert wird.

Schließlich endet das Coaching mit dem Kapitel „Ideas“. Hier erörtert die KI einige Ideen, die man sich auch genauer erklären lassen kann und die zum Besprochenen passen. Rocky.ai tritt als ständiger Begleiter auf und möchte in kurzen Dialogen, aber dafür regelmäßig, aktiv werden. So weist die Software stets auf zwei Sessions täglich hin. Im Vergleich zum menschlichen Coach ist diese Vorgehensweise deutlich strukturierter. So hat man im Coaching normalerweise keinen Überblick, an welcher Stelle sich der Dialog im Prozessgeschehen befindet, und wechselt zwischen den genannten Phasen. Zudem sind die Zeitabstände beim analogen Coaching deutlich länger.

Auch hilft die Technologie den Usern auf die Sprünge. Im Chat gibt es zu jeder Frage eine Antworthilfe. In dieser sogenannten „Inspiration“ wird mithilfe von Phrasen, also vorformulierten Textblöcken, eine Auswahlmöglichkeit geschaffen. Auch diese Vorgehensweise dient zur Anregung, sich selbst zu reflektieren und auch neue Perspektiven einzunehmen, da man sich mit den vorgegebenen Phrasen beschäftigen muss. Im menschlichen Coaching wäre dies nur ungleich aufwändiger darstellbar. Hier werden die erweiterten Möglichkeiten des Chatbots sichtbar.

Abbildung: Phrasengenerator als Auswahlhilfe für Chat-Antworten in der App

Die Software spielt ihre Vorteile auch als Wissensplattform aus. Es werden regelmäßig Artikel und Videos zur weiteren Vertiefung zur Verfügung gestellt. Diese sind als Erweiterung im Coaching-Chat vorgesehen und können bei Bedarf in einer Art Break-Out-Session behandelt werden, ehe man wieder zum Chat zurückkehrt. Die Anzahl und die Qualität dieser Schulungsunterlagen werden durch das Premium-Abonnement erhöht.

Aus der gesamten Interaktion ist die KI in der Lage, eine Vision zu generieren. Diese Vision berücksichtigt auch alle in der Kontraktphase gewählten Ziele. Eine solche Vision ist vorteilhaft, um die angestrebten Ziele zu vereinfachen und fest im Blick zu behalten. Meine lautete: „I aspire to be a person who is ambitious, future-oriented, and who takes on projects”. Die Vision erscheint vor dem Hintergrund einer gelben Sonne mit Strahlen und dem Bild einer Zielscheibe auf dem Bildschirm und lässt sich mit einem Change-Button abändern.

Abbildung: KI-generierte persönliche Vision, die sich mit dem Change-Button (rechts oben) abändern lässt

Zielerreichung

Die Software besitzt ein Evaluationsmodul, welches den Coachee über den gesamten Prozess hinweg bewertet. Die Evaluationen werden in der Rubrik „Goals“ zusammengefasst. Während des Coachings werden Punkte je Antwort vergeben, die direkt in ein Level-Rating einfließen. Diese Levels werden bei einer bestimmten Punkteanzahl erreicht.

Die KI fragt mich im Coaching-Schritt „Thoughts“ reflektierend, wie ich in letzter Zeit Mitarbeiter unterstützt habe. Ich antworte, dass ich heute in einem Meeting mindestens zwei Mitarbeiter ermutigt und unterstützt habe. Daraufhin bricht die KI in Jubel aus, lobt mich für mein Engagement und mein „Score“ steigt und steigt. Keine Rückfrage kommt mehr, wie genau ich denn das gemacht habe. Auch keine Überprüfungsfrage, ob es vielleicht ein bisschen geflunkert ist oder eventuell auch übertrieben. Niemand sieht mit der Lupe auf meine Behauptung. Immerhin schafft es die KI, dass ich mit einem Erfolgserlebnis den Tag reflektiere und das ist auch etwas wert. (Tagebucheintrag)

Wurden beispielsweise Ziele bezüglich Selbstwachstum oder Unternehmertum zu Beginn des Coachings gewählt, werden diese Ziele in den Level-Bezeichungen verwendet. Während meines Selbstversuchs habe ich beispielsweise Level 12 „Lehrling in Selbstwachstum“ und Level 6 „Insider im Unternehmertum“ erreicht. Wie viele solcher Level es gibt wird nicht erklärt. Auch ein Ranking innerhalb einer anonymen Gruppe ist vorgesehen – wie aber die Punkte vergeben und die Gruppen zugeteilt werden, bleibt intransparent. Auch die in der Kontraktphase definierten Ziele werden auf ihre Erfüllung hin evaluiert. Die Evaluation selbst findet durch direkte Fragen im Coaching statt, beispielsweise: „Was hast Du getan, um deine Kommunikationsfähigkeit zu verbessern?“ Nun kann ich als Coachee anhand eines Smileys und eines Schiebereglers eine Einschätzung abgeben. Ob ein Ziel erreicht ist, liegt also in erster Linie an meiner eigenen subjektiven Einschätzung meines Fortschritts. Eine Funktion, mit der Außenstehende den Lernfortschritt beurteilen können (360°-Feedback), gibt es nicht. Die Punktevergabe bleibt ungeklärt, ebenso wie das Zustandekommen von „Triumphen“. Eine Überprüfung des Lernfortschritts durch echte Coaches geschieht mit geschickten Fragestellungen, auch in Bezug auf den Anwendungsgrad des Erlernten in der Praxis. Zudem werden die Ziele durch den Chatbot ohne Rücksprache auch kontinuierlich ergänzt.

Eine Eigenheit von Rocky.ai ist es, einem im Coaching-Verlauf Ziele „unterzuschieben“. So kann es durch einen Chat dazu kommen, dass die Software das ein oder andere Ziel ergänzt. Natürlich kann man das auch wieder löschen und abändern. Aber immerhin wurde es ja als Defizit identifiziert. So endet man gefühlt in einer Endlosschleife aus noch nicht abgeschlossenen Zielen und neuen Zielen, was an ein Hamsterrad erinnert. (Tagebucheintrag)

Beurteilung der Coaching-App

Bei Rocky.ai wird ständig „evaluiert“. Wie weit sind wir mit der Zielerreichung? Welche zusätzlichen Ziele könnten angegangen werden? Welche Triumphe wurden errungen? Und welchen XP-Level (was auch immer das ist) hat man, auch im Vergleich mit anderen Nutzern, erreicht? Das klingt nicht nur übertrieben, es ist es auch. Dies kann unter Umständen auch kontraproduktiv sein und zu einer Demotivation führen. (Tagebucheintrag)

Nicht nur als Coachee werde ich vom Programm evaluiert, sondern auch ich habe die Gelegenheit, das Coaching durch Rocky.ai zu evaluieren. Dabei habe ich ein angepasstes Raster für selbstgesteuerte Entwicklungsaktivitäten (Orvis/Langkamer Ratwani 2010) verwendet, das hinsichtlich meiner acht Beurteilungskriterien Folgendes ergibt:

Die inhaltliche Relevanz (Schulnote 3) ist zunächst sehr gut und an ein breites Publikum gerichtet, mit vielfältigen Lernmöglichkeiten wie auch Video-Tutorials und weiterführenden Inhalten. Rocky.ai bietet jedoch kein Führungskräftecoaching mit spezifischen Lernmöglichkeiten. Die Lernförderung (Note 2) ist stark mit vielen Remindern und motivierendem Lob, die dazu führt, dass man die Software gerne aufruft. Die ausgeprägte Rückmeldung bezüglich des Lernfortschritts ist oft unübersichtlich und intransparent. Es werden geringe Anforderungen (Note 4) an den Coachee gestellt, es werden kaum komplexe Fragestellungen präsentiert, selten gehen sie in die Tiefe. Selbst Fragen zur Selbstreflexion sind nach kurzem Überlegen zu beantworten.

Die Struktur (Note 3) ist stabil und verlässlich, der Chatbereich ist übersichtlich. In anderen Bereichen der App sind zu viele Menüs und Funktionen verfügbar, vor allem die Evaluation ist intransparent. Die Aktivitätskosten (Note 1) sind sehr niedrig, die Basis-Funktion ist sogar kostenlos, Rockys Honorar ist auch in der Premiumversion niedrig. Auch der zeitliche Aufwand hält sich mit maximal 30 Minuten pro Tag in Grenzen, es fallen keine Reise-, Material- oder Raumkosten an. Die Social Skills (Note 3) werden in Form von Flexibilität und Offenheit für neuartige Medien gefördert. Das Zurückmelden der Ergebnisse via Chat verlangt klare Kommunikation, ist aber wenig kreativ. Auch das Selbstmanagement wird durch Planen der Chats und Lerninhalte gefördert. In Bezug auf emotionale Intelligenz bringt einen die KI nicht weiter, ethische Fragestellungen lassen sich nicht erörtern.

Und wieder eine Enttäuschung. „Wie war es denn heute?“ fragt die KI. „Schlecht, mein Team hat mich in einer Umfrage schlecht bewertet“, so meine Antwort. „Gib niemals auf…“, antwortet die KI, um dann direkt mit einem anderen Thema weiterzumachen. Ich komme mir ungehört vor. Ich mache einen neuen Anlauf: „Ich habe eine junge Familie und es ist schwer, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen“. Und erneut eine Antwort, die mich nicht anspricht: „Du machst das großartig, deine Karriere und Familie unter einen Hut zu kriegen. Und ich rate dir, deine Zeit zu priorisieren und Aufgaben zu delegieren“. Danach springt die KI wieder zu einem völlig anderen Thema. Wäre die KI ein Mensch, würde ich sagen, dass diesem jegliche soziale Intelligenz fehlt. Der KI fehlt sie auf jeden Fall sicher. Darüber hinaus zerstört dies für mich jegliche Bindung. (Tagebucheintrag)

Der Grad der Anwendung des Erlernten in der Praxis (Note: 4) ist nur ausreichend, da zwar konkrete Aktionen der Umsetzung mit dem Coachee definiert, aber nicht bewertet oder kontrolliert werden. Die KI stellt zwar sinnvolle Fragen, lässt den Coachee aber mit der Antwort alleine. Im menschlichen Coaching werden die Aussagen des Coachees viel mehr in die Aktionsdefinition einbezogen und die Fragen des Coaches treten in den Hintergrund.

Als zusätzliche Kategorie drängt sich das persönliche Gefühl im Umgang mit der Software auf. Diese erhält von mir, wie in den Schilderungen schon deutlich wurde, die Note 5. Auch die übertriebene Art auf Basis der auch kritisch zu betrachtenden positiven Psychologie (Cabanas/Illouz, 2022) hat meine Resilienz oder Gefühlsarbeit nicht verbessert. Es kommt aber auch auf die persönlichen Präferenzen an, ob man sich der KI anvertrauen möchte, oder lieber einem Menschen. Die Software stößt gerade hier an ihre Grenzen. Rocky ist zudem eine ältere Technologie und benutzt im Gegensatz zu ChatGPT noch keine LLMs (Large Language Models), auf denen der aktuelle AI-Hype gründet.

Man stelle sich vor, man sitzt als Coachee vor seinem Coach und dieser unterbricht einen mitten im Satz und fordert einen auf, sich kürzer und vor allem prägnanter zu fassen. Das kann natürlich passieren, ist aber unschön. … Wie ich nun lernen musste, hat die KI eine Textbegrenzung und unterbricht einen mitten im Satz mit dem Hinweis, dass der Text für das Verständnis der Software zu lange wäre. Versucht man im Nachgang nochmals, sich genauer zu erklären, geht das nicht mehr, da die KI längst ein anderes Thema begonnen hat. Insgesamt ein auf mich demotivierend wirkendes Vorgehen. (Tagebucheintrag)

Die bisherige so genannte „schwache“ KI tut sich noch schwer, den Menschen zu ersetzen. Die Betonung liegt allerdings auf „noch“, wie der Einsatz der KI in strategischen Positionen zeigt, etwa bei der Überprüfung von Prozessen. Es wird also perspektivisch nicht nur bei der oft aufgeführten Entlastung von Routinearbeiten bleiben. In jedem Fall muss der sinnvolle Umgang mit der KI von allen Mitarbeitenden, und nicht nur von den Führungskräften, gelernt werden. Ob KI im Coaching eingesetzt wird, bleibt letzten Endes der persönlichen Präferenz überlassen. Der potentielle Coachee muss sich die Frage stellen, ob er mit den Nachteilen der Softwarelösung leben kann oder ob er ausschließlich einem menschlichen Coach vertraut. Um dies für sich herauszufinden, ist eine Coaching-App ein geeigneter erster Schritt.

Anmerkung [JW]

Die diesem Beitrag zugrunde liegende Forschung wurde zuvor in einer Qualifikationsarbeit am Lehrstuhl  für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalführung und Organisation (Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler) an der FernUniversität in Hagen niedergelegt. Artificial Intelligence (AI) bzw. Künstliche Intelligenz (KI) wird am Lehrstuhl wie die Digitale Transformation hinsichtlich ihres Leistungsvermögens vor allem mit Bezug zur Führung und zum Personalmanagement konstruktiv-kritisch verfolgt.

Adler, N. (2010): Going beyond the dehydrated language of management: Leadership insight. In: Journal of Business Strategy, Vol. 31, S. 90-99

Cabanas, E./Illouz, E. (2022): Manufacturing Happy Citizens. How the Science and Industry of Happiness Control our Lives, 6. Aufl., Polity Press, Cambridge

Mai, V./Rutschmann, R. (2023): Chatbots im Coaching. Potenziale und Einsatzmöglichkeiten von digitalen Coaching-Begleitern und Assistenten. In: Organisationsberatung Supervision Coaching, Vol. 30, S. 45-57

Orvis, Karin A./Langkamer Ratwani, K. (2010): Leader self-development: A contemporary context for leader development evaluation. In: The Leadership Quarterly, Vol. 21, S. 657-674

Reichard, R./Johnson, S. (2011): Leader self-development as organizational strategy. In: The Leadership Quarterly, Vol. 22, S. 33-42

Vogel, B./ Reichard, R./ Batistič, S./Černe, M. (2021): A bibliometric review of the leadership development field: How we got here, where we are, and where we are headed. In: The Leadership Quarterly, Vol. 32, 101381