„Karriere zu machen“, kann in unserer Leistungsgesellschaft Segen und Fluch zugleich sein. Aber nach welchen Kriterien wäre dies zu entscheiden? Und überhaupt: Wer definiert eigentlich, ob ein Erfolg oder Misserfolg vorliegt? Am Ende steht eine befreiende Einsicht.
„Es führen viele Wege zum Gipfel eines Berges, doch die Aussicht bleibt die gleiche“
Seine Eltern sahen ihn als Anwalt, er selbst schmiss trotz – oder wegen – einer außergewöhnlichen Begabung Harvard. Er programmierte und bastelte lieber mit anderen in Computerräumen. Das Ende ist bekannt. Bill Gates wurde 2016 von Barack Obama mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet, 2007 zur einflussreichsten IT-Person der letzten 25 Jahre gewählt und mit der Harvard-Ehrendoktorwürde bedacht. Sein Vermögen ist Legende.
Ein klassischer Karriereverlauf ist dies sicher nicht. Aber ein zeitgemäßer, denn die Wege zur beruflichen Verwirklichung sind heutzutage weniger normiert als sie je waren. Und wir sehen schon gleich zu Beginn: Abhängigkeit hemmt den Geist. Der eigene Weg sollte nicht der eines anderen sein. Aber der Reihe nach.
Der Begriff Karriere umschreibt die berufliche Laufbahn, die eine Person innerhalb eines Betrachtungszeitraums eingeschlagen hat. Diese „Fahrstraße“, wie es die Wortbedeutung ausdrückt, kann dabei sehr geradlinig, aber ohne besonderen Anstieg verlaufen, sie kann aber auch von besonderen Höhen oder Tiefen gekennzeichnet sein. Und offen ist schließlich, ob unsere persönliche „Fahrstraße“ zuletzt auch am höchsten Punkt ihren Abschluss finden wird. Manager sehen dies zumeist anders. Sie verbinden Karriere automatisch mit einem fortwährenden Aufstieg, einer glänzenden Laufbahn. Man hat „Karriere gemacht“ – oder besser, weil die gedachte Karriere prinzipiell endlos ist, ist man beständig dabei, „Karriere zu machen“. Dort, wo das Voranschreiten nicht mehr so recht sichtbar wird, spricht man von einem Karrierestopp, einer Karrierepause oder gar einem sofort stigmatisierten Karriereknick, der den beruflichen Werdegang bedrohlich nah an einen Abgrund führt.
Das objektive Karriereverständnis wird gepusht
Beschäftigte arbeiten theoretisch rund 8 Jahre nonstop, setzt man eine Beschäftigung von Mitte Zwanzig bis Mitte Sechzig an und zieht Wochenenden, Urlaub und Krankheit ab. Und unterstellt man einen 8-Stunden-Tag. Für Führungskräfte, gar Top-Manager, ist die Summe der für die Arbeit aufgewendeten Zeit in der Regel deutlich höher, selbst bei einem etwas späteren Einstieg. Nicht berücksichtigt sind die Gedanken, die außerhalb der Arbeit um die Arbeit kreisen. Kurzum: Es ist also eine sehr lange Zeit und würde sie negativ bilanziert, wäre es extrem unschön. Man muss nicht bilanzieren, aber Menschen neigen dazu.
Im Management werden Interpretationshilfen bereitgestellt: Einkommen und Status, im Wirtschaftsbereich nicht unverbunden, sind die Währungen, die zu Buche schlagen, Beförderung das dazu notwendige Mittel. Gewichtet werden diese messbaren Größen mit der benötigten Zeit. Wer mag, kann das Gesamtergebnis dann noch in Relation zum vorab Erwarteten setzen. Erfahrungsgemäß haben Führungskräfte in DAX-Unternehmen die besten Chancen, hier zu reüssieren, wiewohl auch Top-Manager aus den höchst gerankten Beratungen mithalten können.
Kurioserweise spielen die, die dies in gewisser Weise alles erst ermöglichen, die Entrepreneure, in Deutschland im allgemeinen Verständnis von einer gelungenen Karriere keine besondere Rolle. Allein daran sehen wir, dass die „objektiven“ Vorgaben für eine glänzende Karriere gesetzt, inszeniert und medial verstärkt werden. Und dieser Prozess funktioniert – bislang.
Von daher gibt es auch einen nennenswerten Bedarf an Karriereberatern, für das kleinere Portemonnaie auch an Karriereratgebern (auf diesem schillernden Markt konkurriert beispielweise auf Amazon das etablierte Harvardkonzept mit der noch nicht etablierten, rein für Frauen ausgerichteten Venus-Strategie). Es wäre sicherlich einmal interessant zu untersuchen, ob die Inanspruchnahme solcher offerierten Expertisen nicht sogar in einem negativen Zusammenhang zum Karriereerfolg steht.
Das Karriereverständnis ist breiter
Die Orientierung an von außen gesetzten Spielregeln zur Bewertung der eigenen beruflichen Existenz ist zwar verbreitet, objektiv betrachtet jedoch unvollständig und vereinseitigend. Darauf verweist zumindest jene einschlägige Forschung, die sich seit einiger Zeit bereits mit der subjektiven Perspektive derjenigen beschäftigt, die in der Organisation arbeiten. Hier zeigt sich ein deutlich reichhaltigeres Bild dessen, wonach Personen ihre eigene Karriere beurteilen.
In einer breit angelegten qualitativen Untersuchung des renommierten österreichischen Karriereforschers Wolfgang Mayrhofer, die er mit Kolleginnen und Kollegen aus zahlreichen anderen Ländern durchführte (unter anderem China, Israel, Japan, Spanien und den USA), ergaben sich sieben mit einer Karriere verbundenen Bedeutungen, die wiederum in vier übergeordnete Kategorien zu bündeln waren.
Abb.1 Global übergreifende Assoziationen mit dem Karrierebegriff
Einbezogen wurden Personen (u.a. Business School Graduates, Blue Collar Worker) zu Beginn (um die 30 Jahre alt) und am Ende ihrer beruflichen Laufbahn (zwischen 50-60 Jahre alt). Hier muss man berücksichtigen, dass Organisationen aus Regionen unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung zusammenfanden, deren Mitglieder von daher nicht gleich verteilte Prioritäten haben konnten. Während die materielle Dimension weniger überraschen kann, ist doch bereits die Hinwendung zum persönlichen Lernen und der damit verbundenen persönlichen Entwicklung als Bedeutungsinhalt der eigenen Karriere nicht so selbstverständlich. Denn hier geht es ja nicht darum, (instrumentell) zu lernen, um Karriere zu machen, , sondern Lernen und Entwicklung einen Eigenwert zum besseren Verständnis der Dinge zuzusprechen. Angestoßen wird dies dabei nicht nur durch das informelle Lernen on-the-job, sondern auch durch erlebte Veränderungen und formelle interne wie externe Weiterbildungen.
Darüber hinaus wird auch die Möglichkeit, reichhaltige soziale Beziehungen zu erfahren, mit einer befriedigenden Karriere verbunden. Hierunter ist nicht nur die gegenwärtig intensiv diskutierte Work-Life-Balance zu verstehen, sondern auch die erfahrene Wertschätzung durch andere, erhaltene Unterstützung und dezidiert die Möglichkeit, anderen etwas geben zu können. Gerade der letzte Punkt spielt zum Ende der Karriere eine herausragende Rolle und verweist auf den in anderen Lebensbereichen ebenso anzutreffenden Wunsch, etwas von sich zu hinterlassen, womit der in der Organisation verbrachten Zeit ein tieferer existenzieller Sinn gegeben wird. Rund um den Globus wird Karriereerfolg zudem mit der Möglichkeit verbunden, entweder selbst unternehmerisch tätig zu werden, oder aber wenigstens in einer Organisation die Gelegenheit zu haben, eigene Projekte zu entwickeln und zu verfolgen, sich damit zu identifizieren und Verantwortung hierfür zu übernehmen.
Deutlich wird also, dass das, was unter einem Karriereerfolg verstanden werden kann und verstanden wird, wesentlich breiter in den Köpfen angelegt ist, als es die manchmal ideologischen Verengungen nahe legen. Wer sich an die sattsam bekannte Maslowsche Bedürfnispyramide erinnert sieht, liegt nicht falsch. Eine gelungene Karriere steht bei einer ganzheitlichen Betrachtung eher für die Befriedigung einer Fülle von grundlegenden Bedürfnissen als für eine Ausschließlichkeit des Materiellen.
Was Sie und ihre Organisation daraus mitnehmen können
Das Forscherteam empfiehlt in Anlehnung an den Theologieprofessor Pater Michael Himes, Boston College, USA, zunächst sich selbst danach zu befragen,
- wo die eigenen Stärken liegen
- wobei Freude empfunden wird
- was die Welt benötigt.
Warum? Wer in der Lage ist, diese übergreifenden Fragen für sich zu beantworten, der vermag seine ganz persönliche Antwort darauf zu finden, was er als Karriereerfolg versteht. Dies entspricht meiner generellen Empfehlung, sich nicht von außen angelegten Kriterien unhinterfragt zu unterwerfen und sich so in eine nicht mehr auflösbare Abhängigkeit zu begeben. Stattdessen gilt es, seine eigene Definitionsmacht zu wahren und zu pflegen. Natürlich kann und wird das in manchen Fällen auch zur Folge haben, dass man den Erwartungen der Entscheidungsträger nicht entspricht. Aber dann scheint auch die Passung zwischen der Person und der Situation, in diesem Fall der Organisation, nicht günstig für die Arbeit an den eigenen Wertmaßstäben zu sein. Dieses muss man selbstredend nicht jeden Tag praktizieren, aber eine solche Reflexionssequenz jährlich einzulegen, möglicherweise unter Einbeziehung vertrauter Personen, wird verhindern, einem von anderen eingestellten Autopiloten zu folgen. Deshalb bitte ich zu bedenken:
Autonomie ist nicht delegierbar!
Für Organisationen ergibt sich hieraus die Forderung, das eigene Laufbahnsystem kreativer, individueller und flexibler mit den Bedürfnissen der einzelnen Managerinnen und Manager zu verbinden. Das Forscherteam weist darauf hin, dass ansonsten nicht mit einem besonderen Engagement gerechnet werden kann. Unterschiedliche Karrierepfade gehören genauso zu einer zukunftsfähigen Führung wie flexible Arbeitszeiten, optionale Unterbrüche, projektbezogene Arbeiten und selbst bestimmte Anstellungsverhältnisse.
Natürlich könnte man sagen, dies alles seien nette Wünsche, die der raue Wettbewerb und anderes mehr jedoch nicht zulassen. Und überhaupt solle man Personen bevorzugen, die sich den etablierten Maßstäben der Wirtschaft von vornherein verpflichtet fühlten. Dies funktioniert möglicherweise in der Tat – zumindest so lange, wie es genügend solchermaßen motivierte und talentierte Führungskräfte gibt. Tun sie es im Übrigen nach der obigen drei Frage-Methode und stolpern damit nicht blind in die Normskala hinein, so ist es dann auch eine begründete individuelle Entscheidung.
Die Frage, die die Autoren und sicherlich nicht nur sie in diesem Zusammenhang aufwerfen, ist jedoch, ob sich zukünftig genügend dermaßen motivierte und zugleich hochtalentierte Nachwuchsmanagerinnen und Nachwuchsmanager finden lassen. Die Frage bleibt nämlich, ob diese Führungskräfte den wachsenden Erwartungen entsprechen können, die von außen an eine verantwortungsvolle Unternehmensführung herangetragen werden und die von innen eine andere Form des Karriereverständnisses einfordern. Kognitive Dissonanzen wären zumindest vorprogrammiert. Wahrscheinlicher ist eine Hybridisierung. Etablierte Spielregeln werden aufgenommen, aber partiell fortgeschrieben und reinterpretiert. Die Adaptionsfähigkeit des Nachwuchses ist sicherlich nicht von vornherein zu verneinen. Eine recht aktuelle Befragung von jungen Top-Managern aus führenden deutschen Unternehmen deutet dies zumindest an (Heidrick & Struggles 2016, S. 21):
Persönlich gilt jungen Vorständen eine gute Work-Life-Balance bei aller Leistungsorientierung als Voraussetzung für ihr langfristiges Fortkommen. In diesem Zusammenhang betonen einige Gesprächspartner die Bedeutung der Familie, „die bei mir über allem steht. Sie ist mein Ruhepol und gibt Kraft und Energie.“
Wie weit die Anpassung jedoch an veränderte Werteumwelten gehen kann, muss hier offen bleiben, da die Beharrungskräfte der ökonomischen Logik eine motivationale Einseitigkeit (bereits in der universitären wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung) beständig begünstigen. Aber wie immer gilt: Die Besten der Jungen suchen sich jene Umwelten, hier oder anderswo, in denen sie leben und arbeiten wollen. Grüße von Steve Jobs.