Eine toxische Führung ist unethisch, das wissen wir. Sie verletzt die physische und psychische Integrität der davon betroffenen Person, die sich in einer asymmetrischen Machtbeziehung befindet. Statt Macht verantwortungsvoll einzusetzen, wird sie missbraucht. Was wissen wir aber über die direkten und indirekten finanziellen Folgen? Leadership Insiders schaut sich das genauer an.

Karge Wüste

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Unter „toxischer Führung“ werden in der Organisations- und Führungsforschung destruktive, schädigende und dysfunktionale Verhaltensweisen von Führungskräften verstanden. Synonyme oder verwandte Konzepte sind unter anderem destruktive Führung, abusive supervision, tyrannische Führung, oder dysfunktionale Führung (vgl. zum Überblick Kuhn/Weibler 2020). Gemein ist diesen Ansätzen bei Differenzierungen im Detail (z. B. Eigenschaften vs. Verhalten) die Beobachtung, dass Führungskräfte nicht nur durch Fehlverhalten keine positiven Effekte erzielen, sondern aktiv negative Konsequenzen für Individuen, Teams und Organisationen hervorrufen. Leadership Insiders systematisiert die Kostenkategorien und liefert empirisch gestützte Zahlen zum Phänomen einer toxischen Führung (mögliche Vorteile eines solchen Führungsverhaltens für die Organisation werden an dieser Stelle nicht aufgegriffen, jedoch hier).

Dabei lassen sich zunächst ohne Anspruch auf Vollständigkeit individuelle, teambezogene, organisationale sowie gesellschaftlich-ökonomische Kosten unterscheiden.

Kostentenkategorien einer toxischen Führung

Individuelle Kosten

  • Psychische Gesundheit: Toxische Führung ist eng mit Erschöpfung/Burnout, Depressivität, Angstzuständen und verminderter Lebenszufriedenheit verbunden. Es steigt die Notwendigkeit, vermehrt Mitarbeitende zu ersetzen („auszutauschen“), was nicht zum Nulltarif zu haben ist. Während den Nachbesetzungs- und Einarbeitungszeiten müssen andere eine höhere Leistung erbringen, was deren Bleibemotivation reduzieren könnte.
  • Physische Gesundheit: Stressbedingte Erkrankungen (z. B. Herz-Kreislauf, Schlafstörungen, psychosomatische Symptome) nehmen zu. Arbeitsplatzstress ist die wichtigste Ursache von Krankheitsausfällen.
  • Karriereentwicklung: Reduzierte Motivation, geringere Bindung an die Organisation, erhöhte Kündigungsabsichten. Führungsnachwuchsprobleme treten auf.

Teambezogene Kosten

  • Vertrauen und Kohäsion: Toxische Führung zerstört gegenseitiges Vertrauen und steigert Misstrauen unter Kolleg:innen. Das vermindert die Herausbildung der so wichtigen Teamkohäsion.
  • Kommunikation und Kooperation: Teams entwickeln defensive Kommunikationsmuster, vermeiden Konflikte oder gehen in offenen Widerstand. Konstruktiver Widerspruch erlahmt.
  • Leistung und Kreativität: Unterdrückung von Ideen, Innovationsstau, „defensive silence“. Lebendigkeit und Kreativität sinken.

Organisationale Kosten

  • Produktivität: Durch Fluktuation, Fehlzeiten und geringere Leistung entstehen erhebliche direkte Verluste. Volkswirtschaftlich werden hohe Milliardenverluste genannt.
  • Reputation und Arbeitgeberattraktivität: Organisationen mit bekannten Missständen erhalten schlechtere Bewertungen in einschlägigen Plattformen und ziehen infolge mit angeschlagener Arbeitgebermarke weniger qualifizierte Bewerber:innen an (oder müssen höhere Löhne und Gehälter zahlen). Man denke aber ebenso an Kunden, die das auch lesen und in Gesprächen mitbekommen.
  • Rechtliche Risiken: Klagen wegen Mobbing, Diskriminierung oder unzulässiger Führungspraktiken. Je nach Rechtssystem sind finanzielle Folgen kaum zu kalkulieren, sofern gezeigt werden kann, dass weder ein Monitoringsystem noch Schulungen dazu existierten oder dass keine adäquaten Maßnahmen beim erstmaligen Bekanntwerden von möglichen Verfehlungen unternommen wurden.
  • Kultur und Werteerosion: Toxische Führung etabliert Normen der Angst, Unterordnung und Loyalität gegenüber Personen statt gegenüber organisationalen Zielen. Wird dies nicht bekämpft oder gar durch höhere Positionen gedeckt, ist eine Ansteckung in der gesamten Organisation möglich. Das Wahrnehmungs- und Identifikationsbild von der Organisation verändert sich ungünstig.

Gesellschaftlich-ökonomische Kosten

  • Gesundheitssystem: Erhöhte Behandlungskosten durch stressinduzierte Erkrankungen.
  • Arbeitsmarkt: Verlust an qualifizierten Fachkräften durch Frühverrentung oder Branchenwechsel.
  • Volkswirtschaft: Produktivitätsausfälle durch Krankmeldungen und sinkende Innovationskraft.

Kostenbezogene Details können bei entsprechender Datenlage berechnet oder geschätzt werden. Hier ermöglicht es die KI bereits jetzt, zumindest für größere Betriebe spezifische Zusammenhänge für solche Berechnungen in der Gegenwart und für die nahe Zukunft auszuweisen.

Ausweis ausgewählter Kosten bei einer toxischen Führung

Jonathan H. Westover hat in einem noch unveröffentlichten, bislang nicht peer-reviewten Aufsatz eine interessante Annäherung an die „Total Cost of Difficult Leaders“ einer destruktiven Führung vorgelegt. Der von ihm im Jahr 2025 vorgelegte Rahmen möchte umfassender als bisher die theoretisch wie führungspraktisch vernachlässigte Betrachtung systematisieren. Dabei unterscheidet er in seiner destruktiven Führung die Auswirkungen einer auf das Gegenüber gerichteten Aggression (z. B. öffentliches Kritisieren), einesstatusorientierten Denkens (z. B. Privilegienerwartung), einer emotionalen Manipulation (z. B. Schuldzuweisung) und eines die Organisationskultur und das Organisationsimage schädigenden Verhaltens (z. B. Informationszurückhaltung), das über den Einflussbereich der Führenden hinausgeht. In einer eigenen, im Längsschnitt angelegten Studie bei einer kleineren Fall- und Kontrollgruppe (je 42 Personen im möglichst engen Match bei der Zuordnung) werden unter Verwendung etablierter Skalen, einer skalenbezogenen Eigenentwicklung sowie Daten aus der HR-Abteilung verschiedene Managementebenen und Industriezweige unter Ergänzung qualitativer Befragungen einbezogen.

Die Ergebnisse weisen deutliche Erhöhungen von Beschwerden (340%), der Fluktuationen (über 20%) oder des Fernbleibens vom Arbeitsplatz (47%) zwischen den beiden Gruppen aus. Ebenso waren die stressbedingten Gesundheitsmeldungen um 64% erhöht, das Engagement wie die Produktivität hingegen vermindert. Die Innovationsrate, gemessen durch Ideenproduktion, Zeit für die Prototypenentwicklung und die Implementationsrate waren merklich beeinträchtigt. Zudem zeigte sich eine deutliche Beeinträchtigung der Entscheidungsqualität sowie der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit. Unter dem Aspekt der Cross-Funktionalität gingen 64% der wertvollen interdisziplinären Kontakte verloren. Damit wird deutlich, dass toxisches Führungsverhalten nicht nur die unmittelbare Führungsbeziehung belastet, sondern auch die Kooperation innerhalb und zwischen Teams erheblich schwächt. Darüber hinaus wirkte sich das Verhalten negativ auf das Organisationsbranding aus (ein Rückgang um 0,8 Punkte auf externen Bewertungsplattformen mit fünfstufiger Skala) und führte zu einer Erosion der Organisationskultur: Das Vertrauen in Führungskräfte sank über alle Ebenen hinweg um 31% innerhalb von nur 18 Monaten.

Die wichtigsten Auswirkungen: Interpersonelle Aggression auf die psychologische Sicherheit, statusorientiertes Verhalten auf das Vertrauen (Folge: Zusammenarbeit, Beziehungsqualität), emotionale Manipulation auf das Engagement und die Organisation betreffende (systemische) vorgestellten Schwächen auf die Zusammenarbeit. Das schwierige Führungsverhalten wirkt also nur teilweise direkt, sondern wird über die genannten Größen und andere mediiert, d. h. über den Einfluss auf diese Größen stellen sich die zuvor benannten Effekte ein.

Und die Erholungsdauer? Die Organisation benötigte nach dem Entfernen der toxischen Führungskraft bzw. nach der Einführung von Gegenmaßnahmen rund vier bis sechs Monate, um sich auf Führungsebene zu stabilisieren, und zwölf bis achtzehn Monate, um auch systemische Effekte auszugleichen.

Summarisch wird festgestellt, dass ein toxisches Führungsverhalten Kosten im Einzelfall des 3- bis 27-fachen Jahresgehalts der jeweilig devianten Führungskraft produziert, wobei das Mittel hier das 8,7-fache war. Nach Sektoren aufgeteilt zeigt sich, dass die Finanzindustrie den Durchschnittswert am genauesten widerspiegelt, während der Technologiesektor (12,4-fach) und die Professionellen Services (10,1-fach; Dienstleistungen) sich die höchsten Kosten zurechnen lassen müssen. Unterdurchschnittlich waren der Einzelhandel, Non-Profit-Organisationen und das produzierende Gewerbe (Letzteres „nur“ noch das 6,4-fache). Ein Fehlverhalten beim Top-Management wies das 14,2-fache der jährlichen Salärkosten branchenübergreifend gerechnet aus.

Toxische Führung ist kein Stimmungsproblem

Diese Studie ist eine interessante Annäherung an die Berechnung toxischer Führung. Die hohen Werte errechnen sich durch eine breite Betrachtung der Folgen, die so in der Führungspraxis ungünstigerweise fast nie vorgenommen wird. Damit wird das Problem falsch oder einseitig eingeordnet oder einfach verdrängt. Möglicherweise wird unpassend „marktliberal“ argumentiert: Was sich durchsetzt, ist gut für die Firma. Es sollte aber deutlich geworden sein, dass eine toxische Führung kein reines Stimmungsproblem ist und dass sie vielfach weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen haben kann, auch wenn es niemand wahrhaben will oder anekdotisch aushebeln möchte.

Kuhn, T./Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Westover, J. H. (2025): The Total Cost of Difficult Leaders: Calculating the Hidden Expense of Toxic Management. In: Preprints org. (not peer-reviewed) doi: 10.20944/preprints202506.2055.v1