Der Zusammenhang zwischen der Absicht, beispielsweise den Job zu wechseln, um Berufliches und Privates zum Besseren zu verändern, und dem tatsächlichen Tun, ist schwach. Das Bedauern darüber in der Lebensbilanz später nachweislich groß. Nachfolgend wird dies mit Blick auf Entscheidungen begründet, die prinzipiell selbst getroffen werden können und eine Art von Change bedeuten würden. Es offenbart sich, dass es sich dabei vor allem um ein psychologisches Phänomen handelt, das nicht trivial ist, an dem individuell dennoch gearbeitet werden kann.

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Als ein südafrikanischer Forscherkollege mir vor 25 Jahren einmal erzählte, wovor er sich im Leben am meisten fürchtete, war es, sich zuletzt eingestehen zu müssen, einen Weg, den zu gehen er sich wirklich wünschte, nicht eingeschlagen zu haben, obwohl es ihm prinzipiell möglich gewesen wäre. Es war also weniger die Angst vor einer falschen Entscheidung, die ihn umtrieb, sondern die vor der Trägheit, ein neues, herbeigesehntes Ziel nicht wirklich verfolgt zu haben. Auch berufliche Entscheidungen (Karriereentscheidungen) können von diesem Kaliber sein: keine Lehre gemacht zu haben und den Freunden zur Hochschule zu folgen, obwohl man nie mehr Befriedigung erlebte, als beim Bau des eigenen Bootes, sich nicht für die Beförderung entschieden zu haben, obwohl man sich die Führungsverantwortung immer wünschte, oder seinen Job nicht gewechselt zu haben, obwohl man beim gegenwärtigen nur für das Wochenende lebt. Alles wäre eigentlich möglich gewesen, wurde aber nicht angegangen. Das kann nachhängen und im Rückblick tiefes Bedauern auslösen. Leadership Insiders erklärt, warum die Trägheit häufig gegenüber dem Wunsch obsiegt und unterbreitet einen Vorschlag, was daraus zu lernen ist.

Nichtstun ist des Veränderungswunsches Tod

Sie haben einen sehnlichen Wunsch und realisieren ihn? Gut, im besten Sinne nicht der Rede wert. Sie haben einen sehnlichen Wunsch, könnten ihn realisieren, bleiben aber untätig? Erklärungsbedürftig. Ein Einzelfall? Nein! Metaanalysen haben in diesem Zusammenhang für eine prominente berufsbezogene Entscheidung, den Jobwechsel, gezeigt, dass die Beziehung zwischen einer Wechselabsicht und einem tatsächlichen Wechsel empirisch schwach bis allenfalls moderat ist und am Ende ein latenter Wechselwunsch selbst nur noch 15 % zur Erklärung eines tatsächlich vollzogenen Wechsels beitragen kann.

Das wirft Fragen auf. Antworten darauf haben nun die belgischen Forscherinnen Marijke Verbruggen und Ans de Vos vorgelegt (2019). Ihr Fokus sind Karriereentscheidungen im weiteren Sinne, also alles, was die berufliche Entwicklung betrifft und eine Veränderung des Status quo impliziert. Sie interessieren sich dort für die psychologischen Mechanismen, die die Einlösung des eigenen Wunsches trotz passender Gelegenheit verhindern. Dabei definieren (S. 8, ü.) sie solche berufliche Untätigkeit

„als das Versäumnis, über einen gewissen Zeitraum hinweg ausreichend auf den Wunsch nach einer beruflichen Veränderung zu reagieren“

Mit anderen Worten: Eine Person hegt einen Wunsch, den eigenen Karriereverlauf zu ändern, sie erkennt, dass sie dem Wunsch entsprechend handeln kann, verfolgt dies aber in einem dafür vorhandenen Zeitfenster nicht hinreichend.

Dass das Phänomen relevant ist, steht außer Frage. Objektiv haben diese berufsbezogenen Entscheidungen für das Nichtstun finanzielle und soziale Auswirkungen. Subjektiv, und was am Ende möglicherweise durch nichts mehr aufzuwiegen ist, wird die Nicht-Einlösung eines intensiven Berufswunsches allzu häufig als tragische Lebensentscheidung bilanziert.

Dies ist auch insofern ein interessanter Befund, als sich beispielsweise bei den so genannten Gallup-Umfragen, die jedes Jahr medial dankbar aufgegriffen werden, immer wieder offenbart, dass sich viel zu viele Arbeitnehmer unwohl in ihrer derzeitigen Beschäftigung fühlen. Und von hieraus ist es dann nur ein kleiner Schritt bis zu jenen zahlreichen Studien, die einen negativen Zusammenhang zwischen einem (längeren) Sich-Unwohlfühlen der Mitarbeiter und der Produktivität der Organisation ausweisen. Dies legt nahe: Gewünschter, aber nicht realisierter Jobwechsel vermindert tendenziell die Leistungs-Motivation, erzeugt Stress, zieht Aufmerksamkeit ab und frustriert, denn wem gefällt das Gefühl, in seiner beruflichen Situation festzustecken – während andere vorbeischweben oder ihre Träume realisieren?

Gründe für eine Passivität trotz Wechselwunsch

Warum führt ein Wechselwunsch nicht häufiger zur Tat? Das kann mehrere Gründe haben (vgl. auch Anderson 2003). Zunächst sollten wir verstehen, dass es sich zumeist natürlich um eine schwierige Entscheidungssituation handelt, die mit vielen Unsicherheitskomponenten bezüglich ihrer Auswirkungen besetzt ist. In solchen Situationen sind die Beharrungskräfte generell hoch, was dem Einzelnen im Regelfall bei seiner Entscheidung kaum bewusst ist:

  • Das Forscherinnenduo identifiziert in ihrer konzeptionellen Studie hier als erstes, dass die (allgemeine) Neigung zur Beharrung im Bestehenden mit dem Aufkommen eines diffusen Angstgefühls oder auch einer ganz konkreten Furcht verbunden ist, die aus dem beruflichen Wechselgedanken resultiert. Dafür gibt es anderenorts gute empirische Belege.
  • Hinzu kommt zweitens, wie wir beispielsweise von den Studien des Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman wissen (2012), dass die kurzfristig sehr lebendig vor Augen stehenden „Kosten“ einer (Wechsel-)Entscheidung (Gespräch mit der Chefin, Eingewöhnung in ein neues Team, ggf. Umzug etc.) einem längst nicht so klar fassbaren und teilweise ungewissen Nutzen gegenüberstehen.
  • Und da es sich hier um eine komplexe Entscheidungssituation handelt, die vom Einzelnen als kognitive Überforderung erlebt werden kann, ergibt sich drittens möglicherweise eine Entscheidungsparalyse, die den gegenwärtigen Stand schlicht als einfachere Lösung erscheinen lässt.

Des Weiteren gibt es Faktoren, die das Grundproblem verstärken können. Die genannten folgen empirischen Befunden ebenso wie begründeten Annahmen:

  • Je vager die Karriereoption ist, desto eher wirken die Beharrungskräfte dem Wechselwunsch entgegen.
  • Je gravierender die Veränderung subjektiv wahrgenommen wird (Fähigkeiten, Ort usw.), desto eher schrecken „große Würfe“ ab; ein wenig mehr von dem einen, etwas weniger von dem anderen, greift die Komfortzone hingegen nicht so an.
  • Aus Entscheidungsstudien ist des Weiteren abzuleiten, dass bei kurzem Zeitfenster für die Entscheidung die Wechselfreudigkeit höher ausfällt. Dies deckt sich mit einem bekannten Muster aus der Entrepreneurship-Forschung: Wer immer ein Unternehmen gründen könnte, gründet eher keines, wenn zu viel Zeit zum Nachdenken bleibt.
  • Nachvollziehbar ist sicher auch, dass tiefe Eingebundenheit in die eigene Arbeit und das soziale Umfeld negativ mit einem tatsächlichen Wechsel korrelieren dürfte. Eingebundenheit in ein Unternehmen mag sich mit guten Kollegenbeziehungen erklären oder auch dem Pensionsplan geschuldet sein.
  • Und nicht zuletzt sind es unsere sozialen bzw. kulturellen Normen, die oftmals Stabilität favorisieren. Zwar besitzt die Risikoneigung und Offenheit gegenüber Neuem eine gewisse Attraktivität. Eine „Normbrechung“ könnte einen dann einerseits als Pionier erscheinen lassen, andererseits verweist sie aber auch auf soziale Kosten (Kritiken), die hinzunehmen sind („unstetig!“, „nicht bodenständig!“, „denkt sie nicht an ihren Mann?“ etc.). Dieser Preis des Wechsels wiegt umso schwerer, je stabiler die Gemeinschaften (inkl. Arbeitsgemeinschaften wie Teams) sind, in denen wir verwurzelt sind.

Was wäre wenn oder das ungelebte Leben

Die Neigung, in seinem Job trotz einem Wunsch nach Veränderung und der Möglichkeit dazu, zu verbleiben, ist eine vielfach beobachtete Tatsache. Die Untätigkeit kann sehr gravierende psychische wie physische Folgen besitzen. Sofern wir den beiden Forscherinnen hier folgen, kann sich die Frage nach dem „Was wäre wenn“ auf zweierlei beziehen, nämlich (a) auf die Reflexion der verpassten Entscheidung, mit dem Ziel, die Wirkkräfte in diesem Prozess für sich transparenter zu machen und (b) auf den rein retrospektiven – und zwangsläufig hypothetischen – Vergleich zwischen dem, wie es geworden ist, mit unserer Vorstellung über das, was möglicherweise auch hätte sein können.

Mit beiden Überlegungen sind negative Emotionen verbunden, die stärkeren vermutlich im Falle des (ständigen) hypothetischen Vergleichs. Denn während Ersteres noch umsetzbare Lerneffekte ermöglicht, kann Letzteres aufgrund seiner Endgültigkeit fatal erscheinen. Dies kann dann in vielem münden, in Selbstbeschuldigungen, fallendem Glauben an die Selbstwirksamkeit und, verbunden damit, auch in einer nachhaltigen Schwächung des Selbstbewusstseins.

Die sich hier auftuenden psychologischen Zusammenhänge sind zu vielfältig, als dann man sie in der gebotenen Kürze erschöpfend behandeln könnte. Klar ist nur, sie können existenziell sein. Klar ist aber auch, dass wir Abwehrmechanismen haben, die uns ermöglichen können, selbstwerterhaltend mit fatal erscheinenden Entscheidungen umzugehen (z.B. das Lebensmotto: „Ich schaue immer nur nach vorne“).

Diese greifen aber nicht immer, und darum ging es hier. Es galt besser zu verstehen, warum eine berufliche Veränderung nicht getätigt wurde, die möglich war und vielleicht genau den Wunsch markierte, den diese Person zu diesem Zeitpunkt hatte, für die das Zeitfenster sich dann aber irgendwann geschlossen hatte. Später, im ungünstigsten Fall auf dem Sterbebett, erinnert man sich mit (großem) Bedauern daran, wobei: unbewusst gewirkt haben wird dies vermutlich schon viel früher.

Und nun? Diese Ausführungen sind präventiv und kurativ zu lesen. Sie sollen helfen, die eigene Situation besser einordnen zu können und bewusster zu entscheiden, da sie die Augen für psychologische Mechanismen öffnen können, die bei weitem nicht jedem bewusst sind.

Wann wäre denn von einer guten Entscheidung in diesem Zusammenhang zu sprechen? Wie wäre es mit einem Vorschlag des freischaffenden Philosophen Christoph Quarch? Ihm zufolge – und das natürlich mit Rekurs auf eine ganze Ideengeschichte – ist eine Entscheidung dann gut, wenn es die richtige Entscheidung für einen selbst im Moment der Entscheidung ist. Richtig ist sie, wenn sie zur inneren Ausgeglichenheit führt, oder dieselbe eben nicht ins Wanken bringt. Dann fußt sie auf tiefem Grund. Im Zweifel, so denke ich, wäre das zu wählen, was dem am nächsten kommt. Wie groß die zu tolerierende Differenz hier ist, muss jeder selbst empfinden. Keinesfalls sollten nach dieser Überlegung jedoch die Folgen der Entscheidung das Handeln lenken, denn diese sind weder in Summe noch im Zeitablauf hinreichend zu kalkulieren (was sofort die Grenzen der beliebten Nutzenmatrix offenbart).

Eng verbunden damit, so meine Empfehlung, wäre die Prüffrage, wofür Sie morgens lieber, hoffentlich sogar unbedingt, gerne aufstehen möchten. Das ist kontrollierbar, alles andere nicht. Ein „Was wäre wenn“ stellt sich dann nicht mehr, denn es war damals so, ich war damals so, und nicht anders. Parallelleben sind Science Fiction. Morgen jedoch kann alles anders sein.

Anderson, C. J. (2003): The psychology of doing nothing: Forms of decision avoidance result from reason and emotion. Psychological Bulletin, 129: 139-167

Kahneman, D. (2012): Schnelles denken, langsames Denken, München (Tb 2016)

Verbruggen, M. / De Vos, A. (2019): When People Don’t Realize Their Career Desires: Toward a Theory of Career Inaction. In: Academy of Management Review, 1-49 (online first)