Dieser Beitrag ist Teil der Serie HR und Führung

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Bonuszahlungen – Vorab gewähren und bei Misserfolg wieder nehmen?
  2. Unethische Arbeitgeber – Folgen einer fragwürdigen Reputation
  3. Coaching in Organisationen – Fakten und Bewertung
  4. Auswahl von Führungskräften – Lücken im Lebenslauf kein Ausschlusskriterium
  5. Rekrutierung von Führungskräften – Was nützt hier Controlling?
  6. Die Crux der Leistungsbewertung
  7. Sabbaticals – Eine Studie zum Change der etwas anderen Art
Vorgesetzte betonen beständig, die Mitarbeitenden nach ihrer Leistung zu bewerten. Dies wird gemeinhin als legitim erlebt. An die Güte der Leistung werden materielle wie immaterielle Sanktionen geknüpft. Nachfolgend wird aufgezeigt, dass eine Leistungsbewertung bei allem redlichen Bemühen objektiver scheint, als sie tatsächlich ist. Schlussfolgerungen werden gezogen.

Martin Mecnarowski/Shutterstock

Organisationen sind als Kristallisationspunkt der Leistungsgesellschaft dem Leistungsprinzip verpflichtet. Diesem Prinzip wird durch Prozesse der Leistungsbewertung entsprochen. Die Leistungsbewertung ihrerseits tritt in Organisationen mit dem Anspruch auf Objektivität auf, um als legitim zu gelten. Erst dadurch werden das Verfahren wie die damit verbundenen Folgen als gerecht erlebt. Leadership Insiders holt Stimmen aus der Führungspraxis zur Leistungsbewertung ein und weist diesem Führungsinstrument seinen eigentlichen Platz zwischen postulierter Objektivität und befürchteter Willkür zu.

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Leistungsgesellschaft

Unsere Gesellschaft bezeichnet sich gerne selbst als eine Leistungsgesellschaft. Damit grenzt sie sich von Gesellschaften ab, die über Stand, Geburt, Rasse, Religion, Eigentum oder ähnliches den Zugang zu Positionen definieren, Funktionen zuweisen, Wertschätzung ausdrücken oder Einkommen ermöglichen. Neben unveräußerlichen Menschenrechten sowie gesetzlich geregelten Schutz-, Persönlichkeits- und Beteiligungsrechten bestimmen in einer Leistungsgesellschaft idealiter die Leistungsbefähigung und die Leistungsbereitschaft die individuelle Stellung in der Gesellschaft. Die Arbeit als Teilbereich der Gesellschaft ist dabei möglicherweise der Sektor, in dem das Leistungsprinzip am deutlichsten herausgestellt wird. Dies setzt, um die eigene Stellung am Arbeitsplatz (im Team) festzulegen, eine Leistungsbewertung voraus.

Die Funktionen einer Leistungsbewertung in Organisationen

Aus Organisationssicht ist die aggregierte Leistungsbewertung (1) Ausdruck der „Fitness“ der Organisation und dient (2) als ein im Hintergrund wirkendes Instrument zur Konformitätssicherung; aus Sicht des Individuums dient sie überdies (3) zur Orientierung über die eigene Leistungsfähigkeit im Rahmen der gestellten oder unterstellten Anforderungen, (4) als spezifischer Motivationsfaktor sowie (5) als Wahrscheinlichkeitsaussage über den dauerhaften Verbleib oder gar möglichen Aufstieg in der Organisation. Und nicht zu vergessen (6): Die Leistungsbewertung soll die in der Organisation herrschende Ordnung legitimieren, nicht zuletzt um den Arbeitsfrieden mit zu sichern.

Die Deklaration der Objektivität von Leistung

„Mein Vorgesetzter sagt: Jedes Jahr bewerte ich jedes Mitglied meines Teams nur nach Leistung. Jeder weiß das im Voraus. Das nenne ich Gerechtigkeit“.

Diesen Satz haben Sie so oder so ähnlich sicherlich schon einmal selbst gehört. Nicht selten wird er mit Inbrunst vorgetragen und ist in aller Regel ehrlich gemeint. Aus diesem Satz springt einem der Objektivitätsanspruch der Bewertung sofort ins Auge. Objektivität wird bei der Leistungsbewertung nicht als Luxus erlebt, sondern als Notwendigkeit, die vom Topmanagement ebenso wie von den zu Beurteilenden eingefordert wird. Denn vieles hängt von der Leistungsbewertung ab. Und nur was objektiv ist, erscheint auch gerecht.

Diese Form der unbekümmerten Verwendung des Leistungsbegriffs täuscht jedoch. Diese Täuschung fällt meistens erst dann auf, wenn man selbst darüber nachdenkt. Hat beispielsweise derjenige die beste Leistung erbracht, der den höchsten Umsatz in einem Jahr generiert hat, oder diejenige, die die beste Relation aus Umsatz/Zeit erreicht hat, oder vielleicht doch derjenige, der sein Leistungsvermögen am besten ausgenutzt hat, obgleich er absolut wie relativ nicht vorne liegt? Oder sind es gerade die nicht direkt sichtbaren Leistungen (wie z.B. die klug angelegten Vernetzungen), die wirklich zählen?

Praxiseinschätzungen zum Leistungsbegriff und zur Leistungsbewertung

Wenn ich in Weiterbildungsseminaren danach frage, was die gerechte Form der Verteilung – auch von Chancen – in Organisationen sei, bekomme ich immer die Antwort: Leistung. Wenn ich dann aber danach frage, was denn Leistung überhaupt sei und wie sie zu messen sei, auch, wo die Grenzen ihrer Aussagekraft liegen, setzt Nachdenklichkeit ein. Deshalb habe ich mir im Anschluss angewöhnt, sofern Leistung ein Thema ist, eine Aufgabe anzubieten:

Die Teilnehmenden mögen doch die oben zitierte Aussage eines Vorgesetzten, der im Voraus ankündigt, nur nach Leistung zu bewerten, nicht automatisch als gerechte Herangehensweise dem Einzelnen gegenüber ansehen, sondern kritisch bedenken. Nach kurzer Reflexionszeit ergeben sich in der Regel zahlreiche Antworten, die in ihrer Summe meistens eine realistische Einschätzung des Sachverhaltes beinhalten.

Danach kann (nicht nur) nach Auffassung der berufserfahrenen Studierenden nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die vorgesetztenseitige Deklaration, nur nach Leistung zu bewerten, zur Gerechtigkeit in der Mitarbeiterführung beiträgt. Dies, weil

  • Leistung verschiedene Ausprägungen kennt
  • Leistung gemessen werden muss und dazu Kriterien festgelegt werden müssen
  • Leistung auch relativ interpretiert werden kann
  • Leistung allein nicht den einzuhaltenden Arbeitskatalog widerspiegelt
  • Leistung mit den Folgen der Leistungserbringung (für andere) abzuwägen ist
  • eigene, nicht als Leistung definierte Aktivitäten messbare Leistungen bei anderen fördern
  • Leistung in der Bewertung vielfach subjektive Interpretationsspielräume besitzt
  • Leistungskriterien nicht zwingend vergleichbar/zueinander bilanzierbar sind –

bei der Person selbst und zwischen Personen

  • bereits die Festlegung von Zeitspannen zur Leistungsbewertung nicht objektiv begründbar ist
  • Leistung wahrgenommen werden muss und die Wahrnehmung verzerrt sein kann
  • Leistung auf Vorleistungen anderer aufbaut
  • Leistung durch parallele Aktivitäten anderer Personen berührt wird
  • Leistung durch nicht gleiche Arbeitsfelder/Kontexte/Umfelder beeinflusst wird
  • Gerechtigkeit nicht einseitig definiert werden kann, sondern eine soziale Dimension hat
  • Leistung aus ethischen Gründen nicht zu erbringen war.

Diese Auflistung mag noch ergänzt werden. Sie verdeutlicht aber schon sehr eindrücklich, warum der Leistungsbegriff im Abstrakten schillernder ist, als er im Alltagsgeschehen daherkommt.

Die Suche nach einem angemessenen Leistungsverständnis

Leistung ist also eine soziale Festlegung. Eine objektive Bestimmung ist nicht möglich. Vielmehr sind Vorannahmen zu treffen, das Leistungsverständnis ist zu definieren und es muss sich über Messkriterien verständigt werden. Auch sollte klar sein, welche Folgen sich aus der Leistungsbewertung ergeben. Diese reichen, wie es einige US-Konzerne praktizieren, von der automatischen Trennung von jenen 10% der Beschäftigten, deren Leistung als am geringsten bewertetet wurde, über die extremen Belohnungen der nach diesen Kriterien als Spitzenkräfte eingestuften Personen bis hin zur alleinigen Diskussion des Leistungsergebnisses im Sinne einer Optimierung des Arbeitsumfeldes, der Zusammenarbeit im Team und einer individuellen Entwicklungsplanung.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Orientierung am Leistungsbegriff und damit erforderliche Leistungsbewertungen sind tägliche Praxis nicht nur in Unternehmen, sondern grundsätzlich auch in Verwaltungen. Sie sind auch weder verwerflich noch per se kontraproduktiv. Allerdings sollte man wissen, dass die Leistungsbemessung nicht den objektiven Charakter besitzt, der ihr gerne zugeschrieben wird. Es ist letztendlich eine Setzung, empirisch betrachtet meistens eine einseitige, die nach Möglichkeit in eine beidseitige überführt werden sollte. Gelingt dies, dann ist der häufig mitschwingende Vorwurf der Willkür vom Tisch, die Legitimation erhöht und die individuelle Akzeptanz wahrscheinlich. Peter Schettgen hat, wie ich finde, ein für uns sehr schönes Schlusswort bereits vor mehr als zwanzig Jahren formuliert, das an Aktualität nichts eingebüßt hat (1996, S. 190. Hv. verändert):

„Was die Realität betrifft, so ist nur die Dominanz des Leistungsprinzips infrage zu stellen … Wie sollten Gesellschaften und ihre sozialen Institutionen ohne Leistungserbringung existieren können? Eine Gesellschaft, die auf das Leistungsprinzip völlig verzichtet, kann vermutlich mit gleichem Recht als “inhuman“ bezeichnet werden wie eine, die auf der bedingungslosen Durchsetzung dieses Prinzips besteht“.
Schettgen, P. (1996): Arbeit. Leistung. Lohn: Analyse- und Bewertungsmethoden aus sozioökonomischer Perspektive, Stuttgart

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