Wie erreichen Führungskräfte Spitzenleistungen? Eine gängige Antwort auf diese Frage lautet: Bonuszahlungen. Allerdings: Es gibt gute Gründe, diese Verfahrensweise zumindest zu hinterfragen. Auf diese kommen wir etwas später zu sprechen. Angesichts der enormen Praxisrelevanz dieses erhofften Motivationsinstrumentes wollen wir vielmehr auf eine verblüffende Frage eingehen, ob Bonuszahlungen schon vorab oder erst im Nachhinein gewährt werden sollen.
Bonuszahlungen als Motivationsinstrument
Betrieblichen Anreizsystemen wird in der Praxis noch immer eine überragende Bedeutung im Rahmen der Verhaltenssteuerung von Führungskräften und Mitarbeitern zugewiesen. Dahinter steht erkennbar die Annahme, dass eine arbeitsvertraglich definierte Verpflichtung zur Erbringung einer bestimmten Leistung, die mit einem fest vereinbarten Betrag abgegolten wird, alleine nicht ausreicht, um diese Leistung auch zu generieren – oder gar weitere Potenziale zu eröffnen.
Zugesprochen werden Anreizsystemen insbesondere vier Funktionen (vgl. Weibler 2016):
- Aktivierungsfunktion: Mit der Bereitstellung von Anreizen werden latent vorhandene Mitarbeitermotive aktiviert und somit für die Organisation nutzbar gemacht.
- Steuerungsfunktion: Anreize sind an die Erfüllung bestimmter organisationaler Ziele gebunden und steuern so individuelles Verhalten im Sinne der Organisation.
- Informationsfunktion: Anreize geben den Mitarbeitern Informationen darüber, welche Verhaltensweisen im Einklang mit der Organisationskultur stehen und positiv sanktioniert werden.
- Veränderungsfunktion: In Phasen eines organisationalen Wandelns können Anreize den Organisationsmitgliedern geänderte Anforderungen vermitteln.
Ökonomische Ansätze gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass zwischen oberstem Management und Führungskraft ein asymmetrisches Informationsverhältnis zugunsten der Führungskraft als Experten für die jeweilige Arbeitsaufgabe besteht. Da ökonomische Ansätze zudem davon ausgehen, dass Menschen egoistische Nutzenmaximierer sind, die alles unternehmen, ihren eigenen Vorteil zu erreichen, ohne die berechtigten Interessen anderer oder die der Organisation zu wahren, sollte die Situation so gestaltet werden, dass es für sie nützlicher ist, sich an getroffene Abmachungen zu halten, als sie zu hintergehen (Prinzipal-Agenten-Problem).
Wer sich in dieser Beschreibung wiederfindet, die im Übrigen alles Potenzial einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung in sich trägt, der wird Bonussysteme als das Natürlichste der Welt einstufen. Diejenigen, für die es eher selbstverständlich ist, eine erhaltene Leistung (Gehalt) mit einer entsprechenden Gegenleistung (bestmöglicher Einsatz, Loyalität etc.) zu beantworten, sind womöglich irritiert. Dies verweist dann auf die Ansicht, dass Motivation und Leistung auch ohne den Einsatz von „Zuckerbrot und Peitsche“ (Carrots and Sticks) zu erreichen sind. Als Kandidaten hierfür kämen in Frage: Sinnstiftende Arbeit, gerechte Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt auch das Vermeiden von Demotivation, also all dessen, was die natürliche Leistungsentfaltung verhindert.
Diametral entgegengesetzte Bonuslogiken
Dieser im Führungsprozess höchst wichtigen Menschenbildproblematik soll hier nicht vertieft nachgegangen werden. Stattdessen folgen wir der Logik von Bonussystemen und gehen folgender Frage nach:
Sollte die Leistung erst belohnt werden, wenn sie messbar erreicht ist, oder sollte der Bonus im Vorhinein für eine definierte Leistung gezahlt werden, dies dann allerdings verbunden mit der Verpflichtung, ihn entsprechend dem Grad der messbaren Zielverfehlung teilweise oder sogar ganz zurückzuzahlen?
Was würden Sie spontan wählen?
Das erste Verfahren steht für den Standard. Das zweite Verfahren erscheint hingegen ungewöhnlich und verwirrend. Nimmt man jedoch die nachfolgende Studie, die ich aus Illustrationsgründen ausgewählt habe, zur Kenntnis, dann wird es zu einer realen Option. Und ich erkläre auch, warum.
Zunächst sollten wir wissen, dass sich beim folgenden Feldexperiment im US-amerikanischen Erziehungssektor bewegt wird, der gerade in seiner öffentlichen Trägerschaft reich an Schwierigkeiten ist. Eines zeigen zahlreiche Studien, was den Erfolg von Erziehung angeht, dort aber sehr klar: „Good teachers matter“.
Das praktische Problem ist allerdings, dass exzellente Pädagogen im Vorhinein bislang nicht valide identifiziert werden können und Programme zur Verbesserung der didaktischen Qualität relativ bedeutungslos bleiben. Deshalb beschlossen Regierungen verschiedener Bundesstaaten, analog der Wirtschaft mit finanziellen Anreizen im Erziehungssektor zu arbeiten. Dies zeitigte jedoch wiederum bestenfalls ambivalente Ergebnisse. Was also tun?
Das zugehörige Bonus-Experiment
In diesem Bewusstsein stellte sich Harvard-Ökonom Roland G. Fryer Jr. mit einem Forscherteam der University of Chicago und der University of California in San Diego die Frage, warum finanzielle Anreize für Lehrerinnen und Lehrer bislang ineffektiv mit Blick auf Testleistungen von Schülern und Schülerinnen geblieben sind.
Das Forscherteam machte sich Laborerkenntnisse zur loss aversion zu Nutze, die sehr schön zeigen, dass bei gleichgroßer Betrachtungseinheit die Furcht vor Verlust stärker wirkt als die Hoffnung auf Gewinn, mitunter gar doppelt so stark (siehe Amos Tversky und Daniel Kahneman bereits 1992). Soll heißen: 1000 Euro zu verlieren (Ärger) ist durchschnittlich ein mächtigerer Antrieb als 1000 Euro zu gewinnen (Freude). Dieses standardökonomisch betrachtet irrationale Verhalten ist Ausfluss unserer Evolutionsgeschichte, dort wiederum höchst rational verankert und bis heute extrem wirksam.
Eingedenk dessen teilten die Forscher die studienbeteiligten Pädagogen (150) in zwei Gruppen ein und ordneten diesen anteilig rund 3.200 leistungsmäßig vergleichbare Schülerinnen und Schülern zu. Der einen Gruppe wurde dann sogleich (September) ein achtprozentiger Bonus (4.000 Dollar) zugeteilt. Für die andere Gruppe war hingegen dieser Bonus nur zu erreichen, wenn am Ende der Periode (Juni des Folgejahres) ein bestimmter Effekt erzielt wurde. Dieser hing von der relativen Position zu der Leistung einer Gruppe von Mitschülern ab. Je nach Differenz zum gesetzten Effekt war der Bonus auch anteilig zu ergattern, konnte aber bei kompletter Zielverfehlung ganz ausbleiben. Für den vorab gewährten Bonus, der am Ende den selben Verteilungsbedingungen unterlag, galt konsequenterweise, dass er teilweise oder ganz wieder zurückzuzahlen war und zwar in gestufter Abhängigkeit der ermittelten Differenz zu den durchschnittlichen Leistungsergebnissen der besagten Gruppe von nicht am Feldexperiment teilnehmenden Mitschülern (die Leistung wurde vorwiegend über einen Mathematik-Test erfasst). Wurden überdurchschnittliche Resultate erzielt, konnten beide Gruppen zudem noch weitere 4.000 Dollar Leistungsprämie (merit pay) erhalten.
Das Ergebnis war eindeutig. Nur in der Gruppe, die den Bonus vorab erhielt, waren statistisch signifikante Befunde zur Leistungsverbesserung feststellbar. Diese entsprachen einer Erhöhung der Lehrerqualifikation in der Höhe einer ganzen Standardabweichung. Dies ist im Übrigen ein Effekt, der, wie andere Studien zeigen, einer ungefähren Reduktion der Klassengröße um ein Drittel entsprechen könnte. Dieser Effekt war unabhängig davon, ob die individuelle Leistung des Pädagogen direkt in seine persönliche Auszahlungsmatrix einging oder zuvor einem kleineren, virtuellen Team von anderen Pädagogen, die ebenfalls am Experiment teilnahmen, zugeordnet wurde. Bei der letzten Variante wurde zunächst die Performance aller Pädagogen mit Blick auf deren Schülerinnen und Schüler ermittelt und anschließend gemittelt. Damit ging ein gleicher Auszahlungsbetrag an Lehrerinnen und Lehrer des Teams. Mit dieser Variante versuchte man zu prüfen, ob Wettbewerbsbedingungen unter den Pädagogen notwendig sind, um eine bessere Leistung zu erzielen. Sie waren es nicht!
Schattenseiten vorausgehender Bonuszahlungen
Wir sehen also, dass psychologische Gesetzmäßigkeiten zur Ausgestaltung von Bonussystemen genutzt werden können. Sicherlich besitzt auch diese Studie ihre Grenzen, was anderenorts bereits angemerkt wurde; ethische Grundsatzfragen treten hinzu. Ebenfalls liegt bislang auch noch keine gesicherte Datenbasis für eine Generalisierung im Erziehungsbereich oder für eine Übertragung auf den Wirtschaftssektor vor. Dennoch hat die Studie ein solides wissenschaftliches Fundament, was zu einer Erprobung in Organisationen begründeten Anlass gibt. Ein erstes Feldexperiment hat der an der obigen Studie beteiligte Forscher John List (2012) schon unternommen. Er wies nach, dass in einer chinesischen Manufaktur die Erhöhung der Teamproduktivität um 1% mit diesem Verfahren gelang. Wenig ist dies angesichts der Einfachheit des Vorgehens nicht. Zudem war die Wahrscheinlichkeit, dass das Vorab-Bonus-Team relativ besser als die Nachher-Bonusgruppe abschneidet, um 35% erhöht.
Allerdings ist die begrenzte Befundlage insgesamt noch nicht hinreichend klar. Dies gilt vordringlich für Anwendungen außerhalb des Labors. Es könnte einerseits sein, dass der Loss-Aversion-Effekt im Managementkontext sogar noch stärker wirkt, wenn statt Geld physische Boni gewährt werden (Chung 2015). Diese sind sichtbar und greifbar, signalisieren vielleicht gar Status. Zu diesen Objekten bauen Menschen gemeinhin eine intensivere „Beziehung“ auf als zum Geld. Entsprechend wird ein Verlust plastischer (siehe dazu Gill/Prowse 2012).Andererseits ist Vorsicht insofern geboten, als Führungskräfte die Rückzahlung möglicherweise als eine Strafe empfinden (manche sprechen hier von einem penalty contract versus einem bonus contract), was negativere Auswirkungen haben sollte als das Nicht-Erreichen einer Belohnung. Des Weiteren wird angeführt, dass Führungskräfte in Antizipation dessen eine vergleichsweise höhere Bonusausschüttung erwarten, um dieses relativ größere Leid zu kompensieren. Dies ließe den Produktivitätsgewinn wieder schwinden.
Nun, aber auch zu diesen Einwänden gibt es glatte Gegenbefunde (siehe de Quidt 2014; differenziert: Nosenzo 2016; Imas/Sadoff/Samek 2016). Meine Bewertung der Sachlage ist, Führungskräften eine Wahloption anzubieten und in der eigenen Organisation Erfahrungen damit zu machen. Dies schließt nicht nur den Ergebnisvergleich ein, sondern auch ein nachfolgendes Gespräch.
Was spricht dafür, Bonussysteme zu überwinden?
Natürlich bleiben Bonussysteme unabhängig von ihrer inzwischen unübersichtlichen Ausgestaltung (mit Ausnahmen) grundsätzlich problematisch (vgl. hierzu und im Folgenden Weibler 2016). Vernachlässigen wir hier beispielsweise den „Hamsterradeffekt“ sowie den „Gewöhnungs- bzw. Sättigungseffekt und damit auch den „Kostentreibereffekt“ und stellen den sog. Verdrängungs- bzw. Korrumpierungseffekt in den Mittelpunkt. Dieser besagt, dass unter angebbaren Bedingungen die extrinsische Motivierung (Bonuszahlung) zur Beeinträchtigung oder sogar zum dauerhaften Verlust der intrinsischen Motivation führen kann. Dies heißt nichts anderes, als dass ein von sich aus gern ausgeübtes Verhalten plötzlich nur noch gezeigt wird, wenn es honoriert wird. Geld würde so gesehen bestimmte Werte oder Leidenschaften korrumpieren. Soziale Systeme, die auf Solidarität und Kooperation angewiesen sind, könnten so relativ leicht destabilisiert ja sogar zerstört werden.
Diese Kritik scheint teilweise auch in der Praxis angekommen. So beabsichtigt die Robert Bosch GmbH, individuelle Boni bei der Zielerreichung zugunsten einer kollektiven Komponente aufzugeben oder Boni gar gänzlich abzuschaffen (vgl. Meck/Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.09.2015). Konzernchef Volkmar Denner erklärt diese Absicht folgendermaßen:
„Motivieren Sie Menschen nur über monetär bewertete Ziele, erhalten Sie am Ende nicht bessere, sondern sogar schlechtere Leistungen. Wir aber wollen Spitzenleistung. Deshalb schaffen wir diese Art von Bonus ab. Geld kann demotivierend wirken.“
In eine ähnlich radikale, prozedural aber andere Richtung gehen Überlegungen, Bonuszuteilungen den Führungskräften selbst in die Hand zu geben. Dies wäre eine Spielart dessen, was unter freier Gehaltswahl, Gehaltsdelegation oder Gehaltsdemokratie verstanden wird. Wer sich nicht mit diesen (derzeit sicher noch) exotischen Formen beschäftigen möchte, könnte als Führungskraft, die einen Bonus in ihrem Team zu verteilen hat, obigen Grundgedanken aufgreifen und dem Team die Verteilung überantworten. Der Führungskraft würde in diesem Modell die Entscheidung nur rückdelegiert, wenn kein Konsens zur Verteilung im Team – die entscheidende Bedingung – hergestellt wird. Selbstredend wäre sie zudem aufgefordert, die Verantwortung wieder an sich zu ziehen, falls Unfairness begründet vermutet würde. Dieses Modell ist bereits in einigen Unternehmen Realität, jedoch noch nicht systematisch untersucht. Anekdotisch wurden mir von Führungskräften gemischte Erfahrungen berichtet. Wie so oft, kommt es auf Voraussetzungen und Duchführungsmodi an. Sicher ist aber: Leadership probiert immer neue Wege, wesensbedingt!