Abgesehen von einigen Ausnahmen wie auf Leadership Insiders wurde bislang wenig darüber diskutiert, welche Wirkung eine gerechte, d.h. gleiche, Entlohnung der Geschlechter bei gleicher Arbeit entfaltet. Das Gefühl bzw. die Gewissheit, gerecht behandelt und entlohnt zu werden, ist nicht nur für die Motivation und Produktivität des Einzelnen von eminenter Bedeutung, sondern auch für auf Kooperation basierende Führungsbeziehungen und Teamleistungen (Weibler 2016a, b). Grund genug, mehr über den Zusammenhang zu erfahren und Gerechtigkeit bei der geschlechtsbezogenen Entlohnung zu befördern.
Gerechtigkeit als fundamentale Kategorie einer Zusammenarbeit
Wenige Kategorien und damit verbundene Ideale haben die Menschheitsgeschichte so geprägt wie die Gerechtigkeit und die stetige Suche nach ihr. Der auch an ethischen Fragen interessierte Wirtschaftswissenschaftler Hartmut Kreikebaum merkte in 2004 dazu an (Sp. 348):
„Gerechtigkeit bezeichnet in Philosophie und Religion eine als Lebensweisheit verstandene Haltung des Menschen, die als grundlegender Maßstab eines geordneten Zusammenlebens in der Gemeinschaft gilt“
Für Platon war in der Politeia die Tugend der „Gerechtigkeit“ jene Tugend, die anderen Tugenden zu Grunde liegt. Sie verkörperte dabei einen (Ideal-)Zustand, bei dem alles so ist, wie es sein soll. Eine hervorgehobene Bedeutung sieht auch Aristoteles, für den die Gerechtigkeit jene ganze Gutheit darstellt, „die die Handlungen und Verhaltensweisen der Person bündelt“ (Bedorf 2011, S. 23) und dabei immer auch den Anderen berücksichtigt. In seiner Nikomachischen Ethik forderte Aristoteles dann auch konsequenterweise, die Störung eines Gerechtigkeitszustandes zu beheben. Dies umfasst eine persönliche wie gemeinschaftliche (politische) Aufforderung zum Handeln. Lassen wir es bei diesen Vordenkern von Handlungsprinzipien unserer gegenwärtigen Gesellschaft bewenden.
Notwendigkeit und Fragilität von Kooperation
Alle sozialen Lebewesen sind definitionsgemäß kooperativ. Das Soziale ist ohne ein Mindestmaß an Kooperation einfach nicht denkbar. Auch wenn es nicht immer die bestimmende Form des Umgangs miteinander ist, würden ohne Kooperation jedenfalls zahlreiche Handlungen erschwert, teilweise verunmöglicht und vielfach nicht in einer an sich möglichen Ergebnisqualität ausgewiesen.
Kooperation wird im Allgemeinen als ein synergetischer Akt gemeinsamen Handelns verstanden. Menschen verhalten sich auf Dauer freiwillig kooperativ, wenn sie annehmen, dass auch ihr potentieller Kooperationspartner seinen Teil zum Gelingen der gemeinsamen Unternehmung leistet und sich mit dem gerechten Anteil am Ertrag begnügen wird (Gambetta 2000). Was als gerecht oder ungerecht empfunden wird, ist dann stark von der jeweiligen Kultur und Situation abhängig. Es gilt aber: Ohne positives Gerechtigkeitsempfinden keine freiwillige Kooperation.
Gut fährt man ohne besondere Kenntnisse des Gegenübers mit dem evolutionär verankerten Gerechtigkeitsprinzip, dass ein gleicher Ertrag für eine gleiche Arbeitsleistung erwartet wird, worauf bereits Verhaltensweisen bei anderen Primatenspezies hindeuten. Kapuzineraffen verweigern beispielsweise die Annahme von Essen, wenn ein anderer Affe für die gleiche Arbeit mehr oder besseres Essen erhält. Der weltberühmte Primatenforscher Frans de Waal demonstriert dies eindrücklich anhand eines einfachen Experiments (die Affen leben im Übrigen außerhalb in einem Gehege).
Ganz allgemein zeigen Studien, die maßgeblich von Sarah Brosnan an der Georgia State University begleitet wurden (http://www.sarah-brosnan.com/video/), dass nach anfänglich passivem Protest die betroffenen Affen zu aktivem Protest übergehen und die Teilnahme an der gemeinschaftlichen Arbeitsaufgabe gänzlich verweigern (Brosnan/De Waal 2003; de Waal/Davis 2003). Entscheidend ist hierbei der vom Affen betriebene Aufwand, denn wird ein anderer Affe unabhängig von vollbrachten Aufgaben besser gefüttert, bleiben passiver und aktiver Protest möglicherweise aus (Wolkenten u.a. 2007).
In freier Wildbahn sind die Erträge gemeinsamer Kooperation, wie bei der Jagd, nicht immer perfekt teilbar, trotzdem kommt es zu stabilen kooperativen Bündnissen zwischen einzelnen Affen, und zwar zwischen jenen, die den größeren Anteil einmal dem einen und das andere Mal dem anderen zugestehen (Brosnan u.a. 2006). Die gleiche Aversion gegen ungerechte Verteilung lässt sich nicht nur bei Schimpansen, den uns genetisch nächsten Menschenaffen, beobachten (Brosnan u.a. 2010), sondern auch schon beim Nachwuchs der Gattung Homo Sapiens. Bereits 16 Monate alte Kleinkinder achten darauf, ob Ressourcen gleich verteilt werden (Schmidt/Sommerville 2011). Mit vier Jahren zeigen Kinder negative emotionale Reaktion, wenn sie weniger als eine andere Person erhalten (Blake/McAuliffe 2011). Im Alter von sechs bis acht Jahren präferieren Kinder eine gleiche Verteilung selbst dann, wenn sie mehr als die anderen haben könnten (Shaw/Olson 2012). In diesem Alter beginnen Kinder ebenfalls einen leistungsbezogenen Gerechtigkeitssinn zu entwickeln und Ausnahmen vom Ideal der Gleichverteilung zu machen. Dies dann, wenn eine Person mehr Arbeit als eine andere in die Erlangung des gemeinsamen Ertrages investiert. Engagieren sich beide Parteien hingegen gleich viel, präferieren Kinder, genauso wie später Erwachsene auch, in der Regel eine gleiche Verteilung (Sigelman/Waitzman 1991).
Im Einklang mit den zuvor dargestellten Überlegungen unterstützt eine Vielzahl empirischer verhaltensökonomischer Studien – um sich nun wieder dem Arbeitsalltag zu nähern, dass eine kooperative Lösung zumindest am Anfang mehrheitlich das bevorzugte Verhalten zwischen auch sich zuvor unbekannten Personen ist (vgl. Fischbacher/Gächter/Fehr 2001), insbesondere wenn die Zusammenarbeit auf Dauer angelegt und die Verhaltensweisen transparent sind. Personen, die sich unkooperativ verhalten, werden nach Möglichkeit sanktioniert, und zwar selbst dann, wenn die Sanktionierenden nicht von der Auswirkung eines egoistischen Verhaltens betroffen sind.
Warum kooperieren Frauen im Arbeitsalltag trotz ungerechter Entlohnung?
Kann aus den erwähnten Primaten- und Kleinkindstudien geschlossen werden, dass erwachsene Frauen mit der Einführung von Lohntransparenz plötzlich aufhören werden, mit ihren männlichen Kollegen auf gleicher Hierarchiestufe zu kooperieren, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen? Es ist hier, wie früher bereits angemerkt, anzunehmen (Lohngerechtigkeit durch Transparenz), dass die beobachtbaren Effekte sich in Grenzen halten werden. Hierfür gibt es mehrere Gründe:
- Eine bewusst oder unbewusst sich aus dem Sozialisationsprozess entwickelnde Gewöhnung an eine begrenzt verwirklichte Chancengleichheit. Sie hat vielfach einen Toleranzrahmen zur Folge, der erst bei extremen Kräften gesprengt wird.
- Eine Bezahlung ist zunächst nur ein Teilaspekt der Kooperationsentscheidung in Organisationen (insoweit sie nicht eine symptomatische Begebenheit ist oder zu einem Symbol für Ungerechtigkeit an sich wird).
- In Organisationen besitzen Vorgesetzte Sanktionsmöglichkeiten, die eine sichtbare Arbeitsverweigerung zur Abstimmung etc. unterbinden.
- Eine Abwanderung setzt erst einmal eine (zumal gerechtere) Alternative voraus.
- Männlichen Kollegen auf gleicher Stufe wird keine individuelle Schuld an der weitflächig ungerechten Lohnverteilung zugesprochen. Damit würde eine Kooperationsverweigerung als illegitim empfunden.
- Und natürlich ein zu unterstellendes Verantwortungsbewusstsein mit Fähigkeit zur Beurteilung von Gegebenheiten.
Sehr wohl werden sich viele Frauen aber, die verhältnismäßig schlechter für Gleiches bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, durch mehr Transparenz in ihrer sicherlich schon länger gehegten Vermutung ungerecht behandelt zu werden, bestätigt fühlen und – ausgestattet mit besseren Informationen – gezielter handeln können.
Lohntransparenz und Gütesiegel
Wird also alles beim Alten bleiben? Verdienen Frauen in vergleichbaren Situationen auch künftig weniger? Wir denken: Ja und nein. Das Gesetzesvorhaben zur Lohntransparenz wird Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern fördern, doch ohne Weiteres ungerechtfertigte Differenzen auch nicht sämtlich und schon gar nicht sofort wegwischen können. In der momentan vorgesehenen Form würde der Staat die Herkulesaufgabe weiterhin den betroffenen Frauen aufbürden. Denn diese werden außerhalb der Tarifzonen gezwungen sein, ihr Anrecht auf gerechte Bezahlung entweder durch individuelle (zusätzliche) Lohnverhandlungen oder Klagen allein zu erstreiten. Im Hinblick auf die Entwicklungen und Errungenschaften in anderen Ländern mit Lohntransparenz, wie Österreich, Belgien, Norwegen oder Schweden (Eurostat 2016), ist so ein nur verhaltener Optimismus angebracht.
Nach wie vor fehlt es an hinreichenden Bedingungen, um das geschlechterspezifische Lohngefälle nachhaltig zu beseitigen. Paradoxerweise muss es bei den Organisationen, die sich nicht aus eigener Überzeugung oder aus Furcht vor enttäuschten weiblichen Führungskräften zum Handeln bereitfinden, ohne weitere Vorgaben wohl der Markt anstelle des Staates richten.
Es bleibt daher zu hoffen, dass Nichtregierungsinitiativen, wie etwa die Stiftung Equal Salary aus der Schweiz, auch hierzulande Schule machen werden (http://www.equalsalary.org/de/). Equal Salary stellt Zertifikate für Unternehmen zum Nachweis der Einhaltung der Lohngleichheit zwischen Frau und Mann aus. Die Idee dahinter ist, dass Universitätsabsolventinnen sowie auch Frauen, die ihren Arbeitgeber wechseln, bewusst nach Organisationen mit entsprechenden Zertifikaten auf deren Homepages Ausschau halten werden. Diese Unternehmen sind bei sonst gleichen Bedingungen offensichtlich attraktiver, haben bei Abwägungsprozessen zumindest schon einmal einen Trumpf sichtbar auf den Tisch gelegt. Dadurch wiederum steigt ihre Attraktivität, nicht zuletzt auch, weil vermutlich weitere positive – nicht nur personalpolitische – Assoziationen mit dieser Maßnahme einhergehen. So könnte aus dem Wertekampf um die Gewinnung und den Verbleib insbesondere hochqualifizierter weiblicher Führungskräfte eine Sogwirkung der Art entstehen, dass die Unternehmen mehrheitlich danach streben, mit entsprechenden Zertifikaten (Gütesiegeln) ausgestattet zu werden, und der Gender Pay Gap sich auf diese Weise langsam aber stetig schließt.