Ehrlichkeit gilt gemeinhin als ein Attribut, durch welches sich erfolgreiche Führungskräfte auszeichnen. Unter bestimmten Bedingungen kann allerdings auch das Gegenteil der Fall sein, dass nämlich Geführte vorzugsweise Führenden folgen, die kontinuierlich lügen und betrügen. Wahrscheinlich wird dies vor allem dann, wenn soziale Spaltungstendenzen fortschreiten, sich damit ein Gefühl des „Wir“ gegen „die Anderen“ ausbreitet und die Überzeugung vorherrscht, den „Gegner“ bekämpfen und besiegen zu müssen – eben auch mit dem Mittel der Lüge.

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Die Annahme, dass erfolgreiche Führung auch und gerade auf einem moralischen Sein und Tun der Führenden fußt, ist in der Führungsforschung gleichermaßen vorherrschend wie in unserem Alltagsverständnis von Führung. Gleichzeitig fällt es immer schwerer, die Augen vor dem empirischen Umstand zu verschließen, dass erfolgreich Führende allzu oft alles andere als moralische Charaktere zu sein scheinen, da so manche ihrer Führungsaktivitäten in ethischer Hinsicht irgendwo zwischen fragwürdig und verwerflich anzusiedeln sind. Nicht zuletzt mit Blick auf die jüngere Vergangenheit der politischen Führung in den Vereinigten Staaten haben die US-Forscherinnen Elizabeth Huppert und Emma Levine jüngst einen konzeptionellen Entwurf vorgelegt, der neben unseren eigenen Überlegungen zu einem Bad Leadership zu erklären sucht, wann und warum unehrliche Personen nicht nur in der Politik, sondern auch in Wirtschaft und Unternehmen bis in höchste Führungspositionen aufzusteigen vermögen. Leadership Insiders zeichnet diese Überlegungen nach und ordnet sie ein.

Das „We-They-Feeling“ – der ideale Nährboden für ein Dishonest Leadership

Huppert und Levine (2023) – sie arbeiten an der Northwestern University und der University of Chicago – verfolgen in ihrer Arbeit einen situativen Ansatz, das heißt sie erklären den Aufstieg und Erfolg verlogener Führungskräfte als Folge bestimmter förderlicher Rahmenbedingungen. Im Fokus sehen sie dabei das sogenannte „We-They-Feeling“, das in der Führungsforschung auch unter den Stichworten Intergruppen-Konflikt bzw. „In-Group“ vs. „Out-Group“ seit längerem bekannt ist und beforscht wird (s. dazu Weibler 2023). Als Trigger hierfür gelten – je nach Betrachtungsebene – folgende Entwicklungen:

  • Intensivierung des internen Wettbewerbs – einerseits für Individuen, bspw. um prinzipiell begrenzte Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten, andererseits für Teams, etwa um wichtige Budgets und knappe Ressourcen.
  • Intensivierung des interorganisatorischen (globalen) Wettbewerbs, bspw. zwischen konkurrierenden Unternehmen auf umkämpften Märkten, wo es durchaus um das eigene „Überleben“ als Institution oder auch „nur“ als Standort gehen kann.
  • Sich vertiefende soziale Spaltungen und daraus resultierende Polarisierungen innerhalb von Gesellschaften, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten infolge einer zunehmend ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung, einer steigenden Migration wie auch weiterer Entwicklungen (z.B. Social Media) in zahlreichen Nationen ergeben haben und hier allzu häufig das Gefühl befördern, dass ein – wie auch immer gedachtes – „Wir“ einem abgrenzbaren „Ihr“ gegenübersteht, dem man nicht nur konkurrierend, sondern nicht selten auch ablehnend oder gar feindselig begegnet.

Befördert wird dieser Siegeszug eines daraus entstehenden Dishonest Leadership nach Ansicht der Autorinnen durch ein allgemeines Denken in Nullsummenspielen. Das heißt, es herrscht die Überzeugung vor, dass eigener Erfolg nur möglich ist, wenn die anderen scheitern und verlieren. Umgekehrt bedeutet dies: Gewinnen die „anderen“, dann sind „wir“ der Verlierer – was leicht nachvollziehbar als unbehaglich, bedrohlich oder regelrecht beängstigend empfunden wird. Resultat dessen ist das ausgeprägte Bedürfnis nach möglichst baldigem Sieg der eigenen Gruppe über die konkurrierende Gruppe, um von den genannten negativen Gefühlen schnell befreitet zu werden. Um diesen baldigen Sieg zu erringen, wird der eigenen Führung der Einsatz eines jeden erfolgversprechenden Mittels zugestanden, so eben auch Täuschung, Lug und Trug, Desinformation, geschickte Winkelzüge und „Fake News“ – dies dann auch hinterlegt mit der externen, im Politischen teils auch medial befeuerten und/oder nach innen selbstrechtfertigenden Überzeugung, dass „die Anderen“ die gleichen Mittel einsetzen. 

Unehrlichkeit als Ausdruck von Fürsorge und Kompetenz

Die Trias aus Ehrlichkeit, Fürsorge (Care) und Kompetenz auf Seiten des Führenden wird üblicherweise als eine wesentliche Grundlage für eine vertrauensvolle Führungsbeziehung und damit auch erfolgreiche Führung angesehen. Unter den oben genannten „besonderen“ Bedingungen wird diese „Dreiheit“ nun allerdings aufgebrochen und unter Einbezug eines unehrlichen Führenden wie folgt reinterpretiert:

  • Unehrlichkeit signalisiert Fürsorge: Dieses Phänomen kennen wir bereits unter dem Signum des „prosozialen Lügens“, so etwa bei negativen Feedbacks, die wir positiv einfärben, oder bei der Übermittlung von schlechten Nachrichten, die wir fürs Erste nur teilweise preisgeben – einfach aus Rücksichtnahme auf die Gefühle des Gegenübers. Im Falle eines Konflikts mit einer anderen Gruppe zeigt sich die Fürsorglichkeit gegenüber der eigenen Gruppe im Besonderen in der Bereitschaft des Führenden, unaufrichtig und unehrlich zu agieren, um die Anderen so zu täuschen und zu Gunsten der eigenen Gruppe zu überlisten und zu übervorteilen.
  • Unehrlichkeit signalisiert Kompetenz: Dieses Phänomen kennen wir bereits aus Bereichen wie Verkauf, Werbung oder Banking, wo Mitarbeitende, die Kunden durch selektive „Informierung“, geschickte Überredung, kluge Täuschung und ähnliche Winkelzügen dazu bringen, Geschäfte zu tätigen, die möglicherweise nicht ganz in derem Sinne sind, der eigenen Organisation in jedem Falle aber höhere Gewinne verheißen – weshalb derlei Mitarbeiter als höchst kompetent in ihrer Funktion erachtet werden. Im Intergruppen-Konflikt zeigt sich solche Kompetenz im Besonderen darin, dass tatsächlich überaus klug und geschickt gelogen wird, da der andere fehlt geht und der eigene Erfolg maximal gesteigert wird.

Es zeigt sich damit, dass Unehrlichkeit unter bestimmten Bedingungen als Ausdruck einer gruppenspezifischen Fürsorge und funktionalen Kompetenz des oder der Führenden gewertet werden kann. Konkreter gesprochen: Raffiniert gestreute Fake News und Desinformationen, geschickte Winkelzüge und ein gekonntes an der Nase herumführen als Mittel, um der „Out-Group“ bei gedachten Nullsummenspielen zu schaden und der „In-Group“ zu nutzen, wird von Geführten als Ausdruck von Führungskompetenz wie auch einer auf die eigene Gruppe bezogenen Fürsorglichkeit des Führenden wertgeschätzt und mit einer besonderen Gefolgschaftsbereitschaft goutiert. Umgekehrt: Wenn Gruppen sich in einem Nullsummenspiel konkurrierend gegenüberstehen, dürften Führende, welche der „In-Group“ aus Gründen der Ehrlichkeit Schaden zufügen, nicht ohne Weiteres auf Verständnis stoßen.

Dieser Gesamtzusammenhang lässt sich wie folgt übersichtlich darstellen:

(Quelle: Huppert/Levine 2023, eigene Übersetzung)

Perspektiven zur Förderung eines Honest Leadership

Ein Dishonest Leadership ist nach Ansicht der Autorinnen nun allerdings nicht nur problematisch, weil eigener Erfolg stets nur auf Kosten anderer realisiert werden kann und in übergeordneten Zusammenhängen also systematisch „win-lose“-Situationen erzeugt werden. Darüber hinaus kann sich eine solche Führung auch negativ auf die eigene Gruppe auswirken – und zwar vor allem langfristig durch die Beschädigung der Glaubwürdigkeit der Gruppe, was die Beziehungen zu weiteren Gruppen dauerhaft erschweren und belasten dürfte. Um dem insgesamt gefährlichen Trend hin zu einem Dishonest Leadership in der Praxis zu begegnen und Perspektiven für ein Honest Leadership zu eröffnen, geben die Autorinnen insbesondere zweierlei Empfehlungen:

  • Langfristigkeit des Denkens befördern, d.h. verdeutlichen, dass In-Group-Gewinne heute In-Group-Verluste in der Zukunft bedingen.
  • Denken in Nullsummenspielen begrenzen, d.h. weniger auf Konkurrenz und Wettbewerb abstellen, vielmehr Kooperation und Gemeinsamkeit in Sinne von „win-win“-Konstellationen herausstellen.

Diese Vorschläge erscheinen nun allerdings etwas wohlfeil eingedenk dessen, dass das Kind hier wohl schon seit längerem in den Brunnen gefallen ist, sprich: im Zuge der auf die Spitze getriebenen neoliberalen Durchgestaltung unserer (westlichen) Gesellschaften sind wettbewerbs- und eigennutzorientierte Denkweisen schon tief ins Alltagsbewusstsein eingedrungen, soziale Spaltungs- und Polarisierungsprozesse bereits weit fortgeschritten und Intergruppen-Konflikte bzw. Gefühle eines „Wir“ versus „Ihr“ mittlerweile fast schon prägend für unser Gemeinwesen. Das heißt nicht, dass wir dem Realphänomen des Dishonest Leadership nicht begegnen sollten – sondern nur, dass dies mittels einiger einfacher Nachjustierungen kaum möglich sein dürfte.

Und eine Bedeutsamkeit bleibt in der Arbeit von Elizabeth Huppert und Emma Levine gänzlich außen vor – nämlich die Einsicht, dass ein Dishonest Leadership nicht nur durch situative Faktoren hervorgerufen wird, sondern in evidenter Weise auch personal befeuert wird – nämlich durch Bad Leader, die aus eigennützigen Gründen heraus nicht nur latente Gefühle einer Distinktheit zwischen „Uns“ und „den Anderen“ aufgreifen, gezielt schüren und so manifest werden lassen, sondern – schlimmer noch – bestimmte Gruppen und ausgleichende Institutionen zum Sündenbock für empfundene Missstände stempeln und dadurch ein soziales Klima schaffen, in der mehr als „nur“ Lügen wachsen und gedeihen können (vgl. hierzu auch Riggio 2017, S. 77f).

Huppert, E./Levine, E. (2023): The rise of dishonest leaders: Causes and solutions. In: Academy of Management Perspectives, https://doi.org/10.5465/amp.2021.0063

Kuhn, T./Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Riggio, R.E. (2017): Power, persuasion, and bad leadership. In: Fitzduff, M. (Hrsg.): Why irrational politics appeals, Santa Barbara/Denver, S. 71-85

Weibler, J. (2023): Personalführung, 4. Auflage, München