Und jährlich warnt das Murmeltier. Ein Kommentar zur aktuellen Gallup Studie aus Sicht der Bad Leadership-Forschung

„Wechselbereitschaft erreicht Rekordhoch, Zahl der inneren Kündiger steigt“ – so das Kernergebnis der neusten Gallup Studie. Um diesem sich seit Jahren verschärfenden Trend zu begegnen, wird seitens der Verfasser vor allem ein „Hebel“ als besonders wirkungsvoll erachtet: Gute Führung! Warum aber wird die Führung eingedenk des kontinuierlichen und kostentreibenden Verlustes an Mitarbeiterbindung und -engagement nicht wirklich besser? Unter Rückgriff auf die Bad Leadership-Forschung beleuchtet Leadership Insiders, warum gute Führung zwar regelmäßig gefordert, schlechte Führung hingegen vielfach gefördert wird.

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Die Gallup Organization ist ein forschungsbasiertes Beratungsunternehmen und führt unter dem Signum „Engagement Index Deutschland“ seit 2001 jährliche Umfragen zum Motivationsstand der hiesig Beschäftigten durch. In der neusten Studie vermeldet Gallup (2024) zum wiederholten Male Rekordzahlen – allerdings negativer Natur, nämlich was die Zahl der inneren Kündigungen wie auch die Wechselbereitschaft der Mitarbeitenden betrifft. Leadership Insiders referiert die zentralen Ergebnisse und Forderungen dieser Studie und kommentiert sie aus Sicht der Bad Leadership-Forschung.

Das Problem: Geringe Bindung, wenig Engagement, enorme Kosten!

„Wechselbereitschaft erreicht Rekordhoch“ – so die erste Keymessage der aktuellen Gallup-Studie. Demnach sind 45 % der Beschäftigten hierzulande (aktiv) auf Jobsuche oder zumindest (passiv) offen für eine neue berufliche Aufgabe. Das ist nochmals ein Plus von 3 % gegenüber dem Vorjahr und, wie gesagt, der höchste hier je gemessene Wert. Die hohe Wechselbereitschaft resultiert dabei zum einen aus einer – trotz aller globalen Konflikte und gesellschaftlichen Krisentendenzen – überaus positiven Einschätzung des Arbeitsmarktes, auf dem viele für sich persönlich gute Chancen sehen. Sie erklärt sich zum anderen aber auch durch eine kontinuierlich abnehmende emotionale Bindung der Mitarbeitenden an „ihr“ Unternehmen. So bejahten nur noch 53 % der Arbeitnehmenden die Frage, ob sie auch in einem Jahr noch in ihrem derzeitigen Unternehmen tätig sein wollen. Also kaum mehr als die Hälfte! Zum Vergleich: In 2018 waren dies noch satte 78 %. Und die perspektivische Anschlussfrage, ob sie auch in drei Jahren hier noch gerne tätig sein würden, wollten nur noch 40 % der Befragten positiv beantworten. Kurzum: Fluktuation könnte das Personalmanagement-Thema der Zukunft werden, was betriebswirtschaftlich mit der Erkenntnis hinterlegt werden kann, dass „die Fluktuationskosten pro Mitarbeitenden (durchschnittlich) das Doppelte der reinen Gehalts- und Nebenkosten eines Jahres (betragen)“ (Gallup 2024, S. 2). Und da die Arbeitsmarktchancen kaum beeinflussbar sein dürften, ist es vor allem die emotionale Bindung der Mitarbeitenden, die unternehmensspezifisch besehen über eine hohe oder niedrige Fluktuationsrate entscheidet und der rein kalkulativen Bindung, die situationsabhängig immer anders ausfallen kann, überlegen ist .

Ein zweites Grundproblem sieht die Studie in der inneren Kündigung der Beschäftigten, die aktuell zwar nicht auf Rekordniveau ist, deren Rate zuletzt aber wieder deutlich steigt – von 14 % in 2021, über 18 % in 2022, auf nunmehr 19 % in 2023. Innere Kündigung bestärkt dabei einerseits natürlich die Wechselbereitschaft, bewirkt mit Blick auf diejenigen, die letztlich nicht wechseln wollen oder können, andererseits aber auch eine Abnahme der Leistungsbereitschaft, welche natürlich von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich stark ausfallen kann, deren volkswirtschaftliche Gesamtkosten sich gemäß der Gallup Studie gleichwohl auf 132,6 bis 167,2 Milliarden Euro p.a. belaufen. Und auch hier ist natürlich auf die (negative) Kausalität zu verweisen: Je höher die emotionale Bindung der Mitarbeitenden, desto geringer ist die Rate der innerlich Gekündigten – und umgekehrt!

Die Lösung: Gute Führung!

Das Sein oder Nichtsein einer hohen emotionalen Bindung der Mitarbeitenden an ihr Unternehmen könnte so gesehen zukünftig ein zentraler Faktor für den Erfolg oder Misserfolg von Organisationen sein. Handlungsbezogen stellt sich damit die Frage, wie sich der Erfolgsfaktor „emotionale Bindung“ ursächlich erklären lässt: Was stärkt die emotionale Bindung? Und was schwächt sie? Die Antwort der Gallup Studie ist hier eindeutig: Eine hohe emotionale Bindung ist das Resultat eines durch „gute Führung“ geprägten Arbeitsumfeldes, wobei gute Führung durch folgende Verhaltensweisen von Vorgesetzten näher bestimmt wird (Gallup 2024, S. 7):

„Vorgesetzte, die beispielhaft führen, klären Erwartungen, fragen nach Meinungen, hören zu, definieren gemeinsam mit den Mitarbeitenden klare und erreichbare Ziele, setzen Prioritäten, stecken Verantwortlichkeiten ab und sorgen dafür, dass alles Nötige für effektives und effizientes Arbeiten vorhanden ist. (…) Gute Führung orientiert sich stets am Menschen.“

Tatsächlich besorgniserregend erscheint vor diesem Hintergrund der empirische Befund, dass lediglich 14 % der Befragten eine solche Führung für ihr Arbeitsumfeld bestätigen können. Im Umkehrschluss kann also davon ausgegangen werden, dass 86 % der Beschäftigten tagtäglich keine allzu gute Führung erleben – um nicht zu sagen, schlechter Führung ausgesetzt sind. Eingedenk dessen stellt die Gallup Studie (2024, S. 7) resümierend fest:

„Die Daten zeigen, dass sich zu wenige Vorgesetzte bewusst mit Führung auseinandersetzen. Fachliche Kenntnisse sind das eine – Führungsqualitäten das andere. Die gute Nachricht: Gute Führung ist erlernbar.“

Schlechte Führung – Folgewirkung eines Nicht-Könnens oder eines Nicht-Dürfens?

Die Gallup Studie schiebt den schwarzen Peter damit relativ eindeutig den Führungskräften aller Ebenen zu. Motto: Sie „können“ gute Führung einfach nicht – und müssen es folglich lernen (Anbieter von Führungskräfte-Schulungen dürften angesichts dieser These frohlocken, denn ihre Auftragsbücher sollten im Handumdrehen übervoll sein). Allerdings: Das evidente und fast schon omnipräsente Defizit an guter Führung lässt sich auch (ergänzend) anders erklären, nämlich als Folge eines situativ determinierten „Nicht-Dürfens“. Differenzierter gesprochen meint dies: Führungskräfte sind vielleicht weit häufiger befähigt, „gut“ im vorgestellten Sinne zu führen, als es die Gallup Studie nahelegt. Tatsächlich ist es ihnen in ihrem Arbeitsumfeld häufig jedoch schlicht nicht möglich, gut zu führen, da die organisationalen Strukturen und Kulturen dem entgegenstehen und eher als „Leitplanken“ für eine schlechte Führung fungieren (vgl. dazu ausführlich: Kuhn/Weibler 2020). Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:

  • Gute Führung ist gemäß Gallup eine Führung, die Erwartungen klärt, nach Meinungen fragt, dem Mitarbeitenden zuhört, kurzum: stark dialogisch und konsensorientiert angelegt ist – und damit unweigerlich eines benötigt: viel Zeit! Aber genau die haben bzw. bekommen Führungskräfte in zahlreichen Unternehmen nicht bzw. immer weniger. Denn im Zuge eines steigenden Erfolgs- und Leistungsdrucks steigt auch der Zeitdruck, der auf der einzelnen Führungskraft lastet – mit dem Ergebnis, dass sie womöglich sehr gut führen könnte, die Situation dies jedoch praktisch verunmöglicht. Bestätigung findet diese These in zahlreichen Arbeiten, so beispielsweise in einer Untersuchung von Sherf u. a. (2019), die unter dem bezeichnenden Titel „Too busy to be fair“ zeigt, dass Führende oftmals schlicht nicht über die Kapazitäten und Ressourcen verfügen, um gut und gerecht zu führen. Anschlussfähig ist hier auch eine Studie von Byrne und Kollegen (2014), die zeigt, dass Führungskräfte aufgrund der situativen An- bzw. Überforderungen oftmals schon derartig erschöpft und ausgezehrt sind, dass ihre vormals gute Führung sukzessive einer schlechten Führung (z.B. feindlich-aggressive Verhaltensweisen) weicht.
  • Gute Führung ist gemäß Gallup zudem auch dadurch gekennzeichnet, dass sie klare und erreichbare Ziele setzt, was beinhaltet, dass sie auch dafür sorgt, dass alles Nötige zur Erreichung dieser Ziele vorhanden ist. Auf eine verbreitete Praxisferne dieser (Ideal-)Vorstellung verweisen die vielfältigen Untersuchungen über eine sog. „Dark Side of Goalsetting“ (Welsh/Ordòñez 2014; Weibler/Thielmann 2018), die zeigen, dass den Führenden – und damit auch deren Mitarbeitenden – häufig aggressive und überfordernde Leistungsziele vorgegeben werden (sog. „Goal-Stretching“), wobei ihnen auch signalisiert wird, dass es weniger wichtiger sei, wie diese Ziele erreicht werden, sondern dass sie erreicht werden – womit Stress, Selbstausbeutung, unmoralische Copingstrategien u. ä. präjudiziert werden und gute Führung im benannten Sinne wiederum in weite Ferne rückt.

Fazit

Diese Beispiele demonstrieren, dass neben dem zielorientierten In-Bewegung-Setzen der Kerngedanke einer guten Führung, nämlich deren strikte Orientierung am Menschen, immer dann praxisfern wird, wenn die Strukturen und Kulturen einer Organisation sich vornehmlich an gänzlich anderem orientieren, nämlich an (kurzfristigen) Gewinn- oder Renditesteigerungen, gerne begleitet durch nur daran orientierte interne Wettbewerbe um begehrte Positionen. Von daher erscheint es uns gefährlich eindimensional, die weitgehende Absenz guter Führung in zahlreichen Organisationen ungeprüft und ausschließlich auf eine fehlende Führungsqualität der Vorgesetzen zurückzuführen. Vielmehr gilt es immer auch zu fragen, ob bzw. inwieweit eine schlechte Führung und damit einhergehend eine geringe emotionale Bindung der Mitarbeitenden nicht auch organisationalen Strukturen und Kulturen geschuldet sind, die einer guten Führung durch den direkten Vorgesetzten machtvoll entgegenstehen. Dort, wo dies der Fall sein sollte, dürfte die Empfehlung der Gallup Studie, Führungskräften gute Führung mittels entsprechender Entwicklungsmaßnahmen „beizubringen“, ziemlich verfehlt und aussichtslos sein. Denn in all diesen Fällen ist es zuvorderst geboten, das Arbeitsumfeld für Führende so zu modifizieren, dass sie gute Führung tatsächlich auch praktizieren können. Dies verweist zweifellos auf ein sehr anspruchsvolles Vorhaben, welches eingedenk des mittlerweile dramatischen Verlustes an emotionaler Bindung innerhalb von Organisationen gleichwohl der Anstrengung wert sein dürfte.

Byrne, A./Dionisi, A.M./Barling, J. et al. (2014): The depleted leader: The infuence of leaders deminished psychological ressources on leadership behaviors. In: The Leadership Quarterly, 25(2), S. 344-357

Gallup (2024): Engagement Index Deutschland 2023 (https://www.gallup.com/de/472028/bericht-zum-engagement-index-deutschland-2023.aspx; zugegriffen am 28.03.2024)

Kuhn, T./Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München

Sherf, E.N./Venkataramani, V./Gajendran, R.S. (2019): Too busy to be fair? The effect of workload and rewards on managers‘ justice rule adherence. In: Academy of Management Journal, 62(2), S. 469-502

Weibler, J./Thielemann, U. (2018): Vom gewohnten Goal-Setting zum radikalen Goal Stretching. Auf: Leadership Insiders (https://www.leadership-insiders.de/vom-gewohnten-goal-setting-zum-radikalen-goal-stretching-teil-ii/)