Beim New Work dreht es sich im Kern um die Frage, was man wirklich, wirklich will. Damit ist die Leidenschaft („Passion“) auf den Plan gerufen. Wir geben einen kompakten theoretischen Einstieg in das Thema und liefern empirische Befunde zur Beschreibung der Arbeitswelt von heute. Und wir zeigen, wie Führungskräfte damit umgehen können.

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Der geistige Urvater der New Work Bewegung, Frithjof Bergmann, fordert Arbeit, die nicht länger eine „Armut der Begierde“ hervorbringt. Menschen sollten vielmehr in ihrer Berufsausübung das tun können, was sie „wirklich, wirklich wollen“. Das ist nicht weniger als ein Plädoyer für (mehr) Leidenschaft. Doch ganz so einfach ist das nicht. Denn Leidenschaft ist ein reichhaltiges Konzept. Und: Leidenschaft ist nicht gleich Leidenschaft. Anlass genug, um nachfolgend auf Basis wissenschaftlicher Befunde zu klären, worauf es ankommt. Was macht Leidenschaft aus? Welche Wirkungen sind bereits belegt? Was bedeutet das für New Leadership und verantwortungsbewusste Führungskräfte?

New Work und Leidenschaft

Frithjof Bergmann, österreichisch-amerikanischer Sozialphilosoph, gilt als  geistiger Urvater der New Work Bewegung. Bereits vor 40 Jahren entwickelte er seine Vision Neuer Arbeit im Umfeld der damals schwer gebeutelten US-amerikanischen Automobilindustrie. Im Kern geht es um selbstbestimmtes Handeln, darum, das zu tun, „was man wirklich, wirklich will“, wie es F. Bergmann auszudrücken pflegt. Also letztlich um Freiheit und Teilhabe. Überwunden werden soll ein tradiertes Arbeitsmodell, das den Menschen vorgibt, was sie zu tun haben und dadurch ihre Leidenschaft im Keim zu ersticken droht. In einem Interview (Hornung 2018, S. 40f.)  ist zu lesen, wie radikal er sich das vorstellt:

„New Work heißt, dass man Arbeit ganz anders erleben und empfinden kann als bisher und dass man sich auf diese grundsätzliche Andersartigkeit vorbereiten muss. Das ist ein radikal neues Denken … Die Lohnarbeit ist mir unsympathisch in dem Sinn, dass sie abhängig macht und einen von Selbstständigkeit wegführt. Das ist eine Art Nachgeben, eine Zähmung. Was die Lohnarbeit aus Menschen macht, kommt mir schrecklich vor. Das gängige Jobsystem, in dem wir nur für den Lohn arbeiten, führt dazu, dass Menschen verkümmern. Sie bringt die Armut der Begierde hervor: Bei Menschen wird abgetötet, was sie wirklich, wirklich wollen“.

Wir bringen diesen Gegenentwurf wie folgt auf den existenziellen Punkt:

Ohne Leidenschaft finden Menschen keinen Sinn im Leben. Leidenschaft, entfacht durch das, was man wirklich, wirklich will, ist ein grundlegender Bestandteil menschlicher Erfahrung und eine fundamentale Energiequelle.

Leidenschaft („Passion“) kann mit Robert J. Vallerand, Forscher an der Université du Québec, Montréal, und seinem Team (2003, St. Louis & Vallerand 2015, S. 175) definiert werden als

“a strong inclination for a self-defining activity that people love and find important, and in which they invest a significant amount of time and energy”.

Die besondere Bedeutung speist sich also daraus, dass sie Teil des Selbst (geworden) ist.

Studien zu den Effekten von Leidenschaft in Organisationen

Mittlerweile liegen auch Studien vor, die über Alter und Geschlecht hinweg von eindrucksvollen positiven Wirkungen von Leidenschaft berichten. Die Forschergruppe um Frederick Philippe von der McGill University in Kanada hat in ihrer Studie (2009) herausgefunden, dass es deutliche Unterschiede in der Lebensqualität zwischen „leidenschaftlichen“ und „nicht leidenschaftlichen“ Personen gibt. Menschen, die eine Aktivität mit Leidenschaft verfolgen, haben hiernach ein höheres Wohlbefinden.  Dahingegen verspüren Menschen, die eine Aktivität leidenschaftslos ausüben, keine positive Wirkung auf ihr Wohlbefinden. Es kommt also bei der Ausübung einer Tätigkeit nicht nur auf das Engagement (z. B. das Ausmaß an investierter Zeit) an, sondern darauf, ob die Tätigkeit mit Leidenschaft ausgeübt wurde. Positive Auswirkungen waren dabei nicht nur kurzfristig, sondern auch nach einem Jahr noch festzustellen:

So berichteten Personen mit leidenschaftlichen Aktivitäten über eine gesteigerte Vitalität. Folgestudien haben nicht nur ebenfalls ein gesteigertes Wohlbefinden belegt, sondern auch über positive arbeitsbezogene Emotionen, Job-Zufriedenheit, stärkere Verbundenheit mit der Organisation, verbesserte kognitive Leistung (z. B. Konzentration)  sowie positive Wirkungen auf Leistungsergebnisse berichtet (vgl. z. B. Curran et al. 2015).

Allerdings kommt es hierbei auf die Art der Leidenschaft an. Wir kommen gleich dazu.

Die sieben Kernelemente der Leidenschaft

Das Konzept der Leidenschaft lässt sich nach Thomas Curran, Psychologe an der University of Bath, England, in sieben Kernkomponenten aufschlüsseln (2015, S. 633):

  1. Spezifische Aktivität (specific activity)
  2. Liebe/Gefallen (love, liking)
  3. Bedeutung und Werte (meaning, value)
  4. Identität (identity)
  5. Motivation (motivation)
  6. Ausdauer (persistence)
  7. Dualität (duality)

Leidenschaft bezieht sich auf eine bestimmte Aktivität und grenzt sich damit von einem allgemeinen bzw. überdauernden Gemütszustand ab. Neben einer Aktivität kann sich Leidenschaft auch auf bestimmte Objekte (z.B. bei Sammelleidenschaften) oder Personen beziehen. Die Teilnehmer*innen der wegweisenden Studie von Vallerand und Kollegen (2003) haben über 150 unterschiedliche Aktivitäten genannt. Die meisten Aktivitäten bezogen sich auf den Sport- und Freizeitbereich, auf Kunstausübung, aber auch auf Arbeit und Lernen sowie auf zwischenmenschliche Beziehungen (mit Freunden oder Familie zusammen sein). Grundsätzlich jede Art der Tätigkeit kann somit leidenschaftlich verfolgt werden.

Eine leidenschaftlich verfolgte Tätigkeit liegt dann vor, wenn die Person die Tätigkeit liebt oder einen besonderen Gefallen an der Tätigkeit findet. Weiterhin muss die Tätigkeit eine wertebezogene Ladung aufweisen, also mit bestimmten Werten verbunden sein. Aufgrund des Wertebezugs misst die Person der Tätigkeit eine besondere Bedeutung bei.

Der Punkt „Identität“ ist besonders wichtig und bedeutet, dass die geliebte Tätigkeit derart bedeutsam  ist, dass die Person sie als Teil ihres Selbst ansieht. Wenn die Tätigkeit also zu dem gehört, was die Person als Ganzes ausmacht, ist die genannte Bedingung grundsätzlich erfüllt.

Der nächste Punkt „Motivation“ meint hier, dass Leidenschaft weniger ein (unbestimmtes) Gefühl oder ein (allgemeiner) affektiver Zustand ist. Vielmehr handelt es sich um einen Motivationszustand, der auf die Verfolgung einer Tätigkeit gerichtet ist. Am besten passt hier wohl die intrinsische Motivation, bei der eine Tätigkeit um ihrer selbst Willen und nicht wegen externer Ergebnisse oder Belohnungen verfolgt wird. Kennzeichnend ist hier ein hoher Energielevel, der eine hohe Ausdauer ermöglicht.

Die Dualität schließlich spricht die zwei Gesichter der Leidenschaft an: Eine stimmige versus eine obsessive Leidenschaft. Man kann sich diese Formen als idealtypische Ausprägungen zwischen zwei Polen vorstellen. Bei der stimmigen (harmonischen) Leidenschaft steht diese im Einklang mit anderen Ansprüchen und Facetten des Lebens. Die Person kann ihre Leidenschaft hochfahren, aber auch wieder von ihr lassen. Anders sieht es bei der obsessiven Leidenschaft aus. Hier ist diese Person Sklave ihre Leidenschaft („Meine Stimmung hängt davon ab, ob ich in der Lage bin, diese Aktivität auszuüben“/„Ich kann mir mein Leben schwer ohne diese Aktivität vorstellen“/“Ich habe fast das Gefühl, von dieser Aktivität besessen zu sein“). Die Leidenschaft kontrolliert die Person.  Die Leidenschaft ist zum “Leiden“ geworden, womit dem begrifflichen Ursprung des Wortes „Passion“ (aus dem Lateinischen „passio“ für Leiden) Rechnung getragen wird. In extremer Ausprägung ist der innere Druck so stark, dass es der Person nicht gelingt, von ihrer Leidenschaft zu lassen. Das ist der große Stoff der Schriftsteller und Futter für begabte Regisseure in Film, Serie und Theater.

Für das Arbeitsleben ist sie nicht das anzustrebende Ideal. Sie verzehrt. Man leidet mit der Zeit an ihr. Untersuchungen zeigten vielfach negative Folgen wie verringertes Wohlbefinden, negative Emotionen, zwanghaftes Grübeln sowie schlechte Beziehungsqualitäten u.v.m.

Leidenschaft und New Leadership: Was Führungskräfte beachten sollten

Damit ist auch klar, dass die Kultivierung eben dieser stimmigen Leidenschaftsform auch für New Leadership und verantwortungsbewusste Führungskräfte im Mittelpunkt stehen sollte. Diese achten zunächst selbst auf die Ausprägung ihrer Leidenschaft für die Arbeit (was voraussetzt, dass sie zumindest mit Blick auf einzelne Tätigkeiten/Bereiche diese überhaupt verspüren). Sie sollten zunächst bei sich selbst erkennen, ob sie sich zu sehr von ihrer Leidenschaft beherrscht fühlen und versuchen, reflektiert auszugleichen. Eine stimmige Leidenschaft kann zudem mit mehr Leichtigkeit und Charme versprüht werden. Sie wirkt dadurch ansteckender und überzeugender – das Ziel im Führungsprozess, wenn man andere „mitnehmen“ will.

Andererseits muss gerade im Kontext von New Work bei Anzeichen einer obsessivenLeidenschaft der Kollegen und Mitarbeiter*innen versucht werden, auszugleichen. Gerade in hippen Start-up Kulturen herrscht nicht selten ein unhinterfragter Leidenschafts-Imperativ. Vergessen werden sollte hier auch nicht, dass Leidenschaft kein allgemeiner Gemütszustand ist und es somit auch kein andauerndes Leidenschafts-Hochgefühl geben kann. Leidenschaft entwickelt sich langfristig und ist aktivitätsbezogen. Daher braucht Leidenschaft immer wieder Erholungspausen.

So leicht ist die obsessive Leidenschaft allerdings gar nicht zu identifizieren. Denn gerade im Arbeitskontext ist es üblicherweise nur schwer erkennbar, ob die Mitarbeiter*innen ihre Arbeit ggf. mit einer harmonischen oder eine obsessiven Leidenschaft verfolgen. Denn auch bei einer obsessiven Leidenschaft geben die Personen an und empfinden es wohl auch so, dass sie ihre Tätigkeit lieben und sie gehen dieser auch energiegeladen und mit Ausdauer nach. Eine Forschergruppe der University of Texas um Professor Stephen Bushardt (2018) plädiert daher dafür, die „dark side of work passion“ stärker im Blick zu haben. Längerfristig sollten durch eine stimmige Leidenschaft für die berufliche Tätigkeit bessere Karrierechancen bestehen.

Verantwortungsbewusste New Work Leader haben dies im Blick. Um mögliche Anzeichen zu erkennen, halten sie Kontakt zu ihren Mitarbeiter*innen und zwar auch jenseits formaler Interaktion, weil so besser erkannt werden kann, inwiefern eine (dann obsessive) berufliche Leidenschaft mit anderen Lebensbereichen konfligiert. Sie bauen gute Beziehungen auf, hören zu, fragen nach und geben Feedback, auch zur persönlichen Entwicklung. Ein pauschales unsystematisches Empowerment, das derartige individuelle Entwicklungen in der Hoffnung auf einen Selbstläufer außen vor lässt, ist hier nicht zielführend, wie Po Hao, Wei He und Li-Rong Long erst im letzten Jahr ausgewiesen haben. Eine stimmige, kollektive Leidenschaft zu fördern ist bei der von uns stark gemachten Perspektive hingegen dann die Königsdisziplin eines New Leadership, die im Idealfall als ein gemeinschaftlicher Einflussprozess zwischen Führendem und Team begriffen werden kann. Zu gemeinschaftlichen Einflussprozessen haben wir uns in unserem aktuellen Werk „Plural Leadership“ eingehend geäußert.

All dies fällt Führungskräften leichter, wenn sie Führung als ein beziehungsbezogenes Phänomen begreifen und ausüben. Unterstützt werden können diese anspruchsvollen Prozesse auch durch externe Supervision sowie Mentoring. Voraussetzung zur Kultivierung von Leidenschaft sind somit Freiräume zur Reflexion. Diese Reflexion sollte aber nicht (nur) im stillen Kämmerlein stattfinden, sondern will in einem vertrauensvollen Austausch mit wichtigen anderen Bezugspersonen gepflegt sein.

Die Suche nach dem, was man wirklich leidenschaftlich verfolgen will, wird wahrscheinlich nicht in eine klassisch stringent durchgestylte Erwerbsbiographie münden. Umbrüche und Verwerfungen scheinen unvermeidbar, wie auch Bergmanns Biographie zeigt (er hat unter anderem Theaterstücke geschrieben, war Preisboxer sowie Hafenarbeiter, bevor er Philosophieprofessor wurde). Der Weg zu einer leidenschaftlich identitätsstiftenden Arbeit – und damit einer Arbeit, die eine „Armut der Begierde“ nicht kennt, ist daher immer ein sehr persönlicher. Alleine gehen sollten Sie ihn Bergmann in seinem lesenswerten Interview mit Stefanie Hornung in 2018 zufolge, nicht:

„Durch Egoismus wird man New Work nicht erreichen. Denn es hat sehr viel mit anderen Menschen zu tun. Nur durch ihr Empfinden ist es oft möglich, sich selbst zu erkennen. Das war auch bei mir so. Ich habe früher mal Theaterstücke geschrieben. Die Möglichkeit, Professor zu werden, war zunächst alles andere als das, was ich in dem Moment wirklich, wirklich wollte. Ich bin sehr langsam darauf gekommen, dass Stückeschreiben nicht das Richtige ist – vor allem durch meine Freunde“.

Und wissen Sie bereits, wer Ihr Wegbegleiter sein könnte? Und würden Sie ihn fragen? Was hätten Sie schlimmstenfalls zu verlieren außer einem Leben im Falschen?

Bushardt, S.; Young, M.; Beal, B. (2018): Understanding work passion: An important element for career success and improved quality of life. In: Journal of Organizational Psychology, 18(2), S. 23-29

Curran, T., Hill, A. P., Appleton, P. R., Vallerand, R. J., & Standage, M. (2015): The psychology of passion: A meta-analytic review of a decade of research on intrapersonal outcomes. In: Motivation and Emotion, 39(5), S. 631-655. doi:10.1007/s11031-015-9503-0

Endres, S.; Weibler, J. (2019): Plural Leadership – Eine zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show, Springer Fachmedien, Wiesbaden.

Hao, P.; He, W. & Long, L. (2018): Why and when empowering leadership has different effects on employee work performance: The pivotal roles of passion for work and role breadth self-efficacy. Journal of Leadership & Organizational Studies, 25(1), S. 85–100

Hornung, S. (2018): „Für viele ist New Work etwas, was Arbeit ein bisschen reizvoller macht, quasi Lohnarbeit im Minirock.“. Interview mit Frithjof Bergmann. In: Personalmagazin 09/2018, S. 38–43.

Philippe, F. L., Vallerand, R. J., & Lavigne, G. L. (2009): Passion does make a difference in people’s lives: A look at well-being in passionate and non-passionate individuals. In: Applied Psychology Health and Well-Being, 1(1), 3–22.  http://dx.doi.org/10.1111/j.1758-0854.2008.01003.x

St. Louis, A.; Vallerand, R. (2015): A successful creative process: The role of passion and emotions. In: Creativity Research Journal, 27(2), S. 175-187

Vallerand, R. J. et al. (2003): Les passions de l’âme: On obsessive and harmonious passion. Journal of Personality and Social Psychology, 85(4), 756-767. doi:10.1037/0022-3514.85.4.756