Ressourcenbezogene Führungsentscheide sollten prinzipiell zwei Kriterien genügen: Sie sollten fair und effizient sein. Was aber machen Sie, wenn Sie mit Ihrer Entscheidung nur ein Kriterium erfüllen können? Ressourcen verschwenden, um als gerecht zu gelten? Oder verteilen Sie die Ressourcen ungleich und riskieren, dass die Nichtbedachten Ihnen Günstlingswirtschaft unterstellen? Beides ist wenig verlockend.
Gerechtigkeit als universelle Leitfigur
Natürlich wiederholen wir uns, wenn wir wieder einmal auf die Bedeutung der Gerechtigkeit für die Gestaltung einer gelingenden Führungsbeziehung hinweisen. Aber sie ist nun einmal fundamental. Schon Aristoteles sah die Gerechtigkeit als den Inbegriff der Tugend an und verstand darunter das Bestreben, sowohl sich selbst als auch dem anderen gerecht zu werden. Dass dies nicht nur in sozialen Beziehungen im Allgemeinen gilt, sondern unverändert auch in Organisationen Geltung beansprucht, hat knapp 2500 Jahre später der liberale Denker John Rawls in seinem Klassiker „Theory of Justice“ betont. Ihm galt die Gerechtigkeit ausdrücklich als die „erste Tugend sozialer Institutionen“ (1979, S. 19). Dabei wird die entscheidende inhaltliche Problematik gleich mitgeliefert: Fragen der Gerechtigkeit sind Fragen der Verteilung und zwar von Anerkennung, Zuwendung, Chancen, Ressourcen etc. auf der Basis von als gerecht angesehenen Kriterien. Typische Kandidaten hierfür sind Bedürfnisse, Leistung, am klarsten die Gleichheit oder (die gegebenenfalls göttliche Fügung durch) das Los (vgl. dazu vertiefend Weibler 2016).
Gerechtigkeit in Organisationen
In der Organisationsforschung finden drei Dimensionen der Gerechtigkeit besondere Beachtung. Im Einzelnen sind es die Verteilungsgerechtigkeit (distributive Gerechtigkeit), die Verfahrensgerechtigkeit (prozedurale Gerechtigkeit) und die interaktionale Gerechtigkeit. Während die Verteilungsgerechtigkeit um die Frage kreist, wer nach welchen Kriterien (zum Beispiel Leistung) wie viel von einem Kuchen bekommt, beschäftigt sich die Verfahrensgerechtigkeit mit der Frage, ob diese Kriterien überhaupt treffend und umfassend für die einzelnen Personen bemessen werden konnten (etwa die Ermittlung der Leistung durch ein 360° Feedback). Die interaktionale Gerechtigkeit bezieht sich auf die Art und Weise der interpersonellen wie informationalen Behandlung des anderen, typischerweise also darauf, wie der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter behandelt (in Bezug auf Respekt, Höflichkeit, Teilhabe an relevanten Informationen). Ausgangspunkt des Folgenden ist die Verteilungsgerechtigkeit, die durch eine geschickte Anwendung der Verfahrensgerechtigkeit legitimiert wird. Das lösen wir jetzt auf.
Spannungsfeld Ressourceneffizienz und Gerechtigkeit
Führungskräften ist nicht nur anzuraten, Gerechtigkeit in ihrem Team als Leitfigur zum Ausdruck zu bringen, sondern auch, zur Verfügung stehende Ressourcen effizient zu nutzen. Je besser die Ressourcennutzung gelingt, umso produktiver sind sie. Was aber ist, wenn diese beiden zentralen Kriterien in Konflikt zueinander stehen? Nehmen wir an, dass die Führungskraft drei Laptops für das Team zugeteilt bekommen hat, die für das Homeoffice perfekt genutzt werden könnte. Nun besteht das Team aber aus vier gleichwertigen Personen. Sofern keine objektiven Gründe für die Zuteilung vorliegen und klar ist, dass eine ungleiche Zuteilung im Team nicht zu vermitteln ist, muss die Führungskraft entweder auf die Zuteilung verzichten (Ressourcenineffizienz) oder sich eine ungerechte Handlung vorwerfen lassen.
Hier muss man sehen, dass das Ungerechtigkeitsgefühl dadurch entsteht, dass das nicht berücksichtigte Teammitglied dies leicht als eine mangelnde Anerkennung interpretiert, die ihre Wurzeln in einer (unbewusst) wahrgenommenen Statusreduzierung hat. Eine gefühlte mangelnde Anerkennung ist evolutionsbiologisch gesehen nichts anderes als eine Unsicherheit über den Rang in der Gruppe, was naturgemäß Unwohlsein auslöst. Es signalisiert eine mögliche Gefahr für die eigene zukünftige Stellung. Die empirische Forschung zeigt, dass Individuen, hier Führungskräfte, intuitiv lieber auf eine ungleiche Zuteilung von Ressourcen (Extras, Vergünstigungen) verzichten, weil sie bei einer einseitigen Zuteilung fürchten, als ungerecht angesehen zu werden. Um Gerechtigkeit bemühten Menschen bereitet die Zuschreibung „ungerechte Führungskraft“ Bauchschmerzen. Die Vermeidung dieser Zuschreibung gewichten sie für sich dann höher als einen Zugewinn an Gruppenressourcen aus übergeordneter Sicht.
Betroffene zu Beteiligten machen
Dieses grundsätzliche Problem haben Shoham Choshen-Hillel, Alex Shaw und Eugene M. Caruso intelligent aufgegriffen. Ihre theoriegestützte These war nun aber die Folgende:
Dazu führten sie mehrere Experimente mit weit über 2.000 Personen durch. In einer Teilstudie wurden z.B. Beschäftigte als Versuchspersonen entweder gebeten, (a) einen Computer, der nicht gemeinsam genutzt werden kann, einem von zwei Mitarbeitern mit gleichen Meriten zuzuteilen oder (b) sie wurden aufgefordert, diese Entscheidung zu treffen, wobei sie selbst eine der beiden Personen für die Zuteilung sind. Eine Zuteilung konnte alternativ in beiden Bedingungen unterbleiben (Ressourcenineffizienz). Bei weiteren fünf Studien ging es in vergleichbarer Logik um die Zuteilung eines Bonus in Form von Geld oder Gutscheinen sowie um die Bezahlung für eine Teilnahme an der Untersuchung mit jeweils vielfältigen Variationen. Generell war es in allen Settings so, dass die Option für eine Gleichverteilung immer eine Maximierung der Ressourcen ausschloss (z.B. bekamen bei 500 Euro Bonus zwei Personen 200 Euro, aber die Versuchsperson konnte die verbleibenden 100 Euro nicht weiter gleichgewichtig aufteilen, sondern musste sie eine der beiden Personen im Ganzen zusprechen).
Die Ergebnisse waren eindeutig. Immer dort, wo der Anschein erweckt werden konnte, man handele als Zuteiler ungerecht, wurde mehrheitlich zu Lasten einer Ressourceneffizienz entschieden. Dort, wo man allerdings selbst infolge der eigenen Entscheidung der Benachteiligte war, wurden die zur Verfügung stehenden Ressourcen verstärkt verteilt. Ob dies auch so geschehen wäre, wenn man als Entscheider gegenüber den Betroffenen unerkannt geblieben wäre, wurde nicht untersucht. Wir wissen aber aus anderen empirischen Studien, dass die Anonymität egoistisches Verhalten bei einem Teil des Klientel begünstigt (hier tendenziell von Personen, die sich stärker mit ökonomischem Gedankengut anfreunden können), sodass in der Situation, in der man selbst hätte auch einen Vorteil ziehen können, es möglicherweise auch hier anders ausgesehen hätte. Aber diese Konstellation ist für Verteilungsfragen im Führungsalltag nicht so relevant.
Empowerment als Gerechtigkeitstreiber
Sicherlich ist es grundsätzlich eine gute Idee, diejenigen, die durch eine Entscheidung begünstigt oder benachteiligt werden, in die Entscheidung mit einzubeziehen; zumindest gilt dies dann, wenn vernünftige Entscheidungen beidseitig aufgrund von Fähigkeit und Motivation getroffen werden können und – mit Nachdruck wie hier – die Effektivität einer Entscheidung von der Bewertung der Betroffenen abhängt. Dies postulieren beispielsweise Führungsstilmodelle oder Modell der Organisationsentwicklung. Nicht umsonst finden solche Modelle, die unter dem Label „Empowerment“ laufen, in gegenwärtigen Arbeitsstrukturen v.a. im Hochqualifikationsbereich viel Aufmerksamkeit.
Regelmäßig wird davon ausgegangen, dass eine zugestandene höhere Entscheidungsmacht auch mit einer höheren Verantwortungsübernahme für das Treffen von Entscheidung verbunden ist. Und in einem Wirtschaftsunternehmen gehört dazu, zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal zu nutzen. In den beschriebenen Fällen verschlechtert sich die eigene Situation ja nicht absolut, sondern nur relativ. Materiell entsteht hier also kein Nachteil, sondern „nur“ psychologisch.
Das obige Forscherteam gab auch gleich ein schönes Beispiel für die Übertragung in den Managementkontext. Nicht selten ist es so, dass gerade bei einer angespannten Arbeitsmarktsituation eine Neueinstellung nur mit einem höheren Salär als es Standard in der Organisation ist, bewerkstelligt werden kann. D.h., dass eine neu eingestellte Person trotz gleicher Qualifikation, gleichem Potenzial und vergleichbaren Arbeitsaufgaben intern überdurchschnittlich verdienen wird. Unter Umständen äußert sich das auch in Äußerlichkeiten. Dies führt theoretisch und wohl auch praktisch zu einer wahrgenommenen Ungerechtigkeit, allein die Vermutung reicht schon aus. Folgt man den Ergebnissen der Studie, so wäre mit dem bestehenden Team bereits im Vorfeld der Neueinstellung die Situation zu besprechen und eine konsensuale oder zumindest mehrheitlich getragene Lösung zur Höherbezahlung herbeizuführen. In diesem Fall wären die von der Entscheidung Betroffenen dann auch Beteiligte.
Eine relative Benachteiligung wird gemäß erwähnter Studie, die mit anderen Befunden im Übrigen gut kompatibel ist, somit dann von einer deutlichen Mehrheit nicht als Nachteil erlebt, wenn der Einzelne selbst für diese Entscheidung (mit-)verantwortlich zeichnet. Von zentraler Bedeutung ist es also in den Augen des Einzelnen, die Kontrolle über die eigene Wertigkeit zu behalten. Dieser Mechanismus erklärt im Übrigen auch, warum die Wahl zwischen zwei Übeln weniger empfundenes Leid mit der gewählten Option verursacht, als es die Zuteilung dieser Option ohne Beteiligung täte.
Fazit
Kompetente Führungskräfte sind in der Lage, Wahrnehmungen eines ungerechten Handelns in ihrem Team zwar nicht gänzlich auszuschalten, aber durch kluge Entscheidungen doch auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu wird angeraten, in den Fällen, wo sich kein sinnvolles Entscheidungskriterium zur Differenzierung anbietet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. das ganze Team offensiv in die Entscheidung einzubinden. Dies ist keine Führungsschwäche, sondern eine Führungsstärke. Es ist auch ein Ausdruck zugeschriebener Mündigkeit, die ohnehin der gedankliche Ausgangspunkt einer Führungskraft mit Blick auf die Geführten sein sollte.
Abschließend sollte noch einmal betont werden, dass die Aussagen im Einzelnen nur für den Fall gelten, dass sich die Ausgangssituation aller durch die Zuteilung nicht objektiv verschlechtert. D.h., eine Person verliert nichts vom Bestand, um eine andere Person günstiger als sich selbst zu stellen. Sie gelten folglich nicht für den Fall, dass zwischen den Personen, die eine Zuteilung erhalten können, bereits eine materielle Ungleichheit besteht. Dort sollte es tendenziell so sein, dass bei einer als ungerechtfertigt oder nicht erklärbar erscheinenden Diskrepanz ein anderer Mechanismus greift, nämlich der des Ausgleichs. Alles in allem heißt dies für Führungskräfte, dass sie eine Parteinahme nicht fürchten müssen, wenn sie gute Gründe angeben können, warum sie zu einer Entscheidung gekommen sind, die nicht auf Gleichverteilung setzt.