Was hält ein Team in schwierigen Zeiten leistungsstark zusammen? Diese führungspraktische Frage stellt sich verschärft in Extremsituationen, in denen die individuelle Belastung außergewöhnlich, manchmal unvorstellbar hart ist. Anhand von bahnbrechenden nordamerikanischen Studien im Verlauf des Zweiten Weltkrieges („Kampfverbände“) wird die überragende Bedeutung des Sozialen für Teams sichtbar, die am Ende, wenn es um alles, nämlich das eigene Leben geht, alles andere überlagert. Dabei ist auch die beispielgebende Führung gefordert. Wider die unpersönliche Technokratie. Bedenkenswert!

Sherry V Smith

Neigen wir zu Extremen? Landläufig ja, so die weit verbreitete Einschätzung, in der das Extreme zudem eher schlecht wegkommt. Gegen Extrema hat sich notabene auch Aristoteles als philosophische Gallionsfigur ausgesprochen, für den das rechte Maß die Richtschnur jeden Handelns sein sollte. Bei nüchterner Betrachtung erleben nur wenige von uns wirklich echte Extremsituationen, die die Grenze des menschlich Ertragbaren erreichen oder überschreiten. Leadership Insiders greift neuerdings in loser Folge immer wieder einmal solche extremen Situationen auf, um entweder einen von außen einsichtsreichen Einblick in eine solche Situation zu gewähren, die führungsbezogen vom Leser eigenständig zu interpretieren ist, oder um meinerseits die eine oder andere Lehre für den Führungsalltag bei aller gebotenen Vorsicht anzubieten. Heute betrachte ich die Extremsituation Kampfverband im Zweiten Weltkrieg auf Teamebene und gehe studiengeleitet der Frage nach, wie ein Team damals unter Bedrohung von Leib und Leben funktionsfähig bleiben konnte.

Führung an der Grenze

Extreme Situationen. Extreme Teams. Extrem Führende. Das macht neugierig. Was wissen wir aber darüber? Selbst im Allgemeinen nicht sehr viel, weil wir nicht allzu oft solche Menschen oder Konstellationen kennenlernen. Der Führungsforschung geht es da nur wenig besser, weil sie sich typischerweise dem Normalfall verschreibt, also Führung und Führungsprozesse im Alltag der Organisation analysiert. Dabei sind es dann auch noch größere Organisationen, in der Regel Unternehmen, die favorisiert betrachtet werden.

Schade eigentlich, denn aus der Analyse von extremen Punkten und extremen Ereignissen lassen sich so manche Erkenntnisse gewinnen, die nicht nur die Ausnahmesituation verständlicher machen, sondern auch Anregungen für den Normalfall beinhalten. Wenn ich beispielsweise weiß, wie sich die Folgen einer extremen Stresssituation auf Menschen auswirken, kann ich sich dorthin bewegende Entwicklungen in der Führungspraxis deutlicher erkennen und besser damit umgehen.

Mit Cristina Giannantonio und Amy Hurley-Hanson, die zum Thema “Extreme Leadership” einen  sehr anschaulichen und vielseitigen Herausgeberband veröffentlicht haben, kann das Extreme als etwas verstanden werden, das sich deutlich außerhalb der Norm bewegt und sich dem alltäglichen Erfahrungshintergrund des Einzelnen verschließt. Dies ist immer relativ zu sehen. So haben beispielsweise Bergleute einen latent gefährlichen Job, der für die meisten von uns schon keinen Bezug mehr zum täglichen Erfahrungshintergrund besitzt, für die Bergleute selbst tatsächlich aber erst dann extrem wird, wenn ihnen beispielsweise der Rückweg an die Oberfläche plötzlich versperrt ist.

Kampfverband Team

In der Extremsituation Schlacht ist eine Regelbefolgung und Erwartungstreue für den militärischen Erfolg, vor allem aber auch für das eigene Überleben elementar. Dies erklärt die rigiden Gehorsamkeits- und Disziplinierungsübungen sowie die harte Sanktionierung von Regelverletzungen. Dabei kann die Regel durchaus eine definierte Handlungsautonomie vorhalten, nur muss diese eben auch befolgt und umgesetzt werden. Wie dies strukturell-situativ ausgefüllt wird, habe ich anhand eines recht aktuellen Beispiels schon beschrieben.

Im Weiteren geht es nun aber vor allem um die psychisch-sozialeBande in einem militärischen Kampfverband. Nicht nur exemplarisch greife ich hier auf die vermutlich größte empirische Studie zurück, die jemals während eines aktiven Schlachtgeschehens durchgeführt wurde. Dabei profitiere ich selbst von den kundigen Ausführungen des Soziologen Ulrich Bröckling, der sich ebenfalls kürzlich in einem größeren Zusammenhang darauf bezog.

Die für zivile Wissensimporte zugängliche US- amerikanische Armee schuf 1941 eine soziologische Forschungsabteilung und beauftragte sie mit einem in diesem Umfang bis dahin nicht dagewesenen Projekt, was von Zivilisten und Militärs gemeinsam durchgeführt wurde: In mehr als 200 Einzelstudien  wurden bis 1945 rund 500.000 Soldaten befragt, weitere Daten wurden genutzt und qualitative wie experimentelle Methoden traten hinzu.

Der Auftrag war im Angesicht des Krieges ein praktisch-technischer. Es sollten Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten zuverlässig eruiert werden, um der Militärführung eine solide Grundlage für ihre Entscheidungen zu geben. Eine Studie sollte beispielsweise Erkenntnisse hinsichtlich der als zu hoch empfundenen Desertionszahlen im Heimaturlaub liefern. Die Lösung war dann ganz einfach: Uniformpflicht. Die Zahlen sanken drastisch.

Wir konzentrieren uns aber darauf, eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Faktoren es waren, die den Kampftruppen halfen, den extremen Stress im Gefecht auszuhalten, für den Chief Combat Historian der US-Armee, Samuel L.A. Marshall, „die einsamste Gegend, in der Menschen beisammen sind“ (S. 352). Dies könnte uns, so meine Überlegung, Anregungen geben, zu verstehen, was Teams im Innersten zusammenhält, etwas, das unter Alltagsbedingungen nicht so leicht zutage tritt. Hier sofort die empirisch abgesicherten Ergebnisse des Militärsoziologen und Pionier der Umfrageforschung  Samuel Andrew Stouffer Ende der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts:

  • Politische Überzeugung und empfundene Notwendigkeit des Krieges sowie die patriotische Identifikation besaßen ihre Bedeutung. Es widersprach jedoch dem internen Gruppencode, dies anzusprechen. Ein Hurra-Patriotismus war verpönt. Die Überzeugung war eher Anlass, in den Krieg zu ziehen, nicht, ihn zu bestehen.
  • Verlesung der Kriegsartikel alle sechs Monate, bei denen u.a. Fahnenflucht eine Rolle spielte. Neben der Information werden die Erwartungen an den Soldaten so (ein Stück weit) von diesem verinnerlicht. Auf Normverletzung folgen formale Sanktionen. Wichtiger als die Zwangsmittel waren aber die negativen Wirkungen auf das Team und auf die Familienangehörigen.
  • Beziehung zu den unmittelbaren Vorgesetzten (Gruppenführer, Zugführer). Sie waren eingebunden in die informellen Gruppenstrukturen ihrer Einheit, unterlagen denselben Beeinträchtigungen, Gefahren und Missständen wie ihr Team und wirkten im günstigen Fall durch ihr Vorbild. Die Sorge um das Wohlergehen für das Team und dessen Sicherheit waren in dieser lebensbedrohlichen Situation von höchster Bedeutung. War die Vorbildfunktion allerdings verspielt, beispielsweise durch Willkür oder das Bemühen um eine unangemessene Distanz, ließ das die Einsatzbereitschaft des Teams unter Umständen gänzlich erlahmen. Gefolgschaftsbeziehungen und Loyalitätsbindungen waren wichtiger als Hierarchie und Dienstgrade.
  • Zusammenhalt der Primärgruppe (sprich: des Kernteams). Dies war der wichtigste Faktor für die Kampfbereitschaft, der sich auf die Solidarität mit den unmittelbaren Kameraden bezog. In dieser Kerngruppe wurden die informellen Verhaltenskodizes für diese Extremsituation definiert und durchgesetzt und es wurde der Einzelne, der einer besonderen Stresssituationen nicht gewachsen war, gestützt. Indem er sich so lange wie es ihm möglich war an die Gruppenerwartung hielt, konnte er sich darauf verlassen, aufgefangen zu werden. Das gemeinsame Durchleben der unwirklichen Situation des Krieges schweißte jede Einheit auf ihre Art und Weise zusammen, schuf so eine Identität und trennte die Gruppe von all denjenigen, die diese Erfahrung nicht hatten. Der erste Kampfeinsatz eines neuen Teammitgliedes war die Schwelle, die zu überschreiten war, um als vollwertiges Mitglied im Team Anerkennung zu finden (S. 348):
„Dieser erste Kampf – der Kampf mit dir selbst – wird vorüber sein. Dann wirst du bereit sein, gegen den Feind zu kämpfen.“

Das Schlimmste, was einem in dieser existenziell gefährlichen Situation passieren konnte, war von den eigenen Teammitgliedern verspottet und nicht ernst genommen zu werden. Dies bezog sich nicht auf die Angst, die wohl die allermeisten, wenn nicht alle, zu Beginn ihres Einsatzes hatten. Diese war akzeptiert und sollte durch das Geschehen selbst, so die Erwartung, in den Griff bekommen werden. Danach musste es klappen, so die Erwartung. Klappte es nicht, wurde dies dennoch so lange toleriert, wie jeder sich aufs Neue bemühte, diese Angst zu überwinden. Das Team gab diese Unterstützung jedoch dann auf, wenn jemand nicht weiterkämpfen wollte.

  • Ein letzter Faktor, der einen Einfluss auf die Kampfmoral besaß, waren die religiösen Bindungen und persönlichen Weltanschauungen. Dieser Zusammenhang war jedoch mehrdeutig und entsprach in mancherlei Hinsicht dem des Eingebundenseins in der Primärgruppe, hier dem Team im Kampf. Kurzum: das Beten half dem einen oder anderen, die Solidarität innerhalb der Gruppe war jedoch wichtiger, um mit der Angst praktisch fertig zu werden.

Anzumerken bleibt, dass weitere und andere Studien, die sich tiefer mit der Gruppendynamik beschäftigten, die besondere Bedeutung des Rückhalts im Team ebenfalls als den wichtigsten Faktor für die Kampfbereitschaft im Gefecht ausgewiesen haben. Auch die anderen, zuvor genannten Faktoren standen und stehen auf die eine oder andere Art mit ihr in Verbindung.

Insbesondere war es eine Zweierbeziehung, eine „Kumpelbeziehung“ (buddy relation), die in der Primärgruppe „Team“ selbiges in einem ungeschriebenen Sozialvertrag wechselseitig stabilisiert. Diese funktionierte nach erwartbaren Mustern und die Buddybeziehung war zum Team hin ebenfalls definiert. Die Loyalität zum Team wurde dadurch nicht ersetzt, ließ sie aber in den Hintergrund treten. Die wichtigste Aufgabe des Buddys, der keineswegs automatisch ein Freund war, war das Zuhören.

Vom Krieg zum Frieden: Teammotivation

Die Erfahrungen, die Menschen im Krieg machen, berühren das Existenzielle des Menschseins und sind von jenen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben, nicht naturgetreu nachvollziehbar. So gesehen sind alle Interpretationen von Personen, die nicht selbst einen mindestens begleitenden Einblick in das Geschehen genommen haben, mit der gebotenen Vorsicht zu behandeln. Besonders lächerlich wirken dabei Versuche, Kriegssituationen für Managerspiele zur Einübung von Stressresistenz oder Ähnliches einzusetzen. Sie sind ethisch unangemessen und weit von einer realen Managersituation entfernt, auch wenn die Kriegsmetapher in der Unternehmenspraxis eine gängige Form der Auseinandersetzung mit dem Markt und den Wettbewerbern darstellt. Diese spezielle Inbeziehungsetzung versucht den merkwürdigen Glanz des Kampfes auf Leben und Tod auf die Ebene von Entscheidungen im Warmen und Sicheren 1:1 zu übertragen, was offensichtlich absurd ist. Eine andere Situation ist jedoch gegeben, wenn einzelne Ausdrücke mit militärischem Hintergrund genutzt werden, beispielsweise Begriffe wie „Attacke“ oder „Front“. Sie sind in den Alltagssprachschatz gewandert, ohne dass der Redner oder Schreiber sie mit dem Kriegsgetöse in Verbindung bringen möchte. Auch ich arbeite gelegentlich damit, manchmal bewusst, gelegentlich auch unbewusst. Sie können helfen, etwas anschaulich zum Ausdruck zu bringen. Eine Häufung sollte allerdings gut überlegt sein.

Sehr wohl denke ich aber, dass die Analyse von Extremsituation, wie es hier beispielsweise der Fronteinsatz darstellt, uns nicht nur etwas über die Natur des Menschen offenbart, sondern auch Erwartungen an die Führung in Grenzsituationen erkennen lässt. Die These wäre dann, dass der Erfahrungskern auch in der Führungspraxis seine Bedeutung besitzt, selbst wenn das Ausmaß schwer abzuschätzen ist. Je weiter sich die ins Auge gefasste Alltagssituation davon entfernt, umso eher können ergänzende, überlagernde oder substituierende Faktoren eine möglicherweise viel entscheidendere Rolle spielen.

Für die Teamarbeit in der Alltagssituation denke ich jedoch, dass wir mitnehmen können, dass das Soziale, das sich wirkungsvoll beispielsweise in der Kohärenz des Teams ausdrückt, entscheidend für die Motivation des Einzelnen ist. Technokratische Lösungen, Anweisungen oder Richtlinien sind von geringerer Bedeutung. Sie bilden im günstigen Fall einen unterstützenden Rahmen.

Das Soziale manifestiert sich in einer überschaubaren Zweierbeziehung, zumindest, weitergeführt, in einem engen Kreis. Ich erinnere daran, dass bei der Abfrage des Gallup-Institutes zur Beschreibung eines herausragenden Arbeitsplatzes das Vorhandensein zumindest einer freundschaftlichen Beziehung im Arbeitskontext auftauchte. Nach dem gerade Berichteten müsste das „Freundschaftliche“ zwingend näher qualifiziert werden. Vermutlich reicht eine Person, die eine ernsthafte und ehrliche Zuwendung bereithält, jemand, der Interesse an dem Menschen hat. Wer fällt Ihnen da auf Ihrer Arbeitsstätte ein?

Des Weiteren: Je extremer die Situation, desto kritischer die Führung und die Person des Führenden. Die Akzeptanz des Vorgesetzten ist für die Zuerkennung von Führerschaft essentiell, nur so kann Führung gegenüber der formalen Leitung, die ein Vorgesetzter hat, entstehen. Unter extremen Bedingungen verschwinden die Privilegien der Führenden, sie verzichten darauf, wenn sie ihren Status nicht aberkannt bekommen wollen. Funktionale Differenzierungen, also sachliche Gründe zur Erhöhung der Effektivität und Effizienz des Teams, dürften allerdings auch im Extrem nicht davon berührt sein. Es muss nur für das Team erkennbar sein. Man sieht, wenn es darauf ankommt, müssen die Karten auf den Tisch.

Die Intensität der Motivation des Einzelnen hat einen Einfluss auf die Teammotivation, auch wenn diese mehr ist als die bloße Addition. Nicht zu vergessen ist, dass die Teammitglieder interagieren, vor allem kommunizieren, und sich dadurch gegenseitig beeinflussen.

Interessant ist auch die Rolle, die die Ideologie im Gefecht spielte. Sie ist nicht unwichtig, aber ohne die Solidarität im Team vollkommen unzureichend. Das wirft ein ebenfalls interessantes Licht auf die Vision, die im Unternehmen, falls überhaupt vorhanden, meist eine weichere Form der Ideologie ist. Sie wirkt nur dann, das könnte man wohl mitnehmen, wenn der, der sie entwirft und kommuniziert, für die Teammitglieder authentisch mit ihr durch sein Tun verbunden ist und wenn sie auf ein Team trifft, in dem positive zwischenmenschliche Beziehungen existieren. Nur eine wahrhaft große Vision, die den Nerv anderer trifft, hätte vermutlich die Chance, ein seelenloses Team zu einem funktionsfähigen Team – oder sagen wir besser weil umfassender: lebendigen Team –  zu formen. So etwas ist selten. Deshalb bereitet es aber wiederum Freude, solche Beispiele kennenzulernen. Sie halten die Hoffnung  auf Veränderung in schwieriger Lage aufrecht, sollten aber die die Gefahren einer „großen“ Vision bei ungünstigem Verlauf nicht ausblenden.

Bröckling, U. (2017): Gute Hirten führen sanft, Berlin

Giannantonio, C.M. / Hurley-Hanson, A.E. (2013): Extreme Leadership, Cheltenham, UK

Marshall, S.L.A. (1947): Men against Fire, New York

Stouffer, S.A. (1949): The American Soldier: Combat and its Aftermath, New Jersey