Dieser Beitrag ist Teil der Serie Führungsperson

Andere Beiträge in dieser Serie:

  1. Führungskompetenz – Wie uns Gesichtskonturen beeinflussen
  2. Tugenden – Führungswissen zum Mitreden und Handeln
  3. Wie Führungskräfte informelle Codes entschlüsseln – Lernen von der Ethnografie
  4. Wie „verrückt“ sind Entrepreneure? Studien zur Persönlichkeit einer Ausnahmespezies
  5. Langeweile. Kreativitätsschub für die Führungsetage.
  6. Die Last der Führung  – Demotivation durch Mitarbeitende
Langeweile ist eine Emotion. Typischerweise wird angenommen, dass gelangweilte Führungskräfte oder Mitarbeiter unkreativ sind, beispielsweise weil Langeweile mit Lethargie verbunden wird. Eine neueste Studie zeigt, dass dies keinesfalls so sein muss, ja dass Kreativität geradezu durch Langeweile befördert wird – zumindest bei einem Persönlichkeitstypus.

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Die Philosophen Renate Breuninger und Gregor Schiemann haben sich vor Kurzem in einem Herausgeberwerk auf die Suche nach dem besseren Verständnis der Langeweile begeben, einem unzeitgemäßem Gefühl, das in unserer nahezu eingeforderten Erlebnisgesellschaft gerne tabuisiert wird.  Für Führungskräfte sowieso: „Langeweile, was ist das?“. Ein Zugeständnis wäre ein absolutes No-Go, strombergmäßig allenfalls in einer Form wie „nur in ihrer Gegenwart“ zulässig.  Denn: Es gibt doch immer etwas zu tun, immer etwas zu verbessern, so die Managementerzählung. Guihyun Park von der Singapore Management University rehabilitiert die Langeweile mit ihrem Forscherteam (2018) und zeigt, dass Langeweile ein origineller Kreativmotor nicht zuletzt für Führungskräfte sein kann. Leadership Insiders zeigt wieso.

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Was ist Langeweile?

Wann überkommt Sie die Langeweile? Wie fühlt sich das an? Nun, die Anlässe sind individuell verschieden, wie es sich anfühlt, nicht so sehr. Cynthia Fisher, Managementprofessorin an der Bond University, Australia, beschreibt die Langeweile als einen Gefühlszustand, der sich nicht gut anfühlt, der einen unzufrieden zurücklässt, der sich durch einen Mangel an Stimulation manifestiert und der das, was man gerade macht (wenn man etwas macht), nur schwerlich konzentriert angehen lässt. Durchaus also ein Zustand, der im Berufsalltag erlebt wird. Personen schildern, dass die Zeit nicht vergehen will, sich demnach das Gegenteil von Flow einstellt. Plötzlich fühlt man sich in der Situation gefangen, wird ziellos unruhig oder fühlt sich möglicherweise schuldig, so viel Zeit zu verschwenden.

Die zwei Seiten der Langeweile?

Die Langeweile hat einen schlechten Ruf. Nicht nur, dass der, der sie verspürt, in unserer Gesellschaft mehr oder weniger frustriert ist („Was geht da gerade alles an mir vorbei?“), sondern sie wurde beispielsweise auch als Auslöser für Gewalttaten und abweichendes (deviantes) Verhalten identifiziert.

Arthur Schopenhauer, immer für lebenspraktische Einsichten gut, sah das Leben zwischen Leiden und Langeweile pendeln. Dies stellt die Langeweile sogar noch hinter das Leiden, denn Erstere sei ein Motivator, damit sich etwas bewege und Wünsche nicht unerfüllt blieben:

„Daß Wunsch und Befriedigung sich ohne zu kurze und ohne zu lange Zwischenräume folgen, verkleinert das Leiden, welches Beide geben, zum geringsten Maaße und macht den glücklichsten Lebenslauf aus.“
Arthur Schopenhauer (1819; Die Welt als Wille und Vorstellung, Viertes Buch, § 56)

Ist das, was zum Leiden zu sagen ist, nicht auch für die Langeweile von einer bedingten Gültigkeit – nicht so sehr für das glückliche Leben als solches, aber für die kreativen Momente, die dazu beitragen?

Die Teamkreativitätsexpertin Guihyun Park sieht das zumindest so, aber allein steht sie damit nicht. Mihály Csíkszentmihályi, der Nestor der Flow-Forschung, stufte die Langeweile schon vor rund 40 Jahren als eine günstige Voraussetzung  für die Entstehung von kreativen Ideen ein. Und vor 375 Jahren wurde Issac Newton geboren, der während eines ihn zu oft langweilenden zweijährigen Landaufenthaltes nach seinem Collegebesuch (1665) auf einige seiner bahnbrechenden Ideen kam. Gute Referenzen also, diesem ungewöhnlichen Zusammenhang mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Langeweile regt die Kreativität an

Das Forscherteam um Guihyun Park demonstrierte durch drei Experimentalstudien, dass diejenigen, die deutlich gelangweilter waren als ihre Mitstreiter, mehr Ideen bei so genannten divergenten Kreativitätsaufgaben produzierten. Bei Leistungen, die auf Divergenz im Kreativitätsbereich setzen, kommt es auf die Anzahl von produzierten originellen Idee an, die, das weiß man aus anderen Studien, auch mit der Brauchbarkeit von Ideen korrelieren.

Dies gelang aber nicht allen Gelangweilten gleich gut. Nur die, die eine hohe Offenheit für die Sammlung von Erfahrungen angaben, eine höhere Zielorientierung besaßen, Freude beim Einsatz des Denkens für Probleme verspürten und glaubten, den Einfluss auf Anerkennung der Person selbst beeinflussen zu können, wurden durch die Langweile inspiriert. Als Faustregel kann hier gelten, dass es Personen sind, die lernwillig und bereit sind, Experimente zum Sammeln von neuen Erfahrungen und Informationen im Leben einzugehen. Für sie ist empfundene Langeweile eine Aufforderung, wieder positive Emotionen zu suchen.

Die Transformation von Langeweile in Muße?

Nun, nicht jeder, der sich aus Unterforderung langweilt oder von den immer gleichen Routinen paralysiert wird, wird also plötzlich kreativ. Wie kreativ wären da viele Unternehmen oder Verwaltungen auf einmal. Aber für diejenigen, die gerne etwas Neues ausprobieren, ist dies durchaus ein Antrieb, dem als negativ erlebten Zustand durch tätigkeitsbezogene Denkspiele zu entfliehen und sich ungewöhnliche Veränderungen zu überlegen.

Allerdings tut man sich hier leichter, wenn die generierten Ideen eingebracht und besprochen werden können. Sie müssen wertgeschätzt werden. Unglücklicherweise sind gerade die Organisationen, so meine Vermutung, die lähmende Langeweile produzieren, nicht die offensten für Querdenker und engagierte Führungskräfte oder Teammitglieder. Ärger und Wut oder Rückzug sind dann die Antworten, die sich anstelle von Kreativität einstellen.

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Warum nicht versuchen, Langeweile in Muße zu verwandeln? Das wäre doch eine wahrhaftige Führungsaufgabe! Dies bedeutete, mehr Eigenverantwortung denjenigen zu geben, die sich gelangweilt fühlen und Rückzugsorte bereitzustellen, wo sich die Langeweile in Muße transformieren kann. Der Freiburger Neurobiologe Joachim Bauer beschreibt Muße in einem Interview als einen Zustand „schöpferischer Ruhe“. Muße, das war schon den antiken Denkern klar (nicht aber den Mönchen im Mittelalter), ist ein Ort der geistigen Reinigung, dem Langeweile fremd ist. Heute würden wir von einem mentalen Reset sprechen, um Dinge zu ordnen, Kraft zu tanken und neue Perspektiven eintreten zu lassen. Neben Kreativität entspringt der Muße auch eine geistige wie körperliche Frische, etwas, was Langeweile trotz ihrer partiellen Rehabilitierung nicht leisten kann. Wer sich literarisch zunächst anleitend darauf vorbereiten möchte, dem sei „Die Kunst des Müßiggangs“ von Hermann Hesse empfohlen, der, welch Ironie, sich im Vorwort darüber beklagte, nur gut darüber zu schreiben, aber den wahren Zustand des Müßiggängers nicht zu erreichen:

„Wenn ich nicht im Grunde ein sehr arbeitsamer Mensch wäre, wie wäre ich je auf die Idee gekommen, Loblieder und Theorien des Müßiggangs auszudenken. Die geborenen, die genialen Müßiggänger tun dergleichen nie.“
Hermann Hesse (1928)

Man sieht, nicht nur für Hesse ist dieser Weg eine Herausforderung… zum Abschluss noch ein Hinweis eines weiteren vielgelesenen Autors, den er in seinen „Maximen und Reflexionen“ der Nachwelt posthum überließ:

„Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langweile zu haben, so könnten sie Menschen werden.“
Johann Wolfgang von Goethe
Breuninger, R,/Schiemann, g. (2015): Langeweile. Auf der Suche nach einem unzeitgemäßem Gefühl. Ein philosophisches Lesebuch, Frankfurt/M.

Fisher, C. D. (1993): Boredom at work: A neglected concept. In: Human Relations, 46(3), S. 395-417

Park, g. /Lim, B.C. / OH, H. S. (2018): Why boredom might not be a bad thing after all. In: Academy of Management Discoveries (im Druck)

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