Coaching ist ein Standard-Führungsinstrument. Nachfolgend wird gezeigt, wie sich das ursprüngliche analoge Gesprächsformat im Zuge der Digitalisierung in ganz neuen Bahnen bewegt. Gewöhnungsbedürftig, aber eine durchaus auszukundschaftende Variante, vor allem für den Einsatz externer Coaches.

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Coaching wird typischerweise im Rahmen der Potenzialentfaltung von Führungskräften eingesetzt, wiewohl es auch operative, fachlich ausgerichtete Ausprägungen kennt, beispielsweise wenn es durch direkte Vorgesetzte selbst und nicht durch Externe erfolgt. Die  empirisch ausweisbaren Erfolge des Coachings haben wir bereits analysiert, zudem zwei Interviews von erfahrenen Coaches zur praktischen Veranschaulichung des Nutzens durchgeführt (1, 2). Heute geht es bei Leadership Insiders um die Zukunft des Coachings. Passend zu den digital veränderten Arbeitswelten wendet sich der Blick zum digitalen Coaching.

Zunehmender Bedarf an Coaching in Zeiten von New Work und externen Krisen

Viele Organisationen stehen aktuell vor enormen Veränderungsprozessen. Zentraler Treiber ist die Digitalisierung. Aber auch der Wunsch wie die Notwendigkeit, Arbeit und damit Führung anders, oder sagen wir besser, durch Beschäftigte zu wählende Varianten angereichert zu gestalten, ist dafür kennzeichnend. Mit dem viel zitierten Begriff des New Work verbindet sich dabei das Versprechen auf das Einbringen von Selbstbestimmung, Kreativität und Eigenverantwortung des Individuums in den Arbeitsprozess. Oftmals ist dies nur durch Transformationen von Arbeitsphilosophien wie Arbeitsprozessen zu erreichen. New Work-Transformationen erfordern dann bei nicht wenigen Führungskräften zunächst auch ein „Inner Work“, wie die Internetunternehmerin Joana Breidenbach und Bettina Rollow, Executive Coach und Organisationsentwicklerin, ausführen (2019). Die Zielsetzung ist gleichsam zeitlos wie bekannt: Führungskräfte offener, kreativer und zugleich stärker zu machen. Wer an innerer Sicherheit gewinnt, geht mit einer fehlenden äußeren Stabilität besser um. Coaching bietet bei dieser inneren Arbeit wertvolle Unterstützung bis hin für Hilfe zur Selbsthilfe.

Neben der benannten Transformation der Arbeitswelt – nicht für alle und nicht für alle gleich (schnell) – ist es eine ungewöhnliche Fülle von Krisen, die auf Beschäftigte einströmt. Denken wir allein an die Klimakrise oder aktuell hinzukommend die Pandemie. Erhebungen von Krankenkassen dokumentieren die psychischen und psychosomatischen Individualfolgen von Transformationen wie Krisen (vgl. KKH 2020; „Fehlzeitenreport“ 2019).

Digitale Transformation im Coaching

Die Wirksamkeit von Coaching hängt von einer Vielzahl von Einflussfaktoren ab, wie es der Business Coach Uwe Böning herausstellt (2015). Vertrauen, Empathie, Achtsamkeit, Authentizität und Beziehungsaufbau sind besonders erfolgskritisch für die Weiterentwicklung von individuellen wie kollektiven Lern- und Leistungsprozessen. Entsprechend hoch sind also die Anforderungen an eine Digitalisierung des Coachings. Dies scheint ein Grund dafür zu sein, warum die digitale Transformation im Coaching lange Zeit von Coaching-Anbietern und Kunden skeptisch gesehen wurde. Dennoch schreitet die digitale Transformation im Coaching weiter voran. Eine im Jahre 2019 durchgeführte Mitgliederbefragung des Deutschen Verbandes für Coaching und Training e. V. kommt zu dem Ergebnis, dass die Digitalisierung und die Nutzung neuester Tools als ein Mega-Trend einzustufen sei, sicherlich beschleunigt durch die Pandemie, die betriebliche Online-Prozesse schneller als je gedacht „normalisierte“ (vgl. Otto-Moog 2020).

Betrachten wir jetzt die Art und Weise, wie Coaching grundsätzlich digitalisiert werden kann. Im Rahmen des klassischen und professionellen Einzel- Coachings mit einem Coach und einem Coachee lassen sich hier drei verschiedene Varianten abgrenzen (vgl. Geißler 2018, S. 16):

  • Coaching, bei der die Coaching-Kommunikation auf natürliche Weise und somit ohne Nutzung elektronischer Geräte generiert wird. Übertragen wird es dann aber sehr wohl mittels elektronischer Hilfsmittel, also durch audiovisuelle Kommunikationstechnik (Telefon), oder in künstlichen Welten mithilfe von Avataren.
  • Coaching, das sich dadurch auszeichnet, dass die Coaching-Kommunikation mithilfe elektronischer Hilfsmittel übertragen wird und dass gleichzeitig aber auch Material (z. B. Word-Dokumente), über das gesprochen wird, elektronisch erzeugt wurde.
  • Coaching, bei dem Coach und Coachee face-to-face (besser: body-to-body!!!) in einem Raum zusammensitzen, also ohne technische Mittel miteinander kommunizieren, sondern diese lediglich dafür nutzen, den Inhalt, über den sie sprechen, zusätzlich mithilfe von Avataren darzustellen bspw. in virtuellen 3D Lern- und Arbeitswelten einzubetten.

Die Digitalisierung ermöglicht also einerseits eine ortsunabhängige und asynchrone Kommunikation zwischen Coach und Coachee. Andererseits besitzen digitale Technologien das Potenzial, einem Coachee bei der problemaufklärenden und -lösenden Bearbeitung seines konkreten Problems zu unterstützen. Dies kann dabei theoretisch auch unabhängig von der unmittelbaren Führung des Coaches erfolgen. Damit schafft die Digitalisierung die Voraussetzung für eine größere Eigenständigkeit des Coachees (bspw. Visualisierung des eigenen Anliegens „problematische Work-Life-Balance“ als Hausaufgabe etwa in Form einer elektronischen Collage). Entsprechend dieser Möglichkeiten lassen sich digitale Technologien im Coaching in Kommunikationstechnologien und Problemlösungstechnologien einteilen (vgl. Geißler/Kanatouri 2015). Als Kommunikationstechnologien bieten sich bspw. synchrone Videotechnik, asynchrone Videobotschaften, festnetzgestützte oder mobile Telefonate, synchroner Text-Chat, asynchrone textbasierte Kommunikation oder die Kommunikation mit Avataren an. Problemlösungstechnologien sind etwa elektronisch erzeugte bzw. erzeugbare Texte, Zeichnungen, Bilder und Videos, 2D- oder 3D-visuelle Gegenstände, Tiere, Menschen sowie 2D-visuelle bzw. 3D-visuelle Kontexte/Hintergründe (für einen Überblick Geißler 2018, S. 19ff.).

Schauen wir uns exemplarisch einmal bestehende virtuelle 3D Lern- und Arbeitswelten an, die Coaching aktuell bereits in modernen und interaktiven Coaching-Räumen ermöglichen. In Deutschland ist das im Jahre 2002 gegründete Unternehmen TriCAT (2020) Marktführer derartiger Lern- und Arbeitswelten.

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Anwendungsbeispiel Digitales Coaching

Speziell für Systemische Aufstellungen werden Werkzeuge und Szenarien zur Verfügung gestellt. Der Coachee kann als Avatar etwa geometrische Figuren auf einer Aufstellungsfläche platzieren und somit Situationen und Prozesse darstellen. Rollenspiele sind ebenso möglich, bspw. indem der Coach sich im Gespräch mit einem wenig motivierten Coachee befindet. Durch die Unmittelbarkeit der Situation („erfahrbares Lernen“) wird – und hier bedarf es wissenschaftlicher Studien – die Coachee möglicherweise besonders intensiv in ihrer Selbstreflexion unterstützt. Je mehr der Coach und der Coachee in die virtuelle Szene eintauchen, umso intensiver und realistischer dürften sie die Simulation empfinden.

Innovative Technologien werden das Coaching weiter bereichern

Die Entwicklung von Coaching-Technologien ist ein Work-in-Progress. Gerade hoch interaktive Coaching-Situationen bspw. in Team-Coachings, wo es um die Wahrnehmung und Interaktion mit anderen Teammitgliedern geht, können nun angereichert werden (z. B. Haptik-/ Taktilitätskomponenten; Verfahren zur Gesten- und Sprachsteuerung, echtzeitfähige Mimik und Gestik von Avataren). Besonders die technologiebasierten Erfahrungswelten Virtual  Reality (VR), Mixed Reality (MR) sowie Extended Reality (XR) versprechen in diesem Zusammenhang nach dem Berufspädagogen Bernd Zinn zahlreiche neue Möglichkeiten (2020). Hierbei handelt es sich um Technologien, mittels derer (multi-)sensorisch wirkende und daher als sehr realitätsnah erlebte virtuelle Umgebungen simuliert werden, mit und in denen man interagieren kann. Wahrnehmung und Interaktion erfolgen bspw. unter Nutzung von VR-Brillen und können durch taktile Datenhandschuhe oder andere sensorisch wirkende Elemente erweitert werden. Insbesondere MR- und XR-Technologien scheinen besonders geeignet, virtuelle Coachings als seriöse und qualitativ hochwertige Dienstleistung zu fördern. Studien prognostizierten das wirtschaftliche Potenzial  für VR- und AR gesamthaft im Jahr 2030 etwa auf 1,5 Billionen US-Dollar weltweit und auf 104 Milliarden US-Dollar für Deutschland (PwC 2020).

Empirische Erfolgsmessung des digitalen Coachings steht erst am Anfang

Die Wissenschaft interessiert sich natürlich auch für die Erfolgsmessung digitaler Coachingaktivitäten. Die Praxis bekanntermaßen nur bedingt, waren derartige Evaluationen bereits beim analogen Coaching nicht gerade überbordend, trotz der beeindruckenden Ausgaben dafür. Immerhin: In der Forschung wurden bereits diverse Untersuchungen und Projekte zum Agieren von Menschen in virtuellen Welten im Bereich Coaching und in den eng verwandten Feldern Therapie, Training sowie Aus- und Weiterbildung durchgeführt. Die Arbeiten liegen dabei insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen. Eine Bewertung ist auch deshalb schwierig,  weil unterschiedlichste Anlässe existieren (bspw. Work-Life-Balance, Gesprächsführung), Kundengruppen differieren (bspw. Führungskraft im Büro, Sportler) sowie diverse Tools vorliegen (bspw. Anfertigung einer Collage, Systemische Aufstellungen). Erkenntnisse zum Gamification (Kovisto/Hamari 2019) dürften hier Anregungen  zur Gestaltung des digitalen Coachings und seiner Effekte bereithalten.

Nur ein Beispiel: So zeigt sich etwa, dass digitale Computerspiele mit dem Fokus auf Bildung und Lernen, sogenannte „Serious Games“, grundsätzlich positive Lerneffekte bieten können. Die systematische Analyse von 25 Studien in der Ausbildung von Medizinern und Krankenpflegern (Haoran u. a. 2019) ergab, dass spielerisches Erlernen von ernsten Situationen mittels Simulationen zumindest einen kurzfristigen Lernerfolg bieten kann. Dem Coaching könnten durch solch plastische Simulationen ebenfalls neue Möglichkeiten an die Hand gegeben werden. Doch stehen „Serious Games“ und ihre Forschung, insbesondere mit Coaching-Fokus, derzeit noch am Anfang. Deshalb sind die Erfahrungen der Beteiligten bislang die einzige, immer zur Verfügung stehende Grundlage, um zumindest subjektive Bewertungen vorzunehmen und daraus folgende Konsequenzen abzuleiten, vorzugsweise immer im Vergleich zum analogen Coaching.

Coaching ist weiterhin gefragt, wird aber durch neue Tools noch anspruchsvoller

In Zeiten von New Work und veränderter Arbeitswelten werden Hierarchien flacher und es ist ein starker Trend zu selbstorganisierten und selbstgesteuerten Teams erkennbar. Führungskräfte sollen, so die vielfach gehörte und an sich auch nicht neue Forderung, in derartigen Kontexten zunehmend Mitarbeitende coachen. Ihnen käme danach auch hierfür eine zentrale Rolle im digitalen Transformationsprozess in Organisationen zu. Das hat selbstredend einen Einfluss auf den Führungsstil, der in erster Linie auf Unterstützung und Bestärkung der Geführten statt auf Autorität und Bestimmung setzt. Zur Rolle Führungskraft als Coach gibt es auch nachvollziehbar kritische Stimmen, die Führungskräften eine neutrale Rolle, die beim Coaching gewünscht ist, absprechen (vgl. bspw. Fox 2017) – von in der Führungspraxis nicht durchgängig unterstellbaren digitalen wie auf das Coaching sich beziehenden Kompetenzen ganz zu schweigen. Daher sehen wir die Führungskraft eher auch als Vermittler, der den Coaching-Prozess und das Selbst-Coaching von Geführten anregt, begleitet und je nach eigenem Reifegrad inhaltlich anreichert, vor allem dabei die fachliche Entwicklung im Blick hat. Externe Coaches werden durch die Digitalisierung bislang nicht substituiert.

Um dies digital umzusetzen, stehen zwar bereits fundierte Anleitungen und Leitfäden, die die Besonderheiten der mediengestützten Kommunikation berücksichtigen, zur Verfügung (vgl. Berninger-Schäfer u. a. 2018), jedoch reichen diese mit komplexer werdender Technologie immer weniger aus. Welche zusätzlichen Kompetenzen sind woraus valide abzuleiten? Wie wirkt ein Coach als Avatar? Wird Vertrauen in virtuellen 3D Arbeit- und Lernwelten ebenso aufgebaut wie im analogen Coaching? Auf die Untersuchung möglicher Nebenwirkungen sei hier nur verwiesen. Die Zukunft des Coachings bleibt also spannend.

Badura, B./ Ducki, A. / Schröder, H. / Klose, J. / Meyer, M. (Hrsg.) (2019): Fehlzeiten-Report 2019: Digitalisierung-gesundes Arbeiten ermöglichen, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg

Berninger-Schäfer, E. / Meyer, P. / Geißler, H. (2018): Online-Coaching. Wiesbaden

Böning, U. (2015): Die systematische Ordnung aus der Sicht der empirischen Forschung. In: Böning, U. / Kegel, C. (Hrsg.): Ergebnisse der Coaching-Forschung. Aktuelle Studien – ausgewertet für die Coaching-Praxis. Berlin u. a.

Breidenbach, J. / Rollow, B. (2019): New Work needs Inner Work: Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation. München

Deutscher Verband für Coaching und Training e. V. (2019): Ergebnisse der 8. Mitgliederbefragung 2019. Online unter: https://www.dvct.de/fileadmin/assets/dvct/Downloads/dvct_Dokumente/Mitgliederbefragung/8._dvct-Mitgliederbefragung__2019.pdf, abgerufen am 09.11.2020

Fox, R. (2017): Bionische Unternehmensführung. Mitarbeitermotivation als Schlüssel zu Innovation, Agilität und Kollaboration. Wiesbaden

Geißler, H. (2018): E-Coaching – State of the Art 2016. In: Heller, J. / Triebel, C. / Hauser, B. / Koch, A. (Hrsg.): Digitale Medien im Coaching: Grundlagen und Praxiswissen zu Coaching-Plattformen und digitalen Coaching-Formaten. Wiesbaden

Geißler, H./ Kanatouri, S. (2015): Coaching mit modernen Medien. In Schreyögg, A./ Schmidt-Lellek, C. (Hrsg.): Die Professionalisierung von Coaching. Wiesbaden, S. 399-419

Haoran, G. / Bazakidi, E. / Zary, N. (2019): Serious Games in Health Professions Education: Review of Trends and Learning Efficacy. In: Yearbook of Medical Informatics, 28(1), S. 240-248

Kaufmännische Krankenkasse (KKH) (2020): Krankenstand explodiert – vor allem bei Frauen. Deutlich mehr Fälle von Erkältungskrankheiten und psychischen Leiden in der Corona-Krise. Online unter: https://www.krankenkassen-direkt.de/news/mitteilung/KKH-Krankenstand-explodiert-vor-allem-bei-Frauen-2645664.html, abgerufen am 03.04.2023

Kovisto, J. / Hamari, J. (2019): The rise of motivational information systems: A review of gamification research. In: International Journal of Information Management 45 (2019) 191–210

Otto-Moog, R. (20.05.2020): Business Coaching: Wie Corona das Coaching-Geschäft verändert. Online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/oekonomische-bildung/weiterbildung-lehrstunde-fuer-die-lehrmeister-wie-corona-das-coaching-geschaeft-veraendert/25847120.html?ticket=ST-10623718-nt7dOcR7JkSsjPO0dyEF-ap6, abgerufen am 09.11.2020

PwC (2020): Your guide to VR and AR – What will drive change and why now? Online unter: https://www.pwc.com/seeingisbelieving, abgerufen am 09.11.2020

TriCAT (2020): Anwendungsfelder. Online unter: https://www.tricat-spaces.net/tour/anwendungsfelder/, abgerufen am 09.11.2020

Zinn, B. (2020): Virtual, Augmented und Cross Reality in Praxis und Forschung. Technologiebasierte Erfahrungswelten in der beruflichen Aus- und Weiterbildung: Theorie und Anwendung. Stuttgart