Dieser Beitrag ist Teil der Serie Führungsstile/Führungsverhalten
Andere Beiträge in dieser Serie:
- Führung durch den nächsthöheren Vorgesetzten – Too powerful to ignore
- Führung des Chefs – Wenn die Hierarchie auf dem Kopf steht
- Empowerment – Mitarbeiter mobilisieren und binden
- Führung in Projekten – Welcher Führungsstil ist optimal?
- Führungsgespräche – Anregungen für eine gelingende Führungskommunikation
- Feedbackprozesse in Organisationen – Führungswissen zur Ausgestaltung
Führende sind kommunikativ. Je höher sie aufsteigen, desto bedeutsamer werden für sie kommunikative Arenen. So zeigten Nitin Nohria und Michael Porter von der Harvard University kürzlich, dass die CEOs, die sie begleiteten, in 37 Meetings pro Woche rund 72% ihrer Arbeitszeit verbrachten. Die digitale Kommunikation tritt hinzu, nach oder während der Meetings. Aber auch Führungskräfte nachgeordneter Ebenen kennen dieses Phänomen allzu gut. Nicht immer jedoch ist klar, wie wichtig die Wirkung der Kommunikation auf andere für das Gelingen der Arbeit und das Ansehen der Person ist. Leicht zu vermeidende Missgeschicke zerstören in Sekunden, was in Monaten zusammen erarbeitet wurde. Grund genug für Leadership Insiders, sich der dichtesten Form der Führungskommunikation, dem Führungsgespräch, zu widmen.
Funktionen von Gesprächen
Als der Organisationspsychologe Edgar Schein vor einigen Jahren in einem Interview gefragt wurde, welche Management Skills er für den organisationalen Wandel für am unterentwickeltesten halte, antwortete er mit ausdrücklichem Verweis auf das Top-Management (2011, S. 32):
„I am very clear about that: I think it’s amazing that leaders at very high levels do not understand the communication process between people […] they are to a surprising degree interpersonally incompetent“
Nun, diese harte Aussage wurde vom vielleicht berühmtesten und inzwischen verstorbenen Experten für Unternehmenskultur und Organisationsentwicklung auf Basis seines breiten Erfahrungsschatzes formuliert, belastet die Positionselite in Organisationen für unseren Geschmack aber doch zu einseitig und provokativ pauschal. Die Realität ist, dass wir einem unzureichenden Verständnis für Kommunikation auf allen Ebenen begegnen, sei es bei geplanten und ungeplanten oder bei formellen und informellen Gesprächen. Besonders heikel sind die Gruppengespräche, nicht nur, weil viele Augen und Ohren auf Empfang schalten, sondern weil das fragile Gruppengefüge von internem Status und Wertschätzung schnell durch eine unbedachte Äußerung angegriffen wird. Danach gehen gleich mehrere Personen frustriert nach Hause.
Die zunehmende Digitalisierung macht es nicht besser, steigert sogar die Fokussierung auf die Aufgabe zulasten des sozialen Schmierstoffs „Geplaudere“. Videokonferenzen mit Teammitgliedern oder Gespräche über Skype sind mittlerweile Alltag, das Treffen in virtuellen Räumen zum Austausch wird es absehbar sein.
Die technischen Medien sind offensichtlich eine Verkürzung des Sozialen, bei dem die Face-to-Face Kommunikation der Goldstandard ist. Aus Studien wissen wir, dass dadurch die aufgabenorientierte Kommunikation ansteigt. Paradoxerweise läuft aber eine zu harte Fokussierung auf die Aufgabe während des Gesprächs Gefahr, eine Absenkung des möglichen Leistungsniveaus zu bewirken. Erinnern wir uns doch, was ein echtes Gespräch auszeichnet:
Sprechen, Hören, Verstehen, sich über etwas Verständigen (inkl. eines Dissenses) – und das alles wechselseitig.
Um dies ernsthaft umzusetzen, ist eine Gesprächssituation, eine Stimmung, gar vertrauensvolle Atmosphäre notwendig, die durch das eigentliche Gespräch nicht erzeugt werden kann. Dies ist dann die Aufgabe von Vor- und Seitengesprächen, die nichts oder nur indirekt etwas mit dem Anlass oder der Zielsetzung des eigentlichen Gesprächs zu tun haben. Abgesehen davon unterhalten sich (die meisten) Menschen in solchen Vor- oder Seitengesprächen gerne miteinander über „Gott und die Welt“ (nicht selten auch über Abwesende), was als ein „Aufwärmen“ oder „Auftauen“ für den eigentlichen Anlass zu sehen ist. So haben Gespräche nicht nur eine aufgabenorientierte Funktion (Ziele, Mittel, Meilensteine, Kundenfeedback etc.), also eine Sachebene, sondern auch eine soziale Funktion. Eigentlich banal, aber angesichts verbreiteter Kommunikationswüsten nicht oft genug zu wiederholen.
Führungsgespräche sind ein Mehrebenenmodell
Führungsgespräche sind eine Sonderform von Gesprächen. Sie werden zwischen Personen unterschiedlicher Hierarchieebenen geführt. Damit ist von vornherein eine Machtdistanz mit im Spiel. Sie haben im Regelfall den Führenden als Initiator, können aber auch vom Geführten erbeten werden. Im Alltag kann jede Situation gewollt oder ungewollt in ein Führungsgespräch münden. Der Anlass ist beliebig, der Inhalt ebenso. Das Ergebnis muss es bei aller mitgebrachten Zielsetzung auch sein, sonst ist es kein Gespräch, sondern nur ein Verkündungs- oder Widerstandsakt oder Strategiespiel. Wer ein Gespräch allein als „Kampf“ um eine Deutungshoheit ansieht, und die Möglichkeit einer Überraschung weder sucht noch akzeptiert (z.B. in Form einer Änderung von Wahrnehmung oder Meinung), bleibt kommunikativ stumm, auch wenn er wortgewaltig daherkommt.
Richtig verstanden dienen Führungsgespräche als Medium zur Vermittlung von Führungsbotschaften, zum Sammeln und Bewerten von Informationen und als Quell reichhaltiger Anregungen. Gespräche, die als Dialog ablaufen, wurden bereits von Kenneth Gergen (2002, S. 186) als ein Ort verstanden, in denen Veränderung, Wachstum und neue Einsichten möglich sind.
Gerade aus den beiläufigen, unvorhergesehenen Gesprächen lassen sich aus den kleinen Vorkommnissen, dem scheinbar Unwichtigen sowie der Art und Weise, wie über Aufgaben, Projektabläufe, die beteiligten Personen und so fort gesprochen wird, Einsichten über Führung und unhinterfragte Selbstverständlichkeiten gewinnen. Man muss nur das im Gespräch geschilderte Alltägliche und das nur nebenbei Erwähnte wahrnehmen und zu deuten wissen. Prinzipiell gilt das für beide Seiten.
Nur kurz erinnert sei daran, dass Aussagen auf mehreren Ebenen eine Interpretation ermöglichen, wie es das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun schon vor Jahrzehnten (1981) erkannte. In diesem Modell wird davon ausgegangen, dass eine Nachricht nie eindeutig ist und stets mehrere Aussagen (Botschaften) gleichzeitig enthält. Konkret wird jede Nachricht immer auf vier Ebenen zugleich gesendet, nämlich auf
(1) der Sachebene: Worüber wird informiert und was ist die objektive Botschaft?
(2) der Appellebene: Wozu wird veranlasst?
(3) der Selbstoffenbarungsebene: Was wird über den Sender selbst preisgegeben? und
(4) der Beziehungsebene: Was denkt der Sender vom Gegenüber und wie stehen sie zueinander?
Der Empfänger empfängt die Nachricht entsprechend ebenfalls immer auf diesen vier Ebenen, wobei sich Hörende jedoch dahingehend unterscheiden, welche Ebene für sie besondere Bedeutung besitzt. Schulz von Thun hat dies mit „Vier Ohren“ beschrieben, z.B. dem „Beziehungsohr“, mit dem er jeweils Nachrichten aufnimmt. Auf welchem Ohr der Empfänger nun die Nachricht interpretiert, ist für den Sender nicht eindeutig vorhersehbar (!) und erhöht somit die Wahrscheinlichkeit für Kommunikationsprobleme. Beachte: Er rät ausdrücklich davon ab, innerhalb von Gesprächen ständig zu analysieren. Vielmehr soll das Modell zur Sensibilisierung für Kommunikationsprozesse beitragen.
Gesprächsführungstechniken in Führungsgesprächen
Allgemeine Gesprächsführungstechniken können natürlich auch in Führungsgesprächen eingesetzt werden (vgl. im Folgenden Weibler 2016, S. 374ff.).
Jedes Führungsgespräch ist einzigartig
Erfahrungen mit Führungskräften haben gezeigt, dass sich die genannten Techniken auf den ersten Blick recht einfach anhören. Deshalb wird es womöglich nicht allzu ernst genommen. Doch plötzlich steht man in der Umsetzung vor einem Problem – sei es im tatsächlichen Führungsgespräch oder in einem Rollenspiel als Trockenübung. Dann spürt man schlagartig, wie schwierig es ist, diese Techniken authentisch und entsprechend der Anforderung der Gesprächssituation einzusetzen. Ehe man sich versieht, steht die eigene Akzeptanz als Führungskraft auf dem Spiel.
Die bloße Kenntnis von Gesprächsführungstechniken reicht also für qualitativ hochwertige Führungsgespräche nicht aus. Vielmehr bedarf es einer fortwährenden Übung, begleitet von einer wiederkehrenden Selbst- und Fremdreflexion. Die Einübung von Achtsamkeit ist dafür ein hervorragender Anfang. Sie befördert die praktische Einsicht, dass jedes Führungsgespräch zwar mit bekannten Koordinaten beginnt, aber eine zu meisternde Eigendynamik besitzt. Gelingen kann das nicht immer. Dies zu akzeptieren, zeichnet eine Führungskraft ebenfalls aus.